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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wiederum bei den »St. Jakobsbrüdern«

Peter Jansen war eben von einem seiner ziemlich geheimnisvollen Geschäftsgänge heimgekehrt und schüttelte sich wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt. Es flog draußen wieder ein recht hübscher, ganz und gar nicht frühlingslauer Regen durch die Straßen und trieb jedermann, der trotzdem hinaus mußte, baldmöglichst wieder unter Dach und Fach.

»Uf! Gott verdamm' den Schneider und seine Ware! Durch und durch, sag' ich! So ein hundsföttischer Regen!«

»Je nun, Peter Jansen, das ist die gerechte Strafe! Nun wißt Ihr, wie einer gebadeten Katze zu Mut ist, die man obendrein wieder vor die Tür setzen will.«

Peter Jansen hatte bei den ersten Lauten überrascht aufgesehen, den Sprecher jedoch ruhig zu Ende reden lassen. Jetzt warf er den triefenden Rock über das Schenkstandgitter und schob sich von einer plötzlichen Erinnerung befeuert gegen den Gast hin, dessen Gesicht in der hier herrschenden Dämmerung nicht zu erkennen war. »Gott verdamm' meine Augen, wenn das nicht der Spaßvogel Doktor Basch oder Bosch oder Busch ist! Kommt der Herr wieder zu Wasser?«

»Nein, Peter, Gott behüte mich! Aber wie ich sehe, steht's mit Euch drinnen und draußen gottlob noch recht ordentlich und nicht, wie mir vorhin die dicke Liese vorklönte, daß die Frau Wirtin im Bett läge und mit dem Herrn Wirt kein Auskommen wäre.«

»O, Herr! es ist schon so, wie Sie vernommen. Meine Alte wirft es ins Bett und mich reißt es auch um!«

»Na, na, nur immer kalt Blut! Und da ich jetzt hier bleibe –«

»Wie, – hier bliebe? Der Herr sagte doch damals –«

»Freilich sagt' ich etwas anderes und dachte mir's auch anders. Doch das ist eine lange Geschichte, und da wir unsere Kur schon jetzt anfangen müssen, so zieht zuerst einen trockenen Rock an und dann besorgt Ihr Euch ein Glas Grog, – denn das ist die beste Reißmatismusarznei – bringt ein paar von den alten Zigarren mit, – die Liese fand, glaub' ich, nicht die richtige Kiste! – Und darauf setzt Ihr Euch hierher zu uns, und wir halten Rat und reden klug, und ich erzähl' Euch die grausamsten Mordgeschichten!«

Der Wirt sah jetzt mit einem ungemein bezeichneten Blick zu dem zweiten, bisher stummen Gast hinüber, als ob er nicht ganz sicher sei, inwieweit der zu der bevorstehenden Unterhaltung passen möchte. Doktor Busch fing den Blick auf. »Unbesorgt, Peter! Der Herr ist mein Reisegenoß, und zwar – Ihr heißt's ja wohl Rechtsverdreher – aber, wenn er erst zum Sprechen kommt, ein sehr unterhaltsamer Gesellschafter.«

»Will der Herr auch hier bleiben? Wir haben von der Art sonst schon genug hier.«

»Nicht doch, Peter! Er will nur ein paar Tage in Geschäften hier verbringen und könnte wohl auch den einen oder den andern Rat von Euch brauchen!«

»Na, ich komme gleich wieder,« knurrte der freundliche Herbergsvater darnach und ging.

Es währte nicht lange, bis er wieder zurückkam, gekleidet in die dicke Hausjacke und gefolgt von der Liese, die den Grog, die Zigarrenkiste und das Licht herbeibrachte. Und nachdem er sich mit einiger Mühe auf dem engen Platz zwischen Tisch und Bank bequem gemacht hatte, kam man alsbald zur behaglichen Unterhaltung. Sonstige Gäste waren ja nicht da, denn es war wohl noch nicht die rechte Stunde.

Doktor Busch berichtete vor allem von seinen Erlebnissen, die, obschon vielleicht nicht gerade ungewöhnlich, dennoch zu den unerfreulichsten gehörten, so einem gerade im Beginn seiner Laufbahn beschert werden können. Es arztete auf dem Platze, den er sich gewählt, nicht allein ein bejahrter Herr, der den neuen Amtsbruder von Anfang an unfreundlich aufnahm und ihm nach Kräften alle auffindbaren Hindernisse in den Weg schob, sondern es zog auch wenige Wochen nachher ein weiterer, gleichfalls schon älterer Arzt dorthin, und so erwuchsen dem Anfänger sogleich zwei Gegner. Seine Stellung wurde unbehaglicher von Tag zu Tag, und als um Weihnachten obendrein auch sein dort lebender Vetter starb, entschloß sich Busch ohne viel Bedenken, sein Glück anderwärts zu suchen. Die alte Stadt mit der Herberge »zu den St. Jakobsbrüdern« stand, wie kurz er auch da verweilt haben mochte, bei ihm in gutem Andenken. Und da ein Freund hierorts, an den er schrieb, ihm die gute Nachricht geben konnte, daß eben durch den Tod eines Berufsgenossen der größte Arbeitskreis frei geworden sei, so machte er sich rasch auf den Weg und war jetzt hier. An und für sich war ihm der Platz, wo er sich niederließ, ziemlich gleichgültig. Er bedurfte nur eines Orts, wo die Verhältnisse nicht ganz so klein und eng waren, wie er sie drüben in jenem pommerschen »Nest« zu seinem Schaden kennengelernt hatte. »Und so werde ich hier wohl richtig sein,« schloß er. Peter Jansen bestätigte dies. Der verstorbene Arzt sei ein Einheimischer gewesen und habe, wo nicht seine einträglichste, doch größte Betätigung in den Hafenquartieren der Stadt und den angrenzenden Stranddörfern gehabt, wo man ihn schwer vermisse, da er den hier herrschenden Ton genau zu treffen gewußt habe. Ersatz habe sich noch nicht gefunden. Die älteren Fachgenossen seien zu vornehm und schon allzu bequem, und die jüngeren neumodische Pflanzen, die von der guten alten Art nichts verständen und die »kleinen Leute« über die Achsel ansähen. So seien die Aussichten für einen neuen, lustigen und warmherzigen Doktor, der obendrein mit den Leuten in ihrer Sprache verkehren könne und möge, ganz gut. Die im Hafenviertel dankten Gott, fänden sie jemand, der dem Fischer und Bootsmann keine Rechnung schriebe wie den großen Hansen. »Der Herr kann da morgen früh gleich anfangen,« beendete er seine Meinung, »da ist der arme Teufel, der Christen – der Herr weiß ja noch! – der hat seit vier Wochen das Fieber, und sein Weib liegt krumm und lahm an der Gicht, und der bestallte Armenarzt zuckt nur die Achseln, wenn er überhaupt kommt. Und so gibt's viele. Das weiche Wetter hat uns alle krank gemacht.«

»So schrieb mir Wehrenberg vor vier Wochen ungefähr auch. Nun, wir müssen eben sehen.«

»So – der Wehrenberg? Hm, ja – ach so – so –! Übrigens, warum ist der Herr denn dazumal nicht zu mir gekommen mit seiner Entdeckung, he?«

Einer schicklichen Erwiderung auf diese peinliche Frage wurde Doktor Busch indessen – wenigstens vorderhand – auf das angenehmste enthoben, denn es ging jetzt die Tür auf und eine kräftige Stimme rief forschend herein: »Halloh, Peter, ich bin von einem alten Freunde hierher bestellt worden. Ist er etwa schon da?«

»Alles recht, Herr Assessor, nur immer heran!« antwortete Peter Jansen, und zugleich erhob sich auch Busch von seinem Platz mit einem lebhaften: »Da bist du ja, Wehrenberg! Ich hatte schon Angst, man möchte dir meine Botschaft nicht bestellt haben!«

Nun saßen die Freunde denn wieder beieinander und konnten alles das auf das ausführlichste bereden, was im Briefwechsel, der zudem kein häufiger war, zu knapp oder nur flüchtig Ausdruck gefunden hatte. Das war hauptsächlich in bezug auf die »Mordgeschichte« der Fall.

Der Gast, der mit Doktor Busch gekommen und als Reisegefährte eingeführt worden war, verhielt sich überaus schweigsam, folgte aber, wie man wohl merken konnte, mit Aufmerksamkeit der Unterhaltung. Bei Wehrenbergs Ankunft hatte er sich lediglich vorgestellt: Rechtsanwalt Joseph Stein aus Mannheim – und gebeten, ihn nicht als Störenfried betrachten zu wollen und durch seine Anwesenheit keinerlei Redezwang sich aufzuerlegen. Da mit einem Male mischte er sich in's Gespräch. »Es wurde hier eben ein Name genannt, der mir nicht unbekannt ist. Sie gedachten eines Altheim. Ein älterer Herr dieses Namens – Graf Albert Altheim, ist bei uns am Rhein eine ziemlich, ich kann nicht sagen: unangenehm bekannte Persönlichkeit. Winters, glaub' ich, lebt er zu Mainz. Könnte er mit dem hier Genannten zusammenhängen?«

»Leider ja,« gab Alfred Wehrenberg zur Antwort, »der ist der Vater des hiesigen. Den alten Grafen also kennen Sie?«

»Ja, dem Namen und dem Ruf nach, auch allenfalls vom Sehen, – weiter nicht. Dann hört' ich aber im vorigen Frühling zu Landau bei Bekannten auch einer Komtesse Altheim erwähnen. Gehört die gleichfalls dazu?«

»Vermutlich, ja. Komtesse Altheim weilte im vorigen Jahr wenigstens einige Zeit in der Pfalz.«

Merkwürdigerweise fand darnach das Gespräch keine weitere Fortsetzung in dieser Richtung; es sprang sozusagen mit einem Ruck und zwar auf Veranlassung des Fremden in eine andere über, die offenbar aus einem geschäftlichen Hintergrund kam. Doch auch sie blieb nicht lange bestehen, sondern verlor sich allmählich in Alltägliches, in Wetterfragen, Angelegenheiten des volkswirtschaftlichen Lebens und in den Belangenkreis der Zeitläufte. Zuletzt verabredete Assessor Wehrenberg mit seinem Freunde eine Begegnung für den folgenden Tag, um dessen Ansiedlung ernstlich zu betreiben. Hierauf nahm er Abschied und ging, während man seinen beiden bisherigen Gesellschaftern das bestellte Nachtessen vorsetzte.

Nun ereignete sich etwas Unerwartetes.

Wenn man die eigentliche Gaststube verläßt, gelangt man auf einen Flur, der, abweichend von der gewöhnlichen Einrichtung der alten Häuser, einen sehr kleinen Raum einnimmt. Er ist nichts weniger als winkelig oder dunkel, sondern sozusagen glatt aus dem Hause herausgeschnitten, überdies brennt in den Dunkelstunden auch auf der Straße vor dem Hauseingang eine Laterne und macht den Gästen den Eintritt zu den »St. Jakobsbrüdern« so bequem, wie sie nur wünschen können. Am heutigen Abend brannte die Laterne durch irgendeinen Zufall nicht, und als Alfred aus der Helle des kleinen Flurs in die Haustür trat, war es, zumal da aus dem nassen Abend längst eine richtige Regennacht geworden, so dunkel vor seinen lichtgewöhnten Augen, daß er nichts vor sich zu erkennen vermochte und den Fuß, vorsichtig tastend, auf die erste der beiden Torstufen hinabsetzte. In diesem Augenblick sprang von der Seite her jemand auf ihn ein. Eine starke Faust packte seine Schulter und eine zweite führte einen Stoß gegen seine Brust, so jäh und so heftig, daß er fest gegen den Türpfeiler gedrückt wurde. Er verlor aber seine Geistesgegenwart nicht, sondern erhob fast zugleich die freie Hand und schlug sie mit aller Kraft dem Angreifer ins Gesicht, so daß dieser zurücktaumelte und ihn los ließ. Dabei fiel das Licht der Hauslaterne durch die offene Tür eine Sekunde lang auf den Fremden und ließ bemerken, daß dessen Gesicht geschwärzt war. Bevor Alfred jedoch ihm nachzuspringen vermochte, stürzte wiederum eine Gestalt aus dem Dunkel hervor und führte einen schweren Schlag auf die erste, so daß diese zusammenbrach und etwas klirrend aufs Pflaster fallen ließ. Im nächsten Augenblick aber war sie schon wieder aufrecht und taumelte mit einem dumpfen Fluch davon. Die zweite stürzte nach, stolperte indessen auf dem unebenen Pflaster gleichfalls so schwer, daß sie nur mühsam sich vor dem vollen Sturz bewahrte. Dann kam sie, als sähe sie die Nutzlosigkeit einer weiteren Verfolgung ein, zur Tür zurück und sagte: »Laß ihn laufen, ich kenne den Schuft. Der ist uns sicher. Hat er Sie hart getroffen, Herr?«

»Der Stoß warf mich beinahe um,« versetzte Wehrenberg, »aber ich fühle mich nicht verletzt, er muß abgeglitten sein.«

»Warten Sie,« sprach der Helfer in der Not und trat in die dunkle Straße zurück, bückte sich und kam wieder mit einem blitzenden, dolchartigen Messer. »Ich sah das Ding, als ich drüben entlang kam, in der Faust des Schuftes aufblinken, und da ist es. Und nun, Herr, kommen Sie, – ich weiß hier Bescheid. Peter Jansen muß uns schon einen Augenblick bei sich aufnehmen, daß wir nachsehen. Ich kenne das! Zuerst merkt man solche Wunden kaum und hernach machen sie einem den Garaus.«

Sie hatten sich derweil tiefer in den Flur hinein begeben, wo die größere Helle ihnen auch ein genaueres Zusehen erlaubte. Der Retter zeigte sich als ein kräftiger Mann von fester Gestalt, mit wetterbraunem, von dunklem Bart umgebenem, hübschem Gesicht, – jeder Zoll, hätte man sagen mögen, ein Seemann. Als er den Überfallenen jetzt naher anschaute, zuckte er zusammen und starrte ihn einen Augenblick gleichsam betäubt an. »Wenn das nicht der Wehrenberg ist –« murmelte er endlich. – »Der bin ich auch,« erwiderte Alfred, der den Fremdling nicht minder fest ins Auge gefaßt hatte, »und wenn ich mich nicht ganz irre, so erkenne ich auch Sie! Sie müssen –«

Aus der Tür im Hintergrunde trat indem der dicke Herbergsvater heraus und schaute stutzend, alsbald aber mit zornig aufleuchtendem Auge den Seemann an. »Matthies, verdammter Junge, hältst du den Peter Jansen für einen Narrenkopf, daß du wieder hereinzuschleichen wagst? Mach' dich auf die Beine und –«

»Sei still, Peter!« fiel der Genannte, die Brauen zusammenziehend, dem Erbosten in die Rede, »und hör erst einmal, was geschehen ist und mach die Tür auf, daß wir zu dir hineinkönnen! Der Herr hier ist eben vor der Haustür von einem Hundsfott angefallen und mit dem Dinge da gestochen worden. Wir müssen nach der Wunde sehen!«

Peter Jansen wich darauf bestürzt zurück und öffnete die Tür, aus der er eben hervorgetreten war. Sie führte in ein kleines, halbdunkles Gemach hinter dem Schenkstande, Wo der Wirt das eine oder das andere bei der Hand zu halten und gelegentlich seine Schreibereien zu besorgen pflegte. Da, bei dem matten Licht einer halb abgebrannten Unschlittkerze sah er sich das »Malör« näher an und meinte: »Na, auf den Beinen ist der Herr doch noch! Aber der Arzt ist ja da, ich will ihn holen.« Alfred aber hielt ihn zurück. »Nur kein Aufsehen, Peter! Eine ernste Wunde hab' ich nicht; und wir werden unter uns anderes zu bereden haben,« und warf dabei einen wichtigen Blick auf seinen Retter. Dann zog er den Überzieher, den Rock und die Weste ohne die Hilfe der anderen aus. Im Hemde zeigte sich ein kleiner Blutfleck, doch bei der weiteren Untersuchung fand sich, daß in der linken Seite nur die Haut von dem vorüberstreifenden Messer berührt worden war und schon jetzt nicht mehr blutete. Wie dies bei dem wohlgezielten, heftigen Stoß, der alle Kleider durchdrungen hatte, möglich gewesen war, ergab die Besichtigung der Kleidung deutlich. Alfred hatte, von der Gerichtskanzlei kommend, ein Aktenstück in die Brusttasche des Überziehers gesteckt und, da ihn die daheim vorgefundene Botschaft des Freundes sogleich weiterführte, bei sich behalten. In der gleichen Tasche des Rockes stak ein kleines Taschentuch. Dieses so gut wie jenes hatte den Stoß mit abnehmender Kraft und in abweichender Richtung durchdrungen, und die rasche Wendung des Getroffenen hatte ihn vollends unschädlich gemacht. »Ihr seht, es ist nichts!« sagte Wehrenberg jetzt und kleidete sich wieder an.

»Ich seh's, seh aber auch, wie es gemeint gewesen,« murrte Peter Jansen, indem er das Messer beaugenscheinigte. »Ein Stoß, wie ich ihn sonst nur bei dem amerikanischen Banditengesindel gesehen! Und wenn's mich tausend Taler kostet, so will ich den herausbringen –«

»Das soll dich nicht einen, sondern nur ein Nachtquartier kosten,« fiel Matthies gewichtig ein. »Der Kerl hatte sich geschwärzt, aber ich hab' ihn dennoch erkannt. Es war der Gottlieb –«

»Was? Der sitzt ja im Loch!« rief der Wirt ungläubig.

»Er muß in diesen Tagen frei geworden sein.« sagte Alfred nachdenklich. »Aber ich kann kaum begreifen –«

»Herr, er war schon als Junge ein rachsüchtiger Racker,« beharrte Matthies finster, »und irren tu ich mich nicht. Ich sah ihn da ich herankam in das Schenkzimmer hineinblicken und dann gegen die Tür schleichen. Ich wartete, was daraus werden möchte, und wäre um's Haar doch zu spät gekommen, – der zweite Stoß wäre durchgegangen! Und nun war's gar der Herr Wehrenberg!«

Peter Jansen hatte seine Hände beschwichtigt in die Hosentaschen geschoben und schaute den Sprecher noch krittlig, aber gewissermaßen versöhnlicher an. »Und welcher Satan plagt dich wieder hierher, Matthies?« fragte er jetzt, die Zigarre durch eine leichte Lippenbewegung von der rechten in die linke Mundecke schiebend. »Du weißt doch, daß ich dir damals das Quartier für immer aufgekündigt habe, und was Peter Jansen sagt –«

»Peter, du mußt mich aufnehmen, sei's auch nur auf einen oder zwei Tage, – du mußt! Ich muß hier jemand suchen, von dem ich nirgends sonst etwas erfahren kann. Denn ich darf mich ja nicht sehen lassen. Es hängt Leben oder Sterben daran.«

»Redensarten!« brummte der Wirt ärgerlich. »Da muß ich erst mehr davon wissen.«

Alfred hatte bisher schweigend zugehört. Nun aber mischte er sich ein. »So redet ihr, und laßt ganz außer acht, daß auch ich hier bin und leider das Hauptwort zu sprechen habe. Ihr wißt beide, daß es einen Steckbrief wider den Matthies Matthiesen gibt wegen Mordverdachts, und ihr wißt beide, was meine Pflicht von mir verlangt. Sagt selber, was kann ich anders tun, als Sie verhaften, Matthies, und den alten Peter hier inzwischen für Ihre Sicherung verantwortlich machen? Gott weiß, wie leid mir dies gerade jetzt tut! Aber wie kann ich anders?«

Der Wirt schaute finster vor sich nieder, aber Matthies sah mit einem Blick der härtesten Entschlossenheit zu dem jungen Gerichtsbeamten auf. »Herr,« sagte er dann, »das war's, was mir durch den Kopf fuhr, als ich zur Hilfe heransprang, – ich durfte mich nicht erkennen lassen! Aber was half's? Einen vor meinen Augen niederstechen oder ihn mit seiner Wunde im Stich lassen, – das ging mir nicht über's Herz! Ich bin nie ein schlechter Kerl gewesen, sondern nur ein leichtsinniger und unglücklicher Mensch! – Und darum tut's nicht, Herr, und haltet mich nicht fest und zeigt mich nicht an, – ich könnt's nicht dulden, ich müßte ausbrechen um jeden Preis, und würde doch unglücklich auf Lebenszeit! – Peter, gib uns auf kurze Zeit die Kammer oben, daß ich mit dem Herrn reden kann. Das mit dem Mordverdacht ist nichts, – ich kann dem Herrn meine Unschuld beweisen, ja, ich kann vielleicht den richtigen Täter nennen. Also, Herr, hört mich und seid barmherzig! Seht es an, wie es mit mir ist. Es ist hier in der Stadt ein Weib, das um mich unglücklich geworden. Sie hat aber treu an mir gehangen und so hänge ich auch an ihr. Um ihretwillen bin ich ein paarmal trotz aller Gefahr wieder hergekommen und um ihretwillen bin ich auch jetzt da. Ich wollte mit ihr ausmachen, daß sie mir nach oder mit mir kommt, denn ich habe jetzt einen Platz, wo sie und das Kind bei mir bleiben können in Ehren. Und nun find' ich sie nicht mehr. Sonst hab' ich immer einmal Nachrichten gehabt und wußte Bescheid. Jetzt aber nicht, und erkundigen kann ich mich draußen nicht, sondern nur hier, bei dir, Peter! – Peter, ist die Renate tot?«

Peter Jansen sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck an, fast als würd' es ihm weich um's Herz. »Na, Junge, gib dich zufrieden,« sagte er kopfschüttelnd. »Wenn du wirklich die Renate Stein meinst, – ich hab's immer noch nicht recht geglaubt! – die ist wohlauf und ich kann dir alles sagen. Und Sie, Herr Wehrenberg, haben Sie ein Einsehen für den armen Teufel und hören ihn. Kommt mit. Hier herum, – wir dürfen die Schenktreppe nicht hinaufsteigen.«


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