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Vom Wunder des heiligen Kreuzes in Luca

In der Stadt Corduba, die in Sizilien liegt, wohnten vor Jahren viele Christen und Juden miteinander. Die Juden waren reicher als die Christen, die so arm waren, daß sie gar oft bei den Juden in Dienst gehen mußten. Einmal aber machte der liebe Gott es umgekehrt, so daß die Juden arm und die Christen reich wurden und es kann sein, daß Gott damit den Juden die Kraft des heiligen Kreuzes zeigen wollte.

Nun gab es in der Stadt einen edlen Juden, der ein recht guter Maler und zugleich ein geschickter Goldschmied war. Der Mann ging eines Tages nachdenklich in seiner Kammer auf und nieder und sagte sich folgendes: Wir Juden dienen dem wahren Gotte und anbeten in Ehrfurcht den Schöpfer aller Dinge. Dennoch haben wir viel Unglück, und gar manche Plagen kommen über uns. Den Christen dagegen, die dem gekreuzigten Gotte dienen und gemalte Bilder anbeten, widerfährt nur Gutes. Sie haben Glück in ihren Unternehmungen und sind uns armen Juden in vielen Dingen sehr überlegen. Was ist dagegen zu machen?

So überlegte der Jude hin und her und kam allmählich auf den Gedanken, sich auch ein Kreuz zu machen und dieses anzubeten. Er sagte sich: Vielleicht, wenn ich mir ein schönes Kreuz mache, wird Gott, der Gerechte, wieder meiner gedenken und mir wenigstens einen Teil meines verlorenen Gutes wieder zurückgeben. Ja, ich will mir ein Kreuz machen, aber eines, das nicht so traurig und jämmerlich sein soll als das Kreuz der Christen. Hängen die Christen ihren Herrgott an ein hölzernes Kreuz, so soll meiner ein güldenes Kreuz haben. Lassen die Christen ihrem Herrgott eine Dornenkrone für sein Haupt machen, soll meiner eine güldene Krone mit Edelsteinen besetzt tragen. Schlagen die Christen ihm eiserne Nägel durch Füße und Hände, will ich dem lieben Gott machen güldene Handschuhe, fein ziseliert, mit edlen Perlen geschmückt. Und auch die Füße Gottes will ich kostbar bekleiden. Machen die Christen ihm eine große, blutige Wunde in seine Herzseite, will ich den nackten göttlichen Leib hüllen in ein schönes, güldenes Kleid, das ich zieren will, so gut meine Kunst es nur vermag.

Auf diese Weise erfand und schuf sich der Jude ein Gottesbild nach seinem Sinne, und als er das Kunstwerk vollendet hatte, sank er betend davor in die Knie.

Er betrachtete das Kreuz mit unaussprechlicher Freude, brachte es an eine geheime Stätte im Hause, umgab es mit aller nur erdenkbaren Ehrwürdigkeit und ließ Tag und Nacht Lampen vor dem edlen Kreuze brennen. So hielt er seine Andacht vor dem Kreuze, und im frommen Umgang mit dem Gekreuzigten bereicherte sich nicht nur seine Seele, die ihren Frieden gefunden hatte, nein, es ergab sich, daß er auch wieder zu äußerem Wohlstand kam, und es ihm an nichts mehr zu fehlen schien.

Eines Tages nun lud er seine Freunde, die Juden, zu einem guten Gastmahl ein. Als die Gäste nach der Tafel durch Haus und Garten gingen, fanden sie wie von ungefähr die heimliche Kammer, in der sich das heilige Kreuz befand. Da wunderten sich die Juden gar sehr, und einer rief den andern herbei, damit jeder das Kreuz ansehen könne. Sie sagten untereinander:

«Seht, seht! Unser Gastgeber ist ein Christ, wenn er zum Kreuze betet. Vielleicht hat Gott sich von uns gewandt, weil einer von uns dem Glauben untreu geworden ist. Wir wollen den Verrat am Glauben unserer Väter rächen.»

Danach hielten sie eilends Rat, wie sie den Herrn des Hauses ums Leben bringen könnten. Sie holten ihn rasch herbei, bemächtigten sich seiner und banden ihn mit Stricken fest an das Kreuz, das sie mit einem großen Stein beschwerten. In der Nacht warfen sie dann das Kreuz mitsamt dem armen Manne ins Meer, hoffend, das Kreuz würde bis auf den Grund des Meeres versinken.

Jesus Christus selber aber, der Gekreuzigte, bewahrte seinen Freund auf eine wunderbare Weise. Das schwere Kreuz kehrte sich im Meere um, so daß der ans Kreuz gefesselte Mann nach oben zu liegen kam und wie in einem Schiffe liegend über das weite Meer dahinfuhr. Die Wellen trugen das Kreuz wohl an die achtzig Meilen hinweg, wo es endlich in Luca, das im Welschland liegt, ankam.

Da sich das Kreuz der Stadt näherte, erhob es sich und blieb so stehen, daß die Fischer in ihren Booten es staunend betrachten konnten. Sie ruderten eilends dem Kreuze zu, und als sie es erreicht hatten, nahmen sie sogleich den gefesselten Mann vom Kreuz und brachten ihn in eines der Boote. Da sie gewahr wurden, daß der Mann noch lebte, befragten sie ihn sogleich, aus welchem Grunde er ans Kreuz gebunden und ins Meer geworfen worden sei, und der Mann erzählte ihnen alles. Die Fischer fuhren mit dem Geretteten sogleich in die Stadt, wo sich die Kunde des Wunders rasch von Mund zu Mund verbreitete.

Die Bewohner der Stadt fuhren mit den Fischern nochmals aufs Meer hinaus, brachten das schwimmende Kreuz ans Land und trugen es dann feierlich in die Kirche, wo der fromme Jude alsbald die heilige Taufe empfing. Dem heiligen Kreuze zu Ehren wurde eine neue, schöne Kirche erbaut, wo das Kreuz bis auf den heutigen Tag viele Wunder wirkte. Wir wollen eines dieser Wunder hierher setzen.

Es wohnte in Luca ein alter Spielmann, der wohl recht hübsch auf der Geige zu spielen verstand, aber seine Stimme war im Lauf der Jahre schwach und zitternd geworden, so daß er sein Spiel nicht mehr mit Gesang begleiten konnte. Seine Gestalt war gebeugt, und so nahe dem Ende seines Lebens vermochte er nur schwer, mit recht müden Beinen, seinem Broterwerb nachzugehen. Er hatte die Schönheit seiner Jugend längst verloren, und das ist und bleibt für einen Spielmann eine eigene, bedenkliche Sache. Dieser hier wurde seines Alters wegen von den Menschen verschmäht, und niemand fragte viel nach seinem Spiel, von seinen kleinen Liedern ganz zu schweigen. Es gab halt viele junge Spielleute, die besser singen und spielen konnten als er, und die das Volk lieber hatte. Deswegen kam der Spielmann in große Not und war recht betrübt, weil er schier ganz und gar aus seiner Nahrung kam.

Als es nun besonders schlimm mit ihm stand, sich das Spielen vor den Menschen wahrlich kaum mehr lohnte, überlegte sich der arme Mann folgendes. Er sagte sich nämlich: «Die Menschen wollen mich nicht mehr, und ein wenig spielen kann und muß ich nun doch einmal, weil ich doch das Spiel erlernt habe. Es wird das beste sein, wenn ich dem lieben Gott, dem Allmächtigen und Allgütigen vorspiele.»

Wie gedacht, so ausgeführt. Der Spielmann ging in die Kirche und ließ sich beim heiligen Kreuz nieder, begann auf seiner Geige zu spielen, so gut er nur konnte, während ihm die Tränen aus den Augen rannen. Auf diese Weise klagte der arme Spielmann dem lieben Gott seine Not, der ihm gut zuhörte. Als das Lied beendet war, wollte der Spielmann wieder fortgehen, erhob sich mühsam von seinem Sitz, um kniend dem Kreuz nochmals seine Ehrerbietung zu bezeugen. Da warf ihm das Bildnis den einen güldenen Schuh hin, den der Spielmann mit großer Dankbarkeit an sich nahm und mit dem Wundergeschenk froh und getröstet die Kirche verließ.

Der Kirchenhüter jedoch bemerkte, wie der Spielmann den güldenen Schuh forttrug, ergriff den Armen wie einen Dieb und schleppte ihn vor den Richter. Dieser war sehr ungehalten und sagte:

«Wie kannst du, Elender, es nur wagen, die Kirche zu berauben?»

Der arme Geiger erklärte ruhig:

«O, nein, ich habe nicht die Kirche beraubt, weil Gott selbst, unser lieber Herr und Heiland, mir diesen güldenen Schuh für mein Spielen geschenkt hat». Darauf entgegnete der Richter erzürnt:

«Es ist nicht wahr, was du sagst. Du selbst hast dir den Schuh genommen.» Und als Kirchenschänder und Dieb wurde das Urteil über den Spielmann gesprochen, und es wurde bestimmt, daß er enthauptet werden sollte.

Als er nun an die Stätte geführt wurde, da er den Tod erleiden sollte, sprach der Henker zum Spielmann:

«Bruder, bereite dich vor, damit du danach den Schwertstreich für deine Untat empfangen kannst.»

Da fiel der arme Spielmann auf sein Angesicht und bat Gott flehend, daß er ihm doch durch die Macht des heiligen Kreuzes zu Hilfe kommen möge. Der Henker zog den Verurteilten empor, entblößte ihm die Schultern, um seines Amtes zu walten, wie ihm befohlen war. Da schrie der alte Mann laut auf:

«Allmächtiger Gott, erbarme dich meiner! Sieh auf meine Unschuld und befreie mich aus der Gefahr um deines heiligen Namens willen. Unaussprechlich groß ist dein Erbarmen. Hilf mir, hilf mir, mein Gott!»

Der Henker aber hatte schon sein Schwert zum Schlage erhoben und blieb so in vollkommener Erstarrung stehen, nicht fähig, sich zu bewegen, bis der Richter das Urteil widerrief. Alle Umstehenden, die dieses Wunder miterleben durften, lobten Gott mit lauter Stimme, und die ganze Stadt erwies dem heiligen Kreuze noch mehr Ehrfurcht und Andacht denn zuvor. Aber auch der arme Spielmann wurde von der Zeit an freundlich bedacht und brauchte nicht mehr Hunger zu leiden.

*


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