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In Frankreich, in der Campagna, brach einmal eine schwere Fieberkrankheit aus, die sich rasch verbreitete und von der gar viele Menschen befallen wurden. Da errichtete man der Muttergottes zu Ehren ein Kloster, und als nun die Kirchweih stattfinden sollte, kamen in großer Anzahl auch die Kranken herbei, soweit sie noch ein wenig gehen konnten und von der Hoffnung beseelt waren, die Mutter Gottes könne sie wieder gesund machen, wenn sie nur wolle. Und wir wissen ja, sie will es gerne. Oftmals wird unsere Heilung nur durch das mangelnde Vertrauen in die göttliche Hilfe verhindert.
Die Leidenden aus der Campagna aber blieben sogar nachts über in der Kirche, wohl, weil ihre Not aufs höchste gestiegen war, und sie Maria, dem Heil der Kranken, möglichst nahe sein wollten. Die Kirche war um diese Zeit in ein stilles, weiches Dunkel gehüllt. Nur nahe dem Altar brannte das Ewige Licht als Sternzeichen der unaufhörlichen Liebe und auf einem der Altäre gaben vielleicht eine oder zwei Kerzen ein freundlich Licht. Ansonsten aber war es schattig in der Kirche und jeder Andächtige hielt still für sich Zwiesprache mit Gott.
Plötzlich aber, mitten in der Nacht, wurde es ganz hell, und die Beter sahen Unsere Liebe Frau in einem warmen, milden, goldenen Licht vor dem Hochaltar stehen, schön, gütig, das Antlitz in strahlender Reinheit den Betern zugewendet. Sie trug ein königliches Kleid mit weiten Ärmeln, die mit Sternlein umsäumt waren und auf dem Haupt trug sie als Königin des Himmels ihre gold- und lichtschimmernde Krone. Sie war von vielen, engelhaften Jungfrauen begleitet, sowie vom heiligen Nikolaus, der das Gewand des Bischofs trug.
Da begannen die Jungfrauen das «Salve Regina» zu singen, das hier in der Campagna noch niemand kannte und das noch niemand vorher vernahm. Und da die Jungfrauen sangen, war's, als würde das ganze Volk, das in der Kirche versammelt war, von Engeln belehrt und stimmte mit ein in das herrliche Lied. Und dann war es plötzlich, als habe jeder Beter es von jeher gekannt, was singend nun von seinen Lippen strömte.
«O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria ...»
Und da die Mutter der Barmherzigkeit von ihren vielen kranken Kindern das Lied vernahm, kam sie die Staffeln herab, ging durch das Schiff der Kirche und durch die vielen Reihen der singenden Beter. Sie hatte die rechte Hand segnend erhoben und ihr weiter Ärmel wehte und bewegte sich und dieses war wie ein heiliger Hauch, von dem alle in gleicher Stunde gesund wurden. So geschah das Wunder den kindlich Vertrauenden mitten in der Nacht, und schon am nächsten Morgen verbreitete sich die Kunde von der gnadenreichen Erscheinung der Gottesmutter. Und auch das Lied «Salve Regina» war ein Wunder, das fortan ewig bei den Menschen bleiben sollte.
Nun gab es einen Jüngling in der Gegend, der von der gleichen Krankheit befallen war, von der die vielen andern geheilt wurden. Und da tat es diesem Jüngling so sehr leid, daß er nicht in der Kirche zugegen gewesen war. Wohl wünschte er sich die Gesundheit, mehr aber noch, zum Trost die Mutter Gottes einmal zu sehen. Da führte man den Jüngling auf seine Bitte in der nächsten Nacht in die Kirche. Da erschien ihm Unsere Liebe Frau mit ihrer seligen Begleitung, und wieder sangen die Jungfrauen das «Salve Regina». Da sprach die Himmelskönigin zum Jüngling:
«Wenn du ganz gesund werden willst, mußt du morgen alle, die in die Kirche kommen werden, das Lied lehren, welches du soeben gehört hast.»
Dazu wäre der Jüngling gern bereit gewesen, wenn er es nur gekonnt hätte, und in holder Einfalt vertraute er Unserer Lieben Frau an:
«Ach, liebste Mutter, ich habe nie so recht singen können, weil meine Stimme sich nicht ganz fügen will, wie ich's wohl möchte. Beten kann ich wohl, und das will ich gewiß tun, aber das Singen verstehe ich nicht so gut.»
Die Mutter Gottes sah ihn lächelnd an und meinte:
«Du wirst es schon noch lernen.»
Der kranke Jüngling lernte es noch in selbiger Nacht und am Morgen, da viel Volk in der Kirche war, stimmte er das «Salve Regina» an und in die glockenreine Stimme fiel hell und klar der Chor des ganzen Volkes:
«Salve regina, Mater misericordiae ...»
Von dieser Zeit an wurde das Lied von Priestern und Laien gesungen und bis auf den heutigen Tag ist es so geblieben.
Ein lieber guter Mönch ging eines Tages nahe der Stadt Traventino im Walde einsam spazieren. Da begegnete ihm ein schlimmer Räuber, der sagte zu ihm:
«Komm nur mit mir, wenn dir dein Leben lieb ist.»
«Mein Leben ist mir schon lieb», sagte der Mönch und ging mit dem Räuber in seine Höhle. Unterwegs plauderten die beiden Männer miteinander und der Mönch fragte den Räuber, was er seines Zeichens wäre und wie er ungefähr lebe.
Da antwortete der Räuber:
«Ich bin ein Räuber und habe mein Lebtag noch kein gutes Werk vollbracht. Sorgen, wie du sie kennen magst, sind mir fremd, und von meiner Seele habe ich bisher rein gar nichts gespürt.»
Das tat dem guten Mönch leid und er begann, dem Räuber in zarten, geschickten Worten vom lieben Gott und der unsterblichen Seele zu erzählen, was der Räuber sich ganz gern anhörte. Allmählich gewann der Mönch die Hoffnung, den Räuber zu bekehren, und sagte ihm:
«Hör, Bruder, wenn dir dein Leben lieb ist, könnte ich dir schon einen Weg weisen, auf dem du zum ewigen Leben gelangst. Wäre dir das recht?»
«O ja, zeige mir den Weg.»
Da sprach der gute Mönch:
«Du brauchst nur einen Tag in der Woche zu fasten. Vielleicht am Samstag, weil dies der Tag Unserer Lieben Frau ist. An diesem Tage solltest du keinem Menschen ein Leid zufügen. Hältst du dies treulich, wirst du mit Hilfe der Gottesmutter selig werden.»
Das versprach der Räuber und hielt Wort. Er half sogar an Samstagen manchen Überfallenen, damit andere Räuber ihnen nichts Böses taten.
Es kann wohl sein, daß er an den übrigen Tagen das Räubern nicht vollends lassen konnte, weil er von Kindesbeinen an daran gewöhnt war, doch ist's auch möglich, daß er früherer Vergehen wegen festgenommen und zum Tode verurteilt wurde. Es hieß, er solle gehängt werden, und als er zur Richtstatt geführt wurde, waren viele Leute anwesend, denen es ungemein leid tat, daß der schöne, junge Mensch sterben sollte. Man wollte ihn so sehr gerne am Leben lassen, wenn er nur versprechen wollte, in sich zu gehen und niemandem mehr Schaden zuzufügen.
Der junge Räuber selbst aber blieb geduldig, und war nicht unzufrieden über seinen frühen Tod. Er sagte den Leuten:
«Es ist mir lieber, ich büße hier meine Sünden, als daß ich sie in der anderen Welt vielleicht härter büßen muß.»
Danach betete er noch ein Vaterunser und ein Ave Maria und starb eines guten Todes. Seinen Leib jedoch begrub man, weil er ein Geächteter war, außerhalb des Friedhofes.
Alsbald jedoch kamen fünf Jungfrauen, die ihn wieder ausgruben und die Leiche ehrerbietig bis an das Stadttor trugen. Die Wächter wunderten sich sehr und wagten ihren Augen nicht zu trauen.
Die schönste der Jungfrauen aber sprach zu den Wächtern: «Saget dem Bischof, er soll meinen Diener, der von euch getötet wurde, ehrlich bei der Kirche, in geweihter Erde begraben.»
Da erkannten die Wächter, daß es die allerseligste Jungfrau war, die ihren Freund, den armen Räuber, schützte. Als der Bischof am anderen Morgen kam, den Befehl Unserer Lieben Frau auszuführen, fand er das Haupt des Verblichenen in ein feines Purpurtuch eingehüllt. Da wurde der Räuber feierlich in geweihter Erde bestattet.
Es war einmal ein streitbarer junger Ritter, der eines Turniers wegen in die Normandie reisen mußte. Unterwegs machte er Aufenthalt in einer Stadt, in der ihm eine schöne Jungfrau begegnete, die ihm sehr gut gefiel. Da sagte er zu seinem Knappen:
«Geh zu ihren Eltern und bitte sie, daß sie mir ihre schöne Tochter nur für eine Nacht leihen, dann will ich ihr gerne zehn Pfund schenken und noch ein kostbares Gewand dazu.»
Der Knappe führte seinen Auftrag aus, und die bösen Eltern hatten leider gar nichts dagegen, ihre Tochter auszuleihen, sondern waren recht froh, auf bequeme Art zu zehn Pfund zu kommen. Darum zwangen sie ihre Tochter gewaltsam, sich an einem Samstagabend in die Herberge des Ritters zu begeben.
Da kam die schöne Jungfrau, schüchtern und mit verweinten Augen zum Ritter, der sie fragte:
«Wie heißest du?»
Die Jungfrau antwortete:
«Maria heiße ich.»
«Und warum weinst du denn?» fragte der Ritter.
Da senkte die Jungfrau ihren Blick zu Boden, weinte noch mehr und sprach:
«Ich weine mit Recht und habe allen Grund dazu, denn wahrlich, der Tod wäre mir lieber als ein schändliches, sündiges Leben. Ihr müßt wissen, daß ich meine Keuschheit Unserer Lieben Frau gelobt habe. Und wie würde es sein, wenn ich mein Gelübde brechen müßte? Vielleicht habt Ihr auch nicht bedacht, edler Herr, daß heute Samstag, der Tag der Mutter Gottes ist.»
Während das junge Mädchen so sprach, und am Ende seiner Rede bittend und erwartungsvoll dem Ritter in die Augen sah, wurde ihm plötzlich jegliche böse Lust genommen. Vom reinen Geist der Unschuld berührt, sprach er zur Jungfrau:
«Weil heute Samstag, der Tag der Gottesmutter, ist und weil du Maria heißest, wie die allerreinste Jungfrau, will ich wahrlich niemals eine Sünde an dir begehen. Vielleicht kann ich dir auch den Wunsch deines unschuldigen Herzens erfüllen. Sag mir, willst du deine Jungfräulichkeit stets bewahren und hättest du Lust, in ein Kloster zu gehen, komm mit mir und ich will dir zu allem verhelfen.»
Da sprach die Jungfrau:
«Ja, ich will gerne mit Euch gehen.»
Am nächsten Morgen führte der Ritter die Jungfrau in ein Kloster, damit sie fortan Unserm Herrn Jesus und seiner heiligen Mutter dienen könne. Er versprach der Priorin die Mitgift für die junge Novizin zu zahlen und auch sonst das Kloster zu bedenken. Die kleine Jungfrau Maria aber dankte dem Ritter von ganzem Herzen für seine Güte und versprach beim Abschied, auch seiner im Gebet gedenken zu wollen. Danach bestieg der Ritter wieder sein Pferd, um in die Normandie zu reiten, wo er zum Turnier erwartet wurde.
Es verstrichen mehrere Monate und der Ritter kam nicht wieder ins Kloster zurück. Die Nonne Maria dachte viel an ihren Wohltäter und wünschte sehr, er möge wieder kommen. Weil aber andere Ritter vom Turnier zurückgekommen waren, dieser eine jedoch ausblieb, war die Priorin des Klosters der Meinung, der Ritter habe sie mit seinem Versprechen betrogen, und deswegen war sie gar nicht gut auf ihn zu sprechen. Das tat nun der Nonne Maria weh, weil sie nicht glauben möchte, daß der Ritter, der ihre Jungfräulichkeit geachtet und geschützt, ein schlechter, untreuer Mensch sei, der sein Wort nicht halte. Daher betete sie viel für ihn, und bat die heilige Jungfrau, ihr doch ein kleines Zeichen zu geben, wie es um den Ritter stünde. Da erschien ihr die Mutter Gottes und sprach zu ihr:
«Maria, du sollst wissen, daß dein guter, ritterlicher Freund im Turnier gefallen ist und getötet wurde. Sei aber deswegen nicht zu traurig, denn ich habe ihm die Verzeihung aller seiner Sünden erworben, weil er zu dir gütig gewesen ist. Sag nur deiner Priorin, daß der Leichnam des Ritters hierher geführt werden soll, damit er in diesem Kloster begraben wird. Als Wahrzeichen wird man eine Rose auf dem Grabe des Ritters finden. Die Wurzel der blühenden Rose hat ihren Ursprung im keusch liebenden Herzen des Mannes.»
Da sagte die junge Nonne der Priorin alles genau, wie sie es von der allerseligsten Jungfrau vernommen hatte und wie es der Wahrheit entsprach.
Danach wurde die Leiche des seligen Ritters überführt, um in der Klosterkirche einer fröhlichen Auferstehung entgegenzuträumen.
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