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22. Elli in Tätigkeit

Nach einem zweistündigen Aufenthalt im weißen Häuschen langten unsere Reisenden nach nicht allzulanger Bahnfahrt in Station Naundorf an, wo sie von der Doktorin in ihrem eigenen Wagen abgeholt wurden. Es gab abermals ein Wiedersehen. Philippine hatte sich in der Jugend zwar oft über das verwöhnte Mädchen geärgert, aber das war nun vergessen. Jetzt dachte sie nur daran, wie sie der armen, schwergeprüften Frau das Los aufs lieblichste bereiten, wie sie ihr helfen und beistehen könne beim Einrichten in der neuen Wohnung.

Dort ging es, sobald der Möbelwagen glücklich gelandet war, an ein Auspacken und Einräumen im kleinen Häuschen. Wäre Elise in früheren Jahren das schöne Landhaus zum Wohnsitz angeboten worden, so würde sie es für nichts Besonderes gehalten haben. Im Gegenteil, sie würde Mängel und Fehler aller Art entdeckt haben und mit diesem und jenem unzufrieden gewesen sein. Nun betrachtete sie das Landhaus als etwas, zu dem sie die Augen nicht aufzuschlagen wagte. Das kleine Häuschen nahm sie hin als ein unverdientes Geschenk und war glücklich darüber!

Als Elise das Häuschen zum erstenmal mit Elli besichtigte, hielt sie es für ihre Pflicht, dem Besitzer des Landhauses einen Besuch zu machen, doch die Wirtschafterin erklärte, der Herr sei verreist und werde erst in vierzehn Tagen wieder kommen. Wie rücksichtsvoll das war! So konnte Elise sich mit ihrer Tochter ungezwungen einrichten und hatte die Befriedigung, beim Einziehen mit ihren kärglichen Möbeln nicht beobachtet zu werden.

Wie freundlich gestalteten sich die kleinen Räume, als ein Stück nach dem andern an passender Stelle untergebracht war! Elli jubelte und umarmte die Mutter und zog sie bald in dies Stübchen, bald in jenes.

»Sieh nur, Mütterchen, die herrliche Aussicht von diesem Fenster aus; wir sehen den Springbrunnen und die schönen Rasenflächen mit den herrlichen Bäumen. Und an der andern Seite sehen wir die Straße, die ins Städtchen führt. Dort muß mein Nähtisch stehen, und wenn von Doktors jemand vorüber kommt, kann ich schnell hinunter gehen, sie zu begrüßen. Die Fenster im Schlafzimmer gehen auf den Hof, da sieht man nicht viel, das schadet aber nichts. Nachts schlafen wir ja.«

Jetzt erschienen Emilie und Wilhelmine. Eine sollte Frau Braun holen, die andere sollte Elli helfen. Der Doktor ließ Ellis Mutter sagen, das viele Packen und Räumen sei nichts für sie, sie müsse nun kommen und ausruhen auf seine ärztliche Verordnung hin.

»Mütterchen, wenn's der Doktor sagt, mußt du gehen,« sagte Elli. »Aber erst muß ich Emilien und Wilhelminen alles zeigen. In den Garten des Landhauses können wir leider nicht, das ist verboten, aber ihr könnt von den Fenstern aus alles sehen.« Emilie fand das Häuschen reizend und meinte, Elli sei zu beneiden. Diese sagte, es sei allerdings am schönsten mit der Mutter zusammen zu wohnen, sonst wäre sie gern noch unter ihnen geblieben. Aber sie wollten gute Freundschaft halten; wenn alles fertig sei, müßten sie alle fünf Kaffee bei ihnen trinken.

»Wir backen den Kuchen dazu,« rief Wilhelmine.

»Aber nicht wieder in der Nacht, wenn die Diebe kommen,« lachte Emilie.

Elli errötete leicht, es fielen ihr Ottos Worte ein, die er ihr zum Abschied gesagt: »Wenn ich wieder nach Seehausen komme, schließen Sie mir die Tür nicht vor der Nase zu.«

»Doch wir verschwatzen die Zeit,« mahnte Emilie. »Wilhelmine, führe Frau Braun nach Hause, ich helfe Elli.«

»Ich glaube,« meinte diese sachverständig, »es ist am klügsten, ihr geht alle beide mit der Mutter. Wenn ich allein bin, geht die Arbeit schneller vonstatten. Ich will die Vorhänge anstecken und das Heim noch ein wenig schmücken.«

Als Elli allein war, holte sie die weißen Vorhänge aus dem Koffer. Wie sauber hatte die gute Lina alles gewaschen und geplättet; rasch holte sie die Vorhangstangen und begann ihre Arbeit. Das alles hatte sie bei Frau Doktorin gelernt, und da sie Geschick hatte, ging die Arbeit schnell von Händen. Nun hatte sie einen Vorhang heraufgelegt, und die ganze Stube gewann ein Ansehen. Wenn der Tag nur nicht so bald zu Ende gewesen wäre! Es dämmerte schon als die Mutter ging, und nun war über dem Aufstecken auch Zeit vergangen. Als sie den letzten Vorhang auflegen wollte, fiel an der einen Seite der Gardinenhaken heraus. Wie dumm! Sie mußte heruntersteigen und ihn suchen. Jetzt hatte sie ihn, wo war nur der Hammer, daß sie ihn festklopfen konnte? Sie hatte ihn beim Bilderaufhängen schon gehabt und nun fand sie ihn nicht. Wenn sie nur Licht hätte! Sollte sie sich drüben im Landhaus eins erbitten? Nein, sie wollte die Leute drüben so wenig als möglich belästigen, vielleicht war sie so glücklich, die Lampen zu entdecken. Die brave Lina hatte ja an alles gedacht. Richtig, auf der Küchenbank stand ein Kasten, da gab es Lichter, Streichhölzer und alles, was sonst zum Feueranmachen nötig war. Sie nahm ein Licht heraus, da aber die Leuchter durchaus nicht zu finden waren, steckte sie es einstweilen auf eine leere Weinflasche. Mit dem Licht fand sie den Hammer. Sie kletterte mit demselben aufs Fensterbrett und schlug so sehr sie konnte, aber der Haken wollte nicht halten; wenn sie glaubte, ihn fest zu haben, fiel er immer wieder heraus. Sollte sie es lassen und nach Hause gehen? Aber das hieße eine Sache nur halb machen. Ihr Mütterchen sollte die Stube am folgenden Tage fertig finden und einen freundlichen Eindruck haben.

Während sie so pochte und hämmerte, schritt ein junger Mann auf das Landhaus zu. Er war gebräunten Antlitzes, als habe er Wind und Wetter getrotzt, sonst hatte er seine Züge und ein kluges Gesicht. Er klingelte und als die Alte nach seinem Begehr fragte, verlangte er zum Besitzer.

»Wenn ein junger Herr nach meinem Herrn fragen würde, so soll ich ihm diese Adresse geben mit der Bitte, dem Herrn sofort nachzureisen.«

Doktor Körner, denn er war es, schien enttäuscht, jedoch fand er sich in das Unvermeidliche, ließ sich die Adresse einhändigen und ging. Als er beim kleinen Häuschen vorbeikam, sah er alle Türen geöffnet und Licht in einem Zimmer. Heftiges Klopfen ließ ihn aufmerken. Da er annehmen mußte, daß das Haus zum Grundstück gehöre, trieb ihn die Neugierde durch die offene Tür, zu sehen, wer hier den Lärm verursache. Wer malt aber sein Erstaunen, als er ein Mägdlein mit dem großen Hammer bewaffnet auf dem Fensterbrett stehen sieht, verzweiflungsvoll den Kalk von den Wänden schlagend. Gewandt war er auf einen Stuhl gesprungen, und mit den Worten: »Erlauben Sie,« hatte er ihr den Hammer aus der Hand genommen. Mit sicherer Hand führte er das Werkzeug, mit ein paar kräftigen Hieben saß der Haken fest. Elli war erschrocken vom Fensterbrett gesprungen, und als Doktor Körner sich umdrehte, erkannte sie ihn und auch er rief erfreut: »Sie sind's, Elli!« Gleichzeitig bat er um Verzeihung, daß er sie so anrede, er komme aber von seiner Anna und deren drittes Wort sei immer »Elli« gewesen. »Und nicht wahr?« sagte er, ihre Hand schüttelnd, »wir sind nun auch gute Freunde, denn Ihre Anna ist die meine, tausend Grüße sendet sie Ihnen, ich wußte ja, daß ich Sie in Seehausen treffen würde, allerdings nicht hier, sondern in der Pension.«

Elli erzählte in Kürze ihre Erlebnisse und sagte, daß sie leider in den letzten Wochen versäumt habe, an Anna zu schreiben, dieselbe wisse gar nichts vom Tode der Tante –

»Jener Tante?« sagte Körner bedeutungsvoll. Elli nickte und er fuhr fort: »Ich habe einen dicken Brief von Anna für Sie, verehrtes Fräulein.«

»Sagen Sie doch nicht so.«

»Nun dann, Fräulein Elli, mit Ihrer Erlaubnis.«

»Wie kommen Sie eigentlich hierher, Herr Doktor?« fragte Elli verwundert.

»Familienangelegenheiten,« erwiderte er kurz. Er zog seine Uhr und sagte: »Ich muß eilen, der Bahnhof ist weit, und ich möchte den Schnellzug noch erreichen.«

Jetzt ertönte auf einmal des alten Doktors Stimme. »Elli, Elli, Kind, wo bleiben Sie? Muß ich mich noch aufmachen bei Nacht und Nebel und Sie holen. Die Damen sind schon in großer Unruhe.« Er bemerkte den jungen Herrn, der den Hut zog und sich verneigte. Mißtrauisch blickte er bald ihn, bald Elli an und flüsterte halblaut zu letzterer: »Herrenbekanntschaft angeknüpft?«

Elli lachte und stellte ihn vor als Doktor Körner, den Verlobten ihrer Freundin Anna, der ihr Briefe und Grüße gebracht habe.

»So, so, das ist etwas anderes,« sagte der Doktor. Er sprach einige höfliche Worte mit dem jungen Mann, der aber Eile hatte und sich nach wenigen Minuten verabschiedete.

Der Doktor mahnte nun zum Aufbruch. So löschte Elli das Licht, schloß die Tür und trabte an seiner Seite nach Hause.

Anna schrieb einen glücklichen Brief. Ihr Heinrich war endlich von der langen Seereise zurück und war natürlich gleich zu ihr geeilt. Der Vater hatte, da sich für den jungen Arzt Aussichten eröffnet hatten, in eine Verbindung eingewilligt und so war das Glück nach langer Trennung groß. Sie schrieb, daß Heinrich leider nicht lange bleiben könne, da er nach Seehausen müsse, wo seiner eine große Freude warte. Sie würde auch bald dorthin kommen, dann wollte sie Elli von den Lebensschicksalen ihres Verlobten erzählen.

Zu wem wollte denn Anna kommen? Hatte sie Verwandte in Seehausen? Zu sich konnte sie sie kaum einladen, das Häuschen war niedlich, aber der Raum beschränkt. Nun, es würde sich ja das alles finden, einstweilen freute sie sich mit ihrer Anna ihres Glückes und sehnte sich danach, sie bald sehen und umarmen zu können.


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