Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Da du so viel und großen Dingen ganz allein
die Schultern unterstellst, Italien
mit Waffen schützest und mit Sitten schmückst,
und heilsamer Gesetze weisen Ernst
dem Strom der Üppigkeit entgegendämmest,
o Cäsar, glaubt' ich am gemeinen Wohl
mich zu verschulden, wenn ich deine Zeit
mit langen Reden dir entwenden wollteUnsre Leser erinnern sich noch der kurzen Darstellung des innern Zustandes der Stadt Rom, während der Abwesenheit Augusts in den Jahren 732-35, die wir im I. Teil dieses Werks, S. 134 u. f. zu Erläuterung des Briefes an den Numicius gegeben haben. Die Römer hatten in diesen drei Jahren, wo Augustus sie gleichsam wieder sich selbst überließ, die stärksten Beweise abgelegt, daß die Freiheit, wenn er sie ihnen auch im Ernst hätte wiedergeben wollen, ein verderbliches Geschenk für sie gewesen wäre. Sie selbst fühlten jetzt lebhafter als jemals, wie notwendig es ihnen sei, von einem einzigen regiert zu werden. So unumschränkt auch die Macht dieses einzigen sein möchte, wenn er nur nicht den verhaßten Namen eines Königs führte, sie nur nicht mit dem äußerlichen Glanz und Staat der königlichen Würde drückte, nur die gewohnten Formen und Namen beibehielt: so war er in ihren Augen nur ein Art von Premier-Minister, der seine Gewalt von ihnen empfangen hatte, der in ihrem Namen regierte, ihnen von seiner Staatsverwaltung Rechenschaft gab, und so wenig über die Gesetze war (oder scheinen wollte), daß er im Gegenteil jede Ausnahme vom Gesetz, die ihm nicht schon vom Senat und Volk, gleichsam belohnungsweise, zugestanden worden war, sich bei Gelegenheit (d. i. so oft ers zu seinen Absichten dienlich fand) als eine Gnade ausbat.

Wie also August im Jahr 735 wieder nach Rom zurückkam, wo seine Gegenwart zu Verhütung der größten Unordnungen unentbehrlich worden war: so erkannte der Senat und das Volk einhellig, daß er der einzige Arzt sei, der den Gebrechen der Republik helfen könne; und um ihn auf eine rechtmäßige Art mit aller dazu erfoderlichen Autorität zu versehen, wurde ihm nicht nur die Oberaufsicht über die Sitten (Praefectura Morum) nebst der Gewalt, den Senat zu reformieren und alle gesetzwidrige Mißbräuche abzustellen (Censoria potestas), sondern auch die konsularische Gewalt in der Maße auf Lebenslang aufgetragen, daß er, auch ohne den Titel eines Konsuls zu führen, das ganze Ansehen und alle Prärogativen dieser höchsten Würde in und außerhalb Rom besitzen und ausüben sollte. Da er nun, durch dieses Dekret des römischen Senats und Volks, außer der Gewalt eines unumschränkten Oberbefehlhabers über die ganze Kriegsmacht der Republik zu Wasser und zu Lande, und der Tribunicia Potestas, die er bereits auf Lebenslang besaß, noch die konsularische und zensorische in ihrem ganzen Umfang erhielt: so begreifen wir, in welchem Sinne Horaz sagen konnte, daß er die ganze Last der Staatsverwaltung allein trage. August hatte um die Zeit, da Horaz dies schrieb, das übernommene große Reformationsgeschäft mehrenteils zu Stande gebracht – so weit es nämlich politisch möglich und mit seinem eignen Interesse verträglich war – und auf diese ebenso weitläufige, mühevolle und fruchtlose Operationen, die aber, in anderthalb Verse zusammengedrängt, einen gar schönen poetischen Effekt machen, beziehen sich die ersten Zeilen dieser Epistel. Diese drei Züge: Armis tueri, Moribus ornare, Legibus emendare, enthalten alles, was der beste Fürst seinem Volke Gutes tun kann. August machte sich dies Verdienst um ganz Italien, dessen größter Teil jetzt, so zu sagen, nur die Vorstadt des unermeßlichen Roms war. Er beeiferte sich wenigstens, das überall baufällige Gebäude auszubessern, zu stützen, zu bekleistern, und mit einer prächtigen neuen Außenseite zu zieren. Die Römer waren damit zufrieden; sie beteten ihn dafür an. Er tat noch mehr für sie, als sie selbst verlangten (denn sie verlangten nur Brot und Schauspiele

– – – – Nam qui dabat olim
imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se
continet atque duas tantum res anxius optat,
PANEM et CIRCENSES – Iuvenal. Sat. X.
), er sorgte für alles. – Und Horaz sollte sich länger haben weigern können, auch einmal einen Stoß in die Trompete der Fama zu tun, welche so mannichfaltige, so große Verdienste der Welt ankündigte?

Dies ist alles, was ich zur Entschuldigung der einzigen wirklichen Schmeichelei, die man ihm zur Last legen kann, nämlich der anstößigen Verse:

Sed tuus hic populus sapiens et iustus in uno,
te nostris ducibus, te Graiis anteferendo,

vorzubringen habe. Horaz sagt damit weiter nichts, als was die Römer taten. – »Aber er lobt sie deswegen« – Konnt' er in einer Epistel an August weniger tun? – Und hatte, wenn wir billig sein wollen, dieser in seiner Art einzige Sterbliche nicht wirklich eine Seite, auf welcher er über alle andre vor ihm und nach ihm hervorglänzt? – Gern gebe ich zu, Brutus war ein größerer Mann, als sein Freund Horaz, weil er lieber sterben, als den Tag sehen wollte, da er dem Octavius solche Komplimente hätte machen müssen: aber niemand ist verbunden ein Held zu sein; und wo sind (wenigstens in unsern Zeiten) die Menschen, die unsern Dichter deswegen verachten dürften?

.

Der große Romulus, und Vater Bacchus, und
mit seinem Bruder Pollux, Jovis Söhne,
um ihrer Taten willen in die Tempel
der Götter aufgenommen, – als sie, noch
auf Erden lebend, Gutes um die Menschen
verdienten, ihren wilden blut'gen Fehden
ein Ende machten, und des Friedens Süßigkeit
sie kosten ließen, ihnen Eigentum
und Recht und Künste gaben, und in Städte
sie sammelten, des menschlichen Geschlechtes
Wohltäter! – klagten oft mit bitterm Schmerz,
daß alles, was sie für die Welt getan,
    Cum tot sustineas et tanta negotia solus,
res Italas armis tuteris, moribus ornes,
legibus emendes, in publica commoda peccem,
si longo sermone morer tua tempora, Caesar.
<5> Romulus et Liber pater et cum Castore Pollux,
post ingentia facta deorum in templa recepti,
dum terras hominumque colunt genus, aspera bella
componunt, agros assignant, oppida condunt,
ploravere suis non respondere favorem
die Liebe, die sie sich versprochen, nicht
gewinnen könne. Selbst der Hyderntilger
Alcides, der so manches Ungeheuer
gebändigt hatte, fand, daß nur der Tod den Neid,
der Ungeheuer giftigstes, bezwinge.
Der Mann, der über seine Zeit zu hoch
emporgestiegen, brennt durch seinen Glanz:
laß ihn verlöschen, und er wird geliebt!

Dir aber, großer Cäsar, bringen wir,
noch weil du bei uns bist, die Ehren dar,
die du verdienst. Wir setzen die Altäre
im Leben Dir, bei denen unsre Enkel
einst schwören werden, und bekennen laut
dadurch, daß deines gleichen nie zuvor
die Welt gesehn, noch künftig sehen wirdDie gewöhnlichen Vorstellungen, die man sich von der Vergötterung (Apotheosis) der römischen Cäsarn bei ihren Lebenszeiten macht, scheinen einer ziemlichen Berichtigung zu bedürfen. Die meisten, selbst unter den Gelehrten, machen sich wenig Bedenken, den blinden Heiden Unrecht zu tun; wenigstens bringt man zu wenig in Anschlag, wie groß der Unterschied zwischen ihren und unsern Begriffen in solchen Dingen war, und wie wenig das, was sie bei dem Namen eines Gottes dachten, mit unsrer Theorie von dem höchsten Wesen gemein hat. Die sogenannten Heiden kannten (außer der Ersten Ursache aller Dinge, die nirgends weder Tempel noch Priester hatte, und von welcher nur die Philosophen schwatzten oder träumten) keine andre Götter, als Schutzgeister. Selbst die Götter vom ersten Range (Dii maiorum Gentium) waren im Grunde nichts mehr als vergötterte Menschen, die wegen großer Verdienste, so sie sich in den ersten Zeiten der Welt um das menschliche Geschlecht gemacht, von der Nachwelt als höhere Wesen verehrt wurden, weil man glaubte, daß sie, auch nach Ablegung der irdischen Hülle, noch immer mit einer wohltätigen Fürsorge für die Menschen beschäftigt wären. Jede Familie verehrte die Geister ihrer Voreltern, unterdem Namen Lares, als eine Art von guten Hausgöttern, die die Liebe zu dem Hause, worin sie ehemals gelebt, mit dem Tode nicht abgelegt hätten, sondern noch gern da wohnten, an ihrer Nachkommenschaft Teil nähmen, ihnen Glück brächten oder sie vor Unheil bewahrten u.s.w. Dieser uralte und allgemeine menschliche Glaube führte sehr natürlich auf die Vorstellung: daß die ersten Stifter der Städte, als Stammväter einer großen politischen Familie, nach ihrem Tode die nämliche Zuneigung zu ihren Städten, wie die Lares zu ihren Häusern, behielten, und für die Erhaltung und ewige Dauer des Werkes, das ihnen einst so viel Mühe und Sorge gekostet, unermüdet besorgt wären. Aus dieser Quelle entsprang nach und nach der ganze Götterdienst der Alten. Der allgemeine Begriff, der sich daher bildete, war: sich bei dem Worte Gott, Δαίμων, Numen, ein mehr oder weniger erhabenes und mächtiges menschenähnliches Wesen zu denken, das sich durch Wohltaten ein Recht an die Dankbarkeit der Sterblichen erworben hätteDeus est mortali iuvare mortalem; et haec ad aeternam gloriam via. Hac proceres iere Romani, etc. Hic est vetustissimus referendi bene merentibus gratiam mos, ut tales numinibus adscribantur. Plin. Hist. Nat. L. II., aber dafür auch zum Beweis dieser Dankbarkeit einen gewissen Dienst von ihnen erwartete. Man begreift leicht, wie Gesetzgeber und Regenten, Priester, Wahrsager, Zauberkünstler u.s.w., jede zu ihren besondern Absichten und Vorteilen, von diesem allgemeinen Volksglauben Gebrauch machen konnten; und es wäre wahrlich ein großes Wunder gewesen, wenn nicht endlich Dankbarkeit oder Schmeichelei darauf verfallen wären, auch die Fürsten in die Klasse dieser höhern Wesen miteinzuschließen; da die ältern Götter selbst kein andres Recht an die Verehrung der Menschen hatten, als die Verdienste, so sie sich um die Welt gemacht. Die regierenden Familien unter den Alten leiteten ohnehin größtenteils ihre Stammregister von Göttern oder vergötterten Menschen her; und der Schritt vom König zum Gott war nicht größer, als der Schritt von dem, was alle geboren werden, zum König. Und wie hätten insonderheit die Griechen Bedenken tragen sollen, einem August oder Hadrian religiöse Ehrenbezeugungen zu erweisen, da die Republik Lokri einem bloßen AthletenEr hieß Euthymius, und seine Apotheose wurde den Lokriern vom Orakel zu Delphi anbefohlen. Plin. L. VII. c. 47., bei lebendigem Leibe, das nämliche getan hatten. Auch waren es die Griechen, die das erste Beispiel gaben, römischen Prokonsuln und Feldherren, denen sie sich besonders verpflichtet hielten, Altäre, ja sogar Tempel zu dedizieren, und Festtage, die ihren Namen trugen, anzuordnenS. des Abts Mongault Abhandlung über diese Materie im I. B der Mémoir. de Littérature.. Man begreift also leicht, wie Augustus, ohne sich in den Augen der Römer einer Unbescheidenheit oder Gottlosigkeit schuldig zu machen, diese uns so anstößige Ehrenbezeugungen zulassen konnte. Sie wurden nicht sowohl der Person als dem Genius Augusts, und der Majestät des römischen Reichs, die nunmehr leibhaftig in ihm wohnte, erwiesen. Es war eine verbindlichere Art von Huldigung, – um so verbindlicher, weil sie freiwillig war – ein neues politisch-religiöses Band, das durch die damit verbundne Religion eine stärkere Sanktion erhielt, und die so zahlreichen und weitentlegenen Provinzen dieses ungeheuern Reichs fester zusammenschlang, enger mit dem gemeinschaftlichen Haupte verband: und eben aus diesem Grunde erlaubte August nicht, daß ihm in irgend einer Provinz ein Tempel anders als gemeinschaftlich mit der Göttin Rom gewidmet wurdeSueton. in Aug. c. 52.; wiewohl ihm (sagt Sueton) nicht unbekannt war, daß ehemals verschiedenen Prokonsuln diese Ehre für sich allein erwiesen worden war. Aber damals blühte die Freiheit noch, und es verstand sich von selbst, daß der Glanz einer so hohen Ehrenbezeugung auf die Republik, deren Majestät die Prokonsuln in den Provinzen vorstellten, zurückfiel. Unter August hatten sich die Umstände zu sehr geändert, als daß eine Ehre, die ein T. Flaminius ehemals ohne Bedenken annehmen konnte, nichts Verhaßtes und Übermütiges mit sich geführt hätte, wenn er sie für sich allein, ohne Rom ausdrücklich mit zu nennen, angenommen hätte. Roma, zur Göttin personifiziert, hatte schon in mehrern griechischen Städten Tempel. Smyrna war die erste gewesen, die den Römern im Jahre 559 dieses höchste Merkmal von Devotion, das nach der damaligen Vorstellungsart möglich war, gegeben hatte. Daß der Genius Augusts, mit Roms Fortuna gleichsam vermählt, in entlegnen Provinzen einen gemeinschaftlichen Tempel erhielt, wo die Götter für das so enge verbundne Glück Augusts und der Stadt Rom öffentlich angerufen wurden, hatte nichts Anstößiges, nichts der gegenwärtigen Verfassung Widersprechendes; aber das nämliche mitten in Rom selbst schien dem furchtsamen August, der jetzt mehr als jemals allen Schein verhaßter Vorzüge vermeiden wollte, gefährlich. Indessen konnte und wollte er doch nicht verhindern, daß seit dem Altar, den der Senat bei seiner Zurückkunft im J. 735 der Fortunae Reduci aufrichten ließ, eine Menge Altäre ihm zu Ehren errichtet wurden; aber diese Altäre waren nicht dazu bestimmt, um ihm als einem Gott darauf zu opfern, sondern für ihn, als einen Sterblichen, zu opfern und zu beten. Daß dies ihre wahre und einzige Bestimmung gewesen sei, wird niemand, der die Religion der Römer kennt, bezweifeln; und zum Überfluß kann es der vom Abt Mongault aus dem Gruterischen Werke angeführte Altar (der sich noch zu Rom in dem Mediceischen Garten befindet) beweisen, der laut der Aufschrift einer von denen ist, welche S.P.Q.R. dem August dedizierten, und auf dessen einer Seite August selbst, als Pontifex Maximus, von andern Priestern umgeben, opfernd vorgestellt wird. Denn daß er ihm selbst geopfert haben werde, kann doch wohl niemanden einfallen. – »Was will nun also unser Dichter damit, wenn er von der Errichtung dieser Altäre ein so großes Aufheben macht? So wie er davon spricht, kann man ja kaum anders denken, als daß die Römer ihren August wirklich schon bei lebendigem Leibe vergöttert hätten?« – Ich antworte: Wiewohl die Ehre, die sie ihm durch die Dedikation solcher Altäre bewiesen, keine göttliche Ehre war, noch, ihrer Absicht nach, sein sollte: so war es doch eine ungewöhnliche Ehre, die in Rom selbst noch keinem Sterblichen widerfahren war, und es konnte als ein Unterpfand der Apotheose, die ihm nach seinem Tode bevorstand, angesehen werden. Aber dies war auch alles; und was Horaz mehr zu sagen scheint, ist eine bloße Wendung, um den Vorzug, der dem August dadurch gegeben wurde, desto mehr zu heben, und die mir nicht unglücklich durch diese Übersetzung ausgedrückt zu sein scheint:
– wir richten die Altäre dir
bei deinem Leben auf, bei denen unsre Enkel
einst schwören werden
.
.

Gerecht und weis' ist deines Volkes Urteil,
indem es vor der Griechen Helden Dir
und vor den unsrigen den Vorzug gibt;
in diesem einz'gen Punkt gerecht, in andern nicht.
Da schätzen sie den Wert der Sachen ganz
nach einer andern Regel, ekeln alles an,
was unsre Zeit in unserm eignen Boden
<10> speratum meritis. Diram qui contudit hydram
notaque fatali portenta labore subegit,
comperit invidiam supremo fine domari:
urit enim fulgore suo, qui praegravat artes
infra se positas, extinctus amabitur idem.
<15> Praesenti tibi maturos largimur honores,
iurandasque tuum per nomen ponimus aras,
nil oriturum alias, nil ortum tale fatentes.
Sed tuus hic populus sapiens et iustus in uno,
te nostris ducibus, te Graiis anteferendo,
<20> cetera nequaquam simili ratione modoque
hervorgebracht; sind so verliebt in alles,
was Alt ist, daß sogar die Satzungen
der Zehner
Die Gesetze der zwölf Tafeln, die im J. d. St. R. 303 und 304 von den dazu erwählten Zehnmännern oder Zehnern verfaßt wurden., oder weiland unsrer Könige
geschloßne Bünde mit den Gabiern
und mit den festen ehrsamen Sabinern,
der Pontifexe graue ZeitregisterHoraz sagt bloß Pontificum libros, und meint damit ohne Zweifel die nämlichen, welche Livius Commentarios Pontificum und Dionysius von Halikarnaß (der uns ein Fragment davon erhalten hat) die heiligen Bücher, ιεροὺς δέλτους, nennt. Sie wurden zu einer Zeit angefangen, da außer dem Pontifex Maximus, dem ihre Verfertigung oblag, schwerlich viele Personen in Rom waren, welche schreiben und lesen konnten; und enthielten eine mit Legenden-Märchen und Wunderdingen reich durchwebte Chronik der Stadt Rom von den ältesten Zeiten bis ins siebente Jahrhundert. Vermutlich war es dieser wunderbare Inhalt, mit der altfränkischen, treuherzigen und gläubigen Manier des Vortrags, was sie (wie Atticus beim Cicero sagtDe legibus I. c. 2. Annales pontificum maximorum, quibus nihil legi potest iucundius.) so außerordentlich angenehm zu lesen machte. Horaz, wiewohl er überhaupt kein großer Liebhaber eisgrauer Schönheiten war, spricht den Antiquaillen, wovon die Rede ist, darum nicht alles Interesse ab: er spottet nur über den verkehrten oder affektierten Geschmack der übertriebnen Liebhaber, die an diesen Überbleibseln des rohesten Altertums so großes Belieben fanden, daß ihnen nichts Neues schmecken wollte.
und die betagten Blätter unsrer alten
ProphetenMan trug sich damals zu Rom mit einer unendlichen Menge von alten Weissagungen, unter denen besonders die von einem edeln Römer, namens Cn. Marcius (welcher Offenbarungen zu haben vorgab und die unglückliche Schlacht bei Cannä lange zuvor vorhergesagt hatte), nach Erfüllung der letztern, die Aufmerksamkeit des Senats an sich zogen; wovon man das Nähere im 25sten Buche des Livius finden kann. Als Augustus im Jahr 741 nach dem Tode des ehemaligen Triumvir Lepidus auch die Würde eines Pontifex Maximus erhielt, die ihm den einzigen Zweig der Souveränität, der ihm noch fehlte, die höchste Gewalt in allen die Religion betreffenden Dingen, gab, ließ er alle Bücher dieser Art, deren man über zweitausend zusammenbrachte, aufsuchen und verbrennen. Nur die Verse, die den Sibyllen zugeschrieben wurden, standen bei dem römischen Pöbel in zu großem Ansehen, als daß er sich an ihnen hätte vergreifen dürfen. Die Sammlung derselben, die seit den Zeiten des Tarquinius im Capitol verwahrt wurde, war zwar in dem Kriege mit den italienischen Bundesgenossen, mit dem Tempel selbst, verbrannt. Der Senat hatte aber einige Zeit hernach eine neue Sammlung besorgt, die aus ungefähr tausend Versen bestand, welche man zu Erythrä und in andern Orten in Italien und Sizilien bei unterschiedlichen Privatpersonen zusammengebracht hatte. Mit dieser hatte man sich bisher beholfen; bis August (vermutlich weil der Geist der Zeit allerlei unechten Sibyllensprüchen zur Geburt geholfen haben mochte) eine Revision derselben vornehmen, und durch das ehrwürdige Kollegium der XV Virorum Sacris Faciundis eine neue vollständige und echte Abschrift der Sibyllinischen Verse machen ließ, die er, mit allem schuldigen Respekt, in zwei vergoldete Kapseln verschlossen, unter das Fußgestell des Palatinischen Apollo, als ihres natürlichen Schutzherrn, beisetzen ließ. Sie erhielten sich im Besitz dieses Platzes bis ins Jahr Christi 363, da der Tempel des Apollo in Brand geriet, die beiden Kapseln aber noch mit vieler Mühe gerettet wurden. Der Dichter Claudian erwähnt ihres Daseins und Ansehens noch um das Jahr 403, und legt es dem berühmten Vandalen Stilico zur Last, daß er sie endlich, aus Haß gegen das römische Reich (für dessen Palladium sie angesehen wurden), vernichtet habe., vom AlbanVom Albanischen Berge; als ob die Musen den Parnaß verlassen und ihre Wohnung auf dem Albanischen Berge aufgeschlagen hätten, der bei den lateinischen Völkern von uralten Zeiten her, wegen der vielen Wunderdinge, die sich auf demselben zutrugen, in einer Art von religiösem Ansehen stand, und auch die Szene der geheimen Unterredungen war, welche der König Numa mit der Nymphe Egeria zu haben vorgab. herab (in ihrem Wahn)
die Musen selbst uns zugesungen haben.

»Der Griechen ältste Werke sind die besten«,
ich geb' es zu: doch, sollen nun darum
auch unsre Dichter auf derselben Waage
gewogen werden? – so behaupte man,
das Harte an der Frucht des Ölbaums sei
aestimat, et, nisi quae terris semota suisque
temporibus defuncta videt, fastidit et odit.
Sic fautor veterum, ut tabulas peccare vetantes,
quas bis quinque viri sanxerunt, foedera regum
<25> vel Gabiis, vel cum rigidis aequata Sabinis,
pontificum libros, annosa volumina vatum,
dictitet Albano Musas in monte locutas.
Si quia Graecorum sunt antiquissima quaeque
scripta vel optima, Romani pensantur eadem
inwendig nicht, nicht an der Nuß von außenD. i. So wenig man daher, weil das Harte an der Nuß von außen, und das Genießbare, der Kern, inwendig ist, den Schluß ziehen kann, es müsse bei der Olive eben so sein: so wenig folgt es, daß die Werke der ältesten römischen Dichter den Vorzug vor den Neuem haben, weil es diese Bewandtnis bei den griechischen hat.;
so sage man, wir haben nun in allem
den Gipfel schon erreicht, wir singen, malen, ringen
gelehrter, als die kunstgeübten GriechenDaß Horaz in dieser Stelle den Römern seiner Zeit sogar in der Malerei den Vorzug über die Griechen sollte haben geben wollen – und dies in einem Briefe an August, bei dem er sich durch einen so unglücklichen Zug von Patriotismus äußerst lächerlich hätte machen müssen, – ist etwas, das sich gar nicht denken läßt, und wenn es hundert Scholiasten sagten. Ich will gern glauben, daß man damals von einem Horaz noch nicht verlangte, daß er sich auf alles verstehen müsse; und daß es ihm also sehr erlaubt war, kein Kenner von Malerei zu sein. Aber mußte einer denn ein Kenner sein, um zu wissen, wie unendlich die Römer in dieser Kunst hinter den Griechen zurück waren? Und wie hätte ein Mann, der Athen gesehen hatte, und nun schon so lange ein Hausgenosse eines Mäcenas gewesen war, sich einfallen lassen können, die Römer, um des Landschaftsmalers LudiusUnd auch dieser war ein geborner Ätolier., oder um ihres Arellius willen (dessen Göttinnen immer Porträte seiner Liebschaften waren) den Griechen entgegenzustellen, welche, nur bloß aus dem Jahrhundert des Perikles und Alexander, weit mehr vortreffliche Maler aufzuweisen hatten, als die Römer, von Erbauung ihrer Stadt an, mittelmäßige und schlechte nennen konnten? – Ich habe also den Punkt nach dem 31sten Verse in ein Komma verwandelt, und lese, mit Geßner und Batteux, die drei folgenden Verse: venimus ad summum etc. als eine Fortsetzung des Räsonnements, wodurch Horaz die blinden Verehrer der alten römischen Literatur zur Ungereimtheit zu treiben sucht. Seine wahre Meinung ist also: »Wenn wir behaupten wollen, weil die Alten bei den Griechen die Besten sind, so müssen sie's auch bei uns sein: so ist nichts so ungereimt, was wir nicht mit gleichem Rechte behaupten könnten; so wollen wir uns auch einbilden, wir hättens in der Musik, in der Malerei, in der Athletik höher gebracht, als die Griechen, kurz, wir hätten in allem schon das Non plus ultra erreicht.« Dies ist ohne allen Zweifel, was Horaz meinen mußte, und man braucht nur auf den ganzen Zusammenhang recht Acht zu geben, um zu sehen, daß er entweder dies sagen wollte, oder die gröbste Albernheit gesagt hätte, die jemals einem Bavius oder Mävius entronnen wäre.!

Doch wenn's die Jahre sind, die, wie die Weine,
auch die Gedichte bessern: möcht' ich wohl
belehrt sein, welches Jahr denn eigentlich
die Güte eines Werks entscheiden soll?
Ein Autor, der vor hundert Jahren starb,
gehört er zu den Alten – das ist, zu
den Guten – oder zu uns Schlechten, Neuen?
Setzt eine runde Zahl, die allem Streit
ein Ende mache! – »Wohl! Ein jeder Autor,
der seine hundert Jahre richtig zählt,
ist alt und gut.« – Wie aber, wenn nun einer
nur einen Monat, oder allenfalls
ein Jährchen später starb? Wohin mit dem?
<30> scriptores trutina, non est quod multa loquamur;
nil intra est oleam, nil extra est in nuce duri;
venimus ad summum fortunae, pingimus atque
psallimus, et luctamur Achivis doctius unctis.
Si meliora dies, ut vina, poemata reddit,
<35> scire velim, pretium chartis quotus arroget annus?
Scriptor ab hinc annos centum qui decidit inter
perfectos veteresque referri debet? an inter
viles atque novos? Excludat iurgia finis!
»Est vetus atque probus, centum qui perficit annos.«
<40> Quid, qui deperiit minor uno mense, vel anno,
Wird er den Alten zugerechnet? Oder ist
bei uns und bei der Nachwelt gar kein Raum
für solchen Spätling? – »Nun, wem nur ein Monat,
und wär' es auch ein Jahr, am Hundert fehlt,
der nimmt noch billig bei den Alten Platz.«
Dank für den Nachlaß! Und nun zupf ich euch,
wie jener aus dem PferdschweifDie Geschichte, auf welche Horaz hier anspielt, erzählt Plutarch im Leben des Sertorius. Dieser Feldherr – der eine der ersten Stellen unter den großen Männern, die dem Glücke nichts zu danken hatten, behauptet – hatte, nach manchem Sieg und mancher Niederlage, wieder eine zahlreiche Armee von mutigen, aber wilden und zu aller Ordnung und Disziplin unwilligen, Barbaren zusammengebracht, die immer nur angreifen wollten, und mit denen er gar bald verloren war, wofern er kein Mittel finden konnte, sie von der Notwendigkeit eines überlegten Betragens zu überzeugen. Er ließ sie endlich einmal anrennen; sie wurden, ungeachtet ihres kühnen, aber unordentlichen Angriffs, von den Römern zurückgeschlagen, und würden sehr übel weggekommen sein, wenn ihnen Sertorius nicht in Zeiten zu Hülfe gekommen, und die Fliehenden glücklich ins Lager zurückgebracht hätte. Diese Schlappe machte sie nun auf einmal so mutlos, als sie vorher übermütig gewesen waren. Sertorius, ein Meister in der Kunst die Menschen zu behandeln, wie nur wenige gewesen sind, hielt dies für die rechte Zeit, sie mit einemmale von beidem zu heilen. Der schönste philosophische Diskurs von der Welt würde hier nichts geholfen haben; denn rohe Menschen verstehen nichts davon, und verfeinerte amüsieren sich damit, und disputieren, wenn der Schönredner fertig ist, ob er Recht oder Unrecht habe. Sertorius versammelte seine Armee, und ließ, ohne zu sagen, was er damit wollte, zwei Pferde, einen jungen und starken Andalusischen Hengst, und eine alte, lahme, klapperdürre Mähre, mitten unter sie hervorführen. Das starke Pferd, an welchem besonders die lange Mähne und der schöne Schweif in die Augen fiel, wurde von einem kleinen schwachen unansehnlichen Kerl, die elende Gurre hingegen von einem seiner größten und handfestesten Leute geführt. Jedermann war in großer Erwartung, was daraus werden sollte. Paßt auf, rief Sertorius. Auf einmal ergriff der starke Kerl den Schweif des schwachen Gauls, und zog mit aller seiner Stärke, als ob er ihn ausreißen wollte; während daß zu gleicher Zeit der kleine schwache Knirps sich hinter das starke Pferd hermachte, und ihm ein Haar nach dem andern aus dem Schweif zog. Der erste, nachdem er aus allen Kräften, unter großem Gelächter der weisen Zuschauer, so lange bis ihm der Atem ausblieb, vergebens gezogen hatte, mußt' es endlich aufgeben; da hingegen der andre indessen ohne Mühe dem starken Pferde seinen Schweif Haar vor Haar ausgezogen hatte, und in seiner Hand vorzeigte. – Der Apolog war trefflich und hatte den Zuschauern großen Spaß gemacht; aber wenn es Sertorius dabei bewenden gelassen hätte, so wären sie so klug weggegangen, als sie gekommen waren. Er trat also auf, und setzte – die Moral hinzu. Liebe Kameraden, sagte er, ihr seht, daß mit Geduld oft mehr auszurichten ist, als mit Stärke. Es gibt viele Dinge, die sich unmöglich auf einmal machen lassen, wie viel Kräfte und Mühe man auch anwendete; und womit man gleichwohl nach und nach sehr leicht zu Stande kommt, u.s.w. – Wie im Plutarch selbst lesen mag, wer zu seinem Pikling noch Salz zu nehmen gewohnt ist., Jahr vor Jahr
so lange aus, bis von den hundert Jahren
nichts in der Hand euch bleibt, und der, wie billig,
sich schämen muß, der Tugend und Talent
nach Jahren mißt, und nichts bewundern will,
dem nicht des TotengräbersIch habe diesen Ausdruck einem wörtlichen vorgezogen, weil die Leichengöttin Libitina unsrer Einbildungskraft gar zu fremd ist. Spaten erst
den Stempel seines Wertes aufgedruckt.

Der weise kräft'ge Ennius, der zweite
Homer – (so sagen wenigstens die Kritiker)
scheint sich um seines Pythagor'schen Traums ErfüllungPythagoras lehrte, wie bekannt, seine Krotoniaten die Seelenwanderung, wiewohl er sie vielleicht selbst nicht glaubte, oder wenigstens in einem ganz andern Sinne glaubte. Der alte römische Dichter Ennius, ein Zeitgenosse der Scipionen und Paul-Ämile, war in seiner Art und für seine Zeit ein trefflicher Mann. Unter ihm fing die römische Literatur an, einen Schwung zu nehmen, der den glücklichsten Fortgang versprach; er bereicherte sie zuerst mit den Schätzen der griechischen, und hatte den Mut, in einer Sprache, die unter seinen Händen erst eine bildsame Gestalt gewinnen mußte, einem Homer nachzueifern. Aber das Gefühl seiner Talente, und der Ruhm, den er sich unter seinen Zeitgenossen erwarb, wurde für seine Bescheidenheit zu stark; und der gute Ennius, weil er ein großes historisches Gedicht von den Taten des Scipio Africanus, und eine große römische Chronik, in Hexametern, geschrieben hatte, hörte sich nicht nur gern den römischen Homer nennen, sondern erzählte sogar im Eingang seiner Annalen selbst mit großer Treuherzigkeit: Homer sei ihm im Traum erschienen, und habe ihm entdeckt, daß seine Seele, nach verschiednen Wanderungen, zuletzt in einen Pfauen, und aus diesem unmittelbar in seinen, des Ennius, Leib gezogen sei. Dies ist der Pythagorische Traum, auf welchen unser Dichter hier zielt. Ennius machte sich dadurch öffentlich anheischig, ein zweiter Homer zu sein: bekümmerte sich aber, wie Horaz meint, eben so wenig darum, wie er Wort halten wollte, als die Kunstrichter, die ihn für den römischen Homer anerkannten, sich darum bekümmerten, ob er Wort gehalten habe. Er mußte ja, dachten sie, am besten wissen, was er war: und es war für sie immer das Bequemste, es ihm auf sein Wort zu glauben. Die Art, wie Matthias Geßner diese Stelle verstanden haben will, ist so unglücklich, daß man ihn zweimal lesen muß, um zu glauben, daß man ihn verstanden habe. Der Horror naturalis, den dieser gelehrte Mann vor allem, was einer Ironie gleich sieht, hatte, ist unbegreiflich.
nicht viel zu kümmern: und was hätt' ers Not?
Wir glauben ihm aufs Wort – er sagts ja selbst!
inter quos referendus erit? veteresne poetas,
an quos et praesens et postera respuet aetas?
»Iste quidem veteres inter ponetur honeste,
qui vel mense brevi vel toto est iunior anno.«
<45> Utor permisso, caudaeque pilos ut equinae
paulatim vello, et demo unum, demo etiam unum,
dum cadat elusus ratione ruentis acervi,
qui redit ad fastos, et virtutem aestimat annis,
miraturque nihil nisi quod Libitina sacravit.
<50> Ennius, et sapiens et fortis, et alter Homerus,
ut critici dicunt, leviter curare videtur,
quo promissa cadant, et somnia Pythagorea.

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