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5. Kapitel.

Silas Hempel war der Dienerschaft als Verwandter der Hofrätin vorgestellt worden, der vorläufig eines der Gastzimmer im ersten Stockwerk und zwar jenes, welches an des ermordeten Obersten Gemächer grenzte, bewohnen sollte.

Begründet wurde diese Anordnung erstens mit der Sorge um die kostbaren Sammlungen, welche sonst völlig unbewacht geblieben wären, da Harriets Wohnung im anderen Flügel lag und Friedrich in der Mansarde schlief, zweitens mit der Angst der beiden Damen vor einem Einbruch, dem sie als alleinige Bewohner des ersten Stockwerks schutzlos gegenübergestanden wären.

»Es tut mir leid, meine Damen, daß ich Ihnen diesen Zwang auferlegen muß,« sagte Hempel, als er, nachdem Harriet ihn der Hofrätin vorgestellt hatte, mit beiden allein im Salon blieb und diese Dinge besprach, »aber es ist für den Erfolg meiner Mission ebenso notwendig, daß ich vorläufig an Ort und Stelle bleibe, als daß niemand hier um meine Absichten weiß.«

»Was mich anbetrifft,« antwortete die Hofrätin, »so muß ich gestehen, daß mir Ihre Anwesenheit hier tatsächlich eine wahre Erleichterung ist! Das Haus liegt so einsam und der Gedanke an das, was hier geschah, trägt nicht dazu bei, das unheimliche Gefühl zu verscheuchen, das mich schon vorhin während Harriets Abwesenheit beschlich, als ich mir vorstellte, wie wir die Nacht so mutterseelenallein hier unten zubringen müßten.«

Harriet sagte nichts. Sie war wohl ruhiger jetzt, aber eine tiefe Niedergeschlagenheit schien sie an Stelle der früheren Erregung zu beherrschen.

Man trank noch eine Tasse Tee, dann übergab Harriet dem Detektiv die Schlüssel zu ihres Vaters Zimmer und machte ihn mit den Stunden bekannt, welche für die Mahlzeiten angesetzt waren, worauf sich beide Damen in ihre Zimmer zurückzogen.

Es war ausgemacht worden, daß Hempel zum Frühstück erscheinen und Bericht erstatten sollte, ob er irgend etwas von Belang gefunden habe.

Aber die Zeit verging und die beiden Damen warteten vergebens auf sein Erscheinen.

Harriet wurde immer unruhiger.

»Wo mag er stecken? Warum kommt er nicht?« fragte sie sich.

Endlich ließ man Friedrich kommen, um sich nach Herrn Hempels Verbleib zu erkundigen.

Der Kammerdiener schien sehr übel gelaunt. Es war Harriet bereits gestern abend aufgefallen, daß der bis dahin stets willige und höfliche Mensch eine störrische Miene angenommen hatte, als man ihm befahl, die Bedienung des Gastes zu übernehmen.

Heute trat dies noch deutlicher zu Tage.

Er wisse gar nichts von dem fremden Herrn, als daß man sehr im Irrtum sei, wenn man meine, des Herrn Obersten Sammlungen wären durch ihn beschützt. Ob er die Nacht über in seinem Zimmer geblieben wäre, sei mindestens zweifelhaft, jedenfalls aber habe ihn der Stalljunge schon um drei Uhr morgens im Park herumspazieren sehen, und um vier Uhr sei er leise wie ein Dieb auf dem Dachboden herumgeklettert, was doch für einen Gast des Hauses gewiß sehr seltsam wäre.

Harriet und die Hofrätin blickten sich verdutzt an. Beide hatten das gleiche Gefühl, daß nämlich aus dem Diener ein gereizter Groll sprach, den sie sich nicht zu deuten wußten.

»Es ist nicht Ihre Aufgabe, Friedrich« sagte Harriet endlich ruhig, aber nachdrücklich, »sich um das Gebahren der Gäste des Hauses zu kümmern. Am allerwenigsten dürfen Sie sich aber eine Kritik darüber erlauben. Wir wünschen übrigens nur zu wissen, ob Herr Hempel noch schläft oder wo er sich gegenwärtig befindet?«

Der Kammerdiener zuckte die Achseln und warf einen schiefen Blick um sich.

»Er ist fort. Der Stalljunge sah ihn vor einer Stunde fortgehen.«

»Wie – ohne Frühstück? Und ließ er eine Post für uns zurück?«

»Nein. Er hat überhaupt noch mit keinem von uns eine Silbe gesprochen.«

»Es ist gut, Friedrich, Sie können gehen.«

Aber der Diener blieb noch stehen.

»Ich muß dem gnädigen Fräulein noch eine Mitteilung machen. Es war heute in aller Frühe schon ein Beamter vom Gericht da. – Man hat den Uhranhänger des seligen Herrn Obersten gefunden und ich mußte bestätigen, daß er erstens sein Eigentum war, und zweitens, daß er ihn bestimmt bis zu seinem Tod an der Uhrkette trug. Ich begreife gar nicht, wie ich das Fehlen dieses kostbaren Gegenstandes an der Leiche heute morgen übersehen konnte!«

Harriet sah verwundert drein.

»Vaters Anhänger, die zwei von Brillanten umfaßten Katzenaugen?«

»Dieselben. Er hat sie offenbar im Kampf mit dem Mörder verloren oder riß sie ihm von der Kette. Sie sind sehr wertvoll. Ich hörte den Herrn Obersten einmal sagen, daß er sie um 900 Pfund gekauft hat.«

»Wo fand man denn aber den Anhänger?«

Friedrich zuckte die Achseln.

»Das ist wohl Amtsgeheimnis. Man wünschte nur, daß ich die vorhin erwähnten Tatsachen feststelle.«

»Wie lange habt ihr diesen Menschen in Diensten, Harriet?« fragte die Hofrätin ein wenig später, als die Damen wieder allein waren.

»Sechs Jahre – genau solange, als wir hier sind. Ich glaube Friedrich war die erste Person, die Vater aufnahm für den in Monplaisir neu zu gründenden Haushalt.«

»Und ihr waret immer zufrieden mit ihm?«

»Immer! Warum fragst du?«

»Hm – ich weiß nicht, der Mensch ist mir unsympathisch. Er hat etwas Hinterhältiges und zugleich Arrogantes –«

»Du magst recht haben. Indessen, da er zu Vaters Lebzeiten stets die unterwürfigste Bescheidenheit selbst war, so wird es wohl seinen Grund nur in dem Umstande haben, daß er sich nun als Auskunftsperson den Behörden gegenüber als Chef der Dienerschaft besonders wichtig vorkommt.«


Silas Hempel hatte inzwischen tatsächlich seit dem Morgengrauen Haus und Park mit der ihm eigenen Gründlichkeit durchstöbert und war schließlich zu der Überzeugung gelangt, daß er, um weitere Schlüsse aus dem gesammelten Material zu ziehen, vorher unbedingt mit Wasmut Rücksprache nehmen müsse.

Aus diesem Grunde hatte er, anstatt sich zum Frühstück auf die Terrasse zu begeben, das Bureau des Untersuchungsrichters aufgesucht, wo er auch Brandner antraf.

»Ah, Sie kommen uns wie gerufen, lieber Hempel,« begrüßte Wasmut ihn. »Der Fall, von dem ich Ihnen gestern anläßlich meines Besuches erzählte, hat eine sensationelle Wendung genommen!«

»Sie meinen die Verhaftung des jungen Tiersteiner?« antwortete Hempel lächelnd. »Die erfuhr ich bereits gestern abend, aber ich kann nichts besonders Sensationelles dabei finden!«

Dabei warf er einen halb spöttischen, halb geringschätzigen Blick auf den Kommissär Brandner, welcher seinerseits recht verärgert dreinsah.

Zwischen Brandner, dem offiziellen Organ der Gerechtigkeit, und Silas, dem Privatdetektiv, dessen scharfsinnige Geschicklichkeit ihm einen Ruf weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus verschafft hatte und den die Behörden mit Vorliebe zu Rate zogen, wenn sie selber nicht mehr ein noch aus wußten, bestand wenig Sympathie.

Brandner, ein ehrgeiziger Beamter, verging heimlich vor Neid über Hempels Erfolge, Silas aber dachte nicht sehr hoch von der schablonenhaften Art, mit der Brandner »arbeitete«.

Außerdem stieß ihn dessen geringer Bildungsgrad ab. Brandner hatte sich von der Pike auf emporgearbeitet, Hempel, der einer angesehenen Familie entstammte, hatte Jus studiert und sich seinem Beruf aus Liebhaberei gewidmet.

Trotzdem verkehrten sie äußerlich stets liebenswürdig miteinander, und Hempel war sogar meist großmütig genug, einen »kollegialen« Ton anzuschlagen.

Nur jetzt wiederholte er mit gutmütigem Spott zu Brandner: »Ich fürchte, Sie haben da ein wenig vorschnell gehandelt, Herr Kommissär!«

Brandner, gereizt durch den Umstand, daß Wasmut ohne sein Wissen Silas Hempel in den Fall eingeweiht hatte, fuhr hochmütig auf.

»Wirklich? Sie halten diesen guten Jungen für den Mörder des Obersten?« Hempels Ton war noch um eine Nuance spöttischer geworden. »Und Sie auch, lieber Wasmut?«

Der Untersuchungsrichter nickte überlegen lächelnd.

»Darüber kann doch in der Tat kein Zweifel mehr bestehen! Das Verhalten des Angeklagten bei der Verhaftung und während des ersten Verhörs, das ich noch nachts gleich nach seiner Einbringung mit ihm vornahm, beweist seine Schuld fast noch eklatanter als die Indizien, welche sonst gegen ihn sprechen.«

»So! Wie verhielt er sich dann?«

»Bei der Verhaftung total gebrochen, wie eben ein der Schuld bereits Überführter. Kein Wort wußte er zu seiner Verteidigung vorzubringen. Als ich ihn über die Zeit vernahm, in der die Mordtat geschehen sein muß, brachte er die kindlichsten Dinge vor. Er wollte spazieren gegangen sein – in Kagran, kreuz und quer durch die Stadt, wo, wisse er nicht mehr genau, gesehen hat ihn natürlich niemand, – keinesfalls aber sei er im Park von Monplaisir gewesen. Selbst als ich ihm die Aussage des Gärtnerburschen vorhielt, blieb er bei seinem Leugnen.«

Hempel nickte.

»Natürlich! Er wollte Fräulein Harriet nicht kompromittieren, mit der er verlobt ist und die ihn liebt.«

Wasmut machte eine wegwerfende Gebärde.

»Bah – eigentlich verlobt waren sie ja nie. Und Liebe? Es mag sein, daß Harriet Henderfort eine kleine Schwäche für den Burschen hatte, jetzt ist sie sicher gründlich davon geheilt!«

»O ja – so gründlich, daß sie mich gestern abend gleich nach Tiersteiners Verhaftung aufsuchte und beschwor, seine Unschuld an den Tag zu bringen!«

Wasmut machte ein verblüfftes Gesicht.

»Und Sie übernahmen diese aussichtslose Sache?«

»Ja. ›Aussichtslose‹ Fälle reizen mich immer am meisten, wie Sie wissen. Ich habe mich demnach vorläufig in Monplaisir einquartiert und suche wie Sie, – die Wahrheit zu ermitteln. Sie nehmen mir das doch nicht übel? Wir können ja in aller Freundschaft verschiedene Wege wandeln, wenn sie schließlich nur zu demselben Ziele führen!«

»Gewiß, aber – was wollen Sie denn noch ermitteln, da das Problem bereits gelöst ist?«

»Für mich ist es eben noch lange nicht gelöst. Sie halten Tiersteiner für den Mörder, weil der Oberst seiner Verbindung mit Harriet im Wege stand. Ich bin der Ansicht, daß ein Raubmord vorliegt – allerdings kein alltäglicher …«

»Aber es wurde nichts geraubt!« warf Brandner ein.

»Das scheint mir noch so wenig bewiesen wie – manches andere? Es kann auch ein Mord aus Rache sein. Haben Sie die Vergangenheit des englischen Oberst schon ein wenig klar gelegt?«

»Dazu lag keine Veranlassung vor, da wir den Schuldigen bereits haben,« sagte Wasmut und schob plötzlich einen kleinen blitzenden Gegenstand vor Hempel hin. Da sehen Sie, dies fand man in der Tasche Tiersteiners bei seiner Verhaftung. Ich habe bereits feststellen lassen, daß es ein Anhängsel, welches der Oberst bis zu seinem Tode an der Uhrkette trug und das ihm der Mörder zweifellos im Kampf oder vielleicht nach dem Tode aus Habgier entrissen hat. Zweifeln Sie noch an seiner Schuld?«

Hempel betrachtete die zwei von Diamanten eingefaßten Katzenaugen.

»Ein sehr schön gearbeitetes Stück. Man begreift, daß es den Sohn eines Juweliers reizen mußte … da es vielleicht kein zweites solches Exemplar auf Erden gibt. Um so liebenswürdiger von dem jungen Mann, dieses corpus delicti so sorglos in der Tasche zu behalten!«

»Er war eben auf eine Verhaftung durchaus nicht gefaßt.«

»Ach so. Wie erklärt er nun den Besitz dieser seltenen Quarzvarietät?«

»Das werden wir binnen fünf Minuten erfahren. Ich gab eben, als Sie kamen, den Auftrag, Tiersteiner vorzuführen.«

»Hm – das wird ja recht interessant werden.«

Hempel starrte einen Augenblick in die Luft, dann sah er den Untersuchungsrichter lächelnd an.

»Wissen Sie was? Sie könnten mir die Gefälligkeit tun, mich dabei das Protokoll führen zu lassen. Vielleicht bekehrt mich die Verantwortung des Gefangenen zu Ihrer Ansicht.«

»Ich habe nicht das Mindeste dagegen.«

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