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Wie des Steuermanns List gelungen. Glückliche Landung. An einer Insel. Eine Nacht im Palmenwalde. Ein schlafendes Krokodill. Schnelle Flucht.
Der freundliche Leser, welcher uns von dem lieblichen Nürnberg bis auf die stürmische indische See gefolgt ist, sieht wohl nicht ohne Bangen dem Zeitpunkte entgegen, wo sich das Boot nach und nach mit Wasser füllt, bis die angestrengteste Arbeit des Steuermannes und der beiden Mädchen es nicht mehr bewältigen können, und der Untergang nicht mehr zu verhindern ist.
Zum Glücke können wir ihm die folternde Qual ersparen, denn von dieser Seite droht keine Gefahr; wenn Gott seine schützende Hand über die Geängstigten hält, wenn die Wogen sie nicht von oben herab begraben oder das Boot umstürzen, so sind sie gerettet, denn der Boden ist gut und ganz.
Wie das zusammenhängt, müssen wir nun nachholen: Der Steuermann hatte sich im Anfänge von den verlockenden Versprechungen des Supercargo blenden lassen; als aber der Kapitän von der Krankheit niedergeworfen wurde, da stieg die Reue in seinem Herzen auf, und er war fest entschlossen, jede Gewaltthat an ihm und Veronika zu verhindern.
Den Supercargo und seine Schlechtigkeit hatte er vollständig durchschaut und er wußte, daß dieser Mensch von der Ausführung seiner Idee nicht ablassen würde. Deßhalb wandte er sich an einzelne von der Mannschaft, um gegen Schwerdtlein eine Revolte in's Werk zu setzen. Da aber fand er bald, daß er sich gründlich verrechnet hatte, denn gleich der erste, der noch dazu sein Freund war, erklärte ihm, daß sie schon zu weit gegangen seien, um wieder umzukehren.
Uebrigens, fügte er hinzu, wirst du wohl thun, dich still zu fügen, denn der Supercargo hat bereits ein Auge auf dich, und er ist zu Allem fähig.
Die Uebrigen, mit denen er noch zu sprechen wagte, waren nicht allein derselben Ansicht, sondern sie drohten ihm auch mit augenblicklicher Anzeige, wenn er sich nur im geringsten verdächtig mache.
Der Steuermann überlegte hin und her, was unter diesen Umständen zu thun sei; eine heimliche Flucht vermittelst eines der Boote schien ihm nicht ausführbar ohne die Hülfe seiner Kameraden, und diese konnte er nicht gewinnen. Da machte er dem Supercargo so oben hin den Vorschlag, die drei Personen auszusetzen und sie ihrem Schicksale zu überlassen; es sei doch immer besser als ein Mord, wozu er auch das jetzige Verfahren rechne.
Schwerdtlein hörte ihn lächelnd an und gab dann zur Antwort: Ihr haltet es stark mit unsern Feinden! Ich denke, wir haben sie noch sicher. Wenn Ihr nicht selbst Lust hättet, mit ihnen davon zu gehen, würdet Ihr wohl einen solchen Vorschlag nicht machen.
Der Steuermann schwieg, er durfte nicht zu weit gehen; doch bewachte er von jetzt ab den Supercargo und die Matrosen mit wahren Argusaugen, fest entschlossen, wenn es bis zum Morde kommen sollte, sein Leben an ihre Rettung zu setzen.
Da gewahrte er verschiedenemale, daß Schwerdtlein sich an einem der Boote zu thun machte, was stets mit der größten Heimlichkeit geschah. In einem günstigen Augenblicke näherte er sich demselben und hielt Nachforschung. Anfangs konnte er nichts entdecken; als er aber das Brett aufhob, welches die Bodenrippen bedeckte, da bemerkte er drei große Löcher, welche der schlechte Kerl hineingebohrt hatte, damit das Boot bei einer etwaigen Flucht sogleich sinken mußte.
In der folgenden Nacht machte er sich an's Werk, die Löcher zu stopfen, aber er mußte sich bald überzeugen, daß es nicht viel helfen würde; ein einziger starker Wogenschwall mußte sie wieder aufreißen.
Das waren traurige Aussichten – und doch that eine baldige Flucht noth, wenn sie nicht verhungern sollten. Nun setzte er die Nacht, in welcher Veronika und Babette die Thüre durchsägten, zur Ausführung der Flucht fest; aber es sollte nicht mit dem durchlöcherten Boote geschehen, sondern mit dem andern, dessen Boden noch unversehrt war. Das war leichter gedacht als gethan, besonders da er auf keine fremde Hilfe rechnen durfte, sondern auf seine eigenen Kräfte angewiesen war. So ein Boot ist schwer, viel zu schwer für einen einzigen Menschen, besonders wenn es in der größten Stille von einer Schiffsseite auf die andere transportirt werden und ein anderes an seine Stelle gehängt werden muß.
Aber er verzweifelte nicht. Mit einbrechender Nacht, da alles rings um ihn her ruhig geworden war, überließ er das Steuer seinem Schicksale. Was konnte ihm auch jetzt daran liegen, wohin der Kurs ging. Die Wache wurde unter irgend einem Vorwande an das entgegengesetzte Ende des Schiffes beordert; und nun machte er sich an's Werk, den Boden mit Seife zu beschmieren. Vermittelst eines wohlersonnenen und bis dahin vorsichtig verborgenen Flaschenzuges brachte er das eine der schwebenden Boote auf das Deck und über dasselbe hinweg bis zu seinem neuen Bestimmungsort; aber es kostete eine furchtbare Anstrengung; fast verzweifelte er an dem Gelingen.
Endlich hing das unversehrte Boot in den Rollen an seinem richtigen Platze; die Arbeit war halb gethan. Jetzt erhob sich der Wind stärker, ein Umstand, der ihm so fern günstig war, als er sich beim Hinüberschaffen des zweiten Bootes weniger in Acht zu nehmen brauchte, um Geräusch zu vermeiden, der ihm aber auch leicht die Wache auf den Hals ziehen und sein ganzes Unternehmen verrathen konnte.
Während er mit riesiger Anstrengung schaffte, hörte er die Säge der beiden Mädchen. Er hielt inne und lauschte. Bald überzeugte er sich, daß sie mit einem Befreiungsplane umgingen. Das erfüllte sein Herz mit grenzenloser Freude, denn es sparte ihm Zeit und begünstigte das Entkommen.
Fast zu gleicher Zeit waren sie fertig; deutlich sah er sie aus der Kajüte emportauchen und in die Küche eilen, aber noch konnte und durfte er sich ihnen nicht nähern, weil ihm noch verschiedene nothwendige Gegenstände fehlten, die er erst herbeischaffen und in der Kajütentreppe verbergen mußte.
Als sie nun bald nachher entdeckt wurden und die ganze Mannschaft nach und nach aus ihren Schlafstellen kroch, konnte er den Plan nicht mehr ausführen. Wie er mit List dennoch zum Ziele gelangte, haben wir bereits gehört.
Cornelius Schwerdtlein glaubte äußerst klug verfahren zu haben und schaute dem Boote mit einem grinsenden Lachen nach, als es hinter einem Wogenberge verschwand. Wohl bekomm's, rief er laut genug, um von den zunächst Stehenden verstanden zu werden. Jetzt ist's aus mit euch, und was ihr verrathen wolltet, liegt kirchthurmtief in den schweigenden Abgründen des Meeres begraben. Wie sich mein Herr Vetter Dionisius Elster wundern wird, wenn er hört, daß die beiden Veronika mit sammt der schönen Ladung schmählich zu Grunde gegangen sind, und daß sein opferwilliger Vetter Schwerdtlein nur mit dem nackten Leben davongekommen ist.
Weiter setzte er den Monolog nicht fort, wenigstens nicht laut, aber in stillverschwiegener Brust hatte die Rede doch eine Fortsetzung, und diese lautete ungefähr so: Mit Euch Vieren bin ich fertig; mit den Andern werde ich's wohl auch werden, wenn Schiff und Ladung versilbert sind; oder auch eher, je nachdem sich's trifft.
Der neue Tag war indessen angebrochen, aber über den brausenden Wellen ruhte gleichwohl stockfinstere Nacht, welche nur von Zeit zu Zeit von einem flackernden Blitze erleuchtet wurde. Mit dem gebrechlichen Boote aber war die Hand Gottes; nachdem es vierundzwanzig Stunden lang wie eine Nußschale umhergeworfen worden war, erkannte der Steuermann bei einem neuen Blitze, daß sie sich dem Ufer näherten. Es konnte natürlich nur eine Insel sein, aber welche, das wußte er ebensowenig, wie die beiden Mädchen. Es war ihm übrigens auch ganz gleichgültig; festes Land und ein dichter Wald, welcher sich auf demselben ausbreitete, das war ihm genug. Danket Gott, sprach er zu den weinenden Mädchen, wir sind gerettet.
Veronika, welche sich während ihrer Fahrt längst in den Tod ergeben hatte, erhob den Kopf aus dem Schooße und erblickte den nahen Wald. Mit einem lauten Freudenschrei fiel sie Babetten um den Hals. Lange hielten sie sich fest umschlungen, das Glück und die Seligkeit waren zu groß.
Jetzt stieß das Boot auf den Ufersand; der Steuermann sprang hinaus und zog es an dem Taue so weit an's Ufer, daß Veronika und Babette durch das Wasser waten konnten. Dann holte er den Kranken, hieß die Mädchen ihm folgen und brachte den Kapitän in's Dickicht, wo sie doch einigen Schutz vor dem strömenden Regen fanden. Auch die mitgenommenen Gegenstände holte er herbei und befestigte dann das Boot an einer Palme, welche nahe am Ufer stand.
Vor dem Tode in den Fluthen waren sie nun sicher, aber von Bequemlichkeit fand sich nirgends die leiseste Spur; durchnäßt bis auf die Haut, zum Umfallen müde, hungrig und durstig und dabei an allen Gliedern geschunden und an vielen Stellen des Körpers blutend, konnten sie sich kaum aufrecht halten.
Die beiden Mädchen hatten den Kranken während der Fahrt oft mit Wasser und einigen Krumen Brodes erquickt; er hatte diese Labsale zu sich genommen, ohne ein anderes Lebenszeichen von sich zu geben; auch jetzt lag er steif und unbeweglich und schluckte das eingeträufelte Wasser bewußtlos hinab.
Dieses Werk der Barmherzigkeit war kaum verrichtet, als die Natur ihre Rechte geltend machte; alle drei verfielen trotz Sturm und Regen einem tiefen Schlafe.
Der Steuermann erwachte am nächsten Morgen zuerst. Verwundert sprang er empor, denn rings um ihn her herrschte der helle lichte Tag und die Sonne brannte heiß auf den Ufersand nieder. Veronika und Babette lagen dicht aneinandergedrängt am Stamme einer Palme und schliefen noch fest. Neben ihnen mit Decken belastet lag der Kapitän, die Augen wie im Irrsinne auf den Steuermann gerichtet. Dieser beugte sich zu ihm nieder und fragte, ob er ihn erkännte.
Da schlossen sich die Augen des Kranken wieder und ein schmerzlicher Ton entfloh seinen steifen, gelben Lippen.
Mit Rührung betrachtete der Steuermann die Gruppe und kniete nieder, um dem Allmächtigen für die Rettung aus Todesgefahr zu danken. Sein Blick schweifte mit Entzücken durch das Gezweig der wunderlich geformten Bäume; aber er durfte sich dem Gefühle der Freude, welches ihn vom Zeh bis zum Scheitel durchdrang, nicht lange hingeben; es kam vor Allem darauf an, jetzt einen geeigneten Ort zu finden, wo sie sich niederlassen könnten, bis sie menschliche Wohnungen gefunden hatten.
Er hielt also Umschau: Zur Rechten dehnte sich ein weiter Strand aus, wo Kiesel und kleine Muscheln in der Sonne brannten; eine Hütte war nirgends zu sehen; auch war schwerlich anzunehmen, daß weiterhin das Ufer entlang sich Jemand an dem schatten- und pflanzenlosen Gestade niedergelassen hatte.
Im Walde war eher Hoffnung, Menschen zu finden; er drang also in demselben weiter vor und als das Ufer morastig wurde und kaum noch seine Füße trug, da stieg er auf einen Baum und schaute hinaus. Wenige Schritte von ihm wurde der Morast zum Sumpfe, in welchem es von Krokodillen wimmelte. Eines der furchtbaren Ungeheuer lag auf einer trockenen Stelle und schien mit großem Behagen die Sonnenwärme in sich aufzunehmen.
Er wäre vor Schrecken fast aus den Zweigen und dem gepanzerten Menschenfresser vor den ellenlangen Rachen gefallen.
So leise als möglich glitt er hinab und verließ den ungastlichen Ort. Als er zu seinen Gefährtinnen zurückkam, waren diese ebenfalls erwacht und schauten in großer Angst nach dem Steuermanne um.
Rasch, rasch, rief er, retten wir uns, das Ufer wimmelt von Krokodillen. Fasset, was ihr fassen könnt und eilt zum Boote. Er selbst lud den Kapitän auf seine Schultern und folgte den fliehenden Mädchen.
Im Kahne angekommen fand er, daß sein Schießbedarf noch fehle. Die Mädchen, welche nur die augenblickliche Gefahr vor Augen sahen, wollten ihn bereden, die Sachen ihrem Schicksale zu überlassen; ab er weigerte sich standhaft. Wir sind in einem unbekannten Lande, sprach er, und wissen noch nicht, ob wir die Waffen nicht bald nöthig haben, um uns unserer Haut zu wehren. Jedenfalls bedürfen wir derselben, um irgend ein Wild zu erlegen, welches außer einigen frischen Baumfrüchten auf lange hinaus vielleicht unser einziges Nahrungsmittel sein wird.
Er stieg also wieder aus, um Waffen und Pulver zu holen. Das Krokodill hatte wahrscheinlich seine Anwesenheit gar nicht bemerkt, denn es schlief ruhig weiter und genoß die glühende Sonne.
Am Ufer vorbeirudernd gewahrten sie allenthalben in den brodelnden Morästen das furchtbare Gewürm, und sie dankten Gott auf den Knien, daß er sie in der vergangenen Nacht so wunderbar bewahrt hatte.