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Dionisius Elster und seine Kinder. Tante Molly in Batavia will ihre Nichte Veronika zu sich haben. Der Buchhalter Goldenfuß taugt nicht zum Begleiter. Vetter Cornelius Schwerdtlein wird dazu ausersehen.
Hat der Leser einmal die schöne, alterthümliche Stadt Nürnberg gesehen, so wird er mir Recht geben, wenn ich sage: Sie hat in ganz Bayern und auch in dem übrigen Deutschland ihres Gleichen nicht. Ist doch fast ein jedes Haus in seiner mittelalterlichen, starken und romantischen Bauart ein Monument. Die weiten, an Bildwerken und unverdorbenen Zierrathen aller Art reichen Kirchen laden zur tiefinnigsten Andacht, während die stets rauschenden Springbrunnen draußen ein fröhliches Leben um sich versammeln und das krystallhelle Wasser aus Hunderten von Röhren, Schnäbeln, Mäulern und Rachen ausspeien und niederträufeln.
Auf allen Erkern, welche die hohen Häuser zieren, sieht man lachende Gesichter, fröhliche Männer und Frauen. Der kräftige Menschenschlag ist überhaupt darnach angethan, durch seine gemüthliche Leutseligkeit schnell Vertrauen und Liebe zu erwecken. Darum weilen auch die Fremden gern in Nürnberg's Mauern, und wen die kurzgemessene Zeit nicht rasch weiter treibt, der setzt seinem Aufenthalte daselbst gern ein paar Tage oder Wochen zu.
So war es vor Jahrhunderten, so ist es auch noch heute und wird hoffentlich so bleiben, so lange die alte Stadt steht.
Im vorigen Jahrhunderte wohnte nahe der Sebalduskirche ein reicher Kaufherr, Dionisius Elster, der seinen Handel bis in den stillen Ocean hineintrieb, obgleich man damals noch ungern mit so entfernten Ländern Handelsverbindungen anknüpfte. Elster war zur Zeit, wo unsere Geschichte anhebt, ein Mann in den mittleren Jahren, hätte also wohl noch rüstig und kräftig genug sein können, in eigener Person zu Schiffe zu gehen und seine Unternehmungen selbstständig zu leiten.
Dem stand aber ein unübersteigliches Hinderniß entgegen. Auf seinen weiten und nicht selten gefahrvollen Reisen hatte er sich die Gicht zugezogen, und dieses Uebel war zu Zeiten so groß, daß er sich nicht einmal von einem Stuhle zum andern bewegen konnte.
Das Geschäft hatte gleichwohl seinen Fortgang, denn Elster verstand es, von seinem Stuhle herab zu befehlen; und daß die Befehle pünktlich befolgt wurden, dafür sorgte der alte treue Buchhalter, welcher im Laufe der Jahre ein zweiter Elster geworden war.
Des Kaufherrn Familie war nicht groß; seine Hausfrau, welche seit zwei Jahren das Irdische mit dem Himmlischen vertauscht hatte, hinterließ ihm nur zwei Kinder, Balduin und Veronika. Der Knabe zählte bereits sechszehn Jahre, und war zu dieser Zeit in die weitläufigen Geschäfte seines Vaters so weit eingeweiht, daß dieser mit dem Plane umging, ihn zum Compagnon anzunehmen. An Kenntnissen, Thatkraft und Arbeitslust fehlte es ihm nicht, auch sehnte er sich recht darnach, dereinst zum Ruhme des Hauses in die Fußstapfen des tüchtigen Vaters zu treten.
Veronika zählte erst zwölf Jahre, war aber mit diesen zwölf Jahren der Abgott des Vaters und des ganzen Hauses. Sie brauchte nur einen Wunsch zu äußern, so war er erfüllt. Sie hatte aber der Wünsche eine Menge und es kamen täglich neue hinzu, denn ihr kühner und weitschweifender Geist fand in ihrer Umgebung keine Nahrung. Wenn der Vater von seinen Reisen erzählte und mit einer ergreifenden Wahrheit ferne Sitten und Völker schilderte, dann hätte sie auf- und davon eilen mögen, um alle diese Herrlichkeiten mit eigenen Augen zu schauen.
Nun besaß Elster noch eine ältere Schwester, aber nicht in Nürnberg, sondern weit hinweg über das Meer in dem fernen Batavia. Sie war unermeßlich reich, fühlte aber als kinderlose Wittwe eine namenlose Langeweile, die sie mit Nichts auszufüllen vermochte.
Ihr Bruder hatte ihr in seinen Briefen hundertmal angerathen, nach Nürnberg zu kommen, mit ihm in demselben Hause zu wohnen und seine Leiden und Freuden zu theilen. Dazu aber war sie nicht zu bewegen; das Land, welches ihre zweite Heimath geworden, sollte auch ihre Asche bewahren, wenn sie stürbe.
Veronika hatte die Tante zwar niemals gesehen und diese sie nicht; dennoch gewannen sie sich durch ihre Briefe lieb und es kam so weit, daß Tante Molly allen Ernstes verlangte, ihr Bäschen solle nach Batavia kommen. Elster lachte im Anfange über den Einfall seiner Schwester; als die Briefe aber immer dringender wurden und die Schreiberin mit deutlichen Worten aussprach, wenn Veronika nicht komme, so werde sie ihre Millionen einem Andern hinterlassen, da wurde er bedenklich.
Sein eigenes Vermögen hätte allerdings recht gut eine Theilung vertragen, und den beiden Kindern wäre gleichwohl genug zugefallen; aber Dionisius Elster war vor allen Dingen Kaufmann und rechnete deßhalb viel schärfer, als andere Leute. Er malte sich in lebhaften Farben aus, welch' ein Zuwachs an Glanz seinem Hause würde, wenn die Millionen der Schwester dazu kämen.
Gleichwohl hätte seine Vaterliebe den Sieg davongetragen, wenn nicht Veronika den Plan mit Jubel aufgefaßt und den Vater täglich beschworen hätte, sie ziehen zu lassen.
Ueber Land und Meer, zu fernen Menschen, zu Abenteuern und wunderbaren Erlebnissen – das war so recht nach ihrem Herzen, und sie erklärte, daß sie heimlich fliehen würde, wenn man ihr Hindernisse in den Weg lege.
Halb und halb war Elster ja schon gewonnen, der Muth und die Entschlossenheit seiner Tochter thaten das Uebrige, und so kam es richtig dahin, daß er einwilligte und seiner Schwester eine briefliche Zusage machte.
Veronika jubelte; sie hätte gleich abreisen mögen. Aber das ging damals nicht so leicht, wie heute, und in Elster's Verhältnissen lagen noch besondere Schwierigkeiten. Er selbst war nicht im Stande, seine Tochter zu begleiten, Balduin zu jung und unerfahren, der alte Buchhalter Goldenfuß nicht zu entbehren, auch war das Reisen eben nicht seine Sache. Für sein Hauptbuch und was damit zusammenhing, stand er wie ein ganzer Mann, aber wenn er nur von Nürnberg nach Fürth zu reisen hatte, was doch gerade kein lebensgefährliches Unternehmen ist, so drehte er sich alle fünf Minuten erschrocken um, die Befürchtung hegend, das Waarenlager seines Herrn oder auch die ganze Stadt Nürnberg könne in Flammen stehen.
Bis er wieder auf seinem Comptoir-Schraubstuhl saß, brannte es ihm ordentlich unter den Sohlen, und Ruhe kam nicht eher in sein Zahlenherz, bis er im Hauptbuche nachgesehen, daß während seiner Abwesenheit kein Bankerott ausgebrochen war.
Wen also mit der reiselustigen Veronika senden? Wenn Dionisius Elster sein zahlreiches Schreiberpersonal durchging, so fand er keinen einzigen Mann, dem er sein Kind hätte anvertrauen mögen.
Nun lebte ihm zwar in Nürnberg noch ein Vetter, der sich viel in fremden Ländern umgesehen hatte, auf Salzwasser gefahren war und selbst einige Jahre lang in Batavia gewohnt hatte. Aber es gab zweierlei gegen den Vetter einzuwenden: erstens stand Elster seit längerer Zeit nicht auf dem besten Fuße mit ihm und zweitens hatte er so leichtsinnig mit seinem Vermögen gewirthschaftet, daß er aus einem reichen Manne ein armer Schlucker geworden war. Konnte und durfte man diesem Cornelius Schwerdtlein ein solches Kleinod übergeben, wie Veronika ohne Frage eines war?
Die Antwort auf diese Frage lautete nicht sehr ermuthigend und doch blieb am Ende kein anderer Ausweg. Dionisius Elster schrieb also, da ihn die Gicht auf seinem Stuhle festhielt, ein Brieflein an den Vetter Cornelius und that ihm zu wissen, daß er ihn in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünsche.
Als Schwerdtlein dieses Schreiben empfing, rieb er sich vor Vergnügen die Hände, denn bisher waren alle Versuche, sich dem Vetter zu nähern gescheitert. Es war ihm freilich ein Räthsel, was Elster mit ihm Wichtiges zu sprechen haben könne; auch fühlte er wohl, daß er nicht gerade ein Vertrauensmann sei; aber vor der Hand lag es ihm am nächsten, sich der Aussöhnung mit dem reichen Vetter zu freuen. Rasch fuhr er deßhalb in seinen abgeschabten Rock, nahm den stark verbogenen und geknickten Hut vom Nagel und verließ sein Haus. Für gewöhnlich waren seine Wanderungen durch Nürnberg nicht von großer Eile beschleunigt; heute aber nahm er sich nicht einmal Zeit, seine besten Freunde zu grüßen, sondern eilte mit langen Schritten auf das große Haus zu.
Herr Elster hat mich rufen lassen, sprach er zu dem Buchhalter Caspar Goldenfuß, als er in das Comptoir eintrat.
Der Angeredete pflegte sonst niemals von seinen Zahlen aufzusehen, wenn er von einem Eintretenden angeredet wurde; der Klang dieser Stimme aber, welche seit Langem auf der Schreibstube nicht gehört worden war, nöthigte ihm ein kurzes Erstaunen ab. Nachdem er sich mit einem schnellen Blicke vergewissert hatte, daß diese Stimme wirklich dem Cornelius Schwerdtlein gehörte, wies er mit der Fahne seiner Feder auf die Thüre eines Nebengemaches und senkte dann den Kopf wieder.
Daß Elster sich in diesem Gemache befand, war für den Angekommenen ein sicheres Zeichen, daß es sich in der That um wichtige Dinge handelte; er kannte die Gewohnheiten des Vetters aus frühern Zeiten noch genau und fast besser als das Vater unser.
Dort saß denn auch Elster im gepolsterten Sessel, die schmerzhaften Beine mit Flanellbändern umwunden und mit Kissen umstopft.
Schwerdtlein blieb mit dem Hute in der Hand an der Thüre stehen.
Setzen Sie sich, Vetter, sprach Elster; ich habe Nöthiges mit Ihnen zu reden und Ihnen zugleich einen Beweis meines wiedererwachten Vertrauens zu geben.
Schwerdtlein ließ sich nieder und heftete seine Augen auf den Sprechenden, ohne ihm etwas zu erwiedern.
Ich setze stillschweigend voraus, fuhr Elster fort, daß Sie längst eingesehen haben, Leichtsinn und leichtsinnige Wagnisse sind der Ruin alles Soliden.
Cornelius Schwerdtlein nickte.
In diesem Falle, fuhr der Vetter fort, würden Sie wohl gerne eine Gelegenheit ergreifen, welche Sie wieder näher mit mir zusammenbrächte, eine Gelegenheit, die zum Mittel werden kann, Sie wieder aufzurichten und allmählig in den Stand zu setzen, ein neues Leben anzufangen.
Für einen solchen Beweis von Vertrauen würde ich mein Leben lang dankbar sein, antwortete Schwerdtlein mit einer Bewegung tiefster Unterwürfigkeit.
Nun begann Elster ihm zu entwickeln, daß seine Veronika eine unüberwindliche Sehnsucht habe, ihre Tante Molly in Batavia zu besuchen und daß er den Vetter Schwerdtlein für geeignet halte, sie auf dieser Reise zu begleiten und zu beschützen. Die eigentliche Absicht, die, wenn auch nicht bei Veronika, so doch bei ihm vorherrschte, verschwieg er aus guten Gründen.
Cornelius Schwerdtlein hatte eher an alles Andere, als an einen so überaus wichtigen Auftrag gedacht, der ihn so zu sagen, zum Vater und Vormund des Kindes machte. Doch er wußte seine Aufregung zu bezwingen.
Ihr Auftrag, werther Vetter, sprach er, beschämt mich, und besonders deßhalb, weil ich in Geldsachen Ihr Vertrauen oft genug mißbraucht habe. Indessen hege ich den aufrichtigen Wunsch, Ihnen zu zeigen, daß mit den Jahren mein früherer Leichtsinn sich in Ernst und treue Ergebenheit zu Ihrer Person umgewandelt hat, und deßhalb nehme ich den Auftrag nicht nur an, sondern gebe auch das Versprechen, daß ich mich seiner mit demselben Eifer entledigen werde, als ob Sie selbst Ihre Tochter begleiteten.
Elster hatte keine andere Antwort erwartet. Da liegt ein Beutel mit Geld, sprach er; vervollständigen Sie damit Ihre Garderobe und was Ihnen sonst zur persönlichen Bequemlichkeit für eine so weite Reise nöthig dünkt. Für alles Uebrige werde ich selbst sorgen.
Die Gelegenheit ist günstig, ein Geschäft mit der Reise zu verbinden, fuhr er fort, ich werde deßhalb Auftrag geben, daß ein Schiff, mit Waaren befrachtet, Sie und Veronika in Amsterdam aufnimmt. Sie, Herr Vetter, setze ich als Bevollmächtigten über Ver- und Einkauf und betheilige Sie mit zwanzig Prozent am Gewinn. Wenn Sie einigermaßen die Augen offen haben und unsern gemeinsamen Vortheil wahrnehmen, so sind Sie bei Ihrer Rückkehr nach Nürnberg im Stande, von Neuem anzufangen und dem Glücke eine Straße zu bauen. Sollte etwa der Gewinnst nicht langen, so ist der Dionisius Elster schon seines Kindes wegen gerne bereit, ein Uebriges zu thun.
Cornelius Schwerdtlein hatte sich eines solchen Glückes im Traume nicht versehen. Seit langer Zeit an den Gedanken gewöhnt, bis an sein Ende als ein armer Schlucker durch Nürnberg zu gehen, that sich ihm jetzt plötzlich eine neue Zukunft auf. Es war deßhalb auch nichts Gemachtes, als er aufsprang und unter Worten aufrichtigen Dankes die Hand des Vetters erfaßte und drückte.
Gemach, gemach! sprach dieser. Vergessen Sie nicht, daß mir die Gicht das Handschütteln verbietet. Ein Wort thut's auch schon, und von Dank will ich nichts hören, weil ich ja selbst Dank schuldig werde, wenn Sie mein Kind glücklich und wohlbehalten an Molly abliefern.
Glücklich und wohlbehalten, so Gott will! rief Schwerdtlein.
Das wäre also abgethan, sprach der Vetter mit sichtlicher Erleichterung. In acht bis zehn Wochen, denke ich, kann die Abreise vor sich gehen.
Kommen Sie bis dahin ab und zu hierher, um Nöthige mit mir zu besprechen.
Schwerdtlein versprach das und schlenderte vergnügter, als er lange gewesen, seiner Wohnung zu.