Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Tempel

Nikko, eine liebliche kleine Stadt Japans, lebt von Pilgern und Fremden. Es ist an eine Bergschlucht hingebaut, mit zierlichen Häuschen, die offen stehen. Man kann ins Innere hineinblicken: da sind Läden mit den zahllosen Sächelchen, die um den japanischen Götteraltar herumgruppiert sind.

Über den Wildbach, der die Tempelstadt Nikko von der Menschenstadt trennt, schwingt sich die weitberühmte, wunderbar rotlackierte Brücke. Auf dem Berge aber, dem Tempelberg – achtundvierzig Tempel. Übereinander, auf Terrassen, Bergabhängen, ins tiefe Grün der Zedern, in Abhänge voll Schnee gebettet, mit dem herrlichen Rot, Schwarz und Gold der Säulenportale, mit zarten Schnitzereien, geschwungenen Giebeln. Treppauf, treppab die Pilgerscharen, auf klappernden Holzpantinen, die sie ablegen, anziehen, achtundvierzig Tempel, nicht um einen weniger, einer glänzender als der andere, die Pracht des Lacks, das Zederngrün, ein unendlich reich geschnitztes Tor, das »Tagtor« geheißen, weil man einen Tag lang alle Einzelheiten bestaunen könnte, eine Berglehne voll Tempel, rechts und links und übereinander – monströs und kaum auszumalen!

 

Zum Wahnwitz gesteigert vollends diese Häufung von Kultobjekten, Tempeln, Göttern, wie eine Hysterie des Glaubensüberschwangs, im Mekka der Japaner: Kyoto.

Sanyusangendo: ein Wald, eine Baumschule von bronzenen 311 Kwannons, eintausend gleichförmige, in spitz metallenen Glorienstrahlen reihweis dastehende, in Reih' und Glied methodisch hintereinander ausgerichtete Götterregimenter. Zehnmal hundert Götter in der Halle! Und eine Figur wie die andere! Barbarischer Götzenglaube, unbegreifliche Verwirrung des sonst so sicheren japanischen Geschmacks!

Und unweit von diesem Tempel: der Fuchstempel Inari – mit seiner den Berg hinaufführenden, wie eine Gabel in zwei Zinken auseinanderstrebenden Allee von rotlackierten Torii, Tausenden dieser Tempeltore, aus einander zugeneigten Säulen geformt, die oben durch zwei, von Zapfen in der Mitte zusammengehaltenen Querbalken verbunden sind. Jedes dieser Tore ist mit einer Votivinschrift versehen, alle sind sie rot und schwarz lackiert, dicht hintereinander all die zahllosen – beklemmend, verwirrend die religiöse Barbarei, der nationale Fanatismus dieses unsere Zivilisationsform doch so emsig nachahmenden Asiatenvolkes!

Aber an anderen Stätten breitet sich mit einem Schlage die Stille, die gotterfüllte Öde imposanter Bretterhallen aus. Chion-in, der alte Tempel Kyotos, leere Räume, nur mit wundersamen Wandmalereien, Wandschirmbemalung, Blumen, Reihern, Wolken, groß und alt auf Goldgrund, bezaubernd, wie hingehaucht. Die Proportion der Riesenräume, die nur mit Matten belegt sind, lehrt zugleich, daß das Maß allein genügt, einem Raum Bedeutung und Charakter zu geben, und wie sehr der Altar nebensächlich ist, wenn die Räume, in denen die Gottheit verweilt, den Sinn überwältigen.

 

Chion-in – das Knarren des breiten Eichentores, das ins Innere des Tempels führt –, hier klebt noch ein Rest von ältestem Aberglauben an den Angeln. Denn wer in den Tempel tritt und das Tor öffnet, lauscht aufmerksam und andächtig hin, ob beim Knarren ein lieblicher Ton die Gunst des Gottes verrät, den man dort drinnen anbeten wird, oder ob ein mißtönender Laut den Gläubigen von seiner Andacht abschreckt.

 

Am Ende meiner Reise habe ich die Tempel Japans nur mit halber Andacht besucht. Zu dem Glauben dieses Volkes habe ich keine 312 Beziehung, auch nicht die des Erschreckens, wie in den Tempeln Maduras, Benares. Keine, wie zu den Menschgöttermagazinen der fünfhundert Genien in Canton. Die Schönheit der Tempel Japans überwältigt den Fremden, verwirrt seinen Sinn, und er schreitet aus ihnen in den Alltag der kleinen japanischen Stadt zurück, verwirrter unter die Scharen dieses schwer durchschaubaren, gänzlich undurchsichtigen, praktischen und doch hingerissenen, in der Schönheit seines alten Kultes verwurzelten und zugleich blind in die Abscheulichkeit der praktischen Zivilisation des industrialisierten Westens herübertaumelnden Volkes.

Reiner und überwältigender aber als in den immer frisch und neu lackierten, in ihrer ursprünglichen Schönheit wieder hergestellten Tempeln und Kultstätten Japans fühlt man die unauslöschliche Tradition, das ernste und doch zarte, tiefsinnige und doch liebliche Wesen der Gottesanbetung, des Naturkultes, Schönheitskultes, des Zeremoniells vor den Gewalten des weltlichen Lebens und der Elemente: in den geheiligten Tänzen, die einen bedeutsamen Teil des transzendentalen Daseins der Japaner ausmachen. An zwei Orten habe ich den überwältigenden Zauber dieser geheimnisvollen Mysterien der Bewegung empfunden: in Tokyo bei der Vorführung des Nô-Tanzes, in Osaka bei den Geishas, die den Tanz des frühen Lenzes, der ersten zarten Pflaumenblüte zelebrierten: Kono Hana Odori. –

 


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