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Der Ehemann vor der Thür.

Der Fürst Oktavian von Nornenstein saß ganz allein in seinem Zimmer. Plötzlich stürmte Jemand ungestüm zur Thür herein.

»Ah! Mit wem habe ich denn da die Ehre? Diese zerzauste Figur, mit dem struppigen Barte, mit dem sonnenverbrannten Gesichte, mit der rothen Nase, mit dem ungekräuselten wirren Haare, die mir da um den Hals fällt – die ist doch wohl nicht gar mein Thronerbe, der Prinz Alienor von Nornenstein? – Mein Achilles hat also wirklich nicht nach dem Schwerte gegriffen?«

»Du hast gut reden! Ich aber habe einen Umweg von dreihundert Meilen gemacht, um wieder nach Hause zu kommen; ich bin über Gebirgskämme und Felsengrate geklettert und durch Moräste gewatet, um nicht irgendwo den Deutschen in die Hände zu fallen!« erwiderte Alienor. Dann besah er sich im Spiegel und schreckte in der That vor seinem eigenen Gesichte zurück.

»Warum bist Du denn nicht zur See über Triest gekommen?«

»Was denn! Um mich von den deutschen Kreuzern abfangen zu lassen?«

»Hui, Dir haben die Deutschen einmal gehörig bange gemacht!« sprach Oktavian. »Ein wahres Glück, daß Du Dich hierher nach Oesterreich salvirt hast: hier giebt es keine Deutschen.«

»Hat sich irgend was ereignet, seitdem ich flüchtig geworden bin?«

»Bagatellen! Die Italiener haben Rom genommen und die Deutschen haben den Napoleon aufgehoben und belagern nunmehr Paris.«

»Nun und die Franzosen?«

»Die haben zwei Armeen verloren und seither drei neue ins Feld gestellt, um Paris zu entsetzen. Ohne auf Dich zu warten!«

»Also was seid Ihr denn?« »Eine neutrale Nation.«

»Und unsere Verbündeten in Deutschland?« »Haben durch die Bank das eiserne Kreuz für ihre Tapferkeit bekommen.«

»Und die Welfen?« »Die handeln ganz und gar nach Deinen Instructionen.«

»Nach meinen Instructionen? Ich habe ihnen doch gar keine überbracht.« »Nun eben; darnach handeln sie nun auch.«

»Und Ihr Ungarn, was thut Ihr?« »Wir Ungarn? Fürst Alienor von Nornenstein, geehrter Kompatriote, wir freuen uns, daß wir frieren.«

»Daß Ihr frieret?« »Ja wohl. Wer keinen Mantel hat, der friert.«

»Das ist klar.« »Jenun, wir haben keinen Mantel; ohne Mantel kann man aber nicht in den Krieg ziehen. Darum freuen wir uns darüber, daß wir frieren.«

Alienor begriff noch immer nicht. »Aber die heilige Liga?« »Die schläft und betet.« »Und General Falbenheim?« »Der flucht, wenn er nicht schläft.« »Und Pompeja?« »Welche Pompeja?« »Meine Frau!« »Ach ja so, Deine Frau! Habe ich nun doch wirklich geglaubt, Du redest von einer Stadt da unten in Welschland, die der Vesuv verschüttet hat.« »Ist sie hier bei Dir, oder bei ihrem Vater?«

»Bei mir, oder bei ihrem Vater? –« Oktavian befühlte alle seine Taschen, ob er sie nicht etwa irgendwo stecken habe. – »Bei mir ist sie wahrhaftig nicht.« »Ja, wo ist sie denn?« »Wahrscheinlich in Paris.« »Und was thut sie denn dort?« »Vermuthlich was im Augenblicke ganz Paris thut: sie läßt sich belagern.« »Beim blauen Herrgott in Baiern!«

»Laß doch, laß, mein Sohn. Der ist längst nicht mehr in Baiern!«

»Aber warum hast Du denn Pompeja nicht mit Dir genommen, als Du nach Hause gingest?«

»Ja, weißt Du, mein Sohn, das war so,« erwiderte Oktavian, »als ich, in Paris angekommen, sah, daß dort keinerlei Gefahr sei, eilte ich nach Brüssel, die Anleihe zum Abschluß zu bringen. Mittlerweile hattet Ihr: nämlich Du und noch Jemand und noch ein dritter Sausewind, Eile, die Mine loszubrennen, während wir noch Alle darauf standen und so flogen wir Alle miteinander in die Luft. Acht Tage später war es mir bereits unmöglich geworden, nach Paris zurückzukehren, um in Deinem Hause heldenmüthig › pro aris et focis‹ einzustehen. Ich war froh, daß ich mich noch mit knapper Noth einschiffen konnte.«

»Was wird sie denn aber nur anfangen, wenn man Paris wirklich belagern sollte?« seufzte Alienor. »Sie wird Deine Pferde aufessen.«

»Willst Du mich mit Deinen Scherzen zur Verzweiflung bringen?«

»Wenn das Scherze sind, so ist ihr eigentlicher Name Galgenhumor. Was soll ich denn eigentlich? Soll ich Dir Trost zusprechen, wie einem zwischen Leben und Tod schwebenden Kranken? Oder soll ich Dir gute Rathschläge ertheilen, wie der Armenadvokat seinem ruinirten Klienten?«

»Was soll ich denn nun thun?« »Organisire Dir ein Freikorps und schlage Dich durch die Cernirungslinie durch.« »Du weißt wohl, daß ich nicht einmal das Knallen eines Champagnerpropfens hören mag.«

»Na, dann miethe Dir ein Luftschiff; das ist jetzt das einzige Communicationsmittel zwischen hier und Paris. Auf diesem Wege kannst Du Dir Deine Frau vielleicht herausholen.«

»In dieser Weise pflegen zwei Schulknaben mit einander zu discuriren, aber nicht ein Fürst von Nornenstein mit dem andern, nicht ein Vater mit seinem Sohne!«

»Ah! Wir fangen an, in Zorn zu gerathen? Das hätte ich niemals gedacht. Nun was unser ›Fürstenthum‹ angehet, so hat das, kurz und bündig gesagt, der Teufel geholt. Und Du hast ihm den Weg dazu geebnet. Wenn Du aber verlangst, daß wir als Vater und Sohn mit einander discuriren, das kann geschehen. Also: Du erinnerst Dich doch an jenen Brief, den ein ehrsamer Schustermeister in Dresden an seinen Sohn in die Fremde schrieb (steht ja in jedem Kalender); das Schreiben hub also an: ›Mein lieber Sohn, Du bist ein großer Esel; ich aber bin Dein Vater.‹ Ein wunderschöner Ausspruch, der vollständig auf uns Beide paßt: auf mich, weil ich Dir den Rath gegeben habe, Deine Verlobung mit der Prinzessin Raphaela Etelvary aufzulösen; auf Dich, weil Du den Rath befolgt hast. Der Fürst ist gestorben, die ganze ungeheure Erbschaft ist an seine einzige Tochter gefallen. Hättest Du sie geheirathet – Du wärest heute der reichste Mann auf dem Continente bis an die russische Grenze.«

»Aber wozu sagst Du mir jetzt das Alles?«

» Tarde post festa – Du hast Recht. Indessen Du hast nicht gethan, was die nothwendige Consequenz jenes Schrittes war, sondern Du hast den ganzen Plan verdorben, den ich und Andere so meisterhaft concipirt hatten. Sag' einmal, willst Du einen ernstgemeinten Rath hören, was Du in Deiner jetzigen Lage thun sollst?«

»O, ich bitte recht sehr darum.«

»Nun denn; thue Du gar nichts. Lasse Pompeja, wo sie ist, Du kannst Gift darauf nehmen, daß sie Dich betrügt, nicht einmal, sondern hundertmal. Sobald Paris wieder frei geworden ist, in einer oder der andern Weise, wird Dir ein ganzes Archiv von Beweisen ihrer Untreue zu Gebote stehen. Eine Frau wie Pompeja in einer Stadt wie Paris zu einer Zeit wie die jetzige einem Manne wie Du bist treu bleiben – das ist die bare Unmöglichkeit. Du strengst dann den Scheidungsprozeß an und die Kurie löst Deine Ehe auf Grund des › Si clandestinus‹ auf. Dann – ich sage nicht, Du solltest die häßliche Prinzessin heirathen, das ist nun nicht mehr nothwendig – sondern Du kehrst dann zur Prinzessin Raphaela zurück. Sie steht allein, ihr stolzer Vater ist nicht mehr am Leben; suche sie zu gewinnen und heirathe sie.«

»Aber ich liebe meine Frau! So bringe mich doch nicht in Wuth!« schrie Alienor und stampfte zornig mit dem Fuß.

»Ah – Du liebst Deine Frau? Du bist also eifersüchtig bis zum Wahnsinn? Ja das ändert nun freilich die Diagnose. Nun ich kann Dir auch gegen dieses Uebel mit einer Arznei dienen, wenn Du sie nur einnehmen willst. Aber ein sehr ernstes Mittel. Du erinnerst Dich jener Figur, welche Dir unter dem Namen Napoleon von Zarkany einige Male in den Weg gelaufen ist? Ja. Nun denn: dieser Mann ist eine der gefährlichsten Gestalten, welche jemals ein Ehemann, der mit einer jungen Frau gesegnet war, mit scheelen Augen angesehen hat. Der Mann ist dermalen hier in Wien.«

»Nun was kümmert er mich dann weiter?«

»Ich weiß wohl, daß es Dir lieb wäre, wenn er Dich nicht zu kümmern hätte. Aber das geht eben nicht an. Die Regierung schickt diesen Menschen in außerordentlicher diplomatischer Mission nach Paris und er bleibt die ganze Belagerung über dort.«

»Woher weißt Du das?«

»Er selbst hat es Jemandem erzählt und dieser Jemand hat mir die Nachricht gebracht.« »Dann werde ich ein Narr!«

»Das ist nicht dasjenige, was Du zu thun hast. Wenn Du Pompeja in der That so über alle Maßen liebst, wenn Du in der That eifersüchtig bist bis zum Wahnsinn, so wirst Du Folgendes thun: Du suchst Napoleon Zarkany auf und sagst zu ihm: ›Mein Herr, Sie reisen jetzt in jene Stadt, wo meine Frau wohnt, und wohin ich nicht gelangen kann. Bevor Sie reisen, wollen wir indessen noch eine Kleinigkeit ordnen mit einander. Wir wollen hier in meinen Hut unsere Karten legen, sie durcheinander schütteln und dann den Hut umstülpen. Wessen Karte zu unterst zu liegen kommt, der wird sich an einem bestimmten Tage eine Kugel in den Kopf schießen. Man nennt das ein amerikanisches Duell.‹ Da hast Du dann eine zweifache Chance. Entweder es fällt Deine Karte zu unterst – dann bist Du auf dem kürzesten Wege allen Kummers ledig; Du wirst überdies ein sehr schönes Leichenbegängniß haben. Oder aber es kommt Zarkany's Name nach unten zu liegen – dann laß Du ihn nur ganz unbesorgt nach Paris reisen. Du kannst dessen sicher sein, daß er alle Hofmacher von Pompeja's Seite scheuchen wird, während er selber – mit einem Fuße im Grabe – ganz gewiß kein gefährlicher Nebenbuhler mehr ist und sich am vorherbestimmten Tage ganz nach Deinem Wunsche todtschießt. Sonst weiß ich keinen ernsthaften Rath.«

Alienor reichte seinem Papa die Hand (sie war kalt wie Marmor und weich wie Schwamm) und sagte: »Ich nehme Deinen Rath an.« Damit faßte er seinen Hut und ging, um Leon Zarkany aufzusuchen.

*


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