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2. Kapitel.

Kommissär Brandner beeilte sich nicht sonderlich, Miß Harriet Henderson seinen Besuch abzustatten.

Nachdem er sich erst die Lage des Besitzes von außen angesehen, dann die hohe, durch drei Reihen Stacheldraht noch erhöhte Mauer ringsum betrachtet hatte, begann er, längs derselben hinschlendernd, den ganzen Park zu umgehen.

Aufmerksam spähte er nach einem Pförtchen oder einer Lücke in der Mauer, vielleicht nur nach irgend einer Stelle, an der man dieselbe etwa hätte überklettern können.

Aber die Mauer war tadellos, und es gab keinen anderen Eingang, als das hohe eiserne Gittertor, das nachts über sicher geschlossen wurde, während jetzt bei Tag die zwei Flügel zurückgeschlagen standen.

Nachdem Brandner sich all dies genugsam betrachtet hatte, trat er in den Park.

Mächtige alte Bäume versperrten vorerst den Blick auf die Villa. Rechts vom Weg stand eine Gebüschgruppe.

Brandner warf nur einen flüchtigen Blick hinein auf den feuchten schwarzen Boden, der die Eindrücke zahlreicher Füße trug, während in der Mitte ein Haufen dürren Laubes lag.

»Aha – hier lag die Leiche des Obersten. Unnötig, da weiter herumzuschnüffeln, das hat die Kommission am Vormittag sicher schon zur Genüge getan. Sehen wir weiter.«

Er trat aus dem Schatten der Bäume, welche sich rings um den Park längs der Mauer wie ein düsterer Gürtel hinzogen, hinaus auf den steinigen Kiesweg, der schnurgerade zu der Terrasse des Hauses führte.

Rechts und links smaragdgrüner, kurzer Rasen, aus welchem sich einzelne schöne Baumexemplare erhoben. Hin und wieder auch eine Gruppe langstieliger, exotischer Blumen, die scheinbar regellos aufwuchsen.

An einem in herrlichster Blüte stehenden, blaßroten Azaleenbaum stand ein alter Mann, offenbar der Gärtner und entfernte eben einige abgeblühte Blumenkelche.

Brandner knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Aber der Gärtner erwies sich als ein mürrischer, zugeknöpfter Mann, der von nichts wußte – oder wissen wollte.

Er versehe hier seit fünf Jahren seine Arbeit allein mit einem halbwüchsigen Gehilfen, der gestern abend um acht Uhr zu Bett gegangen und wisse von nichts. Ob die »Herrschaft« welche nur aus dem Obersten und seiner Tochter bestand – in Frieden oder Unfrieden lebe, darum habe er sich nie bekümmert. Sie sprachen ja auch zumeist englisch, das er nicht verstand.

»War der Oberst ein guter Herr?«

»Gewiß. Er sprach wenig mit den Leuten, aber es fehlte keinem an irgend etwas.«

»Kam viel Besuch?«

»Darum habe ich mich nie bekümmert.«

»Aber Sie müssen es doch bemerkt haben!«

»Ich sah selten Fremde hier.«

»Glauben Sie, daß der Oberst einen persönlichen Feind besaß? Es kommen zuweilen doch Streitigkeiten vor … im Hause oder mit Freunden … Wurde in der Gesindestube nie über derartiges gesprochen?«

»Wie soll ich das wissen? Ich tue meine Arbeit und kümmere mich sonst um nichts.«

»Wie viel Dienerschaft ist angestellt?«

»Neun Personen. Außer mir und meinem Gehilfen der Kutscher und seine Frau, ein Reitknecht, ein Stalljunge, die Köchin, das Stubenmädchen und des Herrn Obersten Kammerdiener.«

»Wohnen alle in der Villa?«

»Nein. Die Kutschersleute, der Reitknecht und der Stalljunge wohnen im Stallgebäude. Meine und meines Gehilfen Wohnung stößt an das Glashaus. Die übrigen drei schlafen in den Mansardenzimmern der Villa. Aber sind Sie etwa auch ein Polizeispitzel wie der andere, der mir seit heute morgens den Park zertrampelt?« schloß der Gärtner mürrisch.

Brandner lachte.

»Nun, so etwas ähnliches.« Dann setzte er, ernster werdend, hinzu: »Sie brauchten wirklich nicht so spießig zu sein. Wenn Sie Ihrem Herrn ergeben waren, müßten Sie doch eine Aufklärung der Mordtat selbst wünschen!«

»Gewiß. Nur …« Der Gärtner kraute sich ärgerlich hinter den Ohren und sagte plötzlich sehr energisch: »Nur braucht dazu keiner hier herumzuschnüffeln! Wir sind alle langangestellte Leute, wir wissen ganz genau, daß hier in Monplaisir dem Obersten alle von Herzen gut waren. Alle!« setzte er nachdrücklich hinzu.

Brandner sah ein, daß er aus dem Manne nichts weiter herausbekommen würde und setzte seine Wanderung fort. Auch jetzt ging er noch nicht in die Villa, umkreiste sie vielmehr in weitem Bogen und befand sich plötzlich vor dem Glashaus, in dem der Gehilfe große Wasserstrahlen über Kamelienbäume und Palmen niederregnen ließ.

Fabian, der Gehilfe, ein Bursche von sechzehn Jahren, zeigte sich weit weniger zugeknöpft, als sein Herr. Im Gegenteil schien er mancherlei auf dem Herzen zu haben, dessen er sich entledigen wollte, denn Brandner hatte kaum fünf Minuten mit ihm gesprochen, als der Bursche mit einem ängstlichen Seitenblick nach rechts und links geheimnisvoll sagte:

»Ich weiß etwas, Herr Kommissär. Der Gärtner hat mir zwar verboten, davon zu sprechen, aber sie sagen, daß man vielleicht das gnädige Fräulein verdächtigen könnte –«

»Halt – wer sagt das?«

»Nu, – die Kutschersfrau sagte es. Wegen des Streites gestern, und weil … weil doch der Oberst nicht zugeben wollte, daß sie Herrn Richard Tiersteiner heirate –«

»Oho, wer ist dieser Richard Tiersteiner?«

»Der Sohn von dem reichen Goldschmied Tiersteiner, der früher zuweilen im Auftrag seines Vaters bei dem Obersten vorsprach. Jetzt ist ihm schon seit vier Wochen das Haus verboten. Aber gestern –«

»Fabian! Fabian, wo steckst du denn so lange?« rief plötzlich von draußen die Stimme des Gärtners. »Komm doch rasch einmal her!«

Der Bursche ließ erschrocken den Schlauch sinken und wollte hinauseilen. Aber Brandner drängte hastig: »Und gestern?«

»Gestern abend punkt neun Uhr sah ich Herrn Tiersteiner hier im Park herumschleichen,« flüsterte Fabian und rannte dann eilig hinaus.

Brandners nächster Weg galt der Kutschersfrau, mit der er eine kurze Unterredung hatte. Er erfuhr dabei, daß zwischen Harriet und Richard Tiersteiner allerdings zarte Beziehungen bestanden hatten, welche indessen der Oberst sehr energisch zerriß, indem er dem Bewerber einfach das Haus verbot. Der Streit zwischen Vater und Tochter sei damit zusammengehangen, da Harriet erklärte, nicht von Richard zu lassen. Des Obersten Antwort, welche die Kutschersfrau durch ein offenstehendes Fenster, unter welchem sie sich gerade befand, deutlich gehört haben wollte, lautete:

»Und ich sage dir, Harriet, so lange ich lebe, wirst du niemals Tiersteiners Frau werden!«

Brandner pfiff leise vor sich hin. Das war ja sehr interessant!

Am Abend danach hatte man den Obersten ermordet. Und zur Zeit des Mordes war Richard Tiersteiner von Fabian im Park gesehen worden! …

Nun endlich begab sich der Kommissär in das Wohnhaus. Er war sehr nachdenklich und nahm den Bericht des Detektivs Hörmann, welcher ihm mitteilte, daß er beim besten Willen unter den vielen sich kreuzenden Fußspuren im Park keine besonders verdächtige habe herausfinden können, schweigend entgegen.

Inzwischen saß die verwaiste Tochter des Hauses noch immer verwirrt und betäubt von dem Schlag, der sie so unerwartet betroffen hatte, in ihrem Boudoir.

Groß und erschreckt starrten die dunklen Augen aus dem lieblichen, gegenwärtig marmorblassen Gesicht. Eine Fülle goldblonder Haare lag gleich einem leuchtenden Rahmen um Stirn und Schläfen.

Was Harriets Antlitz so anziehend machte, war kein regelmäßiger Schnitt, sondern der reine, holdselige Ausdruck, der darüber ausgebreitet lag.

Das feine, gebogene Näschen, die schlanken, weißen Hände, die jetzt in müder Trostlosigkeit gleich welken Blumen im Schoße ruhten, die biegsame Gestalt mit den winzigen Füßen, alles war graziös, weich und liebreizend. Neben ihr saß eine alte, weißhaarige Dame von stattlicher Figur, mit klugen, blauen Augen und energischen Zügen.

Es war Hofrätin Warmbach, Harriets mütterliche Freundin, die einzige, mit der sie intimer verkehrte und die in Monplaisir aus- und einging, seit der Oberst, von England kommend, sich in Österreich angekauft hatte.

Sie war auf die Nachricht von dem Unglück sogleich herausgeeilt und stand nun ratlos einer Verzweiflung gegenüber, die sie in diesem Ausmaße nicht begreifen konnte.

Harriet gab keine Antwort auf der Freundin Fragen und schien deren Trostworte gar nicht zu hören.

In starrem Schweigen saß sie da, immer noch den verstörten, angstvollen Ausdruck im Blick, mit dem sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war.

Alice Warmbach stand vor einem Rätsel, Harriet war ihr immer mutig erschienen und mit beneidenswert gesunden Nerven begabt. Sie hatte sie stets für eine gute, liebevolle Tochter gehalten, aber keineswegs rechtfertigte das Verhältnis zwischen Vater und Tochter, welches des Obersten kühles, reserviertes Wesen zu einem mehr konventionellen als innigen gestaltet hatte, eine so maßvolle Verzweiflung.

Warum sprach Harriet nicht? Warum weinte sie nicht? Weshalb zuckte sie jedesmal erschreckt zusammen, wenn draußen im Korridor Schritte erklangen, und richtete sich dann doch wieder horchend auf, wenn alles still blieb?

Erwartete oder – fürchtete sie etwas?

Da die Hofrätin auf all diese Fragen keine Antwort finden konnte, setzte sie sich endlich still neben Harriet nieder und nahm deren Hand in die ihre.

Dabei überlegte sie, ob es klug von ihr gewesen war, Harriet im ersten Sturm des Mitleids ihre Übersiedlung nach Monplaisir anzutragen. Wäre es nicht besser gewesen, das Mädchen mit sich fort in ihr eigenes Heim zu nehmen?

Freilich – da war die kostbare Gold- und Juwelensammlung, die man doch nicht allein der Obhut der Dienerschaft anvertrauen konnte!

Immerhin. –

Ein Klopfen unterbrach der Hofrätin Gedankengang. Das Stubenmädchen trat ein und legte eine Karte in Harriets Schoß.

»Der Herr läßt das gnädige Fräulein um eine Unterredung bitten.«

Harriet warf einen verstörten Blick auf die Karte und stieß gleich darauf einen ächzenden Laut aus.

»Ernst Brandner, Kriminal-Kommissär.«

Die Hofrätin las es halblaut. Dann, als sie Harriets Augen in flackernder Todesangst auf sich gerichtet sah, erhob sie sich rasch: »Nein, bitte, ich will … ich muß … jawohl, ich muß ihn allein empfangen. Ich glaube, er wird das auch erwarten.«

»Es wird dich zu sehr aufregen, Liebling!«

»Nein – ich bin ganz ruhig, liebe Alice.«

In der Tat war eine große Veränderung in ihr vorgegangen. Angst und Unruhe schienen plötzlich wie weggewischt aus Harriets Gesicht, während mutige Entschlossenheit aus ihren dunklen Augen leuchtete.

Mit festen Schritten ging sie hinüber in den Salon, der ihre Gemächer von jenen des toten Obersten trennte und wo Brandner sie erwartete.

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