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Es hätte noch lange so weitergehen können, wenn nicht die spanische Revolution im Frühjahr 1820 das Beispiel zu einer Erhebung in Neapel gegeben hätte, die glücklich verlief. Jetzt hielten die Freunde einer Verfassung im Königreich Sardinien den Zeitpunkt, zu handeln, für gekommen, wodurch denn auch die Verbündeten in der Lombardei zum Entschlusse gedrängt wurden. Die erste hoffnungsvolle Spannung, die sich aller Beteiligten bei diesem unverhofften Ausblick bemächtigte, wurde für Federigo bald zur quälenden Sorge. Weder die Kräfte der Revolution in Piemont noch in der Lombardei oder im übrigen Italien schienen einen 30 glücklichen Ausgang zu gewährleisten; was bedeutete eine Handvoll freiheitliebender Männer, ein Haufe begeisterter Jugend und zweifelhafter Abenteurer gegen die festgegründete Macht Österreichs? Ob die Persönlichkeit des Erbprinzen für alles Fehlende aufkommen konnte, war ungewiß. Er hätte mithin seinen Anhängern raten müssen, für jetzt von jedem Befreiungsversuche abzusehen; aber dagegen erhob sich die Erwägung, daß immerhin der Umschwung in Piemont sich glücklich vollziehen könnte, worauf angesehene Männer dort rechneten, und daß man in diesem Falle ihn anklagen könne, er habe den richtigen Augenblick versäumt, wo Mailand im Anschluß an einen italienischen Fürsten Freiheit, Unabhängigkeit und die Grundlage künftiger Einheit hätte erringen können. Darum glaubte er dafür sorgen zu müssen, daß, im Falle Karl Albert dem in ihn gesetzten Vertrauen entspräche, die Rollen unter den Eingeweihten in Mailand verteilt wären und ohne Zeitverlust gehandelt werden könnte. Das Gelingen des Planes setzte eine Vorsicht und ein glattes Sichabrollen der Ereignisse voraus, wie es die Wirklichkeit selten zustande kommen läßt und worauf Federigo nicht rechnen konnte. Die andauernd und beständig sich steigernde Erregung, in der er lebte, und das Gefühl der Verantwortung für eine Tat, die das Leben so vieler Menschen gefährdete, überreizte seine Nerven um so mehr, als er sich aufs äußerste anstrengte, den hohen Grad seiner Unsicherheit und Sorge nicht merken zu lassen. Eine Krankheit ergriff ihn, die sofort mit Heftigkeit auftrat und ihn ans Bett fesselte, und die von den Ärzten als Herzkrankheit behandelt wurde. Trotz seines Fiebers und zeitweiliger Bewußtlosigkeit wurde von seinem Lager aus der Verkehr mit den Revolutionären in Piemont geleitet und die Genesung durch die fortwährende Aufregung hintangehalten.
Zu Beginn des Jahres 1821 war der Zustand des Kranken 31 so besorgniserregend, daß Teresa eines Abends einen seiner Freunde, den Grafen Mompiani aus Brescia, glaubte abweisen zu müssen. Federigo jedoch, der die Stimme erkannt hatte, rief aus dem Nebenzimmer, Mompiani solle bleiben, er habe Wichtiges mit ihm zu reden. Sowie sie allein waren, sagte er ihm, die Vorsehung habe ihn gesandt, er müsse verhindern, daß Graf Bubna, der Gouverneur von Mailand, ermordet werde. Der Überfall sei von den Verschworenen auf diese Nacht festgesetzt. Der erschreckte Mompiani glaubte die Reden eines Fieberkranken zu hören, wofür auch Federigos Anblick sprach: seine Stirn flammte, seine blinkenden Augen irrten bald hastig an den Wänden entlang, bald stießen sie den bohrenden Blick in seine. Indessen sagte er, daß er nicht phantasiere, sondern seiner wohlbewußt sei. Pallavicino sei am Vormittage dagewesen und habe merken lassen, daß das Projekt in dieser Nacht ausgeführt werden solle; sein Einspruch verfange nicht mehr, seit seiner Krankheit sei der Einfluß anderer herrschend geworden. Es wurde Mompiani unheimlich zumute; als einem genügsamen und frommen Menschen war ihm die politische Tätigkeit seines Freundes, so sehr er ihn bewunderte und obwohl er die Abneigung gegen die österreichische Herrschaft teilte, von jeher bedenklich gewesen. Doch hielt er jetzt jede Bemerkung darüber zurück und meinte nur, ob es nicht genüge, wenn er Pallavicino oder einen der anderen aufsuchte und ihnen ihr Vorhaben ausredete, falls sie wirklich eine solche Untat im Sinne hätten. Das wäre nicht der rechte Weg, sagte Federigo, heftig den Kopf schüttelnd, vielleicht würde er sie weder zu Hause noch sonst irgendwo finden; keinesfalls würde es ihm gelingen, sie umzustimmen, er würde sich dadurch nur die Möglichkeit nehmen, ihnen entgegenzuwirken. Er müsse sich Einlaß in Bubnas Palast verschaffen und ihn selbst warnen. 32
Das Rollen eines Wagens ließ Federigo zusammenfahren; Mompiani trat an das Fenster und versuchte durch die beschlagenen Scheiben auf die Straße zu sehen; aber nur die trüben Lichter aus den gegenüberliegenden Häusern drangen durch die dunstige Finsternis. Indem er zu Federigos Bett zurückkehrte, sagte er, ein solches Verbrechen müsse zweifellos verhindert werden, er danke Gott, wenn er als Werkzeug dazu erlesen sei, Federigo solle sich beruhigen und ihm die Sorge dafür vertrauen. Anstatt dessen wurde Federigo immer aufgeregter, trieb ihn zur Eile an und gab ihm Verhaltungsmaßregeln.
Es ging gegen den Morgen, als Mompiani zurückkam und dem fest schlafenden Freunde sagen ließ, es sei alles in Ordnung. Später teilte er ihm mit, er habe sich die ganze Nacht durch in der Umgebung des Palastes Bubna aufgehalten, aber nichts Verdächtiges bemerkt. Die Fenster seien bis lange nach Mitternacht erleuchtet gewesen; offenbar habe der Gouverneur Gesellschaft gehabt, und dieser Umstand habe die Verschworenen vielleicht irregemacht, oder sie wären aus eigenem Antrieb von ihrem frevelhaften Vorhaben zurückgekommen.
Aufregungen wie diese hoben die Heilwirkung der Arzneimittel und der unermüdlichen Pflege Teresas immer wieder auf. Erst der jähe und gänzliche Untergang der Revolution in Piemont, durch den Abfall Karl Alberts und die Zerfahrenheit der Anführer herbeigeführt, machte der gefährlichen Tätigkeit auch in der Lombardei ein Ende und gab dem Kranken eine gewisse Ruhe, die freilich immer noch voll Bitterkeit, Trauer und Sorge war. Einigen von den Häuptern der liberalen Partei in Piemont glückte die Flucht, andere wurden verhaftet, und es war vorauszusehen, daß die härtesten Strafen sie treffen würden. Daß die Fäden der Verschwörung bis in die Lombardei liefen, war Österreich nicht entgangen, und 33 der Kaiser setzte eine Kommission in Mailand ein mit dem Auftrage, deren Zusammenhang auf die Spur zu kommen. Schon im Herbst des vergangenen Jahres waren Silvio Pellico und sein Freund Maroncelli, ein junger Musiker, der Carboneria angeklagt und befanden sich seitdem in Untersuchungshaft in Venedig. Man nahm indessen an, daß der Kaiser dadurch nur etwaige Unabhängigkeitsgelüste schrecken wollte.
Im Anfange des Mai war Federigos Gesundheit so weit hergestellt, daß er einige Stunden des Tages außer dem Bette bleiben und im offenen Wagen spazieren fahren konnte, um die schaffende Frühlingswärme auf sich wirken zu lassen. Auf den Rat des Arztes beabsichtigte er, den Sommer auf seinem Landgut am Comer See zuzubringen, wo er sich vollends erholen konnte und zugleich der Entfaltung von Siegerwürde und Untertanentreue aus dem Wege zu gehen, die nach der Niederwerfung der Revolution von Piemont und Neapel Mailand beherrschte.
An dem Tage, wo die Übersiedelung stattfinden sollte, brachte Teresa ihrem Manne zugleich mit dem Frühstück, das er noch im Bette nahm, ein Gedicht, das mit der Post eingetroffen war, und das einen Glückwunsch zur Genesung enthielt. Es lautete so:
Ihr schönen Augen überwölbt die Erde
Wie eine saphirblaue Himmelsnacht
Die fahler Schatten Schar in Fleischespracht
Aufstehn und atmen heißt mit Gottgebärde.
Euch schöne Augen sollte Tod verschließen,
Die ihr Vergangnes hegt und Künftges denkt?
Verdorren sollte, die ihr eingesenkt,
Der edlen Hoffnungssaat verborgenes Sprießen?
Wenn ihr euch öffnet, feucht von jenem Tau, 34
Aus dem die silberfüßgen Sterne steigen,
Rührt sich geheimnisvoll der träge Raum,
Es türmt sich marmorn hoch in euer Blau,
Es gürtet heiß sich unter eurem Schweigen – –
Erlöscht ihr, werden Träume wieder Traum.
Federigo und Teresa rieten vergeblich, wer der Dichter der Verse sein möchte; die Handschrift schien verstellt zu sein und verriet nichts. »Er hätte deine Augen besingen sollen«, sagte Federigo zu seiner Frau, »als den Himmel, der mich während meiner Krankheit behütete.« Sie schüttelte errötend den Kopf und sagte: »Das hätte vielleicht ein galanter Dichter getan; aber dies machte die Muse.«
Federigo fühlte sich durch das Gedicht angeregt und stand frischer und zuversichtlicher auf, als er seit vielen Tagen getan hatte. Er war noch nicht mit Ankleiden fertig, als ein Diener mehrere Herren meldete, die ihn zu sprechen wünschten. Er ließ ihnen sagen, daß er, von einer Krankheit kaum hergestellt, mit Geschäften nicht dürfe behelligt werden; sie indessen erwiderten, es sei eine dringende Sache, die für den Grafen von Wichtigkeit sei, sie kämen im Auftrage des Polizeiministers und würden warten, bis er angekleidet sei. Gleichzeitig kam Teresa; sie sah beunruhigt aus und sagte, die Herren wären ohne Zweifel Leute von der Polizei; wenn er einverstanden sei, wolle sie sie mit Vorstellungen von seiner Krankheit hinhalten, unterdessen könne er sich unbemerkt entfernen.
»Wozu? Wohin?« fragte er scharf. »Ich fürchte die österreichische Polizei nicht, ich fürchte mich nur vor mir, daß ich heftig werden könnte, wenn sie mich durch Dummheit oder Dreistigkeit reizen!« Er war im Begriff, an ihr vorüber aus der Tür zu gehen, als sie ihn bat, er möchte ihr erlauben mitzukommen. »Ich will nicht, daß sie dein angstvolles Gesicht sehen,« sagte er abweisend; »wenn die Unterredung länger 35 dauert und du dich gesammelt hast, will ich dich nicht hindern dazuzukommen, wie wenn du glaubtest, daß es Bekannte wären.«
Inzwischen warteten in einem Vorzimmer die drei Beamten, von denen zwei Italiener waren, und unterhielten sich in bester Laune über ihren Auftrag. »In dieser Zeit wollte ich die Beute eines Raubzuges verstecken,« sagte der eine, »geschweige denn eine Handvoll Briefe; unsere Schuld ist es nicht, wenn er sich etwas abfangen läßt.« »Wo er verstecken kann, können wir auch suchen,« sagte der andere, ein junger Mann mit einem angenehmen Gesicht, aus dem ein paar lustige und schlaue Augen funkelten. »Übrigens habe ich ein Mittel, die Vögel zu überlisten, das mir nie fehlschlägt. Ich sage ihm, daß, wenn er etwas hätte, das er vor unbefugtem Einblick schützen möchte, ich bereit wäre, es an mich zu nehmen und ihm seinerzeit unangetastet zurückzuerstatten; ich weiß dabei eine solche Miene zu spielen, daß der ungläubige Thomas selber sich seines Mißtrauens schämen würde.« Der Dritte, ein Österreicher, mußte wider Willen lachen und sagte halb ärgerlich: »Wem würdest du einen Dienst damit leisten? Unser Auftrag geht dahin, den Grafen nicht zu überfallen, sondern ihn die Zeit, die er uns warten läßt, so klug wie möglich anwenden zu lassen.« Die beiden Italiener brachen in ein unbändiges Lachen aus: »O diese Deutschen, diese Deutschen!« rief der eine; »sie brauchen ein Jahr, um zu verstehen, was uns im Schlafe einfällt.«
Als der Graf eintrat, sah er ernste und achtungsvolle Gesichter; er grüßte kurz und sagte, sie hätten ihn zu sprechen gewünscht, er bäte sie, sich kurz zu fassen, da er beschäftigt sei. Einer der Italiener sagte geläufig und mit geflissentlicher Liebenswürdigkeit: »Sie werden wissen, Herr Graf, daß seit den piemontesischen Unruhen gegen hochangesehene Mailänder 36 Herren bösartige Anklagen erhoben werden, als hätten sie in hochverräterischer Verbindung mit der Revolution gestanden. Es ist der Wunsch des Grafen Strassoldo, diese Anklagen als verleumderisch zu entkräften, besonders wo es sich um Sie, Herr Graf, handelt, den der Herr Graf vorzüglich schätzt. Er bittet Sie deshalb, uns zu erlauben, eine kleine Haussuchung vorzunehmen, deren Ergebnis die Nichtigkeit solcher Anschuldigungen ohne Zweifel dartun wird.«
»Der Graf Strassoldo«, sagte Federigo, »ist empfindlicher für meine Ehre als ich selbst; ich pflege verleumderische Verdächtigungen zu ignorieren.« Der Österreicher, der etwas verlegen geworden war, bat Confalonieri, er möge es ihnen nicht anrechnen, wenn sie einen erhaltenen Befehl ihrer Pflicht gemäß ausführten. »Sie sind frei von jedem Vorwurf,« sagte Federigo liebenswürdig; »wenn ich Sie unhöflich empfangen habe, bitte ich Sie, es den Nachwehen der Krankheit zuzuschreiben, die ich kaum überstanden habe, und die meine Nerven reizbar gemacht hat. Alle Räume meines Hauses stehen Ihnen offen; die Schränke, die Sie durchsuchen wollen, bitte ich Sie, sich von der Gräfin aufschließen zu lassen; es wird dem Grafen Strassoldo lieb sein, wenn er meine Ehre retten kann, ohne mein Mobiliar zu schädigen.« Teresa trat gerade ein und warf einen fragenden Blick auf die Fremden, worauf ihr Mann sie vorstellte und den Zweck ihres Besuches erklärte. Die offensichtliche Bewunderung, die ihre Erscheinung bei den drei Polizisten erregte, machte sie lachen, wodurch die Regelmäßigkeit ihres schönen Gesichtes reizend belebt wurde. Ohne daran zu denken, gaben der Österreicher und der eine Italiener, um Teresa bemüht, dem Dritten die erwünschte Gelegenheit, sich mit dem Grafen abzusondern. Er begann mit einleitenden Redensarten, daß er Italiener sei und den Grafen Confalonieri über alles 37 verehre, und fuhr fort, daß, wenn der Graf Papiere oder Gegenstände habe, die er ungern in den Händen Unberufener sähe, er auf einen Wink bereit sei, dieselben an sich zu nehmen und als anvertrautes Heiligtum zu bewahren. Federigo betrachtete den jungen Mann zuerst mit ablehnendem Erstaunen, dann zeigte sich die Spur eines Lächelns in seinen Augenwinkeln, indem er sagte: »Wissen Sie denn schon, an wen Sie die Papiere verkaufen wollen, an mich oder an den Polizeiminister?« Der andere lachte, daß es ihn schüttelte, und sagte: »An den Meistbietenden, Herr Graf!« fügte aber treuherzig hinzu: »Herr Graf, ich schlage keinen von den Vorteilen aus, die mein Stand mir bietet, das leugne ich nicht. Ich bin ein armer Teufel und finde auf dem Theater des Lebens keine Rolle undankbarer als die des erhabenen Stoikers. Aber deshalb kann ich doch einem Landsmann, den ich bewundere, einen kleinen Dienst leisten, der mich nichts als ein wenig Geschicklichkeit kostet. Ich sehe indessen schon, daß Sie meiner Hilfe nicht bedürfen, und das ist um so besser.« Damit folgte er den anderen, die mit der Gräfin vorangegangen waren, während der Graf sich auf einen Diwan legte, der im Empfangszimmer stand; es fröstelte ihn vor Erschöpfung. Eine sonderbare Nation, meine Landsleute, dachte er. Was für ein sympathischer Bursche war dieser Gauner. Wahrscheinlich wußte er selbst noch nicht, ob und wen er betrügen sollte, und Gott oder ein Zufall würden im entscheidenden Augenblick einen opferwilligen Schwärmer oder einen käuflichen Verräter aus ihm machen. Er schloß die Augen und lag still, während allerlei Geräusche die Anwesenheit seiner Frau und der Beamten in seinem anstoßenden Arbeitszimmer anzeigten.
Plötzlich fiel ihm ein, daß in einem Fache seines Schreibtisches Briefe von einer Frau lagen, einer polnischen Fürstin, 38 die er vor einigen Jahren in Neapel hatte kennen lernen, und mit der ihn leidenschaftliche Gefühle verknüpften. Er sah die duftenden Blätter vor sich, die eine zarte, biegsame, empfindungsvolle Handschrift flüchtig bedeckte, die zu verbrennen er sich niemals hatte entschließen können; denn jeder Buchstabe war ihm ein Abbild ihres berückenden, sich hingebenden und immer entschlüpfenden Wesens. Wie er sich vergegenwärtigte, daß die Polizisten jetzt vielleicht vor den Augen seiner Frau in diesen Briefen blätterten, wurde er sehr unruhig. Wenn Teresa auch wußte, daß sein Herz nicht ihr, sondern lange schon anderen Frauen gehörte, so wollte er doch nicht, daß sie die Kränkung erlitte, das Zeugnis seiner Treulosigkeit in Gegenwart anderer zu entdecken. Um dem Zweifel ein Ende zu machen, sprang er auf und ging schnell in sein Arbeitszimmer, aus dem die Männer sich eben entfernten. Teresa kam ihm lächelnd entgegen und sagte, sie hätten, offenbar nur, um der Form zu genügen, ein paar Schubfächer geöffnet, aber kaum einen Blick hineingeworfen; er könne nun selbst wieder zuschließen. Während er es tat, überlegte er, ob er nicht jetzt die anstößigen Briefe verbrennen sollte; aber wie sein Blick auf die schlanke, geschmeidige Schrift fiel, schien es ihm unmöglich, sich davon zu trennen, und er schob das Päckchen auf den alten Platz zurück. Da die Haussuchung ergebnislos verlaufen war, konnte er sich in dieser Beziehung um so sicherer fühlen, und von Teresa wußte er, daß sie ohne seinen Auftrag seine Sachen nicht berührte.
Als die Polizisten sich entfernt hatten, sagte Teresa, sie wollten nun sogleich nach ihrem Landgute fahren, nach diesem beunruhigenden Zwischenfall wäre Ruhe desto wünschenswerter.
»Im Gegenteil,« sagte Federigo, »ich habe beschlossen, nun 39 überhaupt nicht fortzugehen. Sie sollen mich nicht mit billigen Schreckmitteln in die Flucht gejagt haben.« Teresa zog einen Stuhl an seinen Schreibtisch und setzte sich dicht neben ihren Mann. »Mein Gott, Federigo,« sagte sie, »es kann nicht dein Ernst sein. Die Ruhe und die gute Luft auf dem Lande sind dir notwendig, die Ärzte sagen es, und du selbst stimmtest ihnen zu. Du hattest selbst den heutigen Tag festgesetzt, um nicht in Mailand anwesend zu sein, wenn das Tedeum gefeiert würde.« Federigos Gesicht rötete sich, und seine Brauen fingen an zu zucken. »Du sprichst so oft von deiner Fügsamkeit in meinen Willen,« sagte er nicht ohne Schärfe, wenn er auch dabei lächelte; »im gegebenen Falle fehlt es dir nie an Gründen, um von deiner Richtschnur abzuweichen.« »Mir ist bange um dich, das ist alles,« sagte sie traurig. Er faßte ihre Hand und zog sie schnell an seine Lippen. »Ich weiß es, du bist gut und viel besser, als ich es verdiene,« sagte er. »Du wirst einsehen, daß ich nicht anders handeln kann. Wenn ich abwesend sein wollte zu der Zeit, wo das Tedeum abgehalten wird, war es nicht, weil es mir zu schmerzlich gewesen wäre, den feierlichen Triumph über die unglücklichen Piemontesen mit anzusehen. Ich kann kaum sagen, daß ich noch mit ihnen sympathisiere; denn ich liebe die Menschen und Völker nicht, die sich an Taten wagen, für die sie zu schwach sind. Aber ich wollte nicht mit denen verwechselt werden, die der österreichischen Regierung schmeicheln und sie wegen eines lächerlichen Sieges über eine Handvoll Verzweifelter und Willenloser feiern; wenn es von dem Sieger geschmacklos ist, Gott mit Lobgesängen zu danken, weil es ihm gelungen ist, einen Sklaven, der frei sein möchte, mit Waffenübermacht wieder ins Joch zu pressen, so ist es von den Mitsklaven gemein, dies zu tun. Ich hätte mich am schicklichsten davon zurückgehalten, wenn ich auf dem Lande 40 gewesen wäre; nun, da man mich verdächtigt und an den Pranger stellt, halte ich es für angemessener, meine Gesinnung unmißverständlich zu zeigen, die die eines Mailänder Edelmannes von Ehre ist. Ich ertrage die fremde Herrschaft, solange ich muß; aber es soll keiner den Grafen Confalonieri sein italienisches Blut verleugnen sehen.« Teresa hatte, trotzdem sie seine Gesinnungen teilte, ihre eigenen Gedanken. »Was soll aus Mailand und Italien werden,« sagte sie, »wenn seine besten Söhne sich selbst ausliefern, anstatt sich zu bewahren? Kannst du die Tatsache ändern, daß wir zu viel gewagt und alles verloren haben?« In Federigos Gesicht trat ein starrer Zug. »Wir haben noch nichts gewagt,« sagte er mit nachdrücklicher Betonung. »Wir haben die Hand an das Schwert gelegt, es nicht gezückt; das kann ich verantworten.« Teresa gab es auf, zu widersprechen, und sagte nur betrübt: »Ich hatte mich darauf gefreut, Bäume flüstern zu hören und Wolken wandern zu sehen und darüber die Menschen zu vergessen.« Er antwortete tröstend, es sei nicht seine Absicht, den ganzen Sommer in der Stadt zu bleiben; er wolle sich eine Zeitlang in der Öffentlichkeit zeigen und schon am selben Abend das Theater besuchen. Im Schauspielhause, dem Theater Re, wurde Alfieris Antigone gegeben mit einem Schauspieler als Haemon namens Lombardi, der vor etwa zehn Jahren dadurch Aufsehen erregt hatte, daß er sich weigerte, vor Napoleon zu spielen, als derselbe zum ersten Male nach seiner Scheidung in Italien war.
Man hätte meinen können, daß die Aufführung der Antigone in dieser Zeit eine Kundgebung bedeutete, einmal des Stoffes wegen, und weil Alfieri ein Piemontese und bekannt war als italienischer Patriot und unbedingter herausfordernder Feind absolutistischer Fürstenherrschaft; indessen gab gerade die Stadt Mailand so laute Zeichen ihrer 41 Anhänglichkeit an das österreichische Haus, daß solcherlei Beziehungen aufzuspüren fernlag. Der Ruf des Schauspielers Modena, der den Kreon spielte, und die Beliebtheit Lombardis hatten die Logen gefüllt; sogar der Vizekönig war mit seiner Frau anwesend. Modena, dessen besondere Gabe es war, mythische Tyrannen zu verkörpern, verlieh seiner Rolle mehr Würde, als der Dichter getan hatte; man sah in ihm den fleischgewordenen Willen, der, im ursprünglichen Machtgefühl sich Gott gleich achtend, abwechselnd als Erhabenheit und Wahn erscheint. Der Purpurmantel schien über einen Felsenleib geworfen, den zuweilen eine vulkanische Seele erschütterte. Das elementare Herrschenmüssen war so in ihm ausgedrückt, daß die Unterwerfung aller als natürlich, die Auflehnung gegen ihn als ein kindisches und gesetzloses Unterfangen aufgefaßt wurde. Ihm gegenüber war die Antigone machtvoll genug: eine Flamme der Rache, die sich verzehrt, indem sie das Haus des Feindes zu Asche brennt. Die Liebe zu Haemon deutete sie kaum an; fast schien es ihr lästig zu sein, daß er sich mit seinen untergeordneten Gefühlen zwischen ihren und des Königs unaufhaltsamen Todeswettkampf drängt. Hätte nicht Lombardi ihn dargestellt, würden die Zuschauer diese Empfindung geteilt haben; Lombardi aber machte mit seinem Temperament aus dem unbestimmten, nur durch die Lage bestimmten Bühnenliebhaber einen ritterlichen, freien Charakter, dessen tragisches Los es ist, zwei eherne, in blinder Leidenschaft gegeneinander wütende Menschen zu lieben.
Trotzdem Federigo zum ersten Male nach seiner Krankheit sich im Theater zeigte, kamen außer den vertrauten Freunden keine Besucher in seine Loge. Porro war, wie er sagte, eigens wegen der Vorstellung vom Lande in die Stadt gekommen, entfernte sich aber trotzdem schon nach dem zweiten Akte. Er war zerstreut und sagte, daß er durch den Verlust Silvio 42 Pellicos mit Geschäften überhäuft sei, daß er aber Ursache habe, zu glauben, sein armer Freund würde bald aus der Haft entlassen werden. Der junge Marchese Giorgio Pallavicino, einer der ergebensten Verehrer Federigos, und der seiner Natur nach dies Gefühl am heftigsten zur Schau trug, beglückwünschte ihn und Teresa zur Genesung und setzte sich, von ihm aufgefordert, neben den Grafen in den Hintergrund der Loge. »Es freut mich, daß ich dich sehe, Giorgio,« sagte dieser, »weil ich dir einen ernstlichen Rat zu geben habe. Ich weiß, daß die Kommission wegen der Unruhen in Piemont sehr tätig und wahrscheinlich von Spionen gut bedient ist. Setze dich sowohl deiner Mutter wie unserer Sache wegen nicht der Gefahr aus, verhaftet zu werden; reise in die Schweiz oder nach Frankreich, solange du es unauffällig tun kannst.« Pallavicino antwortete: »Ich sollte mich in Sicherheit bringen, wenn du hier bleibst? Warum denkst du mehr an mich als an dich? Es entspricht deinem Mut und deiner Großherzigkeit; aber das sind die einzigen Tugenden, in denen ich wagen kann, mit dir zu wetteifern.« »Es handelt sich nicht um Tugenden, sondern um Vernunft und Vorsicht,« sagte Federigo. »Wenn deine Reise nach Turin zu Karl Albert bekannt würde, hätte man Anlaß, dich zu verhaften, und du tust klug, ja, du hast die Pflicht, dem vorzubeugen. Du weißt nicht, wie die Widerwärtigkeiten der Haft und der Untersuchung auf dich wirken würden, welche Mittel man etwa anwenden würde, um dir Geständnisse zu entreißen; auch wider deinen Willen könntest du mich und die Sache, die uns heilig ist, verraten.« Er sprach halblaut, aber mit solcher Unbefangenheit, daß das Gespräch auf Beobachter den Eindruck einer bedeutungslosen Plauderei machen mußte. Auch den kleinen Marchese suchte er durch seinen Blick zu beherrschen und zu dämpfen; der aber pflegte die ganze Wucht 43 seiner Meinung mit einem Überschuß wie ein ungeschickter Schauspieler in das Spiel seiner Mienen und Gebärden zu legen, so daß, wenn er nicht auffallen wollte, zu dem übrigen noch diese Absicht auffiel. Jetzt sprang er von seinem Sitz auf und rief, indem er mit der geballten Hand auf die Brust schlug: »Ich dich verraten! Giorgio Pallavicino dich, seinen angebeteten Freund, das Haupt und die Hoffnung Italiens! Kennst du mich so wenig, daß du nicht weißt, ich ließe mir eher die Zunge aus dem Munde reißen als ein Wort, das dich gefährdete?« Federigo zog ihn auf seinen Sitz zurück und legte ihm lachend einen Finger auf den Mund. »Es fehlte nicht viel,« sagte er, »daß du schon jetzt uns beide freiwillig verrietest.« Teresa wendete sich erschreckt und mahnend nach ihnen um. »Der Teufel hole mein Temperament!« sagte Giorgio ein wenig beschämt. »Ich will dir gehorchen und Mailand morgen verlassen; aber ich wünsche eine Gelegenheit herbei, um dir zu beweisen, daß ich im Falle der Not schweigen kann, und gelte es mein Leben.«
In der folgenden Pause trat ein Adjutant des Vizekönigs in die Loge und erkundigte sich nach dem Befinden des Grafen. Federigo errötete und dankte mit Ausdrücken der gewähltesten Ehrerbietung; er habe sich von dem Übel erholt, sagte er, und könne Gott sei Dank der Zukunft hoffend entgegensehen. Teresa fragte ihren Mann ängstlich, ob er nicht persönlich für die Aufmerksamkeit danken müsse, und Baron Trecchi, der gerade anwesend war, unterstützte sie; diese Höflichkeit würde er doch gegen jeden beobachten. Gegen jeden Gleichgestellten ja, antwortete Federigo ablehnend, bei Tiefer- und Höherstehenden ändere man das Maß, dort um nicht vertraulich, hier, um nicht zudringlich zu erscheinen.
Die Aufmerksamkeit des Vizekönigs hatte zur Folge, daß sich die Loge Confalonieris sofort mit vielen Besuchern, auch 44 fernerstehenden Bekannten füllte; daß er Genugtuung darüber empfand, war ihm kaum, außer an einem erhöhten Glanze seiner Augen, anzumerken. Teresa fürchtete, das verlängerte Aufbleiben und viele Sprechen möchte ihm schaden, und drängte, das Theater vor dem letzten Akte zu verlassen; allein er erklärte, weder von der Dichtung noch von der vorzüglichen Darstellung etwas verlieren zu wollen.
Das Publikum beabsichtigte dem Lombardi, als dem beliebten Gaste, am Schlusse eine Ovation zu bereiten; durch einen unglücklichen Zufall jedoch nahm der Auftritt eine unerwartete Wendung. Haemon hat, als er plötzlich den Leichnam der Antigone erblickt, die er noch zu befreien hofft, eine Doppelbewegung auszuführen, nämlich sein Schwert im ersten Antrieb der Verzweiflung auf die Brust des Vaters zu setzen, im nächsten Augenblick, sich besinnend, es zurückzuziehen und sein eigenes Herz damit zu treffen. Die Folge seines absichtlich durch fessellose Gefühlsentfaltung bewegten Spiels mochte es sein, daß Lombardi den Stoß nicht richtig berechnete und die Waffe mit voller Kraft in seine Brust drang. Die Zuschauer konnten die Art der Verwundung zunächst nicht unterscheiden, hörten und sahen aber mit schaurigem Befremden den Fall und Aufschrei des in Wahrheit tödlich Getroffenen. Man schwankte noch zwischen Neugier und Entsetzen, als das Benehmen der übrigen Schauspieler, das Herbeistürzen des Personals und schließlich auch der Anblick des fließenden Blutes bestätigten, daß ein Unfall geschehen war.
Einige Damen fielen in Weinkrämpfe, viele suchten das Theater so rasch zu verlassen, als ob Gefahr im Verzuge wäre. Federigos blasses Gesicht war fahl geworden, und es machte ihm sichtliche Mühe, aufzustehen. Fröstelnd und mit geschlossenen Augen lehnte er sich in die Ecke des Wagens zurück, und 45 obwohl er, sehr ermüdet, zu Hause sofort das Bett aufsuchte, konnte er keinen Schlaf finden. Er konnte das Bild nicht verscheuchen, wie in dem Gesichte des Schauspielers die theatralische Leidenschaft plötzlich in die grausame Verzerrung des Todes überging; die Nacht verging ihm unruhig, und am anderen Tage befand er sich weniger wohl und kräftig als zuvor.
Teresas jüngerer Bruder Gabrio fragte, als er seinen täglichen Besuch machte, warum sie noch nicht aufs Land ginge; es fange an, unerträglich heiß zu werden, und man sähe Teresa an, daß sie der Erholung bedürfe; sie habe sich bei der langen Pflege ihres Mannes überanstrengt. Federigo, dem der vorwurfsvolle Ton seines Schwagers nicht entgangen war, warf einen Blick auf Teresa, die in der Tat schmal und abgespannt aussah, ohne daß es ihm bisher aufgefallen war. »Es ist wahr, Teresa hat sich aufgeopfert,« sagte er. »Ich habe zu viel an mich gedacht; immerhin nicht an mein Vergnügen.« »Das weiß ich,« sagte Gabrio leicht versöhnt und beinah verlegen, »von Vergnügen war in letzter Zeit bei dir nicht die Rede.« Er bewunderte die vornehme Gesinnung Federigos, mit der er seinen Fehler eingestand, und war geneigt, zu glauben, er habe ihm unrecht getan. Er hatte eine nicht ganz klare Vorstellung von seiner politischen Tätigkeit, die, so sagte er sich, allenfalls seine Gedanken von den nächsten Pflichten ablenken konnte. Federigo durchschaute, was in ihm vorging, nicht ohne eine gewisse ungeduldige Geringschätzung, die sein Schwager ihm immer einflößte. Weder sein zuvorkommendes Wesen noch seine bedingungslose Verehrung Teresas oder seine Zugänglichkeit für beliebigen Einfluß und Oberflächlichkeit seiner geistigen Interessen waren ihm angenehm. Es hätte ihm besser gefallen, wenn Gabrio ihn geradezu gehaßt hätte, als daß er ihn je nach dem 46 Eindruck des Augenblicks und je nach der Stimmung bewunderte, verstand, liebte oder mißbilligte, ja mit Empfindung verabscheute. Auch fand er, daß die mütterliche Zärtlichkeit, mit der Teresa den jüngeren Bruder behandelte, seinem Alter nicht mehr angemessen sei, und daß ihr Urteil ihm gegenüber weniger unbestechlich sei; aber er bemühte sich, diese Ansichten nicht merken zu lassen. Obwohl er selbst Gabrio nicht in seine politischen Pläne hineingezogen hätte, weil er ihm dazu nicht Ernst und Entschlossenheit genug zutraute, reizte es ihn, daß Teresa ihren Bruder sorglich davon fernzuhalten suchte aus Angst, er könne sich dabei Gefahren aussetzen, während sie es übrigens für natürlich und geboten hielt, daß ein Mann um seines Gewissens, seiner Ehre und seiner Ideale willen die persönliche Sicherheit auf das Spiel setze. Zuweilen erinnerte er sich, daß sein Vater sich der Verschwägerung mit der Familie Casati aufs äußerste widersetzt hatte, die mehr den Franzosen als den Österreichern zuneigte, und die er in Bausch und Bogen verurteilte. Er nannte sie mit grimmiger Betonung die heilige Familie, den Vater insbesondere den überflüssigen Joseph und die Mutter die Madonna mit den drei Königen, weil sie etwas festlich sich Entfaltendes und huldvoll Einheimsendes an sich habe. Von Teresa sagte er, sie habe als Kind einem raffaelischen Christkinde mit übergroßen Augen geglichen, womit er ein vernichtendes Urteil ausgesprochen zu haben glaubte, und von ihren Brüdern Gabrio und Camillo, sie schwitzten Honig wie eine hohle Weide. Zur Zeit, als er um Teresa warb, hatte sich Federigo über die Bemerkungen seines Vaters geärgert, während er jetzt darüber lachen mußte, was er freilich nicht zugestanden hätte; es stellte sich ihm so dar, als habe er Teresa im Grunde nur darum geheiratet, weil er gewohnt gewesen wäre, im Gegensatze zu seinem Vater zu handeln, und als habe dieser 47 trotz Teresas Tugenden mit seiner Meinung recht gehabt, daß die Casati zu den Confalonieri nicht paßten.
Es war nun beschlossen, daß Federigo und Teresa am Tage nach dem Dankgottesdienste im Dom aufs Land gingen. Während das Tedeum abgehalten wurde, unternahmen sie eine Ausfahrt im offenen Wagen, damit jeder sehen könnte, daß sie zwar anwesend und gesund seien, aber absichtlich der Feier nicht beiwohnten. Das Wetter war günstig; der Domplatz war so mit Sonne überladen, daß es aussah, als quölle der Goldfluß zwischen den Quadern der Marmorpyramide hervor, als triefe er von den schillernden Federn der Tauben, und als ströme er von der lichtüberschwemmten Himmelskuppel zurück, die ihn eben ergossen hatte, weil sie nicht mehr fassen konnte. Vor dem Portal der Kirche hielten viele Karossen und Sänften, deren Führer und Träger in die Gefährte hineingekrochen waren, um im Schatten zu schlafen; die blanken Rücken der Pferde spiegelten in der Sonne. Auf Federigos Befehl fuhr sein Kutscher nicht schnell und verlangsamte das Tempo noch aus eigenem Antriebe, als sie am Dome vorüberkamen; der Diener, der neben ihm auf dem Bock saß, drehte sich langsam um und sah seine Herrschaft fragend an, als wollte er ihnen raten, doch noch halten zu lassen und in die glänzend gefüllte Kirche hineinzugehen. Federigo gab als Antwort eine Straße und ein Haus an, wo er mit Teresa einen Besuch machen wollte, nämlich bei dem Philosophen und Rechtsgelehrten Melchiorre Gioja, der wegen liberaler Ideen, die er in seinen Werken geäußert haben sollte, angeklagt und kürzlich aus der Haft entlassen worden war. Er gehörte nicht zu den nächsten Freunden der Confalonieri; aber Federigo fand es angemessen, den älteren Gelehrten gerade an diesem Tage zu seiner Befreiung zu beglückwünschen. Es sei ihm leicht geworden, erzählte der alte Herr, 48 die Beweise zu bringen, daß er mit Vereinen und Verschwörungen nichts zu tun habe; aus seinen Gesinnungen allein habe man ihm den Strick doch nicht zu drehen gewagt. »Meine Schuld gegen die Regierungen ist die,« sagte er, »daß sie mir gleichgültig sind. Ich fühle mich wohl in dem von Gott geordneten Reiche der Ideen, in welchem sie nichts zu sagen haben. Sie ärgern sich eine Weile, daß sie mir nichts anhaben können, und dann rächen sie sich, indem sie mich vergessen, was für mich die erwünschteste Strafe ist. Ich glaube, Ihr tätet gut, meinem Beispiel zu folgen, lieber Graf. Man spricht zuviel von Euch; Ihr solltet Euch ein wenig in Vergessenheit bringen.« »Ich versinke morgen im Lethe des Landlebens,« antwortete Federigo lächelnd. »Wenn ich wieder daraus auftauche, werde ich ein Bauer geworden sein, der zwar nicht wie Ihr über den Welthändeln steht, aber in ebensolcher Sicherheit darunter.« Als der Wagen auf dem Rückwege wieder am Dome vorüberfuhr, war das Portal geöffnet, und die Kutscher standen zum Empfange ihrer Herrschaften bereit; das schwere Summen der Orgel und der Geruch von Weihrauch quoll aus den dämmernden Schiffen in die blendende Luft. Teresa lehnte glücklich lächelnd in dem langsam hinrollenden Wagen, im Geiste den Augenblick vorausgenießend, wo sie den See, die Zacken der Berge und das kühle, weiße Haus am Ende einer Allee von Pappeln, das ihnen gehörte, wiedersehen würde.
Zu Hause angelangt fand Federigo ein Billett von Giorgio Pallavicino vor, in welchem er mitteilte, er habe Mailand verlassen und sich zu einem längeren Aufenthalt in die Schweiz begeben.