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Die Mädchen sägen sich aus dem Gefängnisse. Vier Personen im Sturm ausgesetzt.
Drei Tage und drei Nächte hatten sie mit den Schrecken des Hungers, des Durstes und des Todes zu kämpfen, ohne daß ihnen auch nur ein einziges mal ein Tropfen Wasser oder ein Stück Brod gereicht wurde. Was das heißt, wenn in der unmittelbarsten Nähe Berge von Lebensmitteln aufgehäuft sind, wenn es nur der Durchbrechung einer dünnen Wand bedarf, um Luft, Licht und Ueberfluß zu haben, das können sich meine Leser schwerlich vorstellen. Die alten Griechen erzählen in ihrer wunderlichen Götterlehre von König Tantalus, welcher auf einem Borne süßen Wassers schwamm und doch niemals seinen brennenden Durst löschen konnte, weil die Wellen stets zurückwichen, noch ehe seine Lippen dieselben berührten. Fruchtbeladene Zweige bogen sich einladend über das krystallhelle Wasser und reizten seinen Hunger noch mehr; aber wenn er seine Hand ausstreckte, um sie zu brechen, dann schnellten sie tückischer Weise in die Höhe und vermehrten so seine Qualen, die auch bei uns sprichwörtlich geworden sind.
Aehnliches empfanden die drei in der Kajüte eingesperrten Personen. Die Hoffnung, das Gottvertrauen, welche sie einen Augenblick beseelt hatten, verschwanden mehr und mehr; Abspannung und Verzweiflung traten an die Stelle.
Wir wollen einen letzten Versuch machen, sprach Veronika in der vierten Nacht; ob wir Hungers sterben oder unter ihren Messern fallen, das macht keinen Unterschied, es kürzt nur die Qual ab. Komm, Babette, wir wollen versuchen, die Thüre mit Gewalt zu öffnen.
Babette war einverstanden und nun drückten sie mit vereinten Kräften gegen die Thüre, aber sie überzeugten sich bald, daß aus diesem Wege nichts auszurichten war.
Veronika hatte ein Messer und begann deßhalb hineinzubohren; aber das Holz war sehr hart und widerstand dem Messer. Babette suchte indessen in allen Winkeln nach einem tauglichen Werkzeuge umher. Auf einem Kasten fand sie einen Bohrer und eine kleine Stoßsäge, welche Cornelius Schwerdtlein wegzunehmen vergessen hatte.
Nun sind wir gerettet! jubelte Veronika und nahm sogleich den Bohrer aus Babettens Hand. Ein paar Löcher waren bald gemacht und so viel Raum gewonnen, daß sie die Spitze der Stoßsäge hineinsetzen konnten.
Unermüdlich arbeiteten sie nun länger als eine Stunde; oben, unten und an der Seite war der Schnitt fertig; den noch festhaltenden Theil konnten sie hinausdrücken.
Unerschrocken ging Veronika der Freundin voran auf das Deck; hier war Alles ruhig. Weder die Wache, noch der Steuermann hatten das Geräusch der Säge gehört, weil der Wind eine entgegengesetzte Richtung nahm.
Leise schlichen sie zur Küche, deren Thüre weit offen stand. Aus Schüsseln und Tellern lagen die Reste des letzten Mahls, welche sie beim Scheine des Mondes gut bemerken konnten. Schon streckten sie die Hand darnach aus, da flüsterte Veronika: Erst Wasser für den Kapitän! Den furchtbaren Hunger und Durst überwindend, kehrten sie mit einer Kanne süßen Wassers in die Kajüte und an das Lager des Kranken zurück. Seine Lippen hatten kaum das kühlende Naß berührt, als sie langsam zu saugen begannen, und, mehr und mehr an Kraft gewinnend, den ganzen Inhalt der Kanne ausschlürften. Dieses Uebermaß hätte ihm leicht den Tod bringen können, aber die Mädchen gaben ihm auch den letzten Tropfen, weil sie die Gefahr ihrer mit frohem Herzen gespendeten Wohlthat nicht kannten.
Nun eilten sie zur Küche zurück und verzehrten mit Gier die Reste auf den Schüsseln, bis sie sich vollständig gesättigt fühlten.
Auf dem Rückwege nahe an der Kajüte begegnete ihnen die Schiffswache. Sie erhob ein lautes Gebrüll und verkroch sich aus Furcht vor Ansteckung zwischen den leeren Zwiebackfässern auf dem Deck.
Das mörderische Geschrei trieb die Mannschaft aus dem Schlafe; Schwerdtlein stürzte halbangekleidet auf das Deck und erkundigte sich nach der Ursache des ungewöhnlichen Lärmens.
Veronika und Babette sind ausgebrochen, berichtete der Feigling; sie werden die ganze Equipage anstecken!
Die Mädchen hatten sich bereits wieder zu dem Kranken begeben und waren bemüht, demselben etwas Speise beizubringen. Anfangs hatten sie nur wenig auf den Lärm über ihren Köpfen gehört; jetzt aber drang das Stimmengemurmel immer lauter zu ihnen hinab.
Veronika begab sich auf die Treppe, um zu hören, was über sie beschlossen würde. Sie sollte nicht lange warten, um volle Klarheit zu bekommen.
Wir dürfen nicht länger säumen, sprach Schwerdtlein; mit Anbruch des Tages kommen die Inseln in Sicht, dann ist es zu spät! Wird nur eine Menschenseele gewahr, was auf der Veronika vorgegangen, so sind wir alle auf der Leimruthe und statt des schönen Gewinnes bekommen wir einen Strick um den Hals.
Wären sie der Krankheit unterlegen, so krähte kein Hahn darnach. Jetzt aber bleibt uns kein anderes Mittel, als der Boden des Meeres. Also hinab mit ihnen, ehe es zu spät ist.
Veronika fuhr erschrocken empor. Jetzt, wo sie durch Speise und Trank sich neu gestärkt fühlte und mit fröhlicher Hoffnung der Zukunft entgegensah, war ihr der Gedanke an den Tod furchtbarer als vor einer Stunde. Schon war sie im Begriffe, hinaufzustürzen und sich den Unmenschen zu Füßen zu werfen, als der Steuermann das allgemeine Schweigen unterbrach: Zu einem Morde gebe ich mich nicht her, sprach er; aber ich bin einmal in diese schlechte Geschichte verwickelt und muß nun leider helfen, unsere Köpfe aus der Schlinge zu ziehen, darum rathe ich, sie alle drei in einem Boote auszusetzen. Ehe die Morgendämmerung anbricht, haben wir einen respektablen Sturm; setzen wir sie also aus, so werden Wind und Wogen für ihren Untergang sorgen, ohne daß wir geradezu unsere Hände mit einem Morde beflecken.
Und wenn nun der Sturm noch gnädiger wäre als der Steuermann? fragte Cornelius Schwerdtlein.
Das ist nicht zu vermuthen, gab dieser zur Antwort; aber gesetzt den Fall, sie würden an irgend eine Insel getragen, so haben wir Zeit zu entkommen und unsere Waaren an den Mann zu bringen, ehe sie uns schaden können.
Schwerdtlein protestirte mit aller Macht gegen ein solches Verfahren und suchte unter den Matrosen Stimmen für seinen Vorschlag zu sammeln. Aber das Wort des Steuermanns schlug durch, und nun mußte Schwerdtlein sich fügen. Zwar knirschte er mit den Zähnen, ballte die Fäuste und stieß furchtbare Drohungen aus, doch halfen ihm seine ohnmächtigen Flüche nichts.
Veronika hörte Wort für Wort und dankte Gott auf den Knieen für den gnädigen Ausgang, aber sie bangte doch auch wieder vor dem offenen Meere in einem schwachen Boote, besonders da die Vorhersagung des Steuermannes sich jetzt schon zu erfüllen begann. Der Wind erhob sich von Minute zu Minute stärker und die Segel klatschten mit lautem Getöse hin und her.
In's Teufels Namen, schrie Cornelius Schwerdtlein, wenn's denn nicht anders sein kann, so bringt sie jetzt in das Boot, denn nachher habt Ihr alle Hände voll zu thun.
Keiner rührte sich, Niemand mochte sich der Ansteckung aussetzen.
Boot hinab! commandirte der Steuermann. Ich selbst will sie tragen, wenn Ihr zu feig seid.
Ein paar Matrosen machten sich sogleich an's Werk, die Taue zu lösen und eines der Boote, welche für solche Zwecke bestimmt sind, niederzulassen.
Brod, Fleisch und Wasser hinein! commandirte der Steuermann weiter.
Schwerdtlein wollte sich dem widersetzen; er glaubte mehr als genug gethan zu haben, wenn er ihnen die Rettung des Lebens ermögliche. Aber auch diesmal wurden seine Worte nicht gehört; die Matrosen beeilten sich, dem Befehle des Steuermanns nachzukommen; und als der Supercargo ihnen in den Weg trat, da schoben Sie ihn bei Seite, und einer von ihnen gab ihm nicht undeutlich zu verstehen, daß es nur an einem Haare hänge, so müsse er mit in das Boot.
Ei freilich, fiel ein anderer ein; da wir durch Ihre Verführung doch einmal auf dem Wege zum Galgen sind, so kommt es auf ein Verbrechen mehr auch nicht an.
Schwerdtlein verschluckte die Pille schweigend; aber sein Gesicht entfärbte sich und es ging ihm wie ein Messer durch die Brust. Kaum ein Anfang gemacht, dachte er, und diese Theerjacken fallen schon von mir ab. Wenn ich nicht klug und vorsichtig bin, so erndte ich nichts von meiner Saat. Doch, wozu jetzt grübeln! Nur fein und geschmeidig bis die Stunde der Abrechnung kommt. Wir werden dann sehen, wer gewinnt und wer verliert.
Das Boot war bald mit Lebensmitteln versorgt. Der Steuermann eilte in die Kajüte hinab; auf der Treppe fand er Veronika, welche ihrem Schicksale ängstlich entgegenharrte. Die Worte, welche er da eben gesprochen hatte, gaben ihr Muth, ihn anzureden.
Müssen wir denn wirklich in den Sturm hinaus? fragte sie.
Der Steuermann neigte sich zu ihr nieder und flüsterte: Ergeben Sie sich ohne Murren in Ihr Schicksal. Das offene Meer ist der einzige Weg, auf welchem Sie möglicher Weise gerettet werden können. Blieben Sie auf dem Schiffe, so wäre Ihr Tod unvermeidlich. Schwerdtlein hatte bereits einen unserer Matrosen gedungen, um Sie zu ermorden; es wäre schon geschehen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre.
Gestern habe ich seine Unterredung mit dem Mörder belauscht. Er wollte noch einen Versuch machen, uns alle an dem Morde zu betheiligen; daher sein Vorschlag, Sie und den Kapitän nebst Babette in's Meer zu werfen. Ging sein Vorschlag nicht durch, so kam das Messer an die Reihe. Haben Sie übrigens guten Muth, ich hoffe, Sie sollen nach Batavia gelangen, ehe der Schurke seine Pläne in's Werk gesetzt und die Waaren Ihres Vaters versilbert hat. Ich selbst werde Sie führen, aber verrathen Sie mich nicht. Bis zum letzten Augenblicke muß es den Anschein haben, als bliebe ich selbst auf dem Schiffe zurück.
Veronika athmete hoch auf und drückte dem Steuermann die Hand. Dieser aber eilte an ihr vorüber, riß die dicken Teppiche vom Boden, wickelte den todtkranken Kapitän hinein, steckte einige Pistolen und Büchsen, so wie einen Sack mit Pulver und Kugeln dazu und umschlang mit starken Armen den ächzenden Jongmanns.
Als er mit seiner Last auf's Deck trat, stoben die Matrosen auseinander und ließen ihm freie Bahn, um nur ja nicht in die Nähe des Verpesteten zu kommen. Niemand leistete ihm Hilfe, als er sich jetzt die hin und her baumelnde Strickleiter hinabtastete und nur mit großer Mühe im Stande war, seine Bürde auf dem Boden des hüpfenden Bootes niederzulegen.
Rasch eilte er wieder empor, um die mehr todte als lebendige Babette nachzuholen. Auch diese wickelte er in Teppiche und benutzte die Gelegenheit, um Dolche, Messer und ein Beil mitzunehmen.
Babette schrie und wimmerte, als das Boot unter ihren Füßen schaukelte und der allmählig stärker werdende Wind es gegen die Schiffsplanken schleuderte. Sie flehte den Steuermann um Gottes und aller Heiligen willen an, sie nicht allein zu lassen.
Und Veronika? fragte er.
Ja, ja, Veronika! Holen Sie Veronika!
Was er nothwendig brauchte, war nun im Boote; er geleitete Veronika deßhalb nur bis an die Planken und sprach so laut, daß es von der Mannschaft vernommen werden konnte: Steigen Sie die Strickleiter hinab! Heimlich aber flüsterte er ihr zu: Erklären Sie laut, daß Sie zu ängstlich seien!
Die Matrosen hatten sich ein wenig der Stelle genähert; Schwerdtlein aber stand in gefahrloser Entfernung. Steuermann, rief Veronika, Ihr und Eure Mannschaft könnt es nun und nimmer vor Gott verantworten, daß Ihr uns in den sichern Tod hinausstoßt. Von dieser Strickleiter werde ich hinabfallen, denn mir bangt, den gefährlichen Weg anzutreten.
Versucht's nur einmal! ermunterte der Steuermann.
Nein, nein, ich fürchte mich zu sehr! antwortete sie; wenn ich von der Leiter hinab in die Wellen stürzen soll, wo ich doch sicher den Tod fände, so will ich demselben lieber auf dem Deck entgegensehen. Mein erbarmungsloser Vetter mag dann seine Hand in Blut tauchen.
Hinunter mit ihr, gebt ihr einen Stoß! brüllte Schwerdtlein. Steuermann stoßt zu; ihr habt nun doch einmal die Kranken angefaßt und dürft es schon wagen.
Gott bewahre mich vor einem solchen barbarischen Beginnen, antwortete der Steuermann. Wenn Euch daran liegt, Herr Supercargo, die Sache mit einem schnellen Morde zu beendigen, so thut es selbst.
Cornelius Schwerdtlein schüttelte sich; schon der Gedanke, eine Hand an die Angesteckte zu legen, machte ihn erbeben. Aber es schien ihm eine plötzliche Idee zu kommen. Warum macht Ihr so viele Umstände, Steuermann? rief er; flugs, nehmt sie auf die Schultern wie die andern und steigt hinab.
Mehrere Matrosen machten Einwendungen dagegen, denn sie fürchteten, er möge nicht wieder zurückkommen. Schwerdtlein aber bestand darauf, und so stieg denn der Steuermann mit ihr hinab.
Kaum war er auf dem Boden des kleinen Fahrzeuges angekommen, als der Feigling mit einem raschen Rucke die Strickleiter in die Höhe zog. Leute, sprach er, der Mensch da unten ist durch die Berührung sicherlich angesteckt, und wir wagen Alles, wenn wir ihn wieder an Bord nehmen. Also hinaus mit ihm!
Halt, rief da der Untersteuermann, wir können seiner in dem Sturme, welcher uns bevorsteht, nicht entbehren. Laßt die Strickleiter nieder!
Ei was, entgegnete Schwerdtlein, wir sind dem Lande nahe; übrigens sind Leute genug an Bord, welche ein Schiff steuern können.
Je näher am Lande, antwortete der Untersteuermann, desto gefährlicher die Riffe.
Die Stimmen für den Obersteuermann mehrten sich, besonders als dieser mit drohender Stimme rief: Feige Memmen da oben, ihr wollt mich den tobenden Wellen übergeben? Vollführt ihr den Streich, so seid ihr allesammt verloren, denn ich werde das Boot trotz des Sturmes sicher an's Land bringen. Dann aber wehe euch: Galgen und Rad sind Eurer sicher.
Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht; fast alle Stimmen riefen dem Supercargo Drohworte zu.
Narren, entgegnete er ihnen; glaubt Ihr, ich sei dumm genug, ihnen die Möglichkeit der Rettung zu lassen? Das Boot ist an drei Stellen angebohrt; ehe eine Stunde vergeht, ist es bis zum Rande angefüllt, und dann Adieu mit aller Verrätherei.
Diese unerwartete Mittheilung beruhigte die Schreienden ein wenig. Schwerdtlein benutzte rasch diesen Umstand, ergriff ein Beil und zerhieb die beiden Taue, mit denen es noch am Schiffe fest hing.
Der Unmensch brach nach dieser That in lautes Lachen aus, aber Niemand auf der Veronika theilte seine wilde Lust. Schweigend schauten die Matrosen in die Tiefe, wo das leichte Boot mit wilden Sprüngen dahinjagte.
Der Steuermann da unten hatte bereits das Ruder ergriffen. Die List ist gelungen, sprach er; nun muß uns Gott weiter helfen, daß wir im Kampfe mit den Elementen nicht zu Grunde gehen.
Ja, Gottes Hülfe that noth, denn der Wind war nun bereits zum Sturme geworden, welcher das Schifflein widerstandlos wie einen tanzenden Kreisel umherwarf.
Veronika's und Babette's Hülfe war nicht hoch anzuschlagen, denn keine von beiden verstand ein Ruder zu regieren; außerdem raubte die Angst ihnen die Besinnung, und der Steuermann hatte Mühe, sie zum Niederliegen zu bewegen.
Wäre der Kapitän gesund gewesen, dann hätten die beiden Männer das Boot bezwungen, wie der kundige Reiter den Renner, aber der arme Mann war unfähig, einen Finger zu rühren, und er wußte wohl kaum, welch einen schrecklichen Verrath der Supercargo an ihm und den Uebrigen begangen hatte.
Blitz und Donner, heulende Windstöße und hochaufsprühende Wogen vermehrten die Angst der beiden Mädchen. Es war eine schreckliche Nacht.