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»Was ist geschehen?« fragte Leon, Herrn Csajkos mit beiden Händen am Kragen packend, damit er nicht wieder fortstürze.
»Weiß ich's denn? Morgens, als ich in der letzten Tanya die Inspektion beendigt hatte, ging ich nach Hause ›zum Roß‹; im Thore hätte mir der Hausknecht vom ›Goldenen Adler‹ beinahe die Nase eingerannt, er brachte Herrn Dumka einen Brief. Ich sagte, daß ich ihn übergeben werde, er sagte, daß er ihn übergeben wolle, darauf sagte ich ihm, daß ich ihm ein Tüchtiges versetzte. Darauf sagte er wieder, daß er auf- und davonlief. Dann trug ich Herrn Dumka den Brief hinein. Herr Dumka, ich weiß nicht, war er betrunken oder träumte er etwas, sprang, sowie er den Brief gelesen hatte, aus dem Bette, versetzte mir Eins auf den Bauch, sagte, daß ich laufen soll, daß man einspannen soll: der Prinz ist durchgegangen, er muß hinter ihm herjagen. Darauf lief ich in den Stall, versetzte dem Kutscher Eins, warum er nicht einspannt; dann half ich ihm anschirren. Herr Dumka ohrfeigte mittlerweile den Kellner, warum sputete er sich nicht mit der Rechnung? Dann kam er in den Stall, prügelte den Kutscher, warum war er noch nicht fertig? worauf dann der Kutscher in die Pferde einhieb. Es war eine große Schlägerei! Als der Wagen schon in Bewegung war, warf mir der Herr Rentmeister den Brief zu, damit ich ihn dem gestrengen Herrn zum Lesen bringe; aber ohrfeigen Sie mich nicht auch!«
Leon übernahm den zerknitterten Brief und strich ihn auf dem Knie glatt.
Und dann las er ihn laut vor.
»Mein Herr!
Seit vier Tagen lasse ich aus mir von Ihnen einen Narren machen, so groß, wie nur je einer außerhalb Bedlams herumlief. Ich treibe mich auf halsbrecherischen Wegen herum mit einer Schaar betrunkener Bauern, ich drücke schmutzige Hände zu Tausenden, ich esse und trinke aus einem Futter-Troge mit ungewaschenen Bestien, von Speisen, die ein Giftmischer von Koch zubereitet hat und mit denen man anderwärts Sträflinge zum Geständniß zwingt. ›Herr, das Paprikas, das ich selber gekocht habe!‹ Ich tanze mit faßdicken, häßlichen, fettriechenden Hexen. ›Herr das ist mein Weib!‹ Ich höre die jammernden Klagen der vielen prügelnswerthen Bauern an. ›Wir: prügelnswerthe Bauern!‹ Ich stürze mich in Todesgefahr in das Banditen-Lager, ich lasse mich durch einen vagabundirenden Abenteurer einen Affen, einen Esel, einen Dieb schimpfen und lasse mich dazu verleiten, vor den Petschenegen und Kalmücken englische Verse zu deklamiren. ›Wir: Petschenegen und Kalmücken!‹ Ich lasse mich von einem Bauern, der aristokratischer ist als ich, über die Schultern ansehen. Ich besuche der Reihe nach Krämer, Schneider, Schuster, Barbier, ich schmeichle ihnen, ich bettle um ihre Freundschaft. Ich lerne eine Lektion ein und sage sie wie ein Student auf inmitten einer Atmosphäre, die mit der Schaufel geschöpft werden kann, ja ich lasse mich sogar zum Schustermeister machen. Was aber jetzt noch kommen soll, das ist mehr als genug. Ich soll Cholerakranke besuchen und aus dem ansteckenden Bette Stimmende herauszerren; ich, Prinz Alienor v. Nornenstein, dessen Ahnen die Juden nur im Ghetto duldeten, soll der Gevatter eines neugebornen Judenkindes werden, soll mit dem Schächter und weiteren zwölf Glaubensgenossen desselben aus einem Glase trinken: das thue ich nicht, nicht um Eurer lumpigen Abgeordneten-Stelle, nicht einmal um der spanischen Krone willen. Machet die Wahl, wie Ihr könnt. Sagt, wie viel Geld Ihr dazu braucht! Kaufet so viel Hallunken zusammen, als ihrer verkäuflich sind und um welchen Preis immer! Aber von mir erhaltet Ihr weder ein freundliches Wort, noch einen Händedruck, am wenigsten aber lasse ich mich mit den Juden in Gevatterschaften ein. Ich verlasse Euch.
Theilen Sie diesen Brief auch den beiden anderen Herren mit.
Prinz Alienor von und zu Nornenstein.«
»Ah, daß Dich ...« schrie Herr Csajkos. »Und ich habe für diesen Menschen die ganze Nacht getrunken! Aber ich will ...«
»Was thun Sie, Herr Csajkos?«
»Gleich, gleich. Ich stecke nur den Finger in den Hals und wende mich ein wenig zur Mauer. – Wie hat er geschrieben? »Ungewaschene Bestien?« – »Ein Giftmischer von Koch.« (Das bin ich!) »Faßdicke Hexen!« (Tyhü! wenn das mein Weib hört!) »Petschenegen und Kalmücken!« (Das sind wir Alle) und dann »lumpige Abgeordnetenstelle!« Na wart' Pirincz! Wenn sie lumpig ist, wirst Du sie nicht anziehen. – Ha, wenn nur diese halben Banknoten nicht wären! – Herr, darf ich diesen Brief mit mir nehmen? (»Er ist auch an Sie gerichtet.«) Ich gehe nach Hause! Ich zeige ihn den Getreuen. Es wird sich wohl ein Mensch finden, der fünfzig Gulden nicht annimmt, so daß man ihn damit rechts und links abohrfeigt. »Kaufet so viel Hallunken zusammen, als ihrer verkäuflich sind.« Es giebt zu verkaufen, aber keine Hallunken; es giebt Hallunken, aber nicht zu verkaufen.«
»Was thun Sie, Herr Csajkos? – Sie wollen doch nicht an der Mauer hinaufklettern?«
»Ja, das will ich.« Und er ruhte nicht, bis er von der Mauer das Plakat gerissen hatte, auf welchem zu lesen war: »Eljen Alienor Nornenstein, Abgeordneten-Kandidat!« Dann zerfetzte er es in sechszehn Stücke und ließ sie davonfliegen.
»Und was geschieht jetzt, Herr Csajkos?«
»Was jetzt geschieht? Warten Sie nur, lassen Sie mich ein wenig vorauslaufen.«
Und als er dann so weit entfernt war, daß er glaubte, Leon erreiche ihn nicht mehr, brüllte er: » Eljen Napoleon Zarkany, Abgeordneten-Kandidat von Etelvar!« und dann lief er, so schnell er nur konnte, die Gasse entlang und erweckte alle Schläfer mit diesem Schlachtrufe.
Leon lief ihm nicht nach, um ihm den Mund zuzuhalten, sondern begab sich in seine Wohnung, in der er jetzt allein war. Er nahm aus dem Koffer das Paket, welches die halben Banknoten enthielt. Diesen Banknoten war ein mit chemischer Tinte vervielfältigter Brief beigelegt.
»Mitbürger! Mit den halben Banknoten, die man anläßlich der Wahl unter Euch vertheilte, wollen Euch die Herren betrügen. Nach der Wahl werden sie Euch sagen, daß die andere Hälfte jeder Banknote im nächsten Dorfe sei. Wenn die Hälfte mit der männlichen Figur in Batok vertheilt ist, so ist die Hälfte mit der weiblichen Figur in Mor vertheilt: zwei Wähler mögen die ihnen gegebenen Hälften zusammenkleben, so wird daraus eine ganze Banknote werden. Davon könnt Ihr Euch überzeugen, wenn die benachbarten Ortschaften ihre halben Banknoten vergleichen: was gut sein wird, im vorhinein zu wissen.«
Diejenige, der die Banknoten-Manipulation anvertraut war, hatte diese auch getreulich erledigt und nur die Perfidie begangen, daß sie die Hälfte beider Pakete vertauschte. Herrn Dumka kam es nicht in den Sinn, dies zu untersuchen. Er sah, daß es halbe Banknoten waren und vertheilte dieselben zuerst in Batok und Kopronak, dann in Csiva und Mor; die beiden erstgenannten Dörfer erhielten die Hälften mit den männlichen, die beiden letzteren die Hälften mit den weiblichen Figuren.
Leon wußte dies und übernahm das andere Paket. Er konnte dessen gewiß sein, daß die Mitbürger, sowie sie durch anonyme Briefe verständigt sind, die Sache unter sich ausgleichen und in ihrem Zorne gar nicht nach Sipota kommen; sie glauben, man habe sie halb betrogen, sie begnügen sich mit der Hälfte des Gewinnes und für die andere Hälfte betrügen sie den Seelenkäufer ganz. Auch auf die Endkatastrophe konnte man mit Bestimmtheit rechnen. Daß Alienor das letzte Stadium nicht abwartet, darauf konnte man Gift nehmen.
Und so werden tausend Stimmen zu Hause bleiben.
Leon erwies also der Baroneß Pompeja die Freundschaft, daß er Alienor von der Etelvarer Kandidatur und damit auch von dem Verlobungsringe der schönen Prinzessin Raphaela befreite. Und Baroneß Pompeja ließ den Fürsten Nornenstein fünfzigtausend Gulden verlieren, damit sie – Alienor nicht verliere.
Leon dachte lange darüber nach ... Wie groß ist Frauenliebe! ... Wie groß ist Frauentrug!
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