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Auf den Feldern ist der Tabak noch nicht ganz abgeerntet. Riesig große grüne Blätter und dazwischen ab und zu ein Schaft mit roten Blüten. Und manche Obstbäume hängen noch im Abendlicht, rot, voll von Äpfeln. Die Porphyrbrüche hinten, die in die Flanken der grünen Berge hineingeschlagen sind, glühen im weichen Licht wie große, blutige Wunden herüber. Auf den Feldern schwelt Rauch von verbranntem Kraut. Auf einem herbstroten Kirschbaum sitzt ein riesiger brauner Bussard, stolz und traurig. Die Obstwälder an den Hängen der Bergstraße verschleiern sich. Die kleinen Ortschaften tanzen dazwischen vorüber. Und ein leichter herbstlicher Dunst zeichnet sich am unteren Hang des blauen, des abendlichen Höhenzugs ab, während der Himmel darüber und die Wälder darunter ganz klar und ganz scharf gezeichnet sind. Es ist so still draußen, trotzdem doch die Lokomotive lärmt, rauchend Funken speit, und der Zug heult und rattert. So ganz still. Wenn man den Kopf zum Fenster herausstreckt, sobald der Zug einmal hält, ist es sehr warm und sehr mild und sehr weich. Denn hier entlang hat sich die Sonne den ganzen Tag in den Südwesthängen gefangen und nun ... und nun atmen noch Felder, Bäume, Steine, Wege, Häuser, alles alles ihre Wärme wieder in dem violetten heraufdämmernden Oktoberabend. Wann kommt eigentlich der Mond heute?
Maud hat innerhalb einer halben Stunde das ganze Kupee unter Glasperlen gesetzt, – wo man hintritt, kullert es, – und rutscht auf dem Fußboden herum, um sie wieder zusammenzusuchen. Ruth fürchtet für ihr Kleid. Aber erstens muß es doch morgen nach der Reise in den Waschzuber und zweitens hält es Fritz Eisner für besser, dem Kind auf der Reise den Willen zu lassen. (Wann nicht?) Vor allem, wenn man noch die ganze Nacht durch mit ihm fahren muß. Endlich soll nicht nur das Kind, sondern man selbst will doch auch schlafen. Und Maud ist nicht dumm genug, um solche Zwangslage nicht auszunutzen. Aber ehe man sich versieht, ist sie doch müde, und wird mit Kissen und Decke auf der einen Bank verstaut.
»Ist das scho der Liegewage?« sagt sie, ehe sie etwas hinübernickt unter den Schienenstößen.
»Nein, keine Ahnung, der kommt erst in Frankfurt, da essen wir noch Abendbrot, du kriegst auch ein ganzes Bett für dich allein, paß auf.«
Aber Maud hört schon gar nicht mehr, und Fritz Eisner und Ruth sitzen ruhig gegenüber – ›zwei Wächter an den Toren ihres Lebens‹ – reden kaum, um das Kind nicht wieder zu wecken und hören, wie der Zug in den letzten brandig roten Abend hineindröhnt, der immer dunkler wird. Der Mond kommt wohl auch erst später? Wann ist er eigentlich gestern gekommen?
Hinter Darmstadt sind alle Felder schon kahl (soviel man davon sehen kann!). Es riecht multrig, und eine scharfe Herbstluft weht durch die Ventilationsklappen herein. Man würde eine Zeitung lesen, wenn die Beleuchtung nicht so ungenügend wäre.
Und dann erst durch Wald einige Lichter, und bald darauf poltert der Zug über eine Brücke hin und das Wasser, das von Nebeln verschleiert ist, ist von den Strahlenfächern der Laternen am Kai überspült. Da hinten muß man schon den Domturm sehen können, aber es ist wohl zu dunkel. Ach nein, siehst du, gerade in die letzte rote Stelle schneidet die schwarze schwere Kontur ... nicht schön, aber doch irgendwie eine unvollendete Symphonie und ein Wahrzeichen.
»Jetzt überschreiten wir die Mainlinie unseres Lebens, Nuckelino«, sagt Fritz Eisner. Er versteht nicht, warum das eigentlich alles so schnell kam. Es ist ihm über den Kopf gewachsen. Wozu sitzt er wieder jetzt hier in der Bahn? Gewiß, seine Vorfahren vor dreitausend Jahren waren Nomaden ... aber in seinen Adern ist eigentlich nicht viel Nomadenblut mehr ... er ist ein Bürger mit all seinem Hang zum Sammeln, zum Besitz, und dabei trudelt er trotzdem seit zehn Jahren und länger immer wieder hin und her wie ein Postpaket, das seinen Adressaten nicht findet.
»Ich werde jetzt das Kind hoch nehmen müssen«, sagt Ruth.
Es gibt Kinder, die unfreundlich sind und weinen und quarren, wenn man sie aufnimmt, und es gibt welche, die tun, als ob man ihnen damit eine besondere Liebenswürdigkeit erwiese ... die letzte Sorte ist rar und hat zwei Sterne ... aber Maud gehörte zu ihnen. Vielleicht war auch der Gedanke an den »Liegewage« unterirdisch als freundlicher Aspekt in ihr wach geblieben, denn sie lächelte sofort ihren Vater an und sagte: »Liegewage«, ganz leise zwar, aber deutlich.
Irgendwo hing auch jetzt ein Mond draußen, aber er leuchtet nicht durch den Dunst der Stadt und die Feuchtigkeit der kalten Oktobernacht. Die riesige Halle, der gigantische Schildkrötenbuckel ist dunstig, voll Rauch und voll Nebel, der von außen hereinquillt, kalt und unfroh, und die Menschen huschen, denn schlecht erleuchtet war er auch, auf den langen Bahnsteigen wie Ratten herum. Auch war man beunruhigt, irgendetwas schwirrte wieder in der Luft. Man kaufte allerhand Zeitungen, und um Einzelne bildeten sich Gruppen, weil sie erzählten. Aber Rechtes war nicht zu erfahren. Ruth hätte sich zwar gern mit hingestellt, aber endlich erfuhr man doch nichts Genaues, und dann konnte man das mit Maud, die ein wenig vor Müdigkeit herumtorkelte, doch nicht recht. Und außerdem war man das in all den Jahren so gewohnt, und zum Schluß war ja, was auch immer kam, am nächsten Tag die Sonne doch aufgegangen. Morgen wird man das in den Zeitungen lesen und in einer Woche wird niemand mehr davon sprechen... Ob ihr Zug schon dastand? Nein, er war noch nicht zusammengestellt, »noch nit, in e halben Stund, eppes«, sagte der Gepäckträger. Nun ging man hinüber in den Wartesaal solange, man kann zu jeder Tages- und Nachtzeit in einen Wartesaal gehen. Immer schlafen da Leute und immer ist dementsprechend schlechte Luft. Dabei sind sie schon meist so hoch, daß man die Decken kaum sehen kann. Neben drei Hessenmädchen in Tracht mit den frischen Gesichtern aus Holz, die bunt und ganz steif und wortlos nebeneinander hockten und vor sich hindösten – kein Wunder, daß die Maler sie so gern malen, sie sitzen so gut... also Maud sperrte Mund und Nase auf: »Schau emol, Papap, da sitzt das Rotkäppchen aus mei Buch« ... neben den drei bunten Hessenmädchen saß oder richtiger lag oder noch besser eigentlich beides, ein alter Mann mit einem gefransten Bart, mit einer goldenen Brille, die auf der Nasenspitze hing, hatte den Kopf mit dem weitoffenen Mund seitlich auf die Banklehne fallen lassen und schnarchte leise vor sich hin. Die rechte Hand hing schlaff herab und um das Handgelenk war ein Bindfaden gebunden, der mit dem anderen Ende wiederum um den Ledergriff seines armseligen geplatzten und zusammengeschnürten Köfferchens vor ihm auf den Dielen geknotet war. Dabei sah der Mann gar nicht aus, als ob er Reichtümer in seinem Koffer verborgen hätte, und noch weniger, als ob er fürchten müsse, bestohlen zu werden. Im Gegenteil, jeder anständige Dieb hätte ihm etwas heimlich in die Tasche gesteckt. Außerdem war das gar nicht mehr so schlimm. Das hatte schon wieder aufgehört, nachgelassen mit dem Stehlen. Stehlen konnte man ja immer noch, soviel man wollte, aber man wurde die Sachen nicht mehr los, und die Herren Hehler drückten die Preise in geradezu unanständiger Art. Und vielleicht hatten sie auch recht, denn sie hatten sich des jahrelangen Überangebots wegen verspekuliert und saßen bis über den Hals in Ware. Wirklich, man fing schon wieder an, beinahe ehrlich zu werden. Und der alte Mann kam mit seiner Übervorsicht, wie überall im Leben, wieder mal zu spät.
Maud hat sich eine Murmel heimlich eingesteckt und spielt auf der Bank damit zum Mißfallen zweier Frauen, die sie anstößt dabei, so daß man es ihr verbieten muß. Aber sie nimmt ruhig ihre Puppe Halanchen und läßt sie Eisenbahn fahren stattdessen.
Aber wie sie herauskommen, da ist es schon bald Zeit, zum Liegewagen zu gehen, und Maud ist auch zufrieden, wie ihr Fritz Eisner was aus dem Automaten zieht und ihr schöne goldige Weintrauben kauft und für Ruth Äpfel und späte rotfleischige Pfirsiche, und was es noch da alles in der Bude hat. Und außerdem haben sie ja zwei Thermosflaschen mit Milch und Tee (oder ist's Kaffee?), die Hauptsache ist, daß es warm bleibt. Und Eier und kaltes Fleisch und Brote und wer weiß was noch. Sie werden die Nacht überstehen. Und morgen früh ist man da. In Berlin.
Also der »Liegewage« sieht wirklich nicht prima aus. – Fritz Eisner ist etwas beschämt Maud gegenüber. Es ist verdammt eng darin. Vor den Bettgestellen kann man sich kaum umdrehen und draußen auf dem Gang auch nicht. Auch ist er so dürftig erleuchtet. Wenn man sich unten aufs Bett setzt, muß man oben den Kopf einziehen und stößt sich außerdem die Kniekehlen. Der erste und der zweite liegen wie bei einer Bergwerksverschüttung. Und der oberste wie in einem Armensarg. Außerdem hängt ihr Abteil natürlich haargenau über der Achse. Es gibt kein Waschbecken, keine blanken Haken, an denen man zieht, und es kommt kein Wunder aus der Wand. Und vor allem, das ist ja das Tiefbedauerliche für Maud, nicht einmal einen Nachttopf. Und wenn auch einen noch so kleinen! Und was die Polsterung sein soll, ist staubig, dürftig und hart. Man weiß nicht, wie man sich ausziehen, und wenn man mal ausgezogen, wie man sich je wieder anziehen soll. Es sei denn, man hat sein Lebtag auf Schlangenmensch trainiert.
Maud sagt gar nichts. Ist sogar ganz freundlich zu ihren Eltern. Aber sie sieht ihren Vater nur etwas vorwurfsvoll von der Seite an.
»Na, sieh mal, ist das nicht schön hier?« meint Ruth.
Maud nimmt noch einmal von allem Inventar auf, interessiert sich etwas für den Aschbecher, den sie hinwirft, äußert sich aber nicht, weder ablehnend noch zustimmend. Nur als man sie fragt, ob sie nun allein oder mit der Mutti zusammen schlafen will, sagt sie: »Mit der Mutti.« Dafür können ja »Erna« und »Halanchen« in ihrem Bett schlafen.
Als aber der Wagen umrangiert wird irgendwie, da gefällt es ihr: »Noch emol«, sagt sie, »es hat so schön gebummt«.
»Siehst du, deine Aster ist schon ganz welk«, sagt Ruth.
»Gott, na ja«, meint Fritz Eisner leise, »Schlafwagen wäre eben doch viel teurer gewesen, und zweiter sogar auch. Und ich lebe ungern nach der Steuerstufe anderer Menschen. Weißt du, nun leg das Kind hin, je eher es schläft, desto besser. Ich stell mich solange auf den Gang und rauche eine Zigarette.« Ich glaube nebenbei, der Zug fährt schon wieder.
Und dann steht Fritz Eisner draußen am Fenster, und die stumpfe leicht grünlich vom Mond angefärbte Nebelnacht, in die der Rauch der Lokomotive hineinschlägt, zieht draußen vorüber. Lichter von Laternen und Fenstern quälen sich hindurch und nur wie ein Leuchtturm strahlt eine hohe Glaswand von einem Krankenhaus herüber. Da ist sehr grelles Licht. Anders kann man des Nachts nur schwer operieren. Da drüben geht's auf Leben und Tod, denkt Fritz Eisner. Das tut's immer in diesem Dasein. Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Und man saust immer nur mit Schnellzugsgeschwindigkeit daran vorbei. Solange es eben der andere und nicht man selbst ist. Man sollte nicht nach Norden fahren. Das Leben wird zu hart da oben.
Und dann nach einer Stunde, in der der Rauch der Lokomotive mal nach rechts und mal nach links tanzte und man zweimal das Fenster schließen mußte, weil es zu kalt herein kam, und zweimal aufmachen, weil die Luft so warm und so trocken war, daß selbst eine Flasche Wasser, die der Schlafwagenmann verhandelte, und die nach dem Gummiverschluß schmeckte, das nicht behob, und nachdem Fritz Eisner durch die Belehrungen eines Monteurs beinah Fachmann für Lederspaltmaschinen geworden wäre und sich einem anderen gegenüber geäußert hatte, daß er ganz seiner Ansicht wäre, daß die deutsche Leistungsfähigkeit und besonders die der Firma, die jener seit gleich nach dem Kriege schon verträte, gerade in gebogenen Sitzmöbeln immer noch in der Welt voran und führend sei ... auch was den Geschmack anbeträfe! (Er kenne diese Branche ganz genau, hatte Fritz Eisner versichert) – ging er ganz leise hinein, knipste nicht mal Licht und kletterte dann vorsichtig die Leiter anlehnend, ganz oben in seinen Armensarg hinauf.
Eine halbe Stunde lang hatte er noch das Gefühl, als hätte er versehentlich beim Abendessen eine Ziehharmonika mit verschluckt, die nun in seinem Magen ständig langgezogen und wieder klein gequetscht wurde mit jedem neuen Schienenstoß. Aber wie er glaubte, ein paar Minuten geschlafen zu haben und wieder die Augen aufmachte, da wunderte er sich, daß solch ein weißlicher Schimmer durch die Spalten der Gardinen kam, wie er zum Beispiel zu Mondlicht doch durchaus nicht passen wollte, und da war es schon bald auf sieben, und Maud krähte im untersten Bett und gab ihren beiden Puppen Erna und Halanchen eine Nachhilfestunde, die darin bestand, daß sie sie anbrüllte, verprügelte und in die Ecke stellte. Merkwürdig, wie das Kind doch a priori das Wesen der Schule erfaßt hat. Oder hat sie das den Spielen der älteren Kinder mit Erfahrungen abgesehen? denkt Fritz Eisner.
Und Ruth ist sogar schon hinausgegangen, sich waschen und schön machen. Und dann frühstückt man ganz gut zum erstenmal. Der Tee im Thermos ist heiß geblieben und duftet nach China. Und dann stehen alle drei am Fenster draußen im Gang, denn Maud muß heraussehen beim Fahren, dafür ist sie Kind. Und Fritz Eisner ist darin ein ewiges Kind geblieben, daß er auch vom Fenster nie fortkommt, und daß ihm, der doch mehr als halb Europa kennt, immer wieder das Erlebnis des Vorübersausens der Dinge, Menschen, Häuser, Bäume, Tier und Wiese, das Hindurchsausen durch die Wälder, das ewig Wechselnde und ewig gleiche Gesicht dieser Welt, doch ewig neu, ewig anziehend und ewig unheimlich bleibt. Oh, ist das schon herbstlich hier! Stoppeln, Stoppeln und die Wälder sind braun, fangen schon an, dünn zu werden. Die Kiefern stehen im welken Gras, alles ist weiß und flach. Ein paar gelbe Birken tanzen am Zug entlang. Der Himmel will blau sein, ist aber fast weiß. Und kein Dorf in der weiten ausgebleichten Ackererde. Kaum mal ein einzelnes rotes Dach hinten in der Ebene. Ein paar Hühner neben dem Bahndamm in der Sonne. Und ein Hahn dabei, in dessen Schwanz der Wind vom Zug pustet, daß ihm die Federn fast bis über den Kopf schlagen.
Hier geht das immer so weiter, denkt Fritz Eisner, endlos die Ebene bis an den Ural. Unten da war Rom noch nicht zu Ende, war noch eine Macht. Und hier fängt schon die andere Macht, hier fängt Rußland an.
»Schau mal, Pap, was sind denn dies für viele große Vögele?« meint Maud.
Richtig, ein ganzes Feld ist voll von Nebelkrähen. Manche flattern etwas vor dem Zug auf, manche bleiben sitzen und sehen zu ihm erstaunt und halb frech herauf: Was hast du hier zu suchen? Hier herrschen wir von heute an, Nebelkrähen, die Krähe Schwermut. Nun bin ich wieder oben, da, wo ich herkomme. Und der ganze Himmel da hinten auch ein einziger Riesenflug von ihnen in der gelben steigenden Morgensonne, gar nicht endend, so viele. Lange werden sie noch nicht hier sein. Von oben aus dem Norden kommen sie. Aus Schweden, aus den Tundren kommen sie. Vom weißen Meer. Aus Rußland. Muß oben einen harten Winter heuer geben, daß sie schon da sind, denkt Fritz Eisner.
»Das sind Krähen, Krappes, weißt« ... denn die kennt sie.
»A bah«, sagt Maud, »das sind keine Krapps, Krapps sind ganz schwarz. Und die haben sich schmutzig gemacht.« ... Grau kennt sie wieder noch nicht ... Nur rot und blau und weiß und grün und gelb gerade.
Richtig, die kommen gar nicht so weit herunter, sind jenseits des Mains seltener als ein toter Esel. »Das sind Nebelkrähen, Mausi, Nebel ...«
Der Zugmann hat inzwischen aus dem Kupee mit Hochschlagen der Betten ein ganz nettes grünes Wigwam zusammengebaut, auf dem man halb sitzen und halb liegen kann. Ruth hockt wieder in ihrer Lieblingsstellung wie auf einer etruskischen Grabkiste, und Maud sitzt wie eine kleine Türkin mit untergeschlagenen Beinen. Außerdem hat ihr der Monteur einen Sahnenbonbon und der gebogene Sitzmöbelreisende ein halbes Täfelchen einer garantiert gepaschten neuen Schweizer Schokoladenmarke geschenkt, und das hebt ihre Stimmung, die beim Aufwachen weniger rosig als die Morgenröte draußen war. Sie liebt es, etwas geschenkt zu bekommen. Was, ist gleich. Es ist eben immer das Neue in ihrem kleinen Dasein.
»Komm, ich gieß dir noch ein. Sieh mal, was ist denn das da drüben?« Plötzlich ist die Bahn mit anderen Schienensträngen zusammengestoßen.
»Das?«, sagt Fritz Eisner, »das kann nur der Wannsee sein. Die lange Nacht ist nun herum, wie fahren still, wir fahren stumm, wir fahren ins Verderben.«
»Ach Unsinn, Jorry!« ruft Ruth und wirft sich – es steht gerade draußen keiner im Gang, denn alle sind hineingegangen, das Gepäck zumachen und herunterheben – Fritz Eisner um den Hals und küßt ihn, was Maud aus Eifersucht an der anderen Seite, sie steigt ihm auf den Rücken dabei, zu gleichem veranlaßt. »Paß auf, ich mach es dir hübsch bei uns, und hier haben wir doch wieder Menschen, und du hast deine alten Leute doch auch.« (Wen denn? denkt Fritz Eisner.) »Und um Paul Gumpert mußt du dich gerade jetzt doppelt kümmern. Bei mir ist er dagewesen, wie ich ihn brauchte ... und Spanier mußt du bald anrufen. Ach laß das Spülwasser. Die Käte kocht uns gleich einen Kaffee. Ich hab sie an die Bahn bestellt.«
»Ist denn die Käte noch immer vorhanden?« sagt Fritz Eisner und lächelt zu Ruth herüber. »Ich glaube, die ist nie wieder in ihrem Leben soviel in den Kientopp gekommen wie damals im Sommer 1918.«
Und Fritz Eisner und seine Frau pruschen los, stimmen ein Gelächter an, daß der gebogene Sitzmöbelreisende, der vorbei geht, grinsend sagt: »Na, bei Ihnen jehts ja heiter zu! Eine kleene, aber jlückliche Familie. Des laß ick mir jefallen.«
»Was habt ihr denn so gelacht?«, fragt Maud.
»Ach, weißt du«, sagt Ruth, »bevor du auf der Welt warst, wenn der Pap des Abends zu mir kam, da haben wir die Käte immer ins Kino geschickt, damit sie nicht an den Türen horcht wie die Frau Zehrer, wovon wir reden.«
»Ich will auch ins Kino«, sagt Maud, denn sie beginnt schon, sich großstädtisch umzustellen.
Und dann wird die Gegend immer bekannter. Die Kiefern des Grunewalds sagen Guten Tag. Selbst die paar alten Eichen dazwischen nicken herüber. Auf den Rot-Weißplätzen spielt ein Trainer mit zwei Damen, und dann kommen wieder nach nächtlichen Neubauten und entstehenden Villenreihen – aber sie werden eine wie die andere aus Zement oder so etwas gebaut (»so etwas haben wir ja daheim auch«, meint Fritz Eisner, wobei er mit daheim das bezeichnet, wo sie herkommen) ... Ketten von D-Wagen, Güterwagen, Stadtbahnwagen, Schlafwagen, blauen Luxuscars. Und dahinter Straßenzüge mit grauen Giebeln, und dann ist der Bahnhof Charlottenburg da. Stadtbahnzüge voller Arbeiter, ein Gewimmel von Menschen, eine Kette von Gepäckträgern wie eine Ehrengarde für den Zug und das stille treue Gesicht des Mädchens von 1918 her.
»Also junger Mann«, sagt Fritz Eisner zu dem Träger, der ungefähr sein Vater sein könnte, »ein Auto, wenn sie nicht gerade streiken«.
»Des tun se erst morgen wieda«, sagte der Träger. Das war zwar nicht wahr, aber jedenfalls sagte er es mal so.
Wirklich, am liebsten hätte Fritz Eisner mit dem Gepäckträger gleich Brüderschaft gemacht. Das war doch mal wieder ein Mann, mit dem man sich unterhalten konnte. Wenn man nur dieses gräßliche Berlin auf dem Globus sechs- bis siebenhundert südwestlich so da in die Nähe von Freiburg hindrehen könnte, wäre es sogar eine ganz erträgliche Angelegenheit. Gewiß, die Luft war frisch, eigentlich kalt beinah gegen gestern da unten, aber sie geht einem in die Knochen. Man ist munter und helle dabei.
Auch Ruth atmet tief auf. Sie geht sehr langsam, hält sich etwas beim Gehen die Seite. Sie hätte nicht gut gelegen mit dem Kind, und es war etwas hart gewesen, es sticht sie da was, meint sie, aber diese Frische tut ihr doch wieder wohl, meint sie. Hitze verträgt sie nicht gut.
»Du«, sagt sie und lächelt ihren Mann immer noch an, wenn auch etwas abgespannt und leicht verkniffen, »du, ich kenne einen, der gleich sagen wird, die Sache mit der Luft haben sie hier raus.«
Irgendwie war unterwegs geheimnisvoll noch ein schöner weißblauer Salonwagen an den Zug angehängt worden. – Wo, wissen die Götter! – Und nun hing er da ganz hinten am Zug und war stolz auf sich. Drei Herren mit Zylindern und schlank bei Taille und gut rasiert, sicher im Privatleben durchaus scharmante Menschen, standen davor und begrüßten mit vielen Manieren in einem flotten und erstaunlich akzentlosen Französisch drei ebensolche Herren, die sich vorerst einmal, bis sie selbst aussteigen würden ... aber vielleicht taten sie das erst an der Friedrichstraße, die Wege der Diplomatie sind unerforschlich, – also leicht über die herabgelassenen breiten Scheiben lehnten. Während einige andere Männer in weniger distingierten Kluften, aber dafür breitschultriger, in respektvoller Entfernung davon standen. Denn sie hatten dafür zu sorgen, daß die fremden Diplomaten, und das waren sie, das sah man auf den ersten Blick, die hier von den einheimischen Kollegen begrüßt wurden, nicht etwa belästigt würden. So etwas gibt unvorhergesehene Verwicklungen, und man muß sich dann nachher nur entschuldigen.
Da die im Fenster sehr gutes Französisch sprechen, besser eigentlich als die Franzosen, und da sie dabei italienischer als die Italiener aussehen, so sind es vermutlich Rumänen.
Ruth, die all so etwas furchtbar anzieht, will stehen bleiben. Aber kaum hat sie den einen Fuß einen Augenblick auf der Stelle gelassen, so bedeutet ihr schon der eine, der jüngere von den beiden Breitschultrigen, daß sie weiter gehen möchte.
Wirklich, es ist kein Auto zu sehen. Vielleicht streiken sie doch. Sie stehen und sehen nach allen Seiten die Straßen hinunter. Die sind eigentlich ziemlich leer, ungereinigt und recht verwahrlost, genau wie die Häuser, deren Stuck die Lepra bekommen hat. Ganze Arme und Beine an Putten und Figuren hat sie schon abgefressen. Auf den grünen Rabatten an den Abhängen der Bahn blüht noch allerhand wirr durcheinander. Kanadische Goldrute, Astern und Sonnenblumen sogar. Aber es ist doch alles stark zerfleddert und verlaust. Maud will über den Rasen laufen, dem Papa ein Asterchen holen. Ach Gott, hier darf man das nicht. Na ja. Das Licht ist weiß und es scheint eine Sonne von wolkenlosem Himmel, denkt Fritz Eisner, und die Leute, die hier leben, denken sicher, daß es ein sehr schöner Herbsttag ist, und wenn man eine Weile hier wieder so ansässig ist, glaubt man es wirklich sogar selbst. Alte Häuser haben unten herum neue Bauchbinden bekommen, Läden sind ausgebrochen worden und mit künstlichen Marmorwesten und noch mehr künstlicher Schrift umkleidet worden. Die Straßenbäume, Linden, Ulmen und Kastanien sind schon ganz kahl, aber manchen hat ihr verlorenes Sommerkleid wieder leid getan, und sie haben nochmal deshalb ganz kleine lichtgrüne Blätter bekommen. Ja, eine Kastanie blüht und grünt sogar zum zweitenmal. Aber es ist nichts Rechtes damit. Es ist eher traurig als lustig. Man sieht noch viele Arbeiter und Männer in alten Uniformstücken, 'ne Hose, 'ne Jacke oder 'nen Mantel, 'ne Mütze. Denn es gibt immer noch nichts an Anzügen, und die da sind wenigstens mal aus Tuch gewesen. Woraus aber die sind, graugrün und violett, die zum Beispiel da drüben an den Puppen mit den smarten Holzgesichtern im Schaufenster, die Maud ganz ängstlich anstarrt, lappig, wie an alten Vogelscheuchen, hängen ... woraus die Anzüge da sind, darüber ist nichts Genaues bekannt, wenn auch »garantiert reine Wolle« dransteht und »nur vierhundert Millionen Mark«. Der Zeitungskiosk an der Ecke ist ganz mit bunten Revuen überklebt. Auf allen ist dasselbe Bild drauf, nur etwas variiert: Die Sonne, Nacktkultur, Das Mäuschen, Die Junggesellin, Mann und Weib, Der Detektiv, Der Satyr, Ohne Feigenblatt – liest Fritz Eisner. Wer kauft den Dreck nur?
Ein feldgrauer Kriegszitterer, – ein verspäteter mit Streichhölzern und mit englischen Zigaretten –, denn das ist unmodern geworden, seitdem Rosenemil diesen Erwerbszweig am 8. November 1918 ins Leben rief, denkt Fritz Eisner, also solch Kriegszitterer sitzt neben der Zeitungsbude und schüttelt sich zum großen Vergnügen von Maud, die denkt, der Mann hat sich ein neues Spielchen ersonnen. Das wird sie nachmachen.
Rosenemil? Wie mags Rosenemil gehen? Das letztemal habe ich ihn nachts in der Bar in München einen Tag vor Mauds Geburt getroffen. Ob der immer noch in seiner Villa in Westend mit der altdeutschen Trinkstube sitzt oder schon in seinem Schloß auf Schwanenwerder?
Gott sei Dank, endlich kommt ein Auto! Also kommt schon mal 'ne leere Droschke, sitzt sicher einer drin! Und außerdem ist's ein Privatwagen, sogar ein Chrysler, wie der von Paul Gumpert. Und gerade vor ihnen hält er. »Der könnte einen wirklich mitnehmen«, sagt Fritz Eisner halblaut zu Ruth (vielleicht ist ihr das Stehen gar nicht gesund – sie sagt zwar nichts, – doch sie hält sich oben die linke Seite) »aber es muß doch endlich ein Auto kommen«.
Na, das ist ja merkwürdig. Also ich habe doch immer solche Ahnungen. Wie kann ich denn nur den Kerl anreden? Und wirklich, er erkennt mich auch.
Das sagt sich Fritz Eisner, während so langsam erst ein Stock mit Silbergriff mit einer Gummizwinge und dann ein etwas steifes Bein in einer sehr scharf gebügelten englischen Hose – die Falte wie eine Rasierklinge so scharf – aus dem Wagen heraustastet, dann ein Jakett in der Tür sichtbar wird, nebenbei zuerst das Unterteil des Jaketts, und dann, mit einer schrägen seitlichen Drehung, der ganze große etwas schwere Mann mit den sehr glatt gescheitelten Haaren, die nicht mehr ganz so strohblond sind, und mit den etwas wässrigen Augen, die aber ein wenig von der Kälte, die sie ehedem hatten, eingebüßt haben – wie all das langsam dem Bein und dem Jakett folgt. Na ja, die Augen sind nicht mehr ganz die alten, denkt Fritz Eisner. Denn solch ein abgehalfterter Zuhälter, auf den die Polente scharf ist und den sie zu gern nach Rummelsburg ins Arbeitshaus bringen möchte, der hats früher nicht leicht gehabt und der mußte schon verdammt auf dem Quivive sein, damit sie ihn nicht doch nochmal schnappten, wenn er auch 'nen ehrlichen Beruf jetzt hat und vor Wertheim und der Untergrund Blumen ausschreit. (Aber, das ist nun auch wieder sechs, sieben Jahre her.) Kennen tun wir beide uns jetzt so über zwanzig Jahr bald, denkt Fritz Eisner. Alter Junge du! Also, die Augen haben jedenfalls etwas von der ruhigen Kühle eingebüßt. Endlich fährt der Mann jetzt selbst einen Chryslerwagen und wird nicht mehr von den Autos nur mit Dreck bespritzt. Das gibt eine sympathischere Lebensauffassung.
Wirklich, Rosenemil ist ganz nett geworden, hat sogar ein beinah weiches Gesicht bekommen. Überhaupt ein Gesicht. Früher hatte er doch nur eine Physiognomie. Menschen werden überhaupt manchmal im Alter besser. Wenn was mit ihnen los ist.
Rosenemil lacht Fritz Eisner an. Fritz Eisner lacht Rosenemil an. Und auch Maud lacht Rosenemil vertraulich an. Nur Ruth bleibt sehr reserviert. Daß Maud Rosenemil anlacht, ist ein gutes Zeichen, denn Kinder haben für schlechte Menschen einen sehr sicheren Instinkt. Und das ist doch eigentlich ein ganz freundlicher Mann, sagt sich Maud, oder sagt es wortlos in ihr.
»Ah, Herr Generaldirektor«, jubelt Fritz Eisner. In dubio Generaldirektor, das paßt bei so etwas immer, da vergreift man sich nur selten nach unten. Donnerwetter, wenn ich nur wüßte, wie Rosenemil mit seinem bürgerlichen Namen hieß, früher, wie er vor de Unterjrund vor Wertheim Rosen ausjeschrien, hat ihn doch keen Mensch von seinen vertrauten Kunden – Dr. Groß und Paul Gumpert gehörten auch dazu – anders als Rosenemil genannt. »Gestatten Sie, Herr Generaldirektor, daß ich Sie meiner Frau vorstelle! Fünf Minuten ist man in Berlin, trifft man schon 'nen alten Bekannten. Wie geht's Ihnen denn? Das ist aber drollig.«
»Aber Herr Doktor«, sagt Rosenemil erstaunt, »Sie hab'n doch frieher 'ne andere jehabt?« Doch dann verbessert er sich. Er will gewiß nicht taktlos sein. »Na ja«, sagt er (also seine Stimme wie 'ne angerostete Gießkanne hat er immer noch), »na ja, frieher hab'n wir auch 'nen Kaiser jehabt. S. M. Und heute sind wir Republik und hab'n eben 'n Präsidenten. Warum soll'n Sie nicht auch een Monarchen, wenn er ihnen nich mehr jefalln hat, absetzen können. Und sich davor 'nen neuen jungen Präsidenten erwählen.« Und dabei legt er Fritz Eisner (er ist wirklich nicht mehr gut zu Fuß, wenn ihm die Karbolfritzen nur nicht bloß noch wieder mal so'n Zeh haben abknipsen müssen) legt er Fritz Eisner die Hand schwer auf die Schulter. »Een Ogenblick, ick will mer bloß 'n paar Zeitungen holen. Jebn Sie den Jungen da, den Bibberer, nischt. Den kenn ick. Det is een Simulant. Der is nie in Krieg jewesen. Vaschüttet is der nie worden; aber verschütt is er mal jegangen. Wissen Se noch, damals in München?«
»Gewiß, in der Nacht ist die Kleine da geboren worden, das heißt, eigentlich am nächsten Morgen erst.«
Rosenemil legt seine sehr schwere und sehr kampfgewohnte Hand Maud sehr zart auf den Kopf. »Ach«, sagt er, »wie nett ... wissen Se nebenbei, de beeden andern, mit denen ick da in München war ... die sitzen! Wie jehts Ihnen denn nu so, Herr Doktor?« (Er schämt sich nicht, wie damals in München, seiner Voraussetzungen, jetzt hat er das anscheinend nicht mehr nötig.) »Wissen Se noch, Sie waren immer een juter Kunde von mir.«
»Na ja, wir sind die ganze Nacht durch gekarrt.«
»Na, doch Schlafwagen«, sagt Rosenemil, so als ob er das nie anders gekannt hätte.
»So ungefähr«, meint Fritz Eisner.
»Liegewage«, ruft Maud, aber sie spricht doch zu sehr Dialekt, und deswegen versteht das der Herr Generaldirektor nicht, und Ruth, die es nicht liebt, daß Kinder sich zu sehr an den Gesprächen der Großen beteiligen, legt ihr die Hand vor den Mund.
»Ja, ich warte hier auf ein Auto, um in ein paar Minuten nach Hause zu kommen.«
»Also ... Doktor, da bring ick Sie doch hin! Aber det macht mir ja jarnischt. Wo sagen Se, dat es is? Also ob ick nu so rum oda so rum nach Westend zurückfahre. Also meine Jnädige, steigen Se bitte ein! Legen Se mal det Jepäck da hinten in den Kasten, Männeken. Mit fünfundzwanzig Millionen ist der Mann bezahlt und sojar ieberjlücklich. Sie kommen zu mir nach vor. Ich muß ja 'nen Wagen hab'n, denn mit de Beene jehts nu jarnich mehr. Det is nich Luxus bei mir.«
Aber so vertraut, direkt so neben Rosenemil hat Fritz Eisner nun noch nie gesessen. »Na, wie geht's Ihnen so? Wirklich, haben Sie Ihre Villa in Westend, die mit der altdeutschen Trinkstube immer noch oder haben Sie getauscht?«
»Nenee, die Bude, die hab ick noch ... so'n Lausejunge, rennt eenen doch beinah in de Kaffeemühle rin! – Jott, wie's mir jeht? Wenn ick ehrlich sein soll, früher, als ick noch Rosen ausjeschrien habe (die Stimme davon hat er behalten – na ja, schreien Sie mal bald fünfzehn Jahre ›Rosen, schöne, langstielige Rosen, reizende Kinder Floras‹ den ganzen Tag lang bei Wind und Wetter. Das bleibt!) frieher is mer eijentlich wohla jewesen. Sie mögens mir glauben oder nich. Frieher, da bin ick, wissen Se, mit 'nem Nachthemd zu Bette gegangen und verzeihn Se, die Mächens haben sich auch nicht dran jestoßen. Aba jetzt muß ick mir jeden Abend als Husar kostümirn. Un meine alten Kolleg'n, das warn auch nich gerade allens feine Leute, des will ich nich damit jesagt hab'n, Janovens waren's, oder noch was Schlechteres, aba se haben wenigstens Korpsgeist jehabt, und wenn einer was jesagt hat, denn hat man sich wenigstens drauf verlassen können. Na ja, sonst hätt's auch 'ne Reinigung jegeben. Wenn heute mir eener von die andern Brüda was sagt ... strecken Se mal die Hand raus und den Arm: so is jut! ... denn is aba och dat einzije, wat ick weiß: es is nich so! Un wenn mir eener sagt: ›lieba Freund‹, denn weiß ick jenau, er will mir übern Löffel halbieren! Nee, mit so'ne Leute zu vakehren, bin ich nich jewohnt. Das sind keine anständigen Menschen, Herr Dokta.«
»Leben Sie immer noch vom Loch im Westen? Das haben Sie mir damals in München gesagt, Herr Generaldirektor.«
»Ach Quatsch, für meine alten Freunde bin ick zehnmal lieber Rosenemil wie der Generaldirektor von der ›Sprivag‹. Det Loch is nu zujestoppt, det lohnt sich nich mehr.«
»Spritverwendungs-Aktiengesellschaft, Herr Doktor. Aber wissen Se, Sprit ist auch nicht ganz ungefährlich.«
»Sicher sehr explosiv!«
»Na ja, es kann mal explodieren. Aber so wie Sie meinen och nich. Ick mache natierlich auch andere Sachen. Meinen Sie, dat et mit Grundstücke schon zu spät is?«
»Mit Grundstücken ist es nie zu spät«, sagt Fritz Eisner sachkundig.
»Aus 'nem Sprit möcht ick janz jern wieda raus. Die Sache stinkt, glaub ich, langsam. Ick war ja jarnich reinjegangen. Ick bin nur durch die Zollbeamten drauf gekommen, det man des heute so macht. Aber denken Se, Herr Dokta, ick mache det alleene so?«
»Gewiß nicht«, meint Fritz Eisner.
»Aber wenn Se mal 'nen schönen Pelz haben wollen, ick selbst habe se nich, aber ich habe eenen an der Hand, der se hat ... für Ihre junge Frau da ... des kann ick Ihnen janz billig verschaffen. Die teuersten Sorten janz billig. Besuchen Se mich: Ulmenallee 14. Un wenn meine Privatsekretärin Se nich vorlassen will, dann sagen Sie ihr, der Herr Jeneraldirektor hat den Wunsch gehabt, den Herrn persönlich zu empfangen. Dann weeß se schon und – stecken Se doch mal wieda den Arm raus, Herr Dokta – und da kriegen Se eenen Kognak bei mir, da hat sich schon Noah dran besoffen an die Marke. Drei Sterne? So viel Sterne jibts jarnich an Himmel. Die Verbindung mit dem Sekretär von der französischen Botschaft, die hab ick ja noch. Also kommen Se wirklich mal!«
»Sicher, Herr Generaldirektor«, meint Fritz Eisner, »aber hier sind wir schon. Soll ich Ihnen was zureichen, Käte? Sehen Sie lieber, daß meine Frau nichts nimmt. Rufen Sie den Portier. Bleiben Sie doch sitzen! Wozu wollen Sie mit Ihrem kranken Fuß nochmal aus dem Wagen gehen? Es war doch reizend, Ruth, daß uns der Herr Generaldirektor nach Hause gebracht hat.«
»Entschuldigen Se noch eens, Herr Dokta, wie teuer kann so'n ... Sie sind doch gewiß Kenner auf so etwas, wie teuer in Dollars kann so'n Tipulu sein?«
Tipulu? Tipulu?? Was kann Rosenemil damit eigentlich meinen?
»Ja, wissen Se, so des andere, so des Heiligenzeug und ob da eener jemalt is, den ick nich kenne, das mag ick nicht. Nich jeschenkt. Aba Tipulu! Da is eine Frau drauf, sar ick Ihnen, wie aus Marzipan. Und een blauer Himmel mit 'ne Wattewolke wie hinjerotzt. Des is een Himmel! Bei die Auktion Gumpert? Ich habe den Kattalooch jekriegt, da sind zwei bei: Ein jroßer un een kleener. Des soll een Entwurf sein.«
»Hm«, sagt Fritz Eisner, und es ist ihm im Augenblick, als ob ihn jemand ohne Narkose am Herzen operiert, »hmm, die kenn ich, die beiden Tiepolo. Die sind herrlich! Aber ich fürchte, sie werden sehr teuer weggeh'n.«
»Ob man das Stück vor hundert Dollar kriegt? – ick zahl in Devisen!«
»Anders wird das gar nicht genommen. Nö, aber vielleicht für neuntausend Dollar, und dann ist es noch sehr fraglich. Sowas schwimmt bei uns über's Wasser.«
»Neuntausend Dollars? Vor een jebrauchtes Bild, des is aba doch 'ne Menge Jeld«, sagt der Generaldirektor und schüttelt den Kopf. »Jott«, meint er dann, und Fritz Eisner möchte am liebsten dafür Rosenemil einen Kuß geben, »ick würd's ja och davor jeben, wenn icks hätte, – wat hat man denn von's Jeld?! Aba soviel wirft det Geschäft doch nich ab. Das heißt, jetzt hab ick 'ne janz jroße Sache in unsre Sprivag, aba et soll doch och wat fors Alter bleiben.«
»Also nochmals tausend Dank!« Und schon ist Rosenemil mit seinem Chrysler davon. Die Amerikaner haben so nette lautlose Motoren und gehen so leicht an.