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Nagy Janos.

Ein Knecht kam mit der Botschaft von Nagy Janos: die Herrschaften seien willkommen; sein Herr lasse bitten, mit Roß und Wagen und Gepäck zu ihm übersiedeln zu wollen.

»Vorerst scheint es, sollen die Hunde von unserem Blute noch wenig zu lecken kriegen.«

Der alte Nagy und seine Frau hatten für sich allein das weitläufige, solid gebaute Wohnhaus inne. Die Frau war bereits die dritte Gattin Nagy's und im Vorhause spielten drei- und vierjährige Kinder, die kleinsten, es sind aber auch noch größere da. Der Hausherr selbst ist ein rüstiger Sechziger, seine Frau ein sanftes, schmuckes Weibchen in den besten Jahren.

Den Gästen wurde eine Mahlzeit vorgesetzt, mit der man getrost selbst den Kaiser von China hätte bewirthen können. Es war das erste Gastmahl auf der Reise, welches der geehrte Herr Kandidat dem Hausherrn mit keinerlei Entgelt bezahlte. Die wackere Nagy Janosne setzte ihm alles Erdenkliche vor, wovon sie nur immer hoffen durfte, daß es ihm munden werde; und dabei wußte sie die Dinge in einer Art zu bieten und den Gast in so honigsüßer Weise zu nöthigen, daß diese Art und Weise selber die beste Würze der Speisen war. Und mit welcher Herzlichkeit sie die Gefahren und all die großen Unannehmlichkeiten zu bedauern wußte, welche der Prinz zu bestehen gehabt.

»Je nun, wir haben den Feind aber auch überwunden?« sprach Alienor und blickte dabei dem Hausherrn ins Auge.

Der alte Nagy antwortete nicht; er schüttelte nur gelassen den Kopf, als ob er sagen wollte: »Das habet Ihr nicht!« – Er schlug die Augen auf seinen Teller nieder, er schämte sich für den Fragenden.

»Sie waren nicht bei der Volksversammlung?« fuhr Alienor fort. (Er hatte immer Muth, wenn er einen Menschen fand, der furchtsamer war als er selber; und den alten Nagy sah er für einen solchen an.)

»Ich habe die Vorgänge von einem benachbarten Hause aus mit angesehen.«

»Und weshalb haben Sie sich denn nicht unter das Volk gemischt?«

»Es ist das kein Ort, der für mich taugen würde.«

»Sie sind, wie es scheint, ein Aristokrat.«

Nagy Janos antwortete nicht; er zuckte nur die Achseln. Alienor dachte, er habe das Fremdwort nicht verstanden. »Das heißt: ein reicher Mann.«

»Jawohl, das bin ich; ich habe sechs Söhne und drei Eidame; sie alle erwerben ihr Brod durch eigene Kraft.«

»Nicht so meine ich es; ich wollte sagen: Sie scheinen ein stolzer Mann zu sein.«

»Ich habe das Wort wohl verstanden, erlauchter Prinz. Ich bin nicht stolz, sondern blos wählerisch. Ich halte es wie das Gesetz selber, welches einen Census festsetzt und darnach die Menschen für Faktoren oder für Nullen erklärt, je nachdem sie über oder unter diese Grenzlinie zu stehen kommen. Nur ist mein Census ein anderer als jener, den das Gesetz aufstellt.«

»Was ist denn also dieser Ihr Census?«

»Weil Sie befehlen, so will ich es Ihnen wohl sagen, erlauchter Prinz. In der Versammlung, vor welcher die Herren gesprochen haben, waren die Hälfte der Anwesenden Frauen und Kinder: also Mäuler ohne Stimmrecht. Die andere Hälfte hinwieder war allerlei bunt zusammengewürfeltes Volk: Tagelöhner, Knechte, pfuschende Handwerker, die keinen Heller Gewerbesteuer zahlen, Fuhrleute ohne ständiges Domicil, Zigeuner, – Alles, nur nicht die wahlberechtigten Individuen. Was sich aber an wirklichen Wahlbürgern eingefunden hatte, waren Gärtner, Kleinhäusler, die eine Hütte mit zwei Wohntheilen besitzen, welche man vor der Steuerkommission beim besten Willen nicht verheimlichen kann; sie zählen sonach bei der Wahl wohl oder übel mit; wir ›Aristokraten‹, wie Sie zu sagen beliebten, nennen diese Leute einfach ›Meier‹ und ›Keuschler‹, und ich kann eben nicht leugnen, daß wir nach ihrer Gesellschaft kein besonderes Verlangen tragen. In der heutigen Volksversammlung war auch nicht ein begüterter Bauer zu sehen. Eben deshalb giebt es hier keine Aristokratie, denn das Wort bedeutet ›die Herrschaft der Besten‹, hier aber herrschen die Keuschler. Ihr Wille ist bei den Wahlen ausschlaggebend; sie kandidiren und uns bleibt nichts Anderes übrig, als entweder für ihren Kandidaten zu stimmen, oder aber daheim zu bleiben. Denn Keiner von uns hat Lust, sich den Kopf oder die Fenster einschlagen zu lassen, oder das ganze Jahr hindurch davor zu zittern, daß man ihm seine Scheuern niederbrenne, seinen besten Pferden die Ohren abschneide, seine Saaten von der Heerde abweiden lasse, oder ihm wohl gar in den Zeitungen alle möglichen Schlechtigkeiten und Schandthaten andichte; jeder rechtliche Mann zieht sich also um solche Zeit lieber zurück und überläßt Jenen das Feld. Das ist nicht Stolz, das ist einfach Vorsicht. Jahr aus, Jahr ein weidet der Keuschler sein Vieh auf meiner Wiese, im Winter füttert er sein Pferd mit meinem Heu, im Herbste hält er Lese in meinem Weingarten und trägt meine Trauben auf den Wochenmarkt zum Verkaufe; nehme ich ihn zur Erntezeit in Fuhrlohn, so zehntet er meine Garben; in der strengen Arbeitszeit fordert er Taglöhne, deren sich ein exmittirter Komitatsbeamter als Diurnen nicht zu schämen hätte; trägt man ihm die Arbeit nicht an, so sucht er sie um keinen Preis freiwillig, sondern verlegt sich auf Nachtgeschäfte; hat er Geld, so ist seine dringendste Sorge, es je eher zu vertrinken; hat er keines, so zieht er den Schmachtriemen knapper an und darbt lieber, als daß er Körbe flechten oder für Taglohn Dämme und Gräben machen ginge. Das sind Leute, in deren Gesellschaft sich ein Mann meines Schlages unmöglich mischen kann. Das aber läßt meine Natur nicht zu, daß ich mich den Leuten, welche ich es das ganze Jahr hindurch habe fühlen lassen, daß ich vor ihnen auf der Hut bin, gerade zur Zeit der Wahlen anschließen, daß ich nun auf einmal mit ihnen trinken, Kameradschaft pflegen, sie herzen und küssen, daß ich – und das ist die Hauptsache – ihren Discurs mitanhören sollte. Ich soll zuhören, wenn der Keuschler anhebt, mir von patriotischen Tugenden zu predigen! Der Keuschler, der das Wort ›Steuer‹ nur daher kennt, weil er sie regelmäßig nicht bezahlt, der sich der Militärpflicht durch die Flucht entzieht, oder sich verstümmelt und seine Kinder zu Plattfüßlern erzieht, um sie untauglich zu machen: er mir, der ich jedes Quartal regelmäßig im Steueramte erscheine, um meine Schuldigkeit abzutragen, der ich den Staat meiner Tage auch nicht durch ein Pfund geschwärzten Tabaks betrogen habe, der ich im Freiheitskriege bis zur letzten Waffenstreckung für das Vaterland gekämpft, meine Militärjahre selber abgedient habe, so gut wie meine sechs Söhne der Reihe nach; mir, der ich zu finden bin bei jeder Sammlung, so oft die Humanität, die allgemeine Bildung, irgend eine nationale Institution ein freiwilliges Opfer heischen –! Sehen Sie, das ist mein Census, erlauchter Prinz. Wer über diese Grenzlinie zu stehen kommt, ist eine Ziffer, wer unter dieselbe fällt, ist eine Null. Und da soll ich nun hingehen unter die Leute, und soll mit anhören und mit ansehen, wie sich ein Tukmanyi auf den Tisch stellt und mir von National-Oekonomie, vom Emporblühen des Vaterlandes vorzureden anfängt! Er, dem sein eigenes Haus über dem Kopf zusammenfällt, mir, der ich aus eigenem, erworbenem Vermögen das neue Schulhaus gebaut habe! Oder, daß sich der Rector, der Süffling, dem ich als sein Kirchencurator erst gestern tüchtig den Text gelesen habe, weil er die Kinder in der Algebra und der vaterländischen Geschichte so niederträchtig nachlässig unterrichtet, vor mich hinpflanze und nun heute mir über die schwierigsten finanziellen Probleme, über die große europäische Staatengeschichte eine Lektion gebe; daß dann schließlich die Beiden einen Abgeordneten-Kandidaten vor mich hinstellen, wie diesen Karakan, und der mir ein Programm vorrede, mir, der ich fünf gesunde Sinne habe, der ich lesen und schreiben kann, er, dem der liebe Herrgott zur Krönung aller seiner Vollkommenheiten nur Eines zu verleihen vergessen hat: ein Paar tüchtige Hörner!«

Lautes Gelächter folgte dieser Auseinandersetzung, während dessen Alienor zu Leon sagte: »Ein › drôle de corps‹ unser Herr Wirth.«

Er fand darin nichts Merkwürdiges, als daß diese Bauern zwischen sich ebensolche chinesische Mauern errichten, wie die hochgeborenen und erlauchten Herren dort oben, während sie doch allesammt dieselben ruppigen Kerle sind.

»Aber mit unserer Rede waren Sie doch zufrieden, Herr Nagy Janos?« sagte er, indem er sich die Freiheit nahm, sich über den Hausherrn zu moquiren, mit dem man, wie es schien, sich Alles erlauben durfte.

»Vollkommen. Was Durchlaucht deklamirten, das habe ich wohl nicht verstanden, denn ich verstehe nicht Englisch; aber so viel habe ich doch errathen, da Sie es skandirend sprachen, daß es in Jamben geschrieben war: es war also ein Vers.«

»Ah! Sie haben wahrgenommen, daß ich skandirte? Nun, aber die Rede Napoleons war doch gut?«

»Sehr gut. Sie paßte ganz zu ihrem Publikum. Ich habe es herausgefunden. Wer selber ein halber Narr sein will, aus dem kann man bald einen ganzen machen. Auf das »Grüß' Gott« des Karakan konnte man mit keinem besseren »Gott zum Gruß« antworten. Aber ich wäre vor Scham in den Boden gesunken, wenn mich Jemand gesehen hätte, als ich diese Rede anhörte. Ich hörte sie mit an hinter den herabgelassenen Vorhängen im Hause eines meiner Schwiegersöhne. Nicht die Neugierde hat mich dahin geführt, sondern etwas Anderes. Ich sagte zu Tukmanyi vor der Volksversammlung: »Hört: Ihr seid verantwortlich, daß Alles in schönster Ordnung verlaufe und der Gegenkandidat und seine Begleiter nicht irgendwie thätlich beleidigt werden; denn ich werde da sein und meine sechs Söhne und meine drei Schwiegersöhne.« – Nun, ich bin eben nicht einer von den Stärksten (er war nur sechs Fuß hoch mit anderthalb Ellen breiten Schultern,) aber meine Söhne müßten Sie sehen! Wollen sich die Strolche, das heißt, die geehrten Mitbürger an dem Gegenkandidaten vergreifen, was der Gemeinde zur Schande gereichen würde, nun, dann sind wir zehn mit den Heugabeln zur Stelle und dann wird binnen fünf Minuten kein Tropfen Volksversammlung auf dem Marktplatze zu finden sein. Dixi.«

»Gott segne Sie dafür,« sagte Leon.

»Ich will was Besseres sagen,« warf die Hausfrau dazwischen. »Unsere lieben Gäste sind zerschlagen. In der letzten Nacht haben sie gewiß nicht geschlafen. Lassen wir sie jetzt ruhen. Die Herrenleute haben so ein Nachmittagsschläfchen gerne. Auch der Bauer hat's gerne, nun erst Einer, der an die Plackerei nicht gewöhnt ist.«

Für diesen Antrag dankte auch Alienor der Hausfrau herzlich, indem er ohne Scheu gestand, daß ihn jedes Knörpelchen so schmerzte, als hätte er es von einem Anderen zu leihen genommen und man fordere es jetzt zurück.

»Und der theuere Prinz hat gewiß von den vielen fetten Speisen den › csömör‹ bekommen. Da wird ein klein wenig Einreiben gerade gut thun.«

Alienor hatte von dieser ländlichen prophylaktischen Heilmethode keine Idee, und als man ihn dann ins Bett legte, entkleidete und die herbeicitirte Beresfrau mit ihrer schwieligen, kräftigen Hand seinen Rücken zu bearbeiten, seinen Arm, seine Gelenke zu knacken begann, da war ihm, als würden alle seine Knochen zerlegt; das entsetzliche Weib knetete ihm aber den » csömör« aus dem Rücken heraus und der Prinz schlief darnach wie eine Zieselmaus. Auch Herrn Dumka zog sein schweres Haupt auf das Kanapee und bald hörte man sein imposantes Schnarchen, während Herr Czajkos im Bienenhause seinen Leib der Nachmittagsruhe übergab. Nur Leon war mit Herrn Nagy Janos am Tische zurückgeblieben, von dem man Alles bis auf die Weinflaschen und die Gläser abgeräumt hatte. Sie tranken noch eins und hörten dem Schnarchen der beiden Anderen zu.

»Ja, so ist's, Freund Janos,« begann Leon nach einer Pause und ließ sein Glas mit dem des Hausherrn zusammenklingen.

»Ich verstehe beiläufig Alles und würde mich mit Allem zufrieden geben. Selbst damit, daß, wenn davon die Rede ist, für den Etelvarer Bezirk einen Vertreter in den Reichstag zu senden, ein Mensch, wie Sie, hierherkommt und einen Menschen zum Abgeordneten empfiehlt, wie diesen Prinzen. Die Herren dort oben verstehen besser, warum das so sein muß. Aber Eines kann ich mir doch nicht erklären. Man erzählt sich, ich weiß nicht, obs wahr ist, daß dieser Herr hier, Herr Dumka, schon in vier Dörfern halbe Banknoten, Fünfziger, unter die Wähler als Angabe auf ihre Stimme vertheilt habe, und daß diese in Beschlag genommenen Wähler die Versicherung erhielten, daß sie die ergänzende Hälfte ihrer Banknoten am Wahltage aus Ihrer Hand empfangen werden. So sagt man.«

»So ist's.«

»Nun, das eben ist's, was ich nicht verstehe. Daß Sie sich über die Wähler lustig machen, das verstehe ich, wer tanzen will, braucht einen Fiedler, und wer fiedelt, ist kein Geistlicher, der predigt. Daß Sie Ihren Kandidaten als englischen Prinzen vorstellen: auch das verstehe ich. Dieses Volk hier braucht entweder eine fettige Mütze, oder einen Bauern aus ihrer Mitte, oder einen fremden Potentaten. Daß aber Sie, Napoleon Zarkany, der, als er Stuhlrichter war, die Partei, die ihn bestechen wollte, einsperren ließ und der keinem Geschenke zugänglich war, daß Sie jetzt eine solche Mission übernehmen sollen, die nichts Anderes ist, als eine Bestechung des Volkes mit Geld, während dieses Volk als Richter über die politischen Führer des Landes urtheilt, – daß Sie eine solche Mission übernehmen konnten, das ist's, was ich nicht zu verstehen vermag.«

Bruder Napoleon war nun in der Klemme. Diese Bauern wissen mit gefährlicher Aufrichtigkeit ehrenrührige Fragen zu stellen. Die Herrenleute flüstern so etwas nur vor sich hin. Leon reichte seine Rechte, mit der Fläche nach oben, Herrn Nagy. Aber Herr Nagy Janos schlug nicht ein. »Werden Sie meinen Worten glauben?«

»Hängt davon ab, wie sie gesagt werden.«

»Die halben Banknoten habe ich nicht vertheilt, demnach kann man mir dies nicht als Verbrechen anrechnen.«

»Aber Sie werden den Wählern die andere Hälfte geben?«

»Nun, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, daß sich um die bei mir befindlichen halben Banknoten Niemand, gar Niemand melden wird; der, dessen Eigenthum sie sind, erhält sie eingepackt zurück.«

»Das müßte dann wahrhaftig mit übernatürlichen Dingen zugehen.«

»Zweifeln Sie an dem, was ich sagte?«

»Herr, ich kenne in Batok, Csiva, Kopron und Mor keinen Menschen, der die zweite Hälfte eines halben Fünfzigers zurückließe, wenn er sie bekommen kann.«

»Und ich sage, daß weder ich, noch ein Anderer die bei mir befindlichen Banknoten zur Bestechung der Wähler vertheilen wird und daß auch diese es nicht verlangen werden. Dafür verpfände ich meine Ehre.«

Herr Nagy Janos schlug rasch in die Rechte Leons ein. »Nach diesen Worten muß man glauben; obwohl ich gestehe, daß ich es blind glauben muß, wie die Auferstehung; die wird auch nicht leicht sein, aber darum ist's doch ausgemacht, daß sie sein wird. Was das Wissen betrifft, so weiß ich nichts; aber was den Glauben betrifft, so glaube ich.«

Das Gespräch ward plötzlich durch eine überlaute Stimme unterbrochen; Jemand erkundigte sich lärmend draußen am Corridor bei der Hausfrau, ob die Herren schon gespeist hätten, ob man zu ihnen gehen könne, diese rauhe schnarrende Stimme erkannten auch die im Zimmer Befindlichen und erstaunt sagten sie gleichzeitig:

»Tukmanyi!«

Da trat er auch schon selbst herein, die langröhrige Pfeife vor sich her schiebend, die er fest zwischen seinen Hauern hielt. Seine Nase war nur ein kleinwenig mehr zerkratzt, als am Morgen; im Uebrigen war mit seinem Gesichte keine weitere Veränderung vorgegangen. Er lächelte ebenso wie sonst, wenn er gut gelaunt oder zornig ist.

»Na, Hallodri!« schrie er, Leon freundschaftlich mit der geballten Faust drohend. »Hast uns schön abgekocht! Kein Teufel hält's mehr mit diesem Volke aus, so hast Du's verdorben. Soll ihm jetzt Einer mehr versprechen! Gar die Weiber hast Du uns auf den Hals gehetzt. Mich hat mein Weib geprügelt wie einen nassen Fetzen. Es bringt ihr Keiner mehr die Rachel des Vadaskerter Wirthes aus dem Kopfe. Und wenn's mindestens wahr wäre. Aber das Mädel schaut mich garnicht an. Und doch hat man mir seinetwegen beinahe die Augen ausgekratzt. Aber wart' nur, daß Dich der blitzblaue Teufel reite, das sollst Du büßen. Ich werde mich schrecklich an Dir rächen. Und an Deinem englischen Prinzen, der von Arpad abstammt. Was der Mensch Alles ausspekulirt hat! Und Alles in der Geschwindigkeit! – Gott schenke Euch noch viele Jahre, Herr Nagy Janos; na, haben wir uns gut aufgeführt? Hab' ich Wort gehalten?«

Damit trat er zum Tische und nahm ein Glas mit Wein in die Hand. Leon faßte seine Hand. »Trink' doch nichts mehr, Du bist ohnehin sternhagelvoll.«

»Ja, mit elendem Gesüff. Dagegen giebt's nur eine Medizin: man muß noch mehr trinken, aber einen guten Tropfen; nicht wahr, Herr Nagy Janos?«

»Der Hausherr sagte nur: › Tesék!‹« Zum Danke zeigte dann Tukmanyi mit dem Glase Wein ein Kunststück; er schluckte es in einem Zuge hinab, ohne daß man einen Laut vernahm, ja während des Trinkens sang er in gezogenen Tönen: » paóóóón!« »Daß Dich tausend Donnerwetter ...« sagte er hierauf und setzte sich gemüthlich neben Leon, die lange Pfeife auf den Tisch legend. »Du hast uns schön hergestellt. Wußt' ich's doch, wenn wir Dich nur den Mund öffnen lassen, ziehst Du die Engel bei den Füßen aus dem Himmel herunter. Was Du dem Populus vorgelogen hast! Versteh' ich's doch auch ein wenig, aber gegen Dich bin ich nicht einmal ein Schäferhund. Wie hast Du nur diese zweitausend Millionen Kriegsentschädigung ausspekulirt? Sogar die Kinder hast Du aufgehetzt. Alle Fenster des Rektors haben sie mit schwarzem Koth eingeschmiert und sein Weib hat ihn wegen der Civilehe durchgeprügelt; sie bearbeitete ihn mit dem Walkholz, daß man ihm jetzt kalte Umschläge machen muß. Das ganze Volk hast Du verrückt gemacht. Aber ich werde mich dafür rächen. Es wird merkwürdig sein. Es wird die wahre Nemesis sein. Womit Du gesündigt, damit sollst Du bestraft werden. Von Karakan ist ja keine Rede mehr. Der hat vor den Püffen Reißaus genommen, daß man ihn nicht einmal zu Pferde einholen konnte. Selbst seinen Szür hatte er in den Händen der Weiber zurückgelassen. Ein miserabler Kerl! Könnte so einen Maulaffen von Candidaten brauchen! Ich weiß nicht, wie er sich aus dem Sumpfe hinausgearbeitet hat, wenn er hineingerathen ist. Mag er dort mit den Fröschen quaken! Warum packt er etwas an, was er nicht versteht? Sagt' ich doch, daß der Pantoffel nicht für den Bären taugt! Daß er mir nicht mehr den Fuß hierher setze, sonst packe ich ihn beim Genick!«

Die beiden Männer waren überzeugt, daß Tukmanyi berauscht sei wie eine Kanone. Da kannten sie aber seine Natur nicht. Er war auch nüchtern so betrunken wie ein anderer Mensch, der schon gehörig das Seinige gethan hat und was er darüber trank, das machte ihn nicht um einen Tropfen berauschter, als er schon mit nüchternem Magen war. Er wußte auch jetzt, was er sprach.

Draußen auf der Gasse näherten sich Musikklänge dem Hause des Herrn Nagy Janos; dazwischen hinein tönte wüstes Geschrei. Daran war nun an einem solchen Tage Nichts Merkwürdiges.

Der Lärm, die Musik kamen immer näher und endlich machte die Volksmenge Halt vor dem Hause des Herrn Nagy Janos. Es war eine große Volksmenge. Das Geschrei verstummte. Ein baumlanger Bursche schwenkte die trikolore Fahne und brüllte mit heiserer Stimme: »Eljen Napoleon Zarkany, unser Candidat!«

Und nach ihm schrieen Alle, im Baß, im Diskant, ein lufterschütterndes Eljen, so daß selbst der auf dem Kanapé schlafende Herr Dumka in die Höhe fuhr und schlaftrunken murmelte: »wa–wa–s?« Worauf Tukmanyi zu ihm hintrat und ihm ins Ohr brüllte: »Eljen Napoleon Zarkany, Etelvarer Abgeordneten-Candidat!«

Auf ein Zeichen Tukmanyi's schrie die Menge noch zweimal Eljen, dann steckte er triumphirend die Pfeife in den Mund und torkelte auf Leon zu. »Na, da hast Du's! Hast Du meinem Candidaten den Garaus gemacht, so mache ich dem Deinigen den Garaus! Mit Dir selber! Hast Du das Mandat hinauflizitirt, behalt's jetzt selber! Hast den Prinzen auf Deinem Rücken hierhergebracht, soll Dich jetzt der Prinz auf seinem Rücken nach Hause tragen! Ich laß' Dich zum Abgeordneten wählen. Und damit sind auch Deine zwanzigtausend Gulden futsch! Kriegst vom Prinzen: Schnecken! Das ist meine Rache! Hab' ich's gesagt? Pernicies tua ex te Israel! Adjö schöne zwanzigtausend Gulden! Du wirst Dir den wilden Palatin merken! Ich lasse Dich wählen, Du siebenköpfiger Drache! Ich presse Deine sieben Köpfe ins Landhaus hin! Servus arme zwanzigtausend Gulden!«

Und laut lachend torkelte er hinaus; selbst die Thür ließ er hinter sich offen.

Der Prinz und der Rentmeister schliefen auch jetzt noch weiter.

Aber ein anderer Schläfer erwacht: das Mißtrauen im Herzen des Herrn Nagy Janos. Er trat vor Leon hin, so nahe, daß ihre Schnurrbartspitzen sich berührten. »Was ist's mit diesen zwanzigtausend Gulden, die der Trunkenbold erwähnte?« Leon erzählte die ganze Geschichte Wort für Wort.

»Also an der Geschichte mit den zwanzigtausend Gulden ist kein wahres Wort?«

»Sie dürfen es glauben.«

»Also nur um ihn zum Narren zu halten, wurde sie erdichtet. Und jetzt wird dieser Mensch in dem Glauben, daß er Sie um zwanzigtausend Gulden bringt, Alles aufbieten, um Sie wählen zu lassen und durch Sie den Prinzen zu stürzen?«

»Es ist von ihm zu erwarten.«

»Und an dieser Geldgeschichte ist kein wahres Wort? Gut.« (Nagy Janos zweifelte noch immer). »Und was sagen Sie denn dazu. Soll ich jetzt nicht das Parteipräsidium in Gezetlen annehmen?«

»Ich bitte Sie sogar, es anzunehmen,« beeilte sich Leon zu erwidern. Nagy Janos drückte jetzt seinem jungen Gaste die Hand. »Gut. Jetzt glaube ich nicht nur, was ich glaube, sondern weiß auch, was ich weiß.«

*


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