Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Chikago des Ostens

Von den künstlichen Gebilden, die westliche europäische und amerikanische Fata Morgana an die Küste des chinesischen Reiches hinzaubert, wird sich vermutlich Schanghai am längsten halten. Zu tief ist schon der Amerikanismus in dieses Chikago des Ostens eingedrungen. Bis auf einen kleinen zusammenschrumpfenden Stadtteil, in dessen Mitte sich unter Trümmerhaufen, Sumpfgräben, Mist und Unflat ehemals herrliche Tempel, Wallfahrtsorte verbergen, einen Stadtteil, der in dieser riesigen Stadt bezeichnenderweise den Namen »Chinesenstadt« führt, ist Schanghai ein uferloses Konglomerat von englischen, französischen, pseudo-amerikanischen Straßenzügen, Plätzen, Villen, Vororten und den obligaten Slumvierteln. Nicht nur die Geschäftstätigkeit und der Trubel der Wasserfront Schanghais mit ihren Wolkenkratzern von Bank-, Verwaltungs-, Konsulats- und Schiffahrtspalästen erinnert an die offene Straße am Michigan, sondern auch die vom »Bund« in die Stadt hineinragenden Verkehrsstraßen, die Hauptstraße Nanking-Road, Hauptarterie des Verkehrs, erinnert lebhaft an die Straßen des Loop, die sich an die Wasserfront von Chikago anschließen.

Nanking-Road bei Nacht

Nanking-Road bei Nacht, Schanghai

Die bunten Flaggen, Lacktafeln und über die Straße gespannten Reklamegirlanden sind hier aufdringlicher, lustiger und greller als etwa in Hongkong. Man merkt, wie Buntheit, Lärm und Geschäftstüchtigkeit des chinesischen Stadtlebens sich mit amerikanischem Geschmack, amerikanischer Brutalität, amerikanischer Routine und amerikanischem Tempo begegnen. Nankingroad, in der die Mairevolution Chinas begann – und zwar gerade an der geräuschvollsten, verkehrsreichsten Ecke –, ist am Tage von einem kreuz und quer dahinschießenden Gewirr und Gewimmel, von ohrenzerreißendem Gequäke, Geklingel und Getrommel und von einem die Augen ausbohrenden Lichtgerinnsel, Geflimmer, Gezucke bis spät in die Nacht hinein erfüllt und erschüttert. Nicht nur, daß die Schaufenster bersten, daß die Reklametafeln, Fahnen und Girlanden den Passanten überfallen und niederknüppeln, oben in den Dachkammern, über den Läden, stehen Trommler und Trompeter im offenen Fenster, tuten und dröhnen die Gasse voll mit dem Ruhm der Reklame für 248 das unten lockende Schaufenster. Große Warenhäuser, zehn Stockwerke hoch, mit Theatern, Singspielhallen, Würfelbuden, hängenden Gärten über und unter dem Dach, sind nach Dunkelwerden mit allen Errungenschaften der neuzeitlichen Lichtreklame übersät. Chinesische Buchstaben flirren, aus zehntausend Glühlichtern gebildet, neben aufflackernden und verglimmenden englischen Worten, die verkünden, daß hier innen der Europäer wie der Chinese im friedlichen Verein sein Geld lassen kann.

Parallel mit Nankingroad ist die Futschau-Straße, bunter noch, geräuschvoller und lustiger als die »Arterie«. Hier reiht sich Teehaus an Teehaus, große offene Hallen, in denen die niedere Prostitution der Stadt sich versammelt. Bunte, phantastische Seidenkleider der Chinesinnen! Erstaunlich bei aller Buntheit und Kostbarkeit der Zeichnung dieser farbenreichen, im Straßenbild unerhört verschwebenden Gewänder: die Einfachheit des Schnittes, der die Formen des Körpers vollständig verwischt. Die Frauen tragen das glänzende schwarze Haar schlicht gescheitelt, hinten in einen kleinen Knoten gewickelt, vorn über die Stirn eine kleine kurz geschnittene Lockenkaskade. Wenig Schmuck, fast keine Ringe, nur in den Ohren geschmacklos in Gold gefaßte Brillantgehänge.

In den großen Speisehäusern – die cantoneser Kost und Küche spielt in China dieselbe Rolle wie bei uns etwa die Wiener – viele kleine Räume, in denen Gruppen, Gesellschaften ihre Mahlzeiten einnehmen. Es wird unglaublich viel und Unglaubliches zusammengegessen. Nach jedem Gang werden heiße feuchte Handtücher gereicht, mit denen sich der aufstoßende Fresser Hände, Kopf und Nacken wischt. Ambulante Händler, Rückenkratzer mit langen Elfenbeinkrallen gehen aus und ein. Man telephoniert in das Teehaus hinüber, und es kommt eine kleine zierliche Prostituierte mit ihrer etwas weniger hübschen Begleiterin und Herrn Tsching, dem Violinspieler. Die drei hocken sich auf drei Stühlchen, und die kleine Sängerin, die niedlichste von den dreien, singt mit verstellter Stimme, hohen Kopftönen einige Lieder. Jedes Lied kostet einen Dollar. Das Dirnchen ist weiß geschminkt, sie hat ein entzückend buntes Brokatkleid an, Ohrgehänge mit Diamanten wie die vornehmen und anständigen Damen unten in den guten Straßen. Sie kann nicht älter sein als zwanzig Jahre; zwischen ihren dünnen 249 Händchen hält sie, während sie singt, eine kleine Wärmflasche. Nein, wirklich: die Stimme ist so unnatürlich hoch und gequetscht, daß man die Augen schließen muß, weil man sich die Ohren nicht zuhalten kann – man ist froh, wenn die Tortur aufgehört hat, gibt dem Kind einen Kuß, den es ernst erwidert, darauf schnäuzt sie sich zart und fein in die Fingerchen, trinkt ein bißchen Tee aus einer kleinen Schale, die Begleiterin überreicht einem ein zierliches rotes Kärtchen, auf dem der Name der Sängerin, Adresse und Telephonnummer des Bordells steht, wo sie wohnt, und dann entfernt sich das Trio, um ein paar Zimmer weiter mit Gefiedel und Gesinge zu beginnen.

 

Weiter weg von den Straßen und dem »Bund« beginnen die breiten Avenuen des englischen Viertels. Protzig und frech eine Rennbahn mitten in den verkehrsreichsten Stadtteil hineingesetzt, als ob es wichtiger wäre, Pferde laufen als Menschen wohnen zu lassen. Endlos das Stadtviertel am Bubblingwell-Road, daran anschließend der französische Stadtteil; imposante Boulevards, herrliche Gärten, hohe Gartenmauern, hinter denen tropische Bäume und die glasierten Ziegeldächer chinesischer Pavillons zu sehen sind. Solider Reichtum, europäischer, amerikanischer, dehnt sich hier, spürt nichts von der Gefahr, im Riesenreiche als eine kleine winzige Enklave, ein feindlicher, scheel und immer scheeler angesehener Fremdkörper zu existieren.

Klöster in riesigen Parken zeigen an, daß die Missionarwelt mit der Hochfinanz, dem Kolonialkapital eng verwandt, untrennbar verbunden ist; in Wirklichkeit gehört das französische Areal um die Chinesenstadt bis tief hinein ins Land dem französischen Klerus.

Eine gemischte Polizei, verwegene, finstere, zu allem fähige und entschlossene Burschen in unauffälligen, ihre Herkunft aus Amerika, England, anderen kleineren Nationen nur andeutenden, nicht verratenden Uniformen, steht mit Revolver und Knüppel auf dem Quivive. Sie weiß, daß es ums Leben geht, sobald das lauernde Drachenungetüm des Chinesenvolkes sich ringsum nur regt, und daß ein Tatzenschlag das ganze Ausländervolk zu blutigem Brei niederschlagen und vermanschen kann. Nur die Franzosen haben stammverwandte, entfernt verwandte Polizei hierher entsendet: Tonkinesen mit komischen Strohhüten und Messingknopf darauf. Sie spielen eine zweideutige 250 Rolle in diesem Gebilde der Fremdenpolizei, unter der die ebenfalls asiatischen Söldner Englands, die großen dunkelblaubärtigen, todernsten Sikhs, der Kriegerkaste des mohammedanischen Indiens entstammend, als verläßlichste Leibgarde der Europäer hierzulande gelten. Immerhin gibt es auch eine einheimische, weiße Schutztruppe: aus Kaufleuten, Sportsleuten der hier angesiedelten Fremdenkolonie, in innigem Verein mit den Offizieren der draußen vor dem »Bund« an Bojen gebundenen englischen, amerikanischen, französischen, italienischen und japanischen Kriegsschiffe, die sämtlich ihre Kanonen auf die nunmehr beruhigte Stadt gerichtet halten, – diese Stadt, die ihren Temperamentsüberschwang gegenwärtig, das heißt bis auf weiteres nur in bunten Farben, Licht, Lärm, Reklame, allen Teufelskünsten der Konkurrenz, und in dem tobenden Verkehr ihrer Hauptstraßen auslebt.

 

Für den Europäer ist die chinesische Frau nichts weniger als anziehend. Kein Gedanke an Erotik kann aufkommen bei dem Anschaun dieser passiven gleichgültigen, wenn auch in grelle und kostbare Stoffe gekleideten, knabenhaften, flachbrüstigen Puppen. Um so lebhafter, geiler, überhitzter tobt sich die durch den Orient gesteigerte Lebensgier der Ausländerinnen in dieser von allen Lastern beider Hemisphären besessenen Stadt aus. Die chinesische Frau geht an der französischen, englischen, amerikanischen, russischen vorbei, streift sie mit einem Blick und denkt sich ihr Teil dabei; diese irrsinnig geschminkten, karminlippigen, um die Augen blau bemalten Götzenbilder trippeln, vom Pflaster hinauf bis an die Knie nackt, über die Straßen der Hafenstadt, durch die Avenuen, in denen sie sich sicher fühlen, wie durch das Gewimmel der Eingeborenengäßchen, in denen sie die Gefahr und das Entsetzen anzieht und lockt. Zwischen beiden Welten eine unüberbrückbare Kluft, die nur bei geheimnisvollen und geheimen bestialischen Verkuppelungen verschwindet, in verschwiegenen Winkeln, Opiumverließen und den bewußten Häusern, deren Adressen die europäischen Männer und Frauen sowie die chinesischen Männer von geschäftigen Zwischenträgern leicht erfahren können.

 

Im großen ganzen betont und unterstreicht der Europäer, besonders der Engländer, sein Fremdsein, seine Abseitigkeit von dieser 251 Welt, in der er lebt, um sie möglichst ausgiebig zu benutzen, auszusaugen und auszubeuten. Wie in Indien, so hier – Haß, Verachtung und nicht zuletzt Angst vor dem Eingeborenen. Man kümmert sich kaum um ihn, will auch nicht die Wahrheit über das Volk erfahren, in dessen Mitte man lebt, an dessen Rand und Wasserfront man seine Bureaus und Lagerhäuser aufgebaut hat. Im Klub und aus den Zeitungen bezieht man fertige Meinungen. Seltsam, dieses Volk der Engländer mit seinem unleugbaren Talent zu kolonisieren – es sieht gar nicht mehr ein, daß die Zeit der besseren Waffen, mit denen man widerspenstige Völker noch vor einem Menschenalter kirremachen und versklaven konnte, nicht mehr gilt. Daß Kälte, Imponierenkönnen durch Selbstverständlichkeit der äußeren Attitüde eine Weltmacht nicht mehr aufrechtzuerhalten vermögen. Erschütternd das versagende Beobachtungsvermögen, sobald es sich auf das wirkliche Wesen des Volkes, unter dem man lebt, konzentriert – aber genial und überwältigend die Geschicklichkeit, die die Gelegenheiten, die Geschäftsgelegenheiten, den wunden Punkt im Charakter des Auszubeutenden, die Opportunität herausfindet!

Die Zeitungen versteigen sich, wenn von dem brütenden, hier und da aus seiner Lethargie die Augen aufschlagenden Chinakoloß die Rede ist, zu einem zittrigen Keifen: Bolschewismus! Die helle Angst treibt auf jeder Spalte mindestens dreimal ihr Wesen mit Bolschewismus, als ob das die einzige gültige Erklärung für das Phänomen der Befreiung wäre, für diese Welle von Freiheitswillen, die im Mai einmal über die Ufer geschlagen hat und jeden Augenblick abermals mit Blut, Gischt und Verderben in die Höhe zu schlagen droht.

Schwer und dumpf, wie eine verhaltene Drohung, liegen die fremden Kriegsschiffe mit ihren auf die Stadt gerichteten Kanonen an den Hafenbojen. Nachts schreckt Bubblingwell und das Franzosenviertel von einer Detonation in der Straße auf. War's ein Schuß oder nur einer von den Crackers, mit denen der kindliche Pöbel seiner Freude am Lärm genügt? Das Prestige des Europäers erlischt zusehends, hier wie in anderen Städten des Orients, und wenn an Sonntagabenden die Patrouillen von den draußen lagernden Kriegsschiffen ihre eigenen betrunkenen Soldaten von der Straße auflesen und mit Stöcken den »Bund« entlang zu den kleinen Motorbooten prügeln, die sie hinüber auf 252 die Fahrzeuge und ins Kaschott befördern werden, dann spuckt der chinesische Kuli zur Seite aus und findet es gar nicht mehr nötig, seine geballte Faust im weiten Ärmel seiner geflickten Jacke zu verstecken. Das Prestige des Europäers im Orient!

 

Im Chinesenviertel, jenem elenden, engwinkligen, düsteren, verfallenen Gewirr um den zerstörten Tempel, den in Morast und eingeäscherten Buden versinkenden ehemals berühmten »Weidenpavillon«, habe ich Europäer Chinesen anbetteln sehen. Sie liefen nicht neben der Chinesen-Rikscha her: »Talai! Talai!« rufend wie die zerlumpten chinesischen Bettler es hinter den Rikschas mit Europäern drinnen tun. Sie hielten nur ihre schmutzigen, entsetzlich abgemagerten Hände einem fetten, wohlhabenden, kalt behäbigen Chinesen vors Gesicht, der durch die alte Straße an ihnen vorüberging. Bettelnde Europäer. Es sind Russen, »weiße« Flüchtlinge aus dem Zarenreich, dem versunkenen. Über die Mongolei, die Mandschurei, Korea oder in den Bunkern heimlich von der Amurgegend abfahrender Dampfer sind sie bis hierher gekommen und hier rapid in die tiefsten Tiefen der Demütigung und des Elends herabgesunken. In dieser Stadt, die voll ist von prosperierenden egoistischen Menschen, die hier nur leben, um sich rasch mit leichtem Gewinn vollzusaugen und dann von dannen zu ziehen, schleichen diese gewesenen Menschen, die es aufgegeben haben, wie ihresgleichen zu leben, an die Mauern gepreßt, geduckt dahin, schmutzig, verhungert, in entsetzlichem Sturz unter das Niveau des Kuli heruntergekommen.

Von drei Gespensterschiffen hörte ich, die, aus Wladiwostok abfahrend, unten im Schiffsbauch heimlich Hunderte von ehemaligen Offizieren, Funktionären des Zaren mit ihren Familien herübergebracht haben, unter unsäglichen Schwierigkeiten, dräuender Gefahr, Tag und Nacht steigender Angst der Passagiere vor dem Landen. Aber man hat ihnen das Landen nicht erlaubt! Im Schiffsbauch mußten sie weiterleben – die Nahrung ging aus – Skorbut, Irrsinn, Erblinden zog ein in den Schiffsbauch –, bis die armen wahnwitzigen Flüchtlinge sich gegenseitig in dem Dunkel ihres Elends niederzuschießen begannen. Legenden gehen um von phantastischen, entsetzlichen Katastrophen unter diesen Menschen . . .

253 Unweit von dem elegantesten Hotel am »Bund« haben wohlhabende Russen eine Hilfsstelle für ihre verelendeten Landsleute eingerichtet. Geh dort nicht um die Mittagszeit vorüber, du wirst irre an deinem Menschsein – und doch, diese, die du hier leben und sich regen siehst, sind noch glücklich zu preisen, denn in den Vorstädten, um die alte kleine Russenkirche herum, liegen in Baracken menschenunähnliche Geschöpfe, schwindelnd hernieder gestürzt aus der Gemeinschaft, die noch menschliches Antlitz trägt.

Der Kuli grinst, wenn er solch ein Exemplar von Europäertum sieht. Er grinste, als man die Deutschen bei Kriegsausbruch wie eine Herde Vieh durch die Straßen jagte. Er grinst und spuckt aus vor dem Verelendeten, wie vor der mit Seide, Pelzen aufgetakelten, allzu rotmündigen und betäubend duftenden Kanaille europäischer Herkunft, der er an der nächsten Straßenecke begegnet. Grinsend steht er am Ufer des »Bund« und sieht zu, wie ein Polizist mit einem hoch in der Hand geschwungenen Zehn-Dollarschein den armseligen europäischen Selbstmörder, der soeben ins Wasser gesprungen ist, ans Ufer und ins Leben zurücklockt. Zehn Dollar mex. – das also ist der Preis, den ein Europäerleben wert ist! Der arme Tropf, der da im Wasser strampelt, ist so von Kräften gekommen, daß ein Sikh seinen Turban vom Kopfe reißen und aus ihm ein Rettungsseil machen muß, das er dann ins Wasser wirft. Unter brüllendem Gelächter der chinesischen Umwelt krabbelt der gerettete Selbstmörder ans Ufer herauf und schnappt dem Polizisten gierig die Dollarnote aus den Fingern.

 

Dies ist Schanghai.

In diesem Gewimmel, diesem phantastischen Durcheinander von Luxus, Not, Erniedrigung und Übermut, Angst, Aufgeblasenheit, Lauern und Sichducken, das den gefährlichen und zweideutigen Zeitpunkt charakterisiert, in dem sich die Stadt und mit ihr das ganze Land befindet, gibt es einen ruhenden Pol, gibt es eine Menschensorte, die sich mit lockeren und spielend freien Gelenken, vollendeter Sicherheit durch die Straßen bewegt, den »Bund« entlangschlendert, in langen Automobilzügen, in langen Rikschareihen behäbig durch das Gewirr des Chinesenviertels, die breiten Avenuen der Europäervorstadt, von Hotel zu Hotel, vom Frühstück zum Lunch, vom Lunch 254 zum Tanztee, vom Tee zum Smokingabendessen und von dort in die echten und unechten Opiumhöhlen, Spielhäuser, europäischen und asiatischen Bordelle schleppen und jagen läßt.

Große Ankündigungen an den Litfaßsäulen, den Mauern der Stadt, in den Spalten der Zeitungen verkünden Woche um Woche die Ankunft eines Riesendampfers aus Yokohama: ein neues Element im Stadtbild, eine neue Art von Mitmenschen, eine neue Art von Gesinnung bewegt sich laut, breit, macht sich geräuschvoll und präponderant Luft inmitten der Chinesen und der Nichtchinesen, der hierher Gehörenden, hier Geborenen, der hierher Verschlagenen und hier gestrandeten fremden Völkerscharen – das ist der weltreisende Amerikaner mit seinem Anhang, seiner Sippe, den Sitten seiner Nation, dem geräuschvollen tollpatschigen Selbstbewußtsein seiner von Erfolg und Geld gekrönten Weltmachtstellung.

Seht ihn, den mit tadellosen Vitaminen genährten Beherrscher der zivilisierten Welt! Keine Faser an seinem Körper, die nicht sauber gewaschen, hygienisch behandelt, zweckbewußt bedient wäre. Das Kleid ist Tweed. Das Gold, das er in den Taschen, an seinen Fingern, in seinem Gebiß trägt, ist lauteres Gold. Die Frau, die neben ihm im Auto sitzt, ist ihm rechtmäßig angetraut, seine Tochter, die ihm gegenübersitzt, im Ehebett gezeugt. Gott, der Sheriff und alle sittlichen Gesetze des moralischsten Volkes der Welt haben die Familie gesegnet, und die Luxuskabine in dem Luxusschiff, das von San Franzisko um die Erde nach Newyork herumfährt, ist mit einem guten blanken Scheck bezahlt.

Was sucht dieses Volk um die Erde? Da sitzt es in Rikschas, stößt mit den Fußspitzen den Hintern des armen schwitzenden, schleppenden Kuli an:

»Tidlititi!«

Jede Woche schwimmt solch ein Vergnügungsschiff, Weltreiseschiff, Amerikanerschiff von der Goldküste Amerikas nach Honululu. Jede Woche legt solch ein zum Bersten volles Weltreiseschiff, mit amerikanischen Babbitts von Yokohama kommend, in Schanghai an. Was treibt dieses Volk, dieses prosperierende, fabelhaft gekleidete, fabelhaft genährte Volk um die Welt herum in wöchentlich erneuter Tausendschar? Es hat sich eingebürgert, dieses Um-die-Welt-reisen. Die 255 Dollarlinie – der Besitzer heißt Dollar, Robert Dollar, auf den Schornsteinen klebt ein Dollarzeichen, das zweimal vertikal durchstrichene S –, Cunard, White Star, jagt jede Woche den prosperierenden, mit Gott und der Weltordnung einverstandenen amerikanischen Staatsbürger um die Erde herum. Flirt, aus siebzig Gängen bestehende Speisekarte, nachmittags Tanz und Shopping in den Hafenstädten, die man anläuft, das ist der Sinn der Weltumsegelung. Seht sie, wie sie in Nankingroad, in den kleinen Seitengassen, von gut bestochenen Führern gelenkt, in Seidengeschäften, Bronzegeschäften, Elfenbeinläden aus- und einlaufen, mit Buddhas, geschnitzten Elefantenzähnen, flüchtig hingepinselten Kakemonos, gold- und purpurbestickten Morgengewändern, zwölffach überzahltem, unkontrollierbarem und lässig gefälschtem Krimkrams beladen wieder die Automobile, die Rikschas besteigen, mit Bergen von Schachteln auf dem Schoß, den »Bund« entlangfahren, zum Tender, der sie weit in den Strom hinauffährt, wo ihr vierdeckiger Riesendampfer verankert liegt!

Sie sind die Herren der Welt: flirtend, tanzend, sich reichlich nährend, gute Dollars um sich streuend, zirkeln sie rund um den Erdball. Sie sind die Sieger. Ein Land, ein Volk, ein Kontinent zuckt in Befreiungskämpfen, in Geburtswehen; Mensch mordet Menschen, tückisch und offen, in ehrlichem Kampf mit Handelsverträgen, Zollverträgen, Schutzverträgen – sie aber, die Herren der Welt, reisen und reisen, ziehen und kreisen unaufhörlich um den Erdball. Ihr Gott ist der Erfolg. Sie nennen sich das erste Volk der Welt. Ihr Kontinent wird übrigbleiben, wenn Asien, wenn Europa, wenn alle die fremden Kontinente, die in ihrem Reiseprospekt aufgezählt sind, in Feuer, Not, Blut, unter Giftschwaden erstickt und versunken sein werden. –

 


 << zurück weiter >>