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Abreise. In Holland. Herr van Ginckel. Kapitän Jongmanns.
Briefe und Waarensendungen nach Holland folgten sich jetzt Tag um Tag und als die neunte Woche vorüber war, wurde der Schluß der folgenden zur Abreise bestimmt.
Bis dahin hatte Veronika gesungen und gesprungen und den Tag gar nicht erwarten können; jetzt aber, wo es so nahe auf das Ende losging, wurde sie schweigsam und saß oft nachdenklich ganze Stunden lang auf demselben Flecke. Die Trennung ging ihr doch allzu nahe.
Hätte sie dem Vater jetzt den Wunsch geäußert, sie wolle in Nürnberg bleiben und auf die Millionen der Tante verzichten, so wäre das ganze Projekt noch in letzter Stunde wieder bei Seite gelegt worden, denn Dionisius Elster fühlte ebenfalls jetzt erst recht, was es hieße, die einzige, fast vergötterte Tochter zu verlieren.
Balduin, der die Schwester über Alles liebte, hatte sich dem Plane stets widersetzt. Er meinte, für ihn und Veronika reiche das Vermögen schon hin, und er wolle ihr lieber zwei Drittheile lassen, als sie in der Fremde wissen. Er war sonst ziemlich hart gesotten und griff das Leben immer an der richtigen Seite; jetzt aber schaute er aus gar trübseligen Augen und grollte mit Jedem, der sich herausnahm, ihm Trostgründe auftischen zu wollen.
So waren eigentlich alle traurig, Caspar Goldenfuß nicht ausgenommen, aber Veronika hatte deßhalb keineswegs im Sinne, auf Tante Molly zu verzichten.
Am Tage vor der Abreise ließ sich der Vater von zwei seinen Comptoiristen in die altehrwürdige Sebalduskirche führen; sein sämmtliches Personal mußte mit, denn er wollte der scheidenden Tochter eine gute Fahrt und eine glückliche Ankunft erbeten.
Dort vor dem kunstreichen, eisenumgitterten Grabe gegenüber dem meisterhaften Sakramentshäuschen lag er auf den Knien, und obschon seine Glieder ihn schmerzten und er sich kaum noch in der knieenden Stellung aufrecht erhalten konnte, so war er doch kaum hinwegzubringen.
Balduin hatte das bleiche Gesicht gegen die Stäbe gepreßt und benetzte es mit seinen Thränen; auch Veronikas Wangen blieben nicht trocken, aber das Gebet gab ihr Muth und Hoffnung, so daß sie ernst und gefaßt sich erhob –
Vor Elster's Thüre hielt am folgenden Morgen der Wagen, der sie von dannen tragen sollte. Die sorgliche Haushälterin hatte in Schachteln und Kisten noch manches aufladen lassen, was ihr gut und nützlich dünkte, und nun stand sie an der Thüre und trocknete die nassen Augen mit dem Zipfel der weißen Schürze.
Caspar Goldenfuß saß vor seinem Hauptbuche mit geschlossenen Augen und gab kaum ein Lebenszeichen von sich; nur zuweilen preßte und drückte er die Feder, daß sie knackte und zuletzt brach er in die Worte aus: Ich hätt's nitt gethan, nun und nimmer nitt!
In dem stillen Stübchen, wo der Kaufherr in seinem Sessel zu sitzen pflegte, nahm Veronika derweil vom Vater Abschied, der sie noch mit seinen besten Wünschen segnete. Das Herz brach ihm fast, aber es mußte ja nun einmal sein, und für ewig sollte die Trennung ja auch nicht gelten.
Jetzt ging die Thüre auf; Veronika schritt langsam am Arme des Bruders durch das Comptoir, wo sich das ganze Personal aufgestellt hatte und ehrfurchtsvoll grüßte.
Caspar Goldenfuß legte die verstümmelte Feder hinweg, schritt auf das Mädchen zu, küßte sie auf die bleiche Stirne und wandte sich dann stumm und schweigend seinem Hauptbuche wieder zu.
Veronika wußte diese stille Trauer zu würdigen, denn der Alte hatte sie als Kind tausendmal auf den Knien geschaukelt; er liebte sie wie der Vater selbst. Deßhalb konnte sie sich auch nicht enthalten, noch einmal an sein Pult zu treten und ihm ein Andenken, eine goldene Schreibfeder in die Hand zu drücken.
Draußen hatten sich eine Menge Leute versammelt, die ihr ein letztes Lebewohl sagen wollten. Alte Mütterchen, die aus ihren Händen das Almosen zu empfangen pflegten, weinten bittere Thränen und meinten, sie würden das gute Fräulein wohl in ihrem Leben nicht wiedersehen.
Mein Bruder wird künftig für Euch sorgen, sprach sie, drückte noch einmal der Haushälterin die Hand und stieg dann in den Wagen, wo Vetter Cornelius Schwerdtlein sich bereits niedergelassen hatte.
Balduin wollte sie bis Frankfurt begleiten und dann wieder umkehren. Der Kutscher blies in's Horn, die Pferde zogen an und der Wagen rasselte durch Nürnbergs volkbesäte Straßen dem Thore zu.
Bis Frankfurt war damals schon eine weite Reise, denn die Eisenbahnen lagen noch im Schooße der Zukunft, und mit einem eigenen Gefährt konnte man ebenfalls nicht Meile um Meile zurücklegen. Die nothwendige Rast und die Fütterung der Pferde, sowie die Pflege für den eigenen Leib nahm viel Zeit in Anspruch, und so dauerte die Reise dann unglaublich viel länger, wie das heute der Fall sein würde.
In Frankfurt, der alten Kaiserstadt, war endlich das Ziel erreicht, wo das Herzeleid noch einmal von Neuem anging. Balduin band dem Vetter Cornelius Schwerdtlein seine Schwester bei allem, was ihm heilig war, auf die Seele; und dieser versprach mit festem Eidschwur Alles, was der bekümmerte Bruder verlangte. Veronika mußte feierlich geloben, daß sie schon von Holland aus Nachricht nach Nürnberg senden und bei ihrer Ankunft in Batavia einen umständlichen Bericht ihrer Reise, sowie des Empfanges bei Tante Molly geben wolle.
Balduin wurde endlich ruhiger und reiste in die Heimath zurück, während Veronika mit ihrem Begleiter der Stadt Mainz zufuhr.
Hier gelangten sie an den majestätischen Strom, der sie auf seinen blauen Rücken nehmen und der holländischen Stadt Rotterdam zuführen sollte.
Ich habe oben schon gesagt, daß es damals noch keine Eisenstraßen auf dem festen Lande gab, wie heute; ebensowenig kannte man die Dampfschiffe, welche mit ihren schnelldrehenden Rädern durch die Wellen schaufeln und windschnell stromabwärts fliegen. Hübsch langsam, das war auf dem Wasser und auf dem Lande der Wahlspruch, und daß sich Niemand überstürzte, dafür war von selbst schon gesorgt.
Cornelius Schwerdtlein miethete in Mainz einen großen bequemen Kahn, welcher an seinem obern und untern Ende eine überdachte Schlafstelle enthielt. Das war für jene Zeit schon Luxus genug. Wenn man den Churfürsten und einige sehr hoch stehende Würdenträger abzog, so hatten wenige Leute es besser oder auch nur halbwegs so gut. Jedenfalls ließ es sich bei dieser Einrichtung bis zur heiligen Stadt Cöln schon aushalten. Dort aber wollte Schwerdtlein schon eine neue Fahrgelegenheit finden.
Viel Abwechselung bot die Fahrt freilich nicht, aber man sah an den grünen Ufern des Rheines doch häufig genug fest an den Strom rückende Dörfer und Städte; auch die Trachten und die Sprache der Leute wurden anders; dazu leuchtete die Sonne immer warm vom Himmel, und Schwerdtlein gab sich alle erdenkliche Mühe, immer neue Zerstreuungen für das junge Mädchen aufzufinden.
Veronika, welche niemals weit über die Gräben von Nürnberg hinausgekommen war, fand Alles neu und zauberisch; die Welt kam ihr so außerordentlich groß vor, daß sie ganz stolz wurde, so weit in dieselbe hineinzureisen.
In Cöln wurde eine mehrtägige Rast gemacht; es war einestheils nöthig, um Mundvorrath einzukaufen; dann aber wollte Veronika auch den weltberühmten Dom, wovon ihr alle Reisenden so Wunderbares erzählt hatten, mit eigenen Augen sehen.
Schwerdtlein war die Zuvorkommenheit selbst; er las ihr die Wünsche auf den rosigen Lippen ab und erfüllte sie, fast ehe sie ausgesprochen waren, so daß Veronika schon von Cöln aus ihren Lieben in der Heimath schrieb und den verwandten Schirmherrn mit warmen Worten pries.
Ein besseres, bequemeres und sehr gut eingerichtetes Schiff nahm sie jetzt auf und führte sie den Rhein hinab gen Holland.
Es liegt nicht in unserer Absicht, ihnen Stadt um Stadt zu folgen, sondern wir erwähnen nur kurzweg der Ankunft in Rotterdam.
Es war gegen Abend, als das Schiff unter den Bomekens anlegte. Cornelius Schwerdtlein ließ einstweilen das Gepäck noch an Bord und führte Veronika durch die hellerleuchteten mit Menschen und Wagen gefüllten Straßen an den schiffbedeckten Kanälen vorüber zu einem großen Hause. Hier wohnte Herr van Ginkel, welcher für den Nürnberger Geschäftsfreund gegen gute Spesen weitläufige Ein- und Verkäufe machte. Er hatte auch in dieser Angelegenheit Alles für Herrn Dionisius Elster besorgt.
Herr van Ginkel mochte die Ankunft der Nürnbergerin am heutigen Abende nicht erwartet haben, denn, wie der Thürhüter aussagte, war er bereits seit einer Stunde in seine Societät gegangen, um den üblichen Abendtrunk zu nehmen; doch hatte der Thürhüter kaum vernommen, wer die Angekommenen seien, als er sie in den Gesellschaftssaal führte und sie warten hieß; er werde den Herrn sogleich benachrichtigen lassen.
Richtig kam er auch, ehe eine halbe Stunde vergangen war und nahm das Schreiben in Empfang, welches Schwerdtlein ihm übergab.
Als er dasselbe überlesen hatte, näherte er sich Veronika und sprach: Das Schiff, welches Sie nach Batavia tragen soll, liegt vor Anker und ist alle Tage bereit in See zu stechen; ich habe Sorge getragen, daß nichts fehlt, was einer jungen Dame angenehm und nützlich ist. Doch hoffe ich, daß Sie einige Tage mein Gast sein werden, ehe Sie abfahren, denn Rotterdam hat mancherlei Merkwürdigkeiten, die Ihnen auf der langen Seereise eine angenehme Erinnerung bleiben würden.
Veronika aber war entschieden gegen eine Verzögerung der Abreise und gab ihren Wunsch zu erkennen, schon gleich morgen an Bord zu gehen.
So will ich wenigstens den Kapitän kommen lassen, sprach er, damit Sie heute schon seine Bekanntschaft machen.
Der Kapitän, Mynheer Jongmanns, hatte sich bereits auf dem Schiffe häuslich eingerichtet; jetzt aber kam er, um seiner Gebieterin die Aufwartung zu machen. Er war ein großer, breitschulteriger Mann mit offenen Zügen, zu dem man auf den ersten Blick Vertrauen fassen mußte.
Veronika schaute freundlich lächelnd zu ihm hinauf und legte ihre kleine Hand in die seinige. Herr Kapitän, sprach sie, es ist die erste Seereise, die ich mache, und da werden Sie es natürlich finden, daß ich nicht ganz ohne Angst die Planken des »Krokodill« betrete, zumal der Name schon so schrecklich klingt.
Wir haben die Krokodill umgetauft, gab der Kapitän munter zur Antwort; sie heißt jetzt Veronika – Ihnen zu Ehren, mein Fräulein. Es ist eines der besten Schiffe, die jemals auf Salzwasser gefahren sind. Die Angst dürfen Sie also ablegen. Sie werden auf der Veronika gut aufgehoben sein, und wenn uns nicht außergewöhnliche Stürme überfallen, wohlbehalten zu Batavia ankommen.
Kennen Sie den Weg? fragte Veronika.
So genau, wie die Tasche meines Rockes, gab er zur Antwort, denn ich habe die Fahrt oft genug gemacht.
Nun war die Reihe an Cornelius Schwerdtlein, sich als Vetter des Herrn Dionisius Elster und zugleich als Superkargo des Schiffes zu erkennen zu geben.
Ah, sprach der Kapitän, ich sehe Sie heute nicht zum erstenmale; wenn mir Recht ist, habe ich Sie schon als Passagier an Bord gehabt.
So ist's wirklich, entgegnete Schwerdtlein. Damals habe ich Sie als einen überaus tüchtigen und unerschrockenen Seemann kennen gelernt, und bin nun doppelt erfreut, die Fahrt unter so sicherm Geleit zu machen.
Herr van Ginkel ließ seinen Gästen ein reiches Abendessen auftragen und seine besten Weine auf den Tisch bringen, welchem die Männer wacker zusprachen, während Veronika mit dem Töchterchen des Hausherrn Bekanntschaft schloß.
Die Nacht war schon ziemlich weit vorgerückt, als Veronika durch Zeichen der Schläfrigkeit zu erkennen gab, daß es Zeit sei, sich zurückzuziehen.
Die kleine Holländerin und das Nürnberger Mädchen theilten das Schlafgemach, in welchem erst sehr spät das Licht gelöscht wurde, da sie immer wieder ihr fröhliches Plaudern begannen, bis Veronika's Augen endlich zufielen.