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XI.

Die Leiche des Königs in einem mit Rosenwasser gefüllten Sarge. Leichenceremonien. Eine Bambuspyramide als Leichenbahre. Frauen, welche freiwillig in den Feuertod gehen.


Der Weg dahin ging unter der Erde her; als sie sich darüber wunderten, sagte ihnen der König, alle die Gebäude seines Schlosses stünden durch solche unterirdische Gänge mit einander in Verbindung, was für seine Person große Annehmlichkeiten habe, da er so nach Gefallen aus dem einen in das andere gelangen könne, ohne von Jemanden gesehen zu werden. Seine Frauen, seine Diener und seine Kinder müßten also beständig auf der Hut sein, um nicht von ihm ertappt zu werden. Sie nähmen sich auch deßhalb wohl in Acht, etwas Unrechtes zu thun.

Durch mehrere kleinere Gemächer und Gänge, welche mehr Bequemlichkeit boten, als dasjenige, wo der König seinen neuen Rock bewundert hatte, gelangten sie in einen größern Raum, der für die Begriffe der Einwohner von Bali mit einer verschwenderischen Pracht eingerichtet war.

Auf einer Erhöhung befand sich ein Sarg von wohlriechendem Sandelholz, in welchem der verstorbene König lag oder vielmehr schwamm, denn der Sarg war fast bis an den Rand mit Rosenwasser gefüllt, dessen lieblicher Geruch sich durch das ganze Gemach verbreitete. Durch dieses Wasser sah man den geschmückten Körper; der König behauptete, so liege er fast ein Jahr darin, und das Rosenwasser werde jeden Abend erneuert.

Von dem letzten Umstande sollten sie selbst Zeuge werden; denn ein Jüngling und ein junges Mädchen, denen dieses Geschäft ausschließlich oblag, traten mit neuen Gefäßen voll frischen Rosenwassers an die Leiche und setzten dieselben zu Häupten des Sarges nieder. Hierauf zog ein Sclave einen Zapfen aus dem Boden des Sarges und ließ das alte Rosenwasser in einen Zuber ab, welches hinausgetragen und zur Besprengung der Häuser verwandt wurde.

Kaum lag die Leiche bloß, als sich eine Schaar von Fliegen und Mücken auf derselben niederließ und das königliche Fleisch ansog. Sogleich näherten sich vier Frauen des Verstorbenen und jagten die Insecten mit großen Fliegenwedeln hinweg; sie waren jung, schön und reich geschmückt. Der König erklärte den Europäern, daß sich diese Frauen während der Krankheit des Fürsten erboten hätten, sich mit ihm verbrennen zu lassen. Das sei die größte Ehre, welche einem Weibe begegnen könne, denn sie würden nun auch im Himmel das Vergnügen haben, ihren königlichen Herrn zu bedienen, wie sie es auf Erden gethan.

Nun traten auch die Priester von Bali an den offenen Sarg, sprachen ihre seltsam klingenden Gebete und verrichteten eine Menge unverständlicher Ceremonien, die aber von dem Könige und seinen herbeigeeilten Frauen und Dienern in der größten Andacht mitgemacht wurden. Nachdem Gebet und Zaubersprüche lange genug gedauert hatten, gossen der Jüngling und die Jungfrau neues Rosenwasser in den Sarg und zerschlugen dann die Gefäße, damit sie niemals durch einen andern Gebrauch entweiht würden. So geschah es nach der Aussage des Königs jeden Abend.

Die Ceremonien und Gebete hatten viel Zeit weggenommen und die Nacht war unterdessen vorgerückt. Der Steuermann machte deßhalb darauf aufmerksam, daß seine Begleiterinnen der Ruhe bedürften.

Der König winkte einigen Sclaven, welche ihnen mit Fackeln vorausschritten und sie in ihre Gemächer brachten. Bald nachher wurde ihnen von jungen Mädchen ein Mahl aufgetragen, wahrscheinlich das beste, was der Palast und die Insel boten, wovon aber der Steuermann glaubte, daß es in Holland kaum gut genug für einen hungrigen Matrosen sei.

Indessen: Hunger ist der beste Koch! Sie aßen wenigstens so lange, bis das ärgste Knurren des Magens aufhörte; dann suchten sie die Schlafmatten, auf denen Babette ihrem Heilande dankte, daß sie noch von keinem Wilden aufgefressen worden.

Am folgenden und an jedem Tage suchte der Steuermann Gelegenheit, mit dem Könige zusammenzukommen; sein beständiges Trachten ging dahin, ein Boot zur Ueberfahrt nach Java von ihm zu erhalten. Er war auch bereit, dasselbe zu geben, aber er forderte eine bestimmte Anzahl Säcke Reis, wofür ihm dann auch der entsprechende Werth an Kindern, Mädchen oder Jünglingen bereitwilligst angeboten wurde.

Den Reis bewilligte der Steuermann mit Vergnügen, da er aber erst in Batavia ausgezahlt werden sollte, so wollte der König von dem Handel nichts wissen. Die Holländer sind Betrüger, sagte er gerade heraus, und wenn du nach Java kommst, so wirst du es machen wie sie. Du bist nicht der erste, welcher auf diese Weise zu mir gesprochen hat, deßhalb will ich jetzt den Reis vorab.

Wenn du uns lange hierhältst, warf der Steuermann ein, so werden wir dir theure Gäste und mehr Reis essen, als zehn Kinder werth sind.

Aber wenn dein großes Schiff kommt, so wirst du alles bezahlen, was du gegessen hast, sprach der König.

Und wenn ich's nun nicht thue? fragte der Steuermann.

Dann – dann, entgegnete der König, dann werde ich sehen, was ich thue.

Er sprach sich über seine Absicht nicht deutlich aus; daß er aber nichts Gutes im Schilde führte, war in seinen Augen leicht zu erkennen.

So verging Woche um Woche und die Aussicht von der Insel zu entkommen, wurde immer geringer. Endlich kam die Zeit heran, wo der Fürst begraben werden sollte. Die Vorbereitungen beschäftigten den König so sehr, daß er für den Steuermann keine Zeit mehr hatte.

Dieser verlor mehr und mehr den Muth und suchte die Mädchen darauf vorzubereiten, daß sie so lange auf Bali bleiben müßten, bis ein europäisches Schiff ankäme, das sich ihrer erbarme.

Das war allerdings ein schlechter Trost, aber es war nichts anderes zu thun, als sich stillschweigend zu ergeben.

Eines Morgens wurden sie durch einen gewaltigen Lärm geweckt, der durch das Anschlagen von Deckeln, Hölzern und dergleichen Dingen hervorgebracht wurde. Schon während der Nacht hatte auf dem weitläufigen Hofe eine geräuschvolle Thätigkeit geherrscht, die sie sich nicht erklären konnten. Als sie aber jetzt vor die Thüre eilten, gewahrten sie vor dem Hause, wo die Leiche ruhte, eine Pyramide von Bambusrohr, welche die Höhe eines Kirchthurmes hatte und auf der höchsten Spitze in eine Plattform endigte, die rings umher von einem Geländer umgeben war.

Eine aus Holzfasern geflochtene Leiter führte in schräger Richtung von der Thüre des Hauses bis zu dieser Plattform empor; die ganze Bambuspyramide aber war von der Spitze bis zum Erdboden mit seidenen Tüchern von schreiender Farbe bedeckt.

Der Hof hatte sich mit Insulanern gefüllt, welche in ruhiger, anständiger Haltung umherstanden und zu der Pyramide hinaufschauten.

Jetzt ertönte aus dem Innern des Hauses ein eintöniger Gesang, und bald nachher sah man den Sarg von Sandelholz heraustragen. Die Träger bestiegen die Leiter und arbeiteten sich die Höhe hinan. Ihnen folgten die vier Frauen, welche sich mit ihrem Herrn verbrennen lassen wollten. Sie gingen von Sprosse zu Sprosse mit einer Freudigkeit, wie unsere europäischen Mädchen zum Tanze. Wenn die Träger mit dem Sarge ruhten, hockten sie nieder und theilten Grüße für die Menge aus. Diese warf sich auf den Boden, streckte die Arme aus, rief ihnen Sprüche zu und verehrte sie wie Heilige. Hinter diesen vier Frauen kamen die Priester, welche in der luftigen Höhe Gebete über die Leiche des Fürsten und seiner Frauen sprechen sollten.

Es dauerte ziemlich lange, bis sie den steilen Weg zurückgelegt hatten. Die Träger setzten den Sarg auf die Plattform nieder; die Frauen traten mit ihren großen Pfauenwedeln heran und wehrten dem Fürsten zum Letztenmale die Fliegen ab, während die Priester an dem Sarge niederfielen und Gebete murmelten.

Dann ertönte aus hoher Luft ein Gesang oder vielmehr ein Geheul, welches die unten versammelten Balier in einen Zustand großer Aufregung versetzte, denn sie schlugen die Brüste, warfen sich auf den Boden und geberdeten sich wie Leute, die von einer plötzlichen Eingebung oder von Wahnsinn ergriffen werden.

Der Gesang hörte endlich auf, die Aufregung legte sich und es trat lautlose Stille ein. Diese Stille wurde durch plötzliche Flintenschüsse unterbrochen, die fast gleichzeitig abgefeuert, den Europäern deßhalb einen Schrecken einjagten, weil sie bis jetzt noch gar keine Feuergewehre auf der Insel gesehen hatten.

Die Salve aber hatte durchaus keine feindliche Bedeutung; sie war nur das Zeichen, daß jetzt der zweite Theil der Begräbnißfeierlichkeiten beginne.

Die kirchthurmhohe Pyramide wurde nun lebendig und lief von dem Hause weg bis zu einer Gruft an einer andern Seite des Hofes. Es sah wie Zauberei aus, als der Thurm so davon lief, denn man bemerkte nirgends eine Hand, welche an ihr schob und noch weniger eine Maschine, die sie in Bewegung setzte. Was aber wie Hexerei schien, ging mit sehr natürlichen Dingen zu, denn im Innern des gewaltig hohen Baues befanden sich unter den seidenen Tüchern versteckt über zweihundert kräftige Malayen, welche sie auf ihren Schultern forttrugen.

Der König, seine Frauen und Verwandten schlossen sich der wandelnden Pyramide an und ihnen folgten paarweise die Unterthanen, bis sie an der Gruft stille standen.

Jetzt wurde auf einer zweiten Leiter der Sarg zur Erde getragen und neben der Grube unter einem Thronhimmel niedergesetzt. Die Gruft war mit trockenem Gesträuch gefüllt, über welches die Priester noch eine Menge von wohlriechenden und leicht Feuer fangendem Holze breiteten.

Starke Bambusstangen wurden quer darüber gelegt, um den Sarg mit der königlichen Leiche zu tragen. Vorher aber wurde diese unter seltsamen Gebeten und Gesängen mit einer fabelhaften Menge von wohlriechenden Oelen begossen und die Gefäße an der Gruft zerschlagen.

Der Sarg, reichlich genug getränkt, um schnell zu brennen, ward auf die Bambusstäbe geschoben, und nun zündeten die Priester das Holz in der Grube an. Im Nu schlug die Flamme haushoch empor und hüllten den Sarg in eine furchtbare Gluth, so daß die Zunächststehenden zurücktreten mußten, um sich nicht zu verbrennen.

Die vier Frauen, welche sich freiwillig zum Feuertode mit dem Heimgegangenen Fürsten erboten hatten, und mit der Abnahme der Leiche zu Boden gestiegen waren, erhoben sich nun von der Erde und nahmen Abschied von ihren Bekannten.

Die erste schritt festen Fußes von Sprosse zu Sprosse, ohne auch nur einen Augenblick zu wanken. Auf der leeren Plattform der Pyramide angekommen, breitete sie ihre Arme aus, that einen Anlauf und sprang in die Tiefe hinab, wo sie sogleich von den flackernden Flammen empfangen wurde.

Jetzt kam die zweite an die Reihe; sie stieg stolz hinauf, denn das Glück, welches ihr bevorstand, erhob sie weit über ihre Mitfrauen, die nun ein Erbe des neuen Königes wurden. Auch sie sprang singend von der schwindelnden Höhe in die Gluth. Die dritte ging mit derselben Entschlossenheit; die vierte aber, welche kaum dem Kindesalter entwachsen war, schien ihren voreiligen Entschluß zu bereuen, denn sie kletterte nur langsam hinauf und hielt zuweilen inne, so daß ihr die Priester durch Zurufen Muth machen mußten.

Auf der Plattform angekommen, wandte sie sich in furchtbarer Todesangst bald vorwärts bald rückwärts. Der Tod in den Flammen kam ihr wahrscheinlich eben so fürchterlich vor, wie Veronika und Babette, die schon längst die Augen von dem grausamen Schauspiele abgewandt hatten.

Die Priester schauten drohend empor, mißbilligendes Rufen aus der Volksmenge drang zu ihr hinauf. Schon züngelten die Flammen der brennenden Tücher bis zu ihr hinauf; da bedeckte sie ihre Augen mit den Händen, stieß einen lauten Schrei aus und glitt langsam und ängstlich von der Pyramide hinab. Zu einem herzhaften Sprunge fehlte ihr der Muth. Schon im Niederstürzen fingen ihre Kleider Feuer, und sie sank als flammender Menschenballen in das offene Grab, dessen Funken von dem Falle wie ein Sprühregen umherwirbelten.

Das Volk, welches in diesem Falle kein Mitleid kennt, aber die Feigheit auf das Strengste verdammt, hatte sich schon zu unwilligen Aeußerungen verleiten lassen, spendete aber der schließlichen Ausführung nun seinen Beifall.

Veronika und Babette hatten sich in das Haus geflüchtet; sie drängten den Steuermann mit stürmischen Worten, sie von der furchtbaren Insel zu bringen, wo der religiöse Fanatismus sich über das Untergehen blühender Menschenleben freute. Sie fürchteten allen Ernstes, daß sie schließlich selbst zu einem so schrecklichen Opfer auserkoren werden könnten.

Der arme Mann hätte gerne geholfen, denn auch ihm war nicht sonderlich wohl zu Muthe, aber er war jetzt eben so ohnmächtig wie die beiden Mädchen.

In beständiger Angst und Furcht verging ihnen auf diese Weise ein ganzes Jahr; da endlich wagte es der Steuermann zur Nachtzeit heimlich mit den Mädchen aus dem Pallaste zu schleichen, um am Ufer sich eines Kannots zu bemächtigen und damit zu entfliehen.

Das mußte er schwer büßen. Schon hatte er die Kette gelöst, schon stand Veronika im Boote, da wurden sie eingeholt und zurückgebracht. Von nun an ward er wie ein Sclave behandelt, mußte bei magerer Kost schwere Arbeit verrichten, und bekam seine Schützlinge nicht mehr zu Gesichte. Diese aber, wenn sie auch nicht unfreundlich behandelt wurden, lebten in beständiger Furcht und wünschten sich hundertmal den Tod.


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