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20. Juli.
Den Lesern der Flegeljahre wird es Freude machen, hier in J. Paul's Reise zu Pferd zum Candidatenexamen nach Bayreut das Urbild zu Gottwalt Harnisch's Ritt nach Haslau zu finden! Die genannten Personen sind aus Jean Paul's Bekanntschaft in Hof. Der Großvater war Tuchmacher daselbst.
Wenn mir, da ich Abends mit Nachsinnen über die Bezahlung des Pferdeverleihers Knol und seines Pferdes durchs Thor heim spreizte (weil ich noch einen ordentlichen, organisirten Sattel zwischen den Beinkleidern trug) der alte Prückner oben von Oesterlein herunterprophezeihet hätte: »Richter, deine ganze Reiterei nützt dir zu nichts, als zu einer Beschreibung derselben!« so würde ich und nachher mein Großvater, da wir beide an einem Pfarrer modellirten und webten, den Bileam gefragt haben: »Was hätte denn das Examen und das Pferd geholfen?« Aber du unsichtbar säendes Schicksal, du wirfst ja in deinen beiden Händen den armen menschlichen Dreckkegel so lange hinüber und herüber, bis er sich die Form aufpletschet und anfällt, die du ihm ertheilen willst!
Der harte Dreckkegel, der Knol, versprach mir sein Musenpferd, das ich noch nicht gesehen, aber oft, um mich einzuschießen, geritten hatte in meinen Träumen von der Examinationskreuzfahrt. Ich konnte mir damals, trotz meiner liliputischen Baarschaft, gar nicht gedenken, daß ein oberer und examens-turnierfähiger Student nach Bayreut blos ginge. »Sie reiten ja alle mit einander!« sagte ich zu meinem Großvater, und er mußte damals mit mir und dem Podagra fechten.
Mein damaliger Anzug kann unmöglich hieher gehören, und das Publikum sollt' es von selbst einsehen; denn in der künftigen Stufensammlung aller meiner Kleider, die kaum in ein Vierzehntagsblatt wird hineinzubringen sein, muß ohnehin die Schüler-Garderobe nebst den Primaner-Insignien mit vorkommen, so wie ich hiemit mir und dem Publikum Hoffnung mache, daß nächstens eine Größenlehre und Topographie aller der Zimmer und Fischhälter und Seitenhöhlchen, die ich Zeit meines Lebens bewohnt und ausgefüllt und erduldet habe, die Presse dieses Vierzehntagsblattes verlassen soll. Ich werde dadurch der Welt Gelegenheit verschaffen, Augenzeuge von einem prächtigen Wetteifer zu sein, der in Stubenbeschreibungen zwischen mir und dem Franzosen obwalten wird, der » les plus excellens batimens de France par Jac. Aud. du Cerceau, Architecte à Paris. 1607 2 vol. fol.« in die Welt laufen lassen.
Dennoch muß ich aus der künftigen Kleidergeschichte das durchaus weg- und hieherholen, daß der Stiefelabsatz mit den Sohlen in einer Ebene lag; das Gehen hatte alle zusammen platt gehobelt und ich hätte eben so gut den Stiefel umdrehen und die Sohlen für den Absatz verkaufen können – aber eben deßwegen, meine Freunde, wollten die Sporen nicht sitzen und ich und die Magd hatten Teufels Noth mit den Sporen, mehr wie's Pferd selbst. Da aber zuletzt der eine durchaus nicht anzubringen war, umso mehr, da seine Riemen (es wars beste Leder gewesen, aber der Schimmel der Zeit hatt' es mit seinen Wurzeln wie einen Felsen fast zersprengt) wie Brodrinde zerfuhren: so entschloß ich mich, ihn in die Tasche beizustecken und ich dachte: so und an meiner Hüfte käm' er ja ebenso gut nach Bayreut als an der Ferse selbst und an der Hüfte des Pferdes. Ich hatte diese Sporen oft in meiner Kindheit sehnend in der Bibliothek meines Vaters hängen sehen: aber ich hatte niemals das Herz mir vorzustellen: »diese Sporen setzen sich einmal an dich und schlagen dich – in Gesellschaft des Pferdeschwanzes – auf dem Höfer Wege zum Ritter, dessen Einkleidung, wie du künftig wissen wirst, allezeit mit der Anspornung begann.«
Die Reitpeitsche streckte mir Mstr. Herzog vor. Sie war ganz gut und reich; denn die Rindshaare, die am Griff durch die lederne Haut hinauswachsen wollten, hatten sie um ein Namhaftes aufgetrennt und durchstochen und ich konnte, da ich kein sterbender Bramine war, folglich auch nicht denken, ich faßte einen heiligen Kuhschwanz.
Sonnabend Nachmittags war's, wo ich in die Altenstadt ging und mir unterwegs nichts dachte, als die linke Seite des Pferdes, um nicht als ein Gelächter der ganzen Altenstadt an der rechten hinaufzuwollen: ich drehte deßwegen das ganze Schulroß im Kopfe in alle mögliche Stellungen, um auf alle wirkliche gefaßt zu sein und allezeit die linke Seite den Augenblick zu treffen.
Der lebendige Reitstuhl wurde vorgezerret; die Zeit hatte ihn, wie meine Sporen, mit den silbernen Haaren des Alters gepolstert: denn das Pferd war aus der Apokalypsis in unsre Zeiten herübergebracht und gefristet und der Evangelist muß uns beide gesehen haben. Aber ich wußte jetzt nichts mehr von mir selbst – mein Ich war zu groß für mein Ich und dessen Kopf – ich sah die ganze Gasse nimmer – nicht die schlimmen Aufmerksamkeiten des Knols und seiner Hausgenossen – nicht den Akzessisten und Adspiranten des Trankgeldes – ganz und gar nicht die Magd meines Großvaters, die etwas nachbrachte: – sondern ich pichte nur mein nachlaufendes Auge an die wandelbare linke Seite des Pferdes an und verwirrte mich und sie doch zuletzt im Taumel mit meiner eignen Linken und wußte dann nicht wie ich beide Seiten schicklich und mit unsern Köpfen vorn aneinander bringen sollte; bis ich zuletzt den Knoten durchschnitt und an der – rechten Roßseite hinaufzuspringen probirte.
Droben war's Elend noch größer wegen der vielen Dinge, die da zu halten, zu legen, zu setzen (ich selbst), einzuschlichten (meine Füße) und zu orientiren waren. Inzwischen kamen wir doch, erst meine untere Hälfte und dann das Pferd, in Bewegung, der der Trankgeldeinnehmer schon eine richtige Richtung angewiesen hatte.
Dauern that mich die vortreffliche niederlaufende Chaussee, die mein Folterpferd in nichts nützen wollte und auf der's mich wie ein Komma oben sitzend, oder wie's letzte Mondviertel mit tastenden Füßen hinunterschaffte. Es hätte meinen erlaubten Ehrgeiz wieder ein wenig erfrischen können, wenn das lebendige Aas nur wenigstens vor dem fürstlichen Lustschlosse meines Großvaters, wo mich verschiedene Taglöhner schätzten und jetzt vorbeitragen sahen, hätte einige merkwürdige Tänze thun wollen; aber da das Luder merkte, daß der Weg immer nachschob, wollt' es gar stehen bleiben und es hätte, weil deßwegen die Systole und Diastole meiner Beine außerordentlich zunahm, wenig gefehlet, so wäre ich wieder neben dem Fensterstock des Knols hingebracht worden, und wir waren beide schon halb herum.
Wir Nachkommen wollen aber christlicher denken und nicht neben unserm armen aufgeschmiedeten Galeerensclaven neugierig herlaufen, wie er sich und seine Maschine die Chaussee hinaufrudert, sondern wir wollen droben im Münchbergerwalde passen bis er etwa anlandet. Droben wird er ohnehin verbleiben müssen. Und so ists auch. Das Pferd schlug mit seinen vier Füßen Wurzel in die Erde, wie Stifte das nürnbergische an den seinigen aufs lakirte Brettchen heften. Er that das Seinige und noch weit mehr und wirkte auf alle Seiten des Thiers; er versuchte den Staupenschlag des Rückens und wieder Verletzungen des Kopfes, die die alten Deutschen wie er wußte so scharf heimsuchten; er machte vom Sporenrad den Gebrauch eines Kammrades und wollte, indem er mit dessen Zähnen in die Rippen des Pferdes eingriff, so das ganze Werk in Umlauf drehen – aber wie gesagt, der Teufel hatte dabei sein bestes Spiel und verstockte dem Roß die Seele sehr. Endlich blitzte hinter solchen Wetterwolken die Sonne hervor, nämlich der Burgvogt oder Hausmann meines Großvaters; dessen Augen sahen den Jammer und seine Hände hoben ihn, indem sie einen Ast abschnitten so lang wie ich, dem er den ganzen grünen Wipfel ließ. Dieser verdrang die Peitsche – und bei einem solchen Bramsegel, das ich hielt, und bei einem solchen Windflügel, der für Bewegung gemacht war, wird es kein Wunder sein, wenn man nach acht Tagen im vierten Vierzehntagsblatt mich und den Träger im Münchberger-Wirthshaus angesprengt finden wird.
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Wenn meine Freunde der extemporisirten Beschreibung einige berauschte und antikritische Sprünge zu gute halten, so sollen die nächsten Blätter das Pferd gar nach Bayreut schaffen und wieder herein.
Ende des ersten Theils.