Georg Herwegh
Gedichte eines Lebendigen (Band 1)
Georg Herwegh

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Zum Andenken an Georg Büchner

den Verfasser von »Dantons Tod«

Zürich, im Februar 1841

              Die Guten sterben jung,
Und deren Herzen trocken, wie der Staub
Des Sommers, brennen bis zum letzten Stumpf.

I

So hat ein Purpur wieder fallen müssen!
Hast eine Krone wiederum geraubt!
Du schonst die Schlangen zwischen deinen Füßen
Und trittst den jungen Adlern auf das Haupt!
Du läßt die Sterne von dem Himmel sinken
Und Flittergold an deinem Mantel blinken!
Sprich, Schicksal, sprich, was hast du diesen Tempel
So früh in Schutt und Asche hingelegt?
So rein und frisch war dieser Münze Stempel –
Was hast du heute sie schon umgeprägt?
O teurer als im goldenen Pokale
Einst jene Perle der Kleopatra
Lag eine Perle in dem Haupte da;
Der Mörder Tod schlich nächtlich sich ins Haus,
Der rohe Knecht zerbrach die zarte Schale
Und goß den hellen Geist als Opfer aus. –

Mein Büchner tot! Ihr habt mein Herz begraben!
Mein Büchner tot, als seine Hand schon offen
Und als ein Volk schon harrete der Gaben,
Da wird der Fürst von jähem Schlag getroffen;
Der Jugend fehlt ein Führer in der Schlacht,
Um einen Frühling ist die Welt gebracht;
Die Glocke, die im Sturm so rein geklungen,
Ist, da sie Frieden läuten wollt, zersprungen.
Wer weint mit mir? – Nein, ihr begreift es nicht,
Wie zehnfach stets das Herz des Dichters bricht,
Wie blutend, gleich der Sonne, nur sich reißt
Von dieser Erde – stets ein Dichtergeist,
Wie immer, wo er von dem Leib sich löste;
Sein eigner Schmerz beim Scheiden war der größte.
Ein Zepter kann man ruhig fallen sehn,
Wenn einmal nur mit ihm die Hand gespielt,
Von einem Weibe kann man lächelnd gehn,
Wenn man's nur einmal in den Armen hielt;
Der Todesstunde Qual sind jene Schemen,
Die wir mit uns in unsre Grube nehmen,
Die Geister, die am Sterbebette stehn
Und uns um Leben und Gestaltung flehn,
Die schon die junge Morgenröte wittern
Und ihrem Werden bang entgegenzittern,
Des Dichters Qual die ungeborne Welt,
Der Keim, der mit der reifen Garbe fällt.

Ich will euch an ein Dichterlager bringen.
Seht mit dem Tod ihn um die Zukunft ringen,
Seht seines Auges letzten Fieberstrahl,
Seht, wie es trunken in die Leere schaut
Und drein noch sterbend Paradiese baut!
Die Hand zuckt nach der Stirne noch einmal,
Das Herz pocht wilder an die schwachen Rippen,
Das Zauberwort schwebt auf den blassen Lippen –
Noch ein Geheimnis möcht er uns entdecken,
Den letzten, größten Traum ins Dasein wecken. –
O Herr des Himmels, sei ihm jetzt nicht taub!
Noch eine Stunde gönn ihm, o Geschick!
Verlösche uns nicht des Propheten Blick!
Umsonst – es bricht die müde Brust in Staub
Und mit ihr wieder eine Freiheitsstütze,
Aufs stille Herz fällt die gelähmte Hand,
Daß sie im Tod noch vor der Welt es schütze!
Und die so reich vor seinem Geiste stand,
Er darf die Zukunft nicht zur Blüte treiben,
Und seine Träume müssen Träume bleiben;
Ein unvollendet Lied sinkt er ins Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.

Du flammst nun wieder, nach durchbrochner Schranke,
In Gottes Haupt ein leuchtender Gedanke;
Am kalten Herde sitzen wir allein
Und weinen in die Asche still hinein.
Oh, mein Jahrhundert, sammle sie geschwind! –
Er war ein Held, und mehr: Er war dein Kind!
An deiner Brust hast du ihn aufgesäugt,!
Dein Banner einzig hat er ja geschwenkt;
Vor dir allein hat er sein Knie gebeugt,
Vor dir, vor dir allein sein Schwert gesenkt;
Für dich und mit dir hat er kühn gestritten,
Für dich und mit dir hat er treu gelitten;
Um deinetwillen stieß sein Vaterland
Ihn aus, gleich wie der Mutterborn die Welle,
Daß sie am fremden, freudenlosen Strand
Mit allen Himmeln in der Brust zerschelle.
An fremdem, freudenlosem Strande, ja!
Denn wessen Herz stand hier dem seinen nah?
Wo scheu der Mensch den Fuß vom Boden hebt
Und Fels und Stein allein nach oben strebt?
Wo doppelt, doppelt schön der Äther blaut
Und doppelt tief der Mensch zur Erde schaut,
Wo stolze Adler ihre Heimat haben,
Und wo am Ruder sitzen doch die Raben.
Der Alpen Kind, wie ist dein Ruf verhallt!
Einst groß, wie sie, und jetzt, wie sie, nur kalt!

II

Gleich Rosenhauch auf einer Jungfrau Wangen
Seh ich den Abend im Gebirge prangen;
Im zarten Dufte glühen sie vor mir,
Die Gletscher, denen treu die Sonne hier
Ihr erstes und ihr letztes Lächeln zeigt,
Und aus den Flammen wie ein Phönix steigt
Der Mond mit silberstrahlendem Gefieder,
In jede Woge taucht sein Bildnis nieder,
Ob stumm sie ruht, ob leuchtend sie sich bricht,
Sie wird verklärt, und er vergißt sie nicht;
So mag der Geist der Welt in unser Denken,
In jede Blüte, jede Brust sich senken.
Dem Mond streut still mit schmeichelnder Gebärde
Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn –
Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieser Erde,
Die welken müssen, ehe sie vergehn.
Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold das herbstlich gelbe Land,
Und meine Seele sieht in süßer Ruh
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie sie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fließendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich sich, von jeder Form befreit,
Gestaltlos mit dem Element versöhnen.
O Geist der über diesen Wassern lebt
Der hier aus diesen kühlen Gründen taut,
Der aus der Tiefe Himmel widerblaut,
Du Geist des Friedens, der mich jetzt umschwebt,
Der sich den Äther maßlos läßt entfalten,
Der Erde stillen Drang zum Lenz gestalten –
So liebend beut die Luft des Vogels Schwingen
Der Harfe Ton, um drin sich auszuklingen –
Was hast du uns um diesen Stern betrogen
Und, eh es tagen wollte, uns entzogen
Den Genius, der dir so rein verwandt,
Sich in dein All, wie Hauch in Hauch, empfand,
Drein, wie in einer Blume Kelch, sich senkte,
Und draus ein Herz, so gottesdurstig, tränkte?
Du hast ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefste Seele sah,
Um einen Beter bist du selbst gekommen –
Um einen Beter? ei, so staunet, ja!
Um keinen Beter, ruhig, sicher, still, –
Die Flamme bebt, wenn sie nach oben will!
Um keinen Beter – nein, um keinen Wurm –
Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm!
Der Blumen schönste brauchet einen Dorn,
Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn;
Manch heiß Gebet hüllt sich in einen Fluch
Wie unsre Hoffnung in das Leichentuch.

III

Was er geschaffen, ist ein Edelstein,
Drin blitzen Strahlen für die Ewigkeit;
Doch hätt er uns ein Leitstern sollen sein
In dieser halben, irr gewordnen Zeit,
In dieser Zeit, so wetterschwül und bang,
Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang
Und mit der Hand schon nach dem Schwerte zittert,
Zur Hälfte tot, zur Hälfte neugeboren,
Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert
Und ihre alten Blätter nicht verloren.
Er hätte – aber gönnt ihm seine Ruh!
Die Augen fielen einem Müden zu;
Doch hat er, funkelnd in Begeisterung,
Vom Himmelslichte trunken, sie geschlossen,
Der Dichtung Quelle hat sich voll und jung
Noch in den stillen Ozean ergossen.
Und eine Braut nahm ihn der andern ab;
Vor der verhaucht' er friedlich sanft sein Leben,
Die Freiheit trug den Jünger in das Grab
Und legt sich bis zum Jüngsten Tag daneben.
Auch nicht allein ist er dahingegangen,
Zwei Pfeiler unsrer Kirche stürzten ein;
Erst als den freisten Mann die Gruft empfangen,
Senkt man auch Büchner in den Totenschrein,
Büchner und Börne!- Deutsche Dioskuren,
Weh, daß der Lorbeer nicht auf deutschen Fluten
Für solch geweihte Häupter wachsen darf!
Der Wind im Norden weht noch rauh und scharf,
Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen,
Ein freier Mann holt sich ihn aus dem Freien!

O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen!
's ist besser, als mit unsern Adlern fliegen. –
Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen
Auf deinem Grab und zu den Deutschen sprechen:
»Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell?
Und eure Trommel noch das alte Fell?«

 


 


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