Ricarda Huch
Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri
Ricarda Huch

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Daß er von Maroncelli, der, aus dem Kirchenstaate verbannt, sich hier angesiedelt hatte, von Borsieri und Castiglia und einigen anderen Emigranten empfangen wurde, hatte er erwartet; es schien jedoch so, als wäre ganz Neuyork auf seine Ankunft gespannt gewesen. Der Besitzer des Gasthauses, in dem er abstieg, hatte kaum seinen Namen erfahren, als er das Ereignis bekanntmachte, wovon die Folge war, daß Abgesandte mehrerer Zeitungen ihn aufsuchten und dringend baten, vorgelassen zu werden. Federigo, der nicht wußte, um was es sich handelte, empfing einen, nachdem er eben das Bett verlassen hatte. Der Herr betrachtete ihn aufmerksam, während er seine Zudringlichkeit mit der Begierde des Publikums, über das Befinden des erlauchten Gastes unterrichtet zu werden, entschuldigte, und stellte dann, da Federigo stillblieb, eine Reihe von Fragen über die 325 Überfahrt, über die Behandlung, die ihm auf dem Schiffe zuteil geworden sei, über seine Absichten und Pläne und den Eindruck, den Neuyork auf ihn gemacht habe. In bezug auf dies letzte antwortete er, daß er bis jetzt das Bett habe hüten müssen und nichts als das Zimmer des Gasthauses kenne, das ihm gut gefalle, und daß er hoffe, sich mit der Zeit an das schnellere Lebenstempo zu gewöhnen, welches hier zu herrschen scheine.

Die magere Ausbeute des Gespräches hinderte nicht, daß am folgenden Morgen ein langer Bericht in der Zeitung erschien, der Confalonieri als den Typus des westeuropäischen Aristokraten schilderte, beherrscht von den Formen mittelalterlicher Grandezza und erfüllt von träumerischem Idealismus. Doch fehle es dem Grafen nicht an einem praktischen Blick, der ihn mit Amerika seelenverwandt mache, wie er denn einer der ersten gewesen sei, der die technische Zivilisation in Italien einzuführen versuchte. Es verlaute, daß er in Amerika Muster zur Verwirklichung seiner weltbeglückenden Pläne studieren wolle. Zunächst jedoch suche er Erholung von den durch Tyrannenmacht über ihn verhängten Qualen, die vor der Zeit sein Haar gebleicht und seine hohe Gestalt gebeugt hätten.

Die Folgen dieses Artikels zeigten sich noch am selben Tage: Federigo erhielt Sendungen von Blumen und Früchten, Vertreter der besten Gesellschaft gaben ihre Karten bei ihm ab; man lud ihn ein und bot ihm Gastfreundschaft an. Der Andrang hatte etwas Beängstigendes, wirkte aber doch auch anregend. Vielleicht, dachte er, sei es das beste für ihn, sich mitten in die lebhafteste Bewegung des Lebens hineinzuwerfen. Das herzliche Entgegenkommen überraschte ihn, und es schien ihm Pflicht, sich dankbar zu erweisen. Vor vielen Jahren hatte er sich in den glitzernden Wogen der Geselligkeit wohlgefühlt; 326 es lockte ihn, das Spiel, das er einmal so gut verstanden hatte, wieder zu versuchen. Eine Einladung des Magistrates, der ihn festlich willkommen heißen wollte, konnte er um so weniger abschlagen, als er gebeten wurde, selbst den ihm bequemen Tag zu bestimmen; schließlich mußte er doch auch damit beginnen, seine neue Umgebung kennenzulernen.

Als er in den hell mit Gas beleuchteten und von Menschen erfüllten Saal eintrat, überlief ihn ein peinliches Gefühl, so daß er gern umgekehrt wäre; aber er sammelte sich bald und gab sich der behaglichen Wärme hin. Damen und Herren kamen ihm entgegen und begrüßten ihn, und er fand sich augenblicklich in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Die Mode hatte sich, während er auf dem Spielberg war, gänzlich verändert. Zu seiner Zeit hatten die Kleider noch den griechischen Fall, sie waren aus Seide oder leichten Stoffen sehr einfach gemacht und meistens weiß. Jetzt waren Ärmel und Röcke stark aufgebauscht, es gab Besatz von allerlei Farben, was ihm alles gegen den guten Geschmack zu verstoßen schien. Indessen waren die Damen schön, und wenn sie auch nicht jene vornehme sanft gewinnende Liebenswürdigkeit oder jene gelassene Majestät an sich hatten, die man an manchen Frauen in der Gesellschaft in Europa ehemals bewunderte, so waren sie gesprächig, kameradschaftlich und zugleich kokett, von einer kühlen Neugierde und erpicht darauf, sich zu unterhalten. Seine Tischnachbarin war in Italien gewesen und konnte die italienische Sprache mit zierlicher Anmut radebrechen. Sie hatte alle Merkwürdigkeiten und Altertümer gesehen und sie zu ihrer Verwunderung klein und unansehnlich gefunden; aber das katholische Wesen in Rom und das bunte Treiben der Fremden dort hatte sie entzückt, und sie erzählte von allerlei Abenteuern, in denen sie eine Rolle gespielt hatte, sachlich und mit viel Sinn für das Komische, wie wenn sie unbeteiligt einem 327 Lustspiel zugesehen hätte. Federigo fühlte sich angezogen und angeregt durch das schöne Mädchen und durch allerlei Fremdartiges, was er um sich her wahrnahm. Zur herkömmlichen Zeit erhob sich einer der Veranstalter des Festes, um des Grafen Gesundheit auszubringen. Er bewillkommnete den Dulder, der im Lande der Freiheit endlich die lange getragenen Ketten habe abwerfen können, und sprach den Wunsch aus, Amerika möchte dem Märtyrer der Verbesserung des menschlichen Geschlechtes eine zweite Heimat werden. Sie würden stolz sein, denjenigen ihren Mitbürger zu nennen, den auf dem Kontinent eine barbarische und engherzige Regierung seiner Adelsrechte beraubt hätte, weil er die Menschenrechte am höchsten geschätzt hätte. Er verglich ihn mit Kolumbus, Lafayette und Napoleon, welch letzterer nicht so schmählich geendet haben würde, wenn sein Genius ihn rechtzeitig nach dem Westen geführt hätte. Dies trug er nicht mit rednerischem Schwunge, sondern scharf, knapp und trocken vor, so daß es wie ein unwidersprechlicher Befehl klang; doch war die Miene seines regelmäßigen, glattrasierten Gesichtes verbindlich.

Federigo war über diese Ansprache erstaunt und belustigt und schickte sich nach einer Weile in guter Laune zum Danke an. Er war von jeher Meister im Reden gewesen, sei es, daß er zünden und hinreißen oder durch liebenswürdigen Humor und persönlichen Ton wirken wollte, und da er sich der englischen Sprache gut und geläufig bediente, machte ihm die Aufgabe keine Schwierigkeit. An den Vergleich mit Kolumbus anknüpfend, setzte er seine Ähnlichkeit mit diesem und die Unterschiede auseinander, was ihm Gelegenheit gab, sich gegen übertriebenes Lob zu verwahren und dem gastfreien Lande, in dem er sich aufhielt, in halb scherzhafter Form zu huldigen. Er wurde häufig von Jubel und Händeklatschen unterbrochen, und als er geendet hatte, bog man sich von allen Seiten zu 328 ihm hinüber, um mit ihm anzustoßen. Wie er im Begriffe war, sich zu setzen, fiel sein Blick auf einen ihm gegenüberstehenden Wandspiegel, der seine Gestalt bis zu den Knien zurückwarf. Der plötzliche Eindruck dieser fremden und grauenvollen Erscheinung, die er als sein Bild erkannte, lähmte ihn. Zwei Augen starrten ihn an, die aus unendlicher Ferne, von der Küste des Schattenreiches her über den Strom der Vergessenheit zu blicken schienen; sie waren wie das Tote Meer, an dessen Ufern nichts wächst, in dem die Fische sterben, und in das die Vögel, die hinüberfliegen wollen, tot hineinstürzen. Das graue Gesicht über der breiten, weißen Binde war nur eine Maske mit einem aufgemalten Lächeln; der dunkle, nach neuester Mode geschnittene Frack saß nicht über Fleisch und Bein. Eine andere Luft umhüllte diesen Fremdling als alle anderen, die anwesend waren, eine moderige, eisig anhauchende Grabluft. Es war ein von den Toten Wiederkehrender, der seinen Stuhl besetzt und seine Spur vertreten und seine Kränze verwelkt sieht. Die Gedanken und Vorstellungen rasten durch seinen Kopf: er sah sich, wie er vor zweiundzwanzig Jahren in London im Hause des Herzogs von Manchester dessen schöne Frau führte, wie alle Blicke ihnen bewundernd folgten, wie er sprach und wie sie zuhörte, wie er lächelte und fühlte, daß die Herzen derer, die er ansah, sich regten und wie von einem aufgehenden Lichte gelockt ihm entgegenflogen.

Es war ihm, als müsse eine lange Zeit vergangen sein, während er dies alles gesehen und gedacht hatte; allein er schloß aus dem unbefangenen Benehmen der Gesellschaft, daß es nur ein Augenblick gewesen war, den niemand bemerkt hatte. Einzig seiner schönen Nachbarin mochte ein Ausdruck von Ermüdung an ihm auffallen; denn sie sagte unvermittelt, er müsse auf dem Spielberg viel gelitten haben; man sähe es ihm an, und es stünde ihm gut wie einem Soldaten seine 329 Narben. Zur Antwort sprach Federigo von den Unbilden der Überfahrt, die seine Gesundheit angegriffen hätten, in einer Art, die es ihr trotz ihrer kühlen Unbedenklichkeit unmöglich machte, auf den Spielberg zurückzukommen.

Als er zu Hause angekommen war, zog er sich hastig aus und legte sich zu Bett. In dem dunklen Zimmer waren noch ein paar glimmende Punkte im Kamin, die letzten Funken eines Holzfeuers, das er während seiner Abwesenheit hatte anzünden lassen; er hätte sich einbilden können, daß dort ein nächtliches Tier säße und ihn anstarrte. Seine gereizten Nerven ließen alles, was er gesehen und gehört hatte, sinnlos an ihm vorüberkreisen: die überladene Pracht der goldenen und silbernen Gefäße, die den Tisch bedeckten, die hin und her schießenden Diener, den aus Konditoreis hergestellten Mailänder Dom, der ihm zuerst angeboten wurde, die zum Teil bis an die Fingerspitzen mit funkelnden Ringen geschmückte Hand seiner Nachbarin, und dazu hörte er zusammenhangslose Sätze, die an ihm vorübergewirbelt waren. Er zitterte vor Kälte und Müdigkeit; wie ein Todkranker bei den wilden Völkern lag er da, um den herum die Bewohner des Dorfes sitzen und auf Musikinstrumenten trommeln und blasen, um das durch einen bösen Geist verursachte Übel zu vertreiben. Es dauerte lange, bis der höllische Tanz nachließ und er einschlafen konnte, und erst nach einigen Tagen hatte er sich genug erholt, um wieder unter Menschen gehen zu können.

Es begann ein unruhiges, wahllos zusammengewürfeltes Leben: er besichtigte Fabriken und Werkstätten und Häuser, besuchte Vereine und Gesellschaften und empfing Verehrer und Neugierige. Allerhand Anliegen, die ihn befremdeten, gelangten an ihn. Ein Weinhändler, der eine neue Champagnersorte auf den Markt bringen wollte, wünschte, sie auf seinen Namen zu taufen und eine Anzahl Flaschen dadurch 330 doppelt wertvoll zu machen, daß die Etikette den Namenszug des Grafen von seiner eigenen Hand geschrieben trüge. Dagegen würde die Firma sich ein Vergnügen daraus machen, ihm unentgeltlich von dem Getränk zu liefern, wieviel er möchte. Zeitschriften und Verleger baten um Schilderungen aus seiner Gefängniszeit, die sie sogar selbst auszuarbeiten übernehmen wollten, wenn er nur seinen Namen darunter setzte. Der Erfinder eines durch Dampfkraft zu bewegenden Wagens stellte ihm denselben zur Verfügung, damit er ihn zu Ausflügen in die Umgegend benütze, wodurch die Neuheit gut beim Publikum eingeführt werden würde. Damen wünschten ihn zum Präsidenten einer Liga gegen die in den Südstaaten herrschende Sklaverei zu machen, verschiedene protestantische Sekten suchten sein Interesse zu gewinnen. Herren seiner Bekanntschaft waren Gründer großer Unternehmungen, an denen sie ihn zu beteiligen dachten: Petroleum sollte gewonnen, neue Städte sollten errichtet und Eisenbahnen gegründet werden.

Einigemal versuchte er, ermüdet und des Treibens überdrüssig, sich von allem zurückzuziehen; allein sowie er sich selbst überlassen war, erschien ihm sein Aufenthalt in dem von unverstandener Geschäftigkeit brodelnden Lande so sinnlos, daß er sich durch die vorige Unruhe von unerträglicher Schwermut heilen zu müssen glaubte. Als sich ihm Gelegenheit bot, eine mehrmonatige Reise durch die Vereinigten Staaten zu machen, entschloß er sich dazu, um nur Neuyork, wo es im Frühjahr noch bitter kalt war, verlassen zu können. Seine Reisegesellschaft bestand in einem Amerikaner, der Handelsverbindungen anknüpfen wollte, und in einem französischen Bischof, der vom Papste für einige Zeit auf Reisen geschickt war. Er war mit einem Italiener in Streit geraten und hatte, von diesem herausgefordert, sich auf einen Zweikampf 331 eingelassen; zwar war dieser rechtzeitig verhindert worden, doch hatte der Heilige Vater für gut gefunden, den Gegenstand ärgerlichen Geredes einstweilen zu entfernen. Er war ein liebenswürdiger und gebildeter Mann, und da er fürchtete, von allen, die seine Geschichte kannten, für einen unchristlichen Raufbold und Sünder gehalten zu werden, suchte er diese Meinung durch einen Aufwand von Sanftmut und Gefälligkeit zu zerstreuen. Der Amerikaner machte die Erhabenheiten der Natur und die Merkwürdigkeiten des modernen Lebens, die man unterwegs antraf, um so eindrucksvoller durch die kaltblütige Gleichgültigkeit, mit der er sie wie die Sprünge eines von ihm verfertigten, durch neue Erfindungen bereits überholten mechanischen Theaters erklärte und an sich vorübergehen ließ.

In die größeren Städte hatten die Zeitungen Confalonieris Namen getragen, so daß er auch dort das Ziel der Aufmerksamkeit war. In Neuorleans kam ihm die Einladung eines reichen Fabrikanten sehr ungelegen, da er durch die rasche Art des Reisens und durch die übermäßige Hitze ermüdet war, und er hätte sie ausgeschlagen, wenn er nicht Rücksicht auf den Amerikaner hätte nehmen wollen, dessen Geschäftsfreund jener war. Als es sich nun durch einen Zufall zeigte, daß weder der Fabrikant noch seine Familie wußte, wer Confalonieri war, sondern daß sie ihn aufs Geratewohl für einen berühmten italienischen Dichter hielten, sagte er lachend, daß er sich in diesem Falle durch irgend jemand könne vertreten lassen, um seine erschöpfte Person dem Getümmel der Gesellschaft zu entziehen. Der Bischof erklärte sich dienstfertig bereit, den Stellvertreter zu spielen, und obwohl er hernach Bedenklichkeiten hatte, wurde der Plan ausgeführt, und das Abenteuer lief ohne Störung ab. Am folgenden Morgen indessen bat der Bischof inständig, daß die Abreise, welche erst 332 nach mehreren Tagen stattfinden sollte, sofort angetreten würde oder daß man ihn allein abreisen ließe. Es sei wundervoll gewesen, sagte er, aber er würde sich einer solchen Prüfung nicht wieder unterziehen. Man müsse der heilige Antonius sein, um derartigen Versuchungen standhalten zu können; er bewundere den Grafen, daß er seine Tugend darin unverletzt erhalten habe. Dies eine Mal habe er sich leidlich durchgekämpft; er habe die Macht über die Damen, mit der Confalonieris Name ihn ausgerüstet habe, nur dazu benützt, um religiöse Empfindungen in ihnen zu wecken; bei einer einzigen fürchte er zarte Hoffnungen erregt zu haben. Durch schleunige Abreise müsse er seine Seele retten.

Es wurde seinem Wunsche entsprochen, und nach einiger Zeit erfuhren die Reisenden, daß der Dampfer, auf welchem sie ursprünglich hatten weiterfahren wollen, mit sämtlichen Insassen infolge einer Kesselexplosion untergegangen war. Es war eine neue Maschine gewesen, die mit einer noch nie erzielten Geschwindigkeit hatte arbeiten sollen. Der Bischof, der den Anlaß zu der lebenrettenden Beschleunigung der Reise gegeben hatte, sah darin einen Beweis, daß Gott ihn wieder in seine Gnade aufgenommen habe, was seine Stimmung hob, ohne ihn anmaßend zu machen.

Da, wo sie den Mississippi verließen, kamen sie dazu, wie einige tausend Indianer eingeschifft wurden, um nach dem Westen transportiert zu werden. Sie hatten, durch die Überlegenheit der Weißen gezwungen, einen Vertrag unterzeichnet, der sie zu freiwilliger Auswanderung verpflichtete, und den Abgang der dazu bestimmten Schiffe, in eine Umzäunung wie in eine Schafhürde zusammengepfercht, erwarten müssen. Eine Menge Schaulustiger hatte sich eingefunden, um die besiegten Wilden abreisen zu sehen, die ihrerseits die Zuschauer mit keinem Blicke streiften. Die Männer gingen mit stolzer, 333 melancholischer Gleichgültigkeit vorüber, und sowohl die Majestät ihrer Haltung wie die furchterregende Kraft ihrer schlanken, muskulösen Körper standen in traurigem Gegensatz zu der Lage, in der sie sich befanden. »Also auch hier, im Lande der Freiheit,« sagte der Bischof, »wird der Schwächere aus seinem rechtmäßigen Besitze verdrängt, und jedes Mittel ist erlaubt, um denjenigen zu vernichten, dessen einzige Schuld darin besteht, dem Stärkeren im Wege zu sein. Auch hier ist das Sprichwort wahr, daß Macht vor Recht geht.«

»Macht ist Recht,« sagte der Amerikaner im Tone eines Lehrers, der einen Fehler verbessert. »Ich glaube, Sie würden uns selbst auslachen, wenn wir aus Achtung vor dem Götzen Recht die gesegneten Fluren von menschlichen Raubtieren durchstreifen ließen, anstatt sie zu bebauen und zu besiedeln.« Sie sprachen noch eine Weile darüber hin und her, ohne daß Confalonieri sich beteiligte. Der Anblick der zum Untergang bestimmten Auswanderer stimmte ihn trübe; dazu kam, daß er sich kränker als je fühlte. Es herrschte seit einigen Wochen eine Hitze, wie er sie noch niemals erlebt hatte. Die Menschen, die Schiffe, der breite, stark fließende Strom, alles löste sich in ein blendendes Flimmern auf, das seine Augen schmerzte und seinen Kopf ermüdete. Um Mitternacht wachte er nach kurzem, tiefem Schlaf auf und trat auf die Altane, an die sein Zimmer grenzte, in der Hoffnung, daß es draußen kühler geworden sein möchte.

Die Meierei, wo sie übernachteten, lag frei, aber da sie niedrig war, gewährte sie nur eine beschränkte Aussicht. Er sah die durch Gebüsche gezeichnete Uferlinie des meerhaften Stromes, dessen ungeheures Rauschen der heiligen Stille zu huldigen schien. Indessen auch das Rauschen und die Stille gingen unter in der Übermacht des Sternenhimmels, der sich über die Erde hinwälzte. Federigo dachte an den 334 Niagarafall, den er gesehen hatte: ein donnernder Katarakt von Sternen stürzte sich von Unermeßlichkeit zu Unermeßlichkeit, ohne je die Erde zu erreichen, von der aus er den Schaum der Weltenmassen leuchten sah. Das waren nicht seine Sterne, die wie weiße Schwäne auf schwarzem Wasser gezogen kamen, wenn er sich zeigte, nicht die uranfänglichen Hieroglyphen, die den Namen Gottes durch den Raum schrieben, nicht die Brüder, die, einem alten Schwur getreu, vom Himmel niederstiegen, um dem Verlassenen beizustehen. Dort hatte er gefühlt, wie die grenzenlosen Wirbel der Welt in den einen Spiegel seiner Seele wie in der Spitze eines Trichters zusammenströmten, und daß er, wenn auch nur ein Geschöpf, der Gottheit und der Ewigkeit teilhaftig sei. Dort war der Tod sein Nachbar gewesen und hatte aus dem Labyrinth seines Gartens ihm zugelächelt wie einem Mitwisser seiner großen Geheimnisse. Wie nach dem Untergang der Sonne, wenn der Glanz ihrer tyrannischen Gegenwart erloschen ist, die Glorie der Nacht mit Sphärengesang sich herabläßt, so tauchte damals, als die Erde unter ihm versunken war, eine neue Seele in seinem Busen auf, die in der Einsamkeit heimisch war. Die Sinne für das Tagesleben waren ihm verdorrt, und er stand seinem Ansturm stumpf und geängstigt gegenüber.

Wußte er auch keinen Ort auf der Welt, nach dem er sich sehnte, so stand ihm das doch fest, daß er in Amerika nicht bleiben könne. Es ekelte ihn vor der unermüdlichen Geschäftigkeit, die nichts als Gelderwerb zum Ziele hatte, vor den hastigen Neuerungen, von denen die eine die andere verdrängte, vor der Verweichlichung der Lebensweise, vor dem Klappern des Räderwerks, das das Atmen der Seele ersetzte. Es schien ihm, als wären Frömmigkeit, Geschäft, Liebe und Spiel nur ein einziger Betrieb, um die Zeit zu töten, oder um Lärm zu machen; 335 die Reichen waren reicher, die Armen ärmer als anderswo, keiner glücklicher. Wie ein Babelturm reckte sich die schwindelnde Stadt in die Wolken, aber nirgends war etwas dem irdischen Staub Entrücktes; in Italien waren die Pflastersteine schöner als hier die Kathedralen und Paläste.

Seiner Rückkehr nach Europa stand nur ein Bedenken entgegen, daß er sich nämlich der Gefahr aussetzte, von Österreich wieder auf den Spielberg gebracht zu werden. Indessen da er das österreichische Gebiet nicht zu betreten brauchte, die anderen Staaten ihn nicht ausliefern würden und allem Anschein nach die österreichische Regierung selbst diese alten Prozesse lieber in Vergessenheit geraten lassen wollte, glaubte er sich darüber hinwegsetzen zu können. Es hieß sogar, daß bald eine allgemeine Amnestie erlassen werden würde, die den ehemaligen Rebellen das Bürgerrecht in der Lombardei wiedergäbe; denn die Zeit hatte sich geändert, es herrschte Ruhe in den österreichisch-italienischen Staaten, und Versöhnlichkeit galt als Regierungsweisheit. Auch war Federigo so zumute, als könne er seine Lage nicht verschlimmern; als notwendig empfand er nur das eine, Amerika zu verlassen.

 


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