Ricarda Huch
Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri
Ricarda Huch

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Als Teresa durch den Grafen Bubna erfahren hatte, daß er nichts beim Kaiser habe ausrichten können, und daß die letzte Hoffnung auf ein mündliches Gnadengesuch der Familie beschränkt sei, fuhr sie zu ihrem Schwiegervater, um ihn zu bitten, daß er mit ihr nach Wien fahre und beim Kaiser für seinen Sohn eintrete. Graf Tiberio saß mit seiner Cousine Pompea und andern Anverwandten beim Kartenspiel, denn es war Abend; nachdem er sie eine Zeitlang in einem kleinen Empfangssaale hatte warten lassen, trat er zu ihr ein, verbeugte sich kurz und fragte, was ihm die Ehre verschaffe. Sie hatte kaum, ihr Anliegen vortragend, seinen Sohn erwähnt, als er sie unterbrach und fragte, wen sie meine, er habe keinen Sohn, wobei er sie scharf herausfordernd ins 136 Auge faßte. Teresa sah ihn staunend an und wiederholte, was sie gesagt hatte. »Verstehen Sie nicht, was ich gesagt habe?« sagte er lauter und heftiger als vorher. »Ich habe keinen Sohn, also müssen Sie sich in der Person irren.« Erst jetzt begriff Teresa den Sinn seines Benehmens. »Wer bin ich?« fragte sie, um ihn zu zwingen, den Namen Federigos zu nennen. »Das interessiert mich nicht,« antwortete er trocken. »Möglicherweise eine Wahnsinnige, die an der Einbildung leidet, die Schwiegertochter eines Mannes zu sein, der keinen Sohn hat.« Damit drehte er ihr den Rücken, um wieder zu seinem Kartenspiel zu gehen, das im anstoßenden Wohnzimmer abgehalten wurde. Teresa folgte ihm und sagte, indem sie sich, ohne die andern zu beachten, neben ihn stellte: »Sie werden sich nicht setzen, bevor Sie mir versprochen haben, sich zu der Reise bereitzumachen! Übermorgen müssen wir abfahren.« Ihre Augen strahlten ihn furchtlos an und machten es ihm unmöglich, sie nicht zu beachten, was er gern getan hätte. Wütend warf er die Karten auf den Tisch, die er schon in die Hand genommen hatte, und zählte auf, was alles Federigo seit seiner frühen Jugend ihm angetan hätte: das vorwitzige Bücherlesen, den Umgang mit Engländern und Rebellen, die Heirat, das Schulwesen und das Jakobinertum, mit dem er sich den verdienten Untergang selbst bereitet habe; schließlich kam er auf seine, des Vaters Warnungen, die er verachtet habe. »Sie werden mit mir kommen?« fragte Teresa, als er aufhörte. Sein Toben abschneidend, schob ihn Pompea mißbilligend zur Seite, legte den Arm um Teresa und sagte: »Freilich wird er kommen; er wird tun, was er kann, um den unseligen Mann zu retten, der uns allen und namentlich Ihnen, armes Kind, viel Böses angetan hat. Sie sind ein braves Weib, Gott wird Ihnen gnädig sein, und so werden es die Menschen auch müssen. Mit Ihnen kann 137 sich mein Vetter nicht vergleichen, aber im Herzen dankt er Ihnen für das, was Sie tun, wenn er es auch nicht zugesteht.« Sie geleitete Teresa unter sanften Liebkosungen bis an den Wagen und legte ihr, da sie beim Öffnen des Haustores die eisige Winterluft spürte, den eigenen Schal über den Mantel, der sie nicht genug zu schützen schien.

Gabrio erklärte sich ohne weiteres bereit, mit nach Wien zu fahren; vom Grafen Tiberio erhielt sie noch spät einen Brief, er sei entschlossen, mitzureisen, bitte sie aber zu beherzigen, daß er es nicht um ihres Mannes willen tue, sondern um seinen guten Namen vor Schande zu bewahren und zugleich, um die Stadt Wien wiederzusehen, die für ihn mit angenehmen Jugenderinnerungen verbunden sei.

Auf der Reise war der alte Graf liebenswürdig und gesprächig; er erzählte von Wien, von Maria Theresia und ihrem Sohne Josef, den er für entartet hielt und nicht eigentlich zur Familie rechnete. Mit leichter Ironie begleitete er die zärtliche Sorgsamkeit, mit der Gabrio sich bemühte, seiner Schwester die Unbequemlichkeiten der Reise zu erleichtern, und belustigte sich damit, seine unvertilgbare Liebenswürdigkeit auf die Probe zu stellen. Am zweiten Tage fing er an, unter der Kälte, dem nur selten unterbrochenen Sitzen im Wagen und der mangelhaften Ernährung zu leiden, und wurde schweigsam; es vergingen Stunden, ohne daß ein Wort gesprochen wurde.

Trotzdem es acht Uhr abends war, als die Reisenden in Wien eintrafen, eilte Gabrio, nachdem er Teresa im Gasthause untergebracht hatte, zum italienischen Gesandten, um zu betreiben, daß die Audienz beschleunigt würde, und zum Feldmarschall Bubna, der ihn teilnehmend empfing. Er könne keine Hoffnung machen, sagte er; man müsse, was möglich sei, versuchen, darum habe er Teresa nicht abgeredet, die 138 furchtbare Reise zu unternehmen; aber der Kaiser habe gesagt, er wolle ein Exempel statuieren, und daß er das einmal ausgesprochen habe, genüge ihm, um es für unumstößlich zu halten. Wenn die Audienz gewährt werde, womit schon etwas gewonnen sei, solle sich die Gräfin durch das barsche Wesen des Kaisers nicht abhalten lassen, einen Fußfall zu tun; auch Gabrio möge sich eine demütige Haltung zu geben suchen, das sei nicht ohne Wirkung auf den Monarchen. »Ich selbst«, fügte er hinzu, indem seine melancholischen Augen ein gütiges Lächeln erhellte, »würde es mich mehr als einen krummen Rücken kosten lassen, wenn ich unserem unglücklichen Freunde und damit Ihrer beklagenswerten Schwester dadurch helfen könnte.« Teresa nickte willig zu den Ratschlägen, die Gabrio ihr überbrachte. »Es ist ja nicht der Kaiser,« sagte sie, »es ist Gott, vor dem ich mich in den Staub werfe, und vor dem meine Seele seit zwei Jahren unablässig im Staube liegt.«

Nach zehn Tagen wurde den Wartenden der Bescheid, daß der Kaiser die beiden Herren, nicht aber Teresa in Audienz empfangen wolle, eine Entschließung, die seine Ungeneigtheit, Gnade zu gewähren, andeutete. Die dadurch doppelt erregte und geängstigte Stimmung Gabrios wurde vollends hoffnungslos, als er vor dem Kaiser stand, den er noch niemals aus solcher Nähe gesehen hatte. Er erinnerte ihn an eine lederne Puppe, die er als Kind besessen hatte, die etwas unvergeßlich Grauenhaftes für ihn gehabt hatte, namentlich wegen der Hände, die mit den aus fünf schmalen, schlaff herunterhängenden Lederstreifen bestehenden Fingern so aussahen, wie er sich eine Knute vorstellte. Daß Gott diese unscheinbare Figur mit der höchsten Macht und Würde ausstaffiert hatte, die es in Europa gab, und dabei unzweifelhaft eine ebenso weise wie unerforschliche Absicht verfolgte, stellte ihm plötzlich die Majestät Gottes erschütternd vor die Seele. Dies 139 Gefühl, verbunden mit der entschiedenen Abneigung, die der Kaiser ihm einflößte, war weit erträglicher als die angstvolle Spannung, mit der er gekommen war, und gab ihm die fast verlorene Fassung wieder. Während der Kaiser mit glanzloser und keifender Stimme dem alten Grafen vorhielt, daß sein Sohn ein Verbrecher sei, und daß Gnade ausüben von der Gerechtigkeit abweichen heißen würde, bemühte er sich, an Teresa denkend, eine unterwürfige Haltung anzunehmen, die jedoch nur eben achtungsvoll ausfiel. Auch mit dem alten Tiberio, dessen treue Gesinnung er kannte, war Franz nicht sonderlich zufrieden; er antwortete auf alles, was sie vortrugen, ungehalten und sagte zum Schluß, ein Exempel müsse statuiert werden, das Todesurteil sei unterschrieben, zurücknehmen könne er nichts, und die Gräfin müsse sich eilen, wenn sie ihren Mann noch lebend antreffen wolle.

Erst als er im Wagen saß, kam es Gabrio zum Bewußtsein, daß er seiner Schwester die Nachricht bringen müsse, durch welche die Hoffnung, die sie bisher aufrechterhalten hatte, endgültig vernichtet wurde. Er stieg aus und lief, um Mut zu fassen, eine Stunde lang durch die engen Straßen um den Stefansdom, dessen ungeheure Gestaltung der Winternebel und das Wirrsal wehender Flocken verhüllten. Seine Zähne klapperten vor Frost und Furcht; dazu quälten ihn Zweifel, ob er nicht durch besser gewählte Worte oder ein geschickteres Benehmen und inständigeres Bitten doch noch den Kaiser zu einem andern Entschluß hätte bringen können. Er fand Teresa, die das Ergebnis schon erfahren hatte, angekleidet, um zur Kaiserin zu gehen und ihre Fürbitte bei Franz zu erwirken.

Die Kaiserin, Karolina Augusta von Bayern, Franzens vierte und letzte Gattin, die ihn um viele Jahre überlebte, war eine stattliche Frau mit einem Gesicht, das nicht schön war, 140 aber das Wohlwollen ihres Herzens anziehend ausdrückte. Sie hatte eine ziemlich hohe Meinung von dem Kaiser, kannte aber seine Schwächen und erlaubte sich, selbständig zu denken und innerhalb der Grenzen, die Klugheit und Taktgefühl ihr vorschrieben, auch zu handeln. Nachdem sie ihre Damen entfernt hatte, zog sie die vor ihr kniende Teresa in ihre Arme, setzte sich mit ihr auf ein Sofa und sagte, daß sie zu ihrem Leidwesen bereits von der Ergebnislosigkeit der Audienz gehört habe, und daß sie nicht glaube, es könne jetzt noch mit Aussicht auf Erfolg eine Einwirkung auf den Kaiser versucht werden. Indessen, je länger Teresas ernster Blick auf ihr ruhte, desto lebhafter wurde ihr Herz bewegt. Sie versprach, trotz der späten Stunde unverzüglich mit dem Kaiser zu sprechen und für die fremde Sache wie für eine eigene zu kämpfen; vom Ausgang sollte Teresa sofort unterrichtet werden.

Die Kaiserin wußte, daß ihr Mann unweigerlich nein sagen würde, wenn sie ihr Anliegen geradezu vortrüge, daß sie Aussicht auf Erfolg nur hätte, wenn sie sich der Hauptsache auf Schleichwegen näherte. Glücklicherweise hatten ihr verschiedene Umstände schon vorgearbeitet. Zunächst nämlich hatte der Kaiser einen häßlichen Eindruck von der Erscheinung des alten Grafen Confalonieri empfangen. Diesen kannte er als seinem Hause und seiner Person unbedingt ergeben; er wußte, daß seine Beziehungen zu Federigo in den letzten Jahren aus politischen Gründen feindselig gewesen waren, und daß niemand seinen Sohn härter als er, der eigene Vater, beurteilte. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß er Rücksicht auf ihn zu nehmen brauchte; nun aber hatte er bemerkt, daß in dem Gesicht des Mannes, während er ihn grob anließ, etwas aufzuckte, was an den Blick einer Dogge erinnerte, die sich gegen die Schläge des Herrn zur Wehr setzen will. Ein unangenehmes Gefühl überlief ihn, gerade als ob er wirklich 141 einen bösen Hund vor sich hätte, dem er schnell einen Maulkorb vorschnallen müßte, bevor er mutig in der Bestrafung fortfahren könnte. Sollte sich der Mann plötzlich auf seine Vorfahren, aristokratischen Ansprüche und alles das, worauf die Mailänder sich so viel einbildeten, besonnen haben? Es fiel ihm ein, was der Feldmarschall Bubna gesagt hatte, daß es vielleicht vorteilhafter wäre, sich den lombardischen Adel durch Milde zu verbinden, als sich eines möglicherweise gefährlichen Mannes zu entledigen; alle Familien, die mit Confalonieri verwandt und verschwägert wären, würden sich in seiner Person beleidigt und angegriffen wähnen, wenn er an den Galgen käme. Etwas Ähnliches hatte früher schon Metternich gesagt, und wenn dieser auch jetzt die Ansicht hatte, da man dem Confalonieri einmal den Prozeß gemacht hätte, dürfe man ihn nicht als Märtyrer wieder auftauchen lassen, so ließ sich diese Besorgnis dadurch entkräften, daß der Gefährliche auf Lebenszeit im Spielberg verwahrt werden würde. Solange er lebte, blieb die Möglichkeit offen, daß er allerlei die Revolution, namentlich den Erbprinzen von Savoyen, Karl Albert, Angehendes gestände, was sich politisch außerordentlich gut verwerten ließe, und Franz arbeitete somit doppelt für den eigenen Nutzen, wenn er seine Langmut aufrollte.

Als gegen zehn Uhr abends die Kaiserin sich bei ihm melden ließ, war er fast enttäuscht, daß sie sich nicht zu seinen Füßen warf und um Gnade für den Grafen Confalonieri bat; sie sagte nämlich mit verstelltem Gleichmut, die Gräfin sei eine liebenswerte Frau, und es sei ihr darum schmerzlich, daß ihr Mann sich zu schwer vergangen habe, als daß sie ihn der Gnade ihres Gemahles zu empfehlen wagte. Dagegen habe Graf Wurmbrand eine Bemerkung fallen lassen, als seien in dem Prozeß einige kleine Unrichtigkeiten vorgekommen, 142 weswegen sie ihm zur Erwägung vorlegen möchte, ob er die Akten noch einmal durchsehen wolle, damit die Gerechtigkeit, die er vertrete, ganz ohne Makel zur Erscheinung komme. Der Kaiser machte ein bedenkliches Gesicht und wandte ein, daß er das Urteil bereits bestätigt habe, ließ aber schließlich stillschweigend gelten, daß, wenn auch niemand sonst auf der Welt, so doch er selbst Macht über seine eigenen Worte habe, sie zu verändern und etwa zurückzunehmen. Kurz vor Mitternacht erteilte er in ihrem Beisein den Befehl, daß ein Eilbote nach Mailand abgefertigt würde, um den Vollzug des Todesurteils einstweilen im Namen des Kaisers aufzuschieben. Frohen Herzens eilte sie, Teresa wissen zu lassen, was geschehen war, und ihr zugleich zu raten, sie solle betreiben, daß dem Kaiser von Mailand aus eine Bittschrift eingereicht würde mit möglichst vollzähligen Unterschriften des Adels; dies würde voraussichtlich seine Neigung zur Gnade verstärken. Dann bedachte sie, daß dem Eilboten, von dem das Leben des Grafen Confalonieri abhing, etwas zustoßen könne, und gab Befehl, daß dem ersten ein zweiter mit demselben Auftrag nachgeschickt würde.

Der alte Graf hatte sich sogleich nach der Audienz zu Bette gelegt; zwar fuhr er mit, als Gabrio und Teresa vor Morgengrauen aufbrachen, aber unterwegs blieb er in einer kleinen Ortschaft im Gebirge zurück, weil er sich zu schwach für die Reise fühlte. Bei Nacht in Mailand anlangend, hielten sie zuerst beim Hause Casati, um zu erfahren, ob Federigo lebe; denn es war immerhin zweifelhaft geblieben, ob der Befehl des Aufschubs rechtzeitig eingetroffen war. Camillo, Teresas jüngster Bruder, erzählte, es gingen verschiedene Gerüchte in der Stadt um, bald Federigo sei freigesprochen, bald er sei bereits in aller Stille im Hofe des Gefängnisses gerichtet; er wisse aber mit Bestimmtheit, daß er lebe, und daß der Tag der 143 Hinrichtung noch nicht anberaumt sei. Von da fuhren die Geschwister zu Manzoni, um ihn zu ersuchen, er möge die Bittschrift in Eile verfassen. Manzoni mußte aus dem Schlafe geweckt werden und kam, in einen Mantel gewickelt, etwas frostig und verstört in das durch ein paar Kerzen schwach erhellte Wohnzimmer, wo Gabrio und Teresa warteten. Gabrio setzte die Sachlage auseinander und begründete die Bitte damit, nur er sei imstande, so zu schreiben, daß das Herz des Kaisers gerührt werde. »Wenn er nun aber keins hätte,« sagte Manzoni, indem er den Kopf in die Hand legte und seine Gäste nachdenklich betrachtete; aber wie er sah, daß Teresa etwas erwidern wollte, faßte er ihre beiden Hände und versicherte, daß er bereit sei, alles zu tun, was sie verlange. Sie nickte dankbar und fügte hinzu, es sei notwendig, daß die Bittschrift in der Nacht fertig werde; denn die Unterschriften müßten im Laufe des Tages gesammelt werden, damit Gabrio abends wieder abreisen und sie nach Wien bringen könnte. Anstatt der Antwort klingelte Manzoni und bestellte sich Kaffee. »Ich werde so schreiben,« sagte er, »daß er Ihr Herz schlagen hört, nicht nur Ihres, sondern das Herz von Mailand, das wie eine Sturmglocke schlägt.« Als sie Abschied nehmend danken wollte, wehrte er ab und sagte: »Man kann nicht wissen, wer von uns beiden mehr zu danken hat. Vielleicht, wenn alle meine Bücher vergessen sind, werden spätere Geschlechter diese Bittschrift lesen und sich erzählen: Das hat Manzoni geschrieben, um eines edlen Italieners Leben zu retten.« Er küßte ihre Hand, umarmte Gabrio und begleitete sie zur Tür; als sie schon auf der Treppe waren, kam er ihnen nach und sagte flüsternd, wenn nicht das Gegenteil wünschbar sei, möchte er bitten, daß er nicht als Verfasser der Bittschrift genannt werde; er könne Ungelegenheiten dadurch haben, ohne jemandem damit zu nützen. Die Geschwister 144 versicherten, daß sie damit einverstanden seien; außerdem, fügte Teresa hinzu, werde sie den Erzbischof bitten, als erster seine Unterschrift unter das Gesuch zu setzen, die ein Schild für alle folgenden sei.

Graf Gaisruck, der seit einigen Jahren Erzbischof von Mailand war, wurde von vielen für einen natürlichen Sohn des verstorbenen Kaisers Josef, also einen Vetter des regierenden Kaisers, gehalten, eine Meinung, die gewisse habsburgische Familienzüge in seiner äußeren Erscheinung zu bestätigen schienen und der Umstand, daß er sich dem Kaiser gegenüber auffallend unabhängig verhielt. Er war kräftig gebaut, hatte einen freien, klugen Blick und machte den Eindruck eines gesunden, blühenden Mannes, obwohl er sechzig Jahre alt war. Er empfing Teresa mit strenger Miene und unterbrach ihre Auseinandersetzung und Bitte mit polternden Worten: »Also zum Rädelsführer einer Revolution wollt Ihr mich dingen? Das ist ein hübsches Stück! Ihr habt es nicht übel im Sinn! Das ist ein kecker Einfall! Warum wollt Ihr den armen Grafen nicht sterben lassen? So wäre er vielleicht nur ins Fegefeuer gekommen, während ihm die Hölle gewiß ist, wenn er am Leben bleibt. Glaubt Ihr, er wird es Euch danken, wenn Ihr ihn lebendig im Kerker begrabt, anstatt tot in einem gehörigen Grabe?« Inzwischen hatte er die Kniende aufgehoben, ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und fragte dann barsch, indem er plötzlich vor Teresa stehenblieb: »Wissen Sie, daß Ihr Mann ein großer Sünder ist?« Sie errötete und sagte, dem Blick des Erzbischofs furchtlos begegnend: »Ich habe ihm nichts zu verzeihen, und Gott ist voll Erbarmen.« Er überlegte sich die Worte einen Augenblick und fing wieder an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei er vor sich hin brummte: »Nicht übel! Damit sind die Rollen verteilt, und das Stück kann gespielt werden.« 145 Endlich machte er wiederum bei ihr halt und sagte freundlich: »Nun, Kind, ich will Euch helfen. Ein Erzbischof von Mailand fürchtet den römischen Kaiser nicht, das ist uralte Überlieferung. Du bist ein Kind Gottes, ich kenne dich; auch Graf Federigo ist ein guter Katholik, wenn auch freilich ein schlechter Untertan. Ich habe ihn gern, aber er muß noch manches lernen, und es kann ihm nicht schaden, wenn er ein wenig in die Schule geht; doch wünsche ich, daß Gott ihn entläßt, nachdem er ihn gehörig geschüttelt hat.« Er verabschiedete Teresa mit dem Segen und einem Kuß auf die Stirn: »In diesem Kelche duften nur reine Gedanken,« sagte er.

Im Laufe des Tages füllte sich die Bittschrift mit allen edlen Namen Mailands, so daß Gabrio gegen Abend zum zweiten Male die Reise nach Wien antreten konnte.

 


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