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Ein Vater, der sein Kind für einige Säcke Reis verkaufen will. Der König von Bali. Seine Hofhaltung und sein neuer Rock.
Der Steuermann hatte, während die Mädchen noch schliefen, ein Frühstück im Walde gesammelt und dasselbe auf einem großen Blatte servirt. Sie aßen mit schwerem Herzen; als sie fertig waren, kam ein Malaye durch das Gehölz, welcher aber rasch zu entwischen suchte, als er die drei Menschen von fremder Hautfarbe und fremder Kleidung sah.
Der Steuermann setzte ihm nach und holte ihn halb mit Gewalt, halb durch Ueberredung zurück. Der Mann zitterte, obschon er einen Krisch im Gürtel trug und dem gänzlich unbewaffneten Steuermanne leicht hätte Meister werden können.
Du mußt uns nach dem nächsten Dorfe bringen, sagte der Steuermann, denn ich gedenke mit dem Häuptlinge desselben ein Geschäft abzuschließen.
Der Malaye, welcher bis dahin Furcht verrathen hatte, wurde plötzlich freundlich und zuthunlich. Herr, sprach er, wenn du Sclaven brauchst, so kehre in meine Hütte ein. Für dreißig Säcke Reis will ich dir meine Balla geben. Sie ist ein starkes Mädchen und wird gerne mit dir gehen, da sie zu Hause viel Hunger leiden muß.
Begreiflicher Weise lag es durchaus nicht in dem Plane des Steuermanns, balische Sclaven aufzukaufen, aber er gab sich doch den Anschein, als ob ihm der Vorschlag gefalle. Es lag ja jetzt alles daran, unter Menschen zu kommen und von diesen auf irgend eine Art Hülfe zu erhalten. Als Sclavenkäufer, das wußte er noch von früher, würde er einen starken Zulauf haben. Vielleicht gelang es ihm, ein Kannot zu bekommen, auf dem er vorgeblicher Weise seine Waaren zu transportiren gedenke. Hätte er noch Geld besessen, so konnte ihm dieses nicht schwer fallen, aber Veronika's letztes Silberstück war längst für Speise ausgegeben worden. Denselben Weg waren ihr und Babetten's Schmuck gegangen, sowie auch Alles von Kleidungsstücken, was nicht durchaus unentbehrlich war. Pistolen, Pulver, Teppiche und die kostbare Büchse aber hatte das Meer verschlungen.
So waren sie also vollständig arm. Das will freilich nicht so viel heißen, als bei uns in Deutschland, denn der Fremde findet auch auf Bali Gastfreundschaft und darf mitessen, so lange die Leute selber etwas haben; aber zu einer Fahrt von Bali nach Batavia würden sie sich doch nur gegen eine feste Bezahlung verstanden haben.
Gut, sprach er zu dem Malayen, ich will deine Tochter sehen, und wenn sie mir zusagt, so ist der Handel abgeschlossen.
Freudig, wie Jemand, dem ein Glück begegnet, ging der gefühlvolle Vater voran und der Steuermann mit seinen Begleiterinnen folgte ihm. Das Gebüsch lichtete sich bald, und an denjenigen Stellen, wo die Bäume am weitesten von einander entfernt standen, wurden elende Hütten sichtbar, aber nirgends ein Feld oder ein Garten. Die Früchte des Waldes schienen die einzigen Nahrungsmittel zu sein, wovon sie lebten. Und so sah es, mit geringen Ausnahmen, damals überall auf der Insel Bali aus. Je freigebiger die Natur ihre reichen Gaben ausstreut, je müheloser der Mensch zu Brod kommen kann, desto fauler ist er gewöhnlich. Alle südlichen Länder liefern Belege zu dieser Behauptung. Deßhalb herrscht auch im kümmerlichen Norden, wo jede Aehre dem Boden mit sauerm Schweiße abgerungen werden muß, mehr Wohlstand, mehr Bequemlichkeit, mehr Schönheit und Annehmlichkeit des Lebens, als im Süden. Wo man nur die Hand aufzuhalten braucht, um eine herabfallende Frucht aufzufangen und zum Munde zu führen, da scheint selbst dieses mühsam, und der Mensch zieht es vor, lieber zu darben und zu hungern, als nur einen Finger zu rühren.
Auf Bali kamen aber noch andere Umstände dazu, warum das Volk zu tief gesunken war, um mit der dort so leichten Mühe des Ackerbaues sein Brod zu gewinnen. Die Fürsten der Insel sind die unumschränkten Herren ihrer Unterthanen; was diese erwerben, gehört nur so lange ihnen, als es dem Fürsten beliebt, es ihnen zu lassen; jeden Augenblick müssen sie gewärtig sein, daß er ihr Eigenthum fordert. Was sie also erwerben, das gehört nicht ihnen, sondern dem Fürsten, dessen Eigenthum sie sind. Je weniger sie besitzen, desto sicherer sind sie, daß ihnen nichts genommen wird. Wozu sollten sie also im Schweiße ihres Angesichtes ein Eigenthum erarbeiten, wozu etwas zurücklegen, das nur die Raubsucht reizt?
Freilich kann der Fürst auch ihr Leben fordern, und er thut es oft genug, um sich eine Kurzweil, eine kleine Aufregung zu verschaffen, wie wir es auf Timor gesehen. Aber ein solches Leben hat einen so geringen Werth, daß diese armen Menschen es mit eben so wenig Bedauern hergeben, wie wir ein abgetragenes Kleidungsstück.
Wenn man nicht arbeitet und nichts erwirbt, so sind hungrige Kinder kein Segen, denn sie schreien nur immerfort nach Brod, was doch überall mangelt. Da muß dann am Ende notgedrungen ein Sclavenhändler, welcher einige Säcke Reis für ein solches Wesen bietet, wie ein Wohlthäter angesehen werden.
Diesen Umstand hatten sich die Holländer längst gemerkt und ohne Gewissensskrupel um billige Preise Menschen gekauft.
Nun werden sich die Leser nicht mehr wundern, wenn sie den Malayen so fröhlich einherschreiten sehen, um seines Kindes los zu werden.
An dem Thürpfosten einer der Hütten lehnte Balla, ein hübsches Mädchen mit langem schwarzen Haar. Ein Fetzen Baumwolle deckte nur nothdürftig die halbnackten Glieder; dennoch hatte sie es verstanden, aus dem alten Lappen zu machen, was daraus zu machen war. Obwohl niemals ein Schneider seine Künste daran geübt, so sahen die Falten doch so zierlich aus, als ob sie mit der Nadel zusammengelesen worden wären.
Balla schien übrigens für schöne Kleiderstoffe nicht wenig empfänglich zu sein, denn sie bezwang ihre offenbare Furcht vor den Fremdlingen und kam herbei, um die Kleider der beiden Mädchen zu bewundern und zu betasten.
Balla, sprach der zärtliche Vater, der fremde Herr will dich kaufen und mir Reis geben. Willst du mit ihm nach Java gehen?
Nach Java? fragte sie; nach Java, wo man immer satt zu essen hat und schöne Kleider trägt? O gewiß, ich bin bereit; wir gehen doch gleich?
Noch nicht gleich, Balla, antwortete der Steuermann. Du mußt warten, bis ich ein Schiff voll habe.
O das wird mehr als zwei Tage dauern, sagte Balla traurig. Ich möchte lieber gleich gehen.
Zuvor muß ich mit dem Könige reden, gab der Steuermann zur Antwort. Führe mich also zu ihm.
Balla verließ die Hütte und hüpfte vor den Fremden her. Eine halbe Meile mochten sie gewandert sein, als Balla die Hand ausstreckte und auf eine Lehmmauer zeigte, welche in weitem Umkreise eine Anzahl Hütten einschloß, die aus leichtem Bambusholz aufgeführt und mit Palmblättern gedeckt waren.
Da ist der Palast des Königs, sprach sie; aber es sind jetzt zwei Könige da, der todte und der lebendige. Rede schnell mit ihnen, und wenn du zurückkehrst, so findest du mich vor der Hütte meines Vaters.
Veronika verstand vom Malayischen nur die wenigen Worte, welche sie auf Timor erlernt hatte; die Unterhaltung des Steuermanns mit Balla blieb ihr deßhalb unverständlich. Als er ihr dieselbe übersetzte, blieb sie stehen, sah das Mädchen traurig an und sprach: Ach, das arme Kind, sie weiß noch nicht, was es heißt, Vater und Mutter verlassen, um in der Fremde umherzuirren. Wie würde sie anders denken, wenn sie meine Erfahrungen hätte.
Glauben Sie das nicht, mein Fräulein, antwortete der Steuermann; wo sie auch immer hinkommen mag, sie hat es überall besser, als hier, wo man mitten im Ueberflusse aus Hunger stirbt; wo der Tod von der Hand des Königs als eine Gnade betrachtet wird. Mit dem Tod hört das Essen auf, also die Qual, nicht essen zu können, wenn man hungrig ist.
Die malayische Majestät von Bali war eben im Begriffe, auf dem Rücken eines Dieners einen Ausflug in's Dorf zu machen und erschien in diesem Augenblicke in der Oeffnung der Lehmmauer, welche als Thor zu seinem Palaste diente.
Der Steuermann trat auf ihn zu und theilte ihm mit, daß er die Absicht habe, sich bei ihm zu Gaste zu laden.
Seid Ihr Holländer? fragte der König.
In dieser Art zu fragen, lag etwas, was den Steuermann aufmerksam machte; es war unschwer zu erkennen, daß er auf die Holländer nicht gut zu sprechen sei. Er gab deßhalb unbedenklich zur Antwort: Nein, wir sind keine Holländer, sondern Deutsche.
Deutsche kenne ich nicht, sprach der König mit freundlicherem Gesichte, aber es thut nichts. Wenn Ihr Holländer wäret, so ließe ich Euch köpfen, denn sie sind uns Reis für Sclaven schuldig und haben nicht bezahlt. Wollt ihr Kinder kaufen? fragte er gleich hinterher. Kinder sind genug da, aber kein Reis.
Da nun der Steuermann ebenfalls keinen Reis, aber doch auch keine Lust hatte, sich wegen Mangel an Bezahlung köpfen zu lassen, so gab er zur Antwort: Es ist möglich, daß ich Kinder kaufe, aber jetzt noch nicht. Erst werde ich die Waare sehen, dann nach Java fahren, um Reis zu holen und zuletzt erst die Kinder mitnehmen.
Diese Antwort gefiel dem Könige offenbar nicht. Ich habe viele Kinder in meinem Pallaste, sprach er; ich möchte sie gerne gleich losschlagen. Wenn ein anderer kommt, so hat er den Vorzug.
Halte es, wie du willst, sagte der Steuermann; wenn ich mir deine Kinder und die der übrigen Malayen angesehen habe, so ist es noch immer nicht zu spät, denn Reis und Kleider braucht ihr alle Tage. In einem Monate kommt mein großes Schiff aus Deutschland an; es wirft in Batavia Anker, und dann kann der Handel losgehen.
In einem Monat ist das Begräbniß, erwiederte der König, dann wird das Letzte verzehrt, und wir müßten nachher arbeiten oder von Früchten leben. Dein Schiff kommt also gut. Doch, fuhr er fort, gib mir das Ding da.
Du willst meinen Rock? fragte der Steuermann, da nimm ihn; wenn mein Schiff kommt, sollst du so viel Röcke haben, daß du alle Tage einen neuen anziehen kannst.
Das war eine Verheißung, die ihm wahrscheinlich noch niemals geworden. Jauchzend sprang er von dem Rücken seines Dieners auf den Boden und zog den geschenkten Rock an.
Man konnte nicht sagen, daß er ihm gepaßt hätte, aber er geberdete sich doch so stolz darin, als ob alle Inseln des stillen Oceans unter seinem Scepter gestanden hätten. Besonders waren es die blanken Stahlknöpfe, welche seiner Eitelkeit schmeichelten.
In die Hände klatschend sprang er wieder auf den Rücken des Dieners und gab demselben Befehl, Kehrt zu machen.
Im Trabe ging es durch die Maueröffnung auf den Hof des königlichen Schlosses. Der Steuermann folgte mit den beiden Mädchen, denen es durchaus nicht zuversichtlich zu Muthe war.
Des Königs Pferd galoppirte in eines der Häuschen hinein, welche zerstreut unter den Palmbäumen umherlagen. Bald darauf erschien der König auf der Schwelle und winkte ihnen hinein.
Das Haus bestand aus einem einzigen völlig kahlen Raume; nur ein ziemlich großer Spiegel von europäischer Arbeit hing an der Wand. Der König stellte sich vor denselben, schaute hinein, drehte den Körper nach allen Richtungen und lachte so laut und freudig über seinen neuen Rock, daß selbst Veronika und Babette in dieses Lachen einstimmen mußten.
Wahrscheinlich galt dieses Lachen als ein besonderes Zeichen der Verehrung, denn augenblicklich griff der König in eine Nische und bot jedem der Mädchen eine angebissene Frucht, ein Ueberbleibsel seiner letzten Mahlzeit.
Der Steuermann flüsterte ihnen zu, doch ja hinein zu beißen und dabei so glückselig auszusehen, als es ihnen möglich sei. Aus Furcht, der König könne vielleicht den Einfall bekommen, ihnen den Kopf abzuschlagen, befolgten sie diesen Rath, und sie thaten wohl daran, denn der König äußerte, sie seien wirklich keine Holländer, denn alle Holländer mögten mit den Malayen nicht in dieselbe Frucht beißen, was übrigens sehr dumm und grob sei.
Der König war außerordentlich lustig geworden und der Rock war die einzige Ursache. Seine Hofbedienten sollten ebenfalls den Anblick des neuen Schmuckes haben. Er hieß also den Diener hinausgehen, um sie herbeizurufen.
Dieser setzte draußen eine große Muschel an den Mund und entlockte derselben furchtbare Töne, die indessen eine plötzliche Wirkung hervorbrachten. Alle die kleinen Häuschen im Umkreise der Lehmmauer öffneten sich; Frauen, Kinder und Männer stürzten aus denselben hervor und traten in den Saal, wo der König eben wieder beschäftigt war, sich im Spiegel zu besehen.
Als die ganze Hofhaltung versammelt war, nahm er eine majestätische Haltung an, sprach von der neuen Handelsverbindung, welche er mit den Deutschen anzuknüpfen im Begriffe sei, und erlaubte Jedem seiner Weiber und seiner Hofbedienten, den Rock und die Knöpfe anzufassen. Eine seiner Lieblingsfrauen bemerkte, daß einer von den Knöpfen im Begriffe war, sich von dem Tuche zu trennen. Rasch benutzte sie den Umstand, um ihn vollends abzudrehen. Es gelang ihr ganz prächtig; augenblicklich hatte sie denselben vermittelst eines Dornes auf die Brust befestigt und stellte sich nun gleichfalls vor den Spiegel.
Da wurde der König krebsroth vor Zorn, zauste sie fluchend am Haar und entriß ihr den Knopf. Er würde sie zweifelsohne getödtet haben, wenn sich der Steuermann nicht in's Mittel geworfen hätte.
Laß ihr den Knopf, sprach er; wenn mein Schiff kommt, sollen alle deine Leute solche Knöpfe haben, du aber einen Rock mit solchen, wie sie in Deutschland die Kaiser tragen.
Das war eine Aussicht, die ihm gefiel; schon wollte er dem Weibe den Knopf zurückgeben, aber er besann sich.
Ich behalte ihn, bis ich die andern habe, sprach er lachend.
Die sämmtlichen Frauen trugen irgend ein Kleidungsstück, wie sie bei uns gebräuchlich sind. Einige waren sogar ziemlich hübsch angezogen, und sie wußten das, denn sie machten die beiden Europäerinnen durch Zeichen aufmerksam aus ihre Kleiderschätze und kamen herbei, um die Feinheit der Stoffe miteinander zu vergleichen.
Die Audienz war nun vorüber; der Diener blies wieder in sein Muschelhorn und die Malayen stäubten auseinander.
Unterdessen war der Haushofmeister der balischen Majestät beschäftigt gewesen, eines der Häuser für die Fremden einzurichten. Er hatte höchsteigenhändig Matten dahin geschleppt und den kahlen Fußboden sowie die Wände mit denselben bedeckt und behängt. Außerdem entfaltete er noch dadurch einen außerordentlichen Luxus, daß er in der Mitte des Gemaches ein Schränkchen aufstellte. Da sie mit leeren Händen kamen und ihre gesammte Habe im Meere lag, so konnte ihnen der leere Behälter zu nichts dienen; aber sie sollten doch nachher seinen Nutzen erfahren, denn es wurde jeden Tag mit Reis und Früchten versehen, so daß sie wegen des Hungerns nicht besorgt zu sein brauchten.
Veronika bemerkte Tag um Tag eine außerordentliche Bewegung vor einer der Hütten und war sehr begierig, was dieselbe zu bedeuten habe. Sie fragte den Steuermann, und dieser erkundigte sich bei dem Könige selbst.
Da wurde ihm folgender Bescheid: Ei dort liegt die Leiche meines Vaters. Er ist jetzt seit eilf Monaten todt und wird im nächsten begraben.
Der Steuermann, welcher noch niemals einen todten König von Bali gesehen, erbat sich und seinen Begleiterinnen die Gunst, demselben seine Achtung bezeugen zu dürfen. Diese Bitte wurde in Huld und Gnade gewährt, und der König selbst machte sich das Vergnügen, sie in die Sterbekammer zu führen.
Das Gebäude, worin die Leiche lag, war der eigentliche Pallast des Fürsten; er behielt ihn so lange inne, bis er verbrannt und begraben war, dann bezog ihn der neue. Dieses Gebäude zeichnete sich schon durch das Material vor den übrigen Häusern aus, denn es war aus Stein gebaut und in mehrere Zimmer eingetheilt.