Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der eiserne Kakadu.

Mitten in dem Gewirre von Häusern und Gassen der innern Stadt Wien liegt ein schmales Gäßchen, welches Bankgasse heißt. In dieser abseits gelegenen Gasse steht ein alterthümliches Palais von düsterem Aussehen. Das ist das Haus des Königreichs Ungarn in Wien, von Alters her die »königlich ungarische Hofkanzlei« genannt.

In diesem Gebäude fand Napoleon Zarkany Beschäftigung in seinem neuen Berufe.

Der erste Zeuge längstverflossener Tage, der Leon im Hause Ungarns zu Wien empfing, gleich voran im Korridor, war ein Mops. Ehedem alten Kaffeeschwestern und pensionirten Staats-Beamten ein stetiger Begleiter, von ihnen ebenso untrennbar, als von St.-Peter der Hahn, ist der Mops heutzutage ein zu Tode gehätscheltes Thiergeschlecht, ausgestorben an übermäßiger Pflege; die deutschen Blätter haben dem letzten Defizienten desselben längst die Standrede gehalten. Doch siehe da – ein allerletztes Exemplar ist noch übrig, in Wien zwar, aber doch unter ungarischem Dache, der letzte Sprößling des Geschlechtes der Möpse.

Das mythologische Thier beroch mit seiner breiten, schwarzen, aufgestülpten Nase den Ankömmling der Neuzeit, maß ihn von oben bis unten und überlegte, in welche Rangordnung er wohl zu klassifiziren sei. Unter die » teukintetes«, oder die » nagyságos urak«, oder wohl gar unter die Excellenzen? Es wurde alsbald schlüssig und registrirte ihn. Leon pfiff ihm in vertraulicher Weise zu; darüber aber wurde Möpschen knurrig; nur keine Vertraulichkeiten! Da lüftete Leon den Hut vor ihm, und nun wedelte er Eines mit dem aufgeringelten Schweife und schüttelte den semmelfarbenen Pelz. Die Vorstellung war geschehen.

Die zweite Person, die Leon am Fuße der steinernen Haupttreppe empfing, war nun aber bereits in allem Ernste wirklich und leibhaftig der eiserne Kakadu. Das Aeußere dieses Mannes ist genau dasjenige, als welches Pompeja es geschildert hatte. Das Gesicht über und über vollgezeichnet mit Falten, wie ein Globus mit Meridianen, Postrouten, Eisenbahnen und Flüssen vollgezeichnet ist. Ueber der Oberlippe saß ein Paar stramm gedrehter, kleiner, grauer Schnurrbartspitzen, unter der Unterlippe ein Malerpinsel; die beiden Schnurrbartendchen hüpfen, tanzen während des Sprechens unruhig auf und nieder und genau dasselbe Hüpfen und Hopsen vollbringen auch die beiden Brauen, die noch spitziger, noch hervorstehender als der Schnurrbart das unruhige Augenpaar beschirmen. – Der Kakaduschopf, dem der Mann seinen Namen verdankt, das aufgekämmte Haar zeigt an der Wurzel einen Anflug von Gelblich-Grau, an der Spitze aber eine Schattirung von röthlichem Lila, zum Andenken an einen vor Zeiten gemachten und verunglückten Versuch, das Haar zu färben. Der bemerkenswerthe Mann kam die Treppe herab, während Leon dieselbe hinaufstieg. Der eiserne Kakadu erkannte Leon auf den ersten Blick und redete ihn bei seinem Namen an, obgleich er ihn nie zuvor gesehen hatte. Noch auf der ersten Stufe wurden sie Du und Du mit einander. Der eiserne Kakadu war sofort erbötig, Leon die Treppe hinauf zu begleiten, obschon er dieselbe soeben erst herabgestiegen war. Auf der zweiten Stufe erzählte er ihm eine Anekdote von dem gewesenen österreichischen Ministerpräsidenten. (»Wenn solche Dürre in Ungarn herrscht, warum begießen dann die Bauern ihre Weizensaaten nicht?«) Auf der dritten Stufe erzählte er ihm mit Bedauern, wie der gewesene österreichische Justizminister, vom Hause aus ein ungarischer Graf, die prachtvollen Freskogemälde an den Plafonds seines Palais mit Brettern verschlagen ließ, aus Sparsamkeit, damit weniger Heizmaterial verbraucht werde. Auf der vierten Stufe wies er ihm die vertraulichen Briefe vor, welche die verflossenen, die gegenwärtigen und die zukünftigen Staatsmänner fortwährend an ihn zu schreiben pflegten. Auf der fünften Stufe unterhielt er Leon von den wichtigen Diensten, welche er mittelbar und unmittelbar dem Lande und einzelnen Landessöhnen geleistet, und zählte ihm auf, wie Viele er seinerzeit aus der Gefangenschaft befreit, wie Vielen er insgeheim Reisepässe verschafft habe. Auf der sechsten Stufe weihte er Leon in die Charakteristik, die Gewohnheiten und Schwachheiten der alten und neuen Staatsmänner ein, die dort oben thätig sind. Auf der siebenten Stufe schilderte er ihm all die Gefahren, von denen ein ungarischer Diplomat seitens der österreichischen, russischen, deutschen und kroatischen Intriguanten, durch die Machinationen der czechischen Feudalisten und in Folge der Eifersucht der militärischen Kreise auf Schritt und Tritt bedroht ist. Auf der achten Stufe machte er ihn auf verschiedene anrüchige Individuen aufmerksam, vor denen er sich ja wohl hüten solle, denn sie seien allesammt Spione, Agents provocateurs, Ohrenbläser und Denunzianten, die jeder Regierung dienen, eine wie die andere verrathen und am Ende die Geheimnisse aller miteinander sammeln, noch einen tüchtigen Pack dazulügen und das Ganze drucken, dann aber ja nicht erscheinen lassen, sondern den Regierungen die Bürstenabzüge mit der Drohung zusenden, das Pamphlet in den Buchhandel zu bringen, wenn man es ihnen nicht für ein gut Stück Geld abkaufe. Vor diesen Leuten müsse sich Leon, wie gesagt, unter allen Umständen hüten, denn diese suchten einzig nur deshalb Freundschaften zu schließen, um irgend welche Geheimnisse zu ergattern. Auf der neunten Stufe versicherte er ihm dann, daß er seinerseits durchaus nicht sei, wie Jene; in seinem Busen lägen ganze sybillinische Bücher der hohen Staatspolitik begraben, aber nicht mit der Beißzange vermöchte man von ihm auch nur ein Sterbenswörtlein herauszuziehen. O, die auswärtigen Mächte hätten sich schon mehr als einmal Mühe gegeben, ihn zu bestechen, – sei aber Alles vergebens gewesen. (Nun folgte die zehnte Stufe.) Hier ließ er die Bemerkung einfließen, daß ihm gleichwohl eine kleine Zubuße gar sehr zu Statten kommen würde. Du lieber Himmel, die kleine Pension, die er vom Staate beziehe, die bedeute unter den heutigen Preisverhältnissen gerade die Hälfte dessen, was sie vor dreißig Jahren werth gewesen, und es sei damit in Wien sehr, sehr knapp ein Auslangen zu finden. Auf der elften Stufe endlich begann er sich bitter zu beklagen über die Regierungsmänner, die seine großen Verdienste um das Gemeinwesen durchaus nicht würdigen wollen; sie machen ihm Versprechungen, ohne dieselben jemals einzulösen, sie vertrösten ihn fort und fort und lassen ihn so sein ganzes Leben hinbringen in fruchtlosem Hoffen und Harren. Auf der zwölften Stufe weinte sich der Aermste aus. Auf der dreizehnten nahm er Leon sein Ehrenwort ab, daß er ihn der Beachtung seiner Vorgesetzten empfehlen wolle. Auf der vierzehnten verpflichtete er sich seinerseits mit seinem Worte, Leon in jedem kritischen Momente mit Rath und Unterweisung zur Hand sein zu wollen.

Endlich, als Leon bereits an der Eingangsthür stand, zog er einen, der Länge nach gefalteten Bogen Papier aus der Tasche: Eine Subscription zu Gunsten einer verarmten, aber verschämten vornehmen Familie. Leon begriff und löste sich mit einer Fünfer-Note. Die Gabe ward gewissenhaft in die Liste eingetragen, in welcher bereits die Namen von Hoch- und Hochwohlgeborenen und Excellenzen prangten, mit blauen, grünen, rothen und violetten Tinten geschrieben, mit goldenem, silbernem und diamantenem Sande bestreut. Daraus mochte Leon ermessen, in welche vornehme Gesellschaft er gerathen war. Schließlich öffnete er dann noch die Thür vor Leon, führte ihn ins Vorzimmer, zischelte dem Kanzleidiener vertraulich Etwas ins Ohr und beeilte sich dann, wie Einer, der in diesen Räumen völlig daheim ist, ihn im Amtszimmer vorzustellen und mit den anwesenden Herren bekannt zu machen. Dann empfahl er sich.

Die Amtsgenossen lachten schon im vorhinein über Leons Geschick: »Der eiserne Kakadu hält ihn schon an der Falte!«

Dann erzählten sie ihm, womit ihn der Mann von Stufe zu Stufe wohl traktirt haben dürfte; es traf von Wort zu Wort zu. »Und zum Schlusse verlangte er dann fünf Gulden für eine verschämte Familie?« dessen wußte sich aber Leon nicht mehr zu entsinnen.

*

Am politischen Horizonte zeigte sich jene Röthe, welche Sturm zu verkünden pflegt. Jene gewissen schwarzen Punkte begannen sich allmälig in Form von Bomben zu ballen. Der Bund, von dessen Faktoren einen Fürst Oktavian von Nornenstein bildete, fand, daß sein Weizen in die Blüthe gehe. Oktavian von Nornenstein übersiedelte in die Nähe Wiens. Er miethete in Baden ein Sommerpalais, welches fortan der tägliche Versammlungsort der Gleichgesinnten wurde. Da kamen Männer jeden Schlags zusammen: Diplomaten, Militärs und Geistliche, Einheimische und Fremde.

Seitdem Napoleon Zarkany in seinem neuen Berufe thätig war, begegnete er dem Fürsten Oktavian öfter und dieser gab sich bei jeder Gelegenheit überaus freundschaftlich gegen ihn.

Oktavian Nornenstein lud Leon sogar ein, ihn doch auch zu besuchen, eine Zuvorkommenheit, die Leon dadurch erwiderte, daß er den Besuch in der That machte. Oktavian sprach bei dieser Gelegenheit kein Wort von Politik. Er erzählte seinem Gaste, Alienor sei dermalen in Etelvar; er habe sich mit der schönen Prinzessin verlobt, zum Herbste solle die Hochzeit sein. Leon wußte bereits darum und sprach sein Bedauern aus, daß er beim Begräbniß der Fürstin-Mutter nicht anwesend sein konnte, die er stets hochverehrt habe; er sei damals leider eben außer Landes gewesen und habe die Trauerbotschaft zu spät erhalten.

Oktavian fragte nicht einmal, wo er denn eigentlich gewesen sei. Er wußte es ohnehin. Dann erzählte er Leon weiter, daß Falbenheims ebenfalls in Wien seien. Der General war zum Feldmarschall-Lieutenant avancirt. An Abenden, wo auch Damengesellschaft hier versammelt sei, komme er häufig mit Pompeja; wenn sich zu einer solchen Gelegenheit Leon hierher verirren wollte, würde er gute alte Bekannte antreffen. Sodann gingen sie auf die Wiener Theater über und schieden endlich, nachdem auch dieses Thema gründlich erschöpft war, als sehr gute Freunde von einander. (Gute Freunde sind nämlich Leute, die gegenseitig nichts zu verlangen und nichts zu gewähren haben.)

Wien war derzeit nicht das alte Wien, sondern das junge, das Wien, das da leben, das sich vergnügen wollte, das Wien, dem noch nicht das Podagra des Krachs in die Glieder gefahren war, alle Welt war jung: die Paläste waren jung, die Unternehmungen, die neuen Führer der Börse, die Konstitution, die Diplomatie waren jung, den Jungen gehörte die Welt. Das konnte Leon sofort an dem Schwarme von Petenten merken, die den ganzen Tag über seine Thür belagert hielten und ihm mit den heterogensten Projekten an den Leib rückten, die alle seine einflußreiche Protection suchten und ihre Gesuche mit allen Kunstgriffen der Verlockung, der Spiegelfechterei unterstützten. Das Auge mußte förmlich geblendet werden von dem Glanze all der Millionen, die nur ein zustimmendes Lächeln kosteten und von dem Lächeln schöner Frauen, welches Millionen werth war. Und um ihn vollends von der Wichtigkeit seiner Stellung zu überzeugen, folgten die Auszeichnungen, die man ihm in höchsten und allerhöchsten Kreisen angedeihen ließ, einander auf dem Fuße; er unterzog sich der strengsten Selbstprüfung, ohne daß er gleichwohl die Motive hiezu zu ergründen vermocht hätte. War es geheime Protection, die ihn vorwärts schob? Oder erachteten es seine Vorgesetzten für nöthig, der Stellung ihres Chargé d'affaires ein gewisses Lustre zu verleihen? (Etwa in ähnlicher Weise, wie man einen Schauspieler zum Ritter des Leopoldordens macht, um ihn im Hofkonzert declamiren lassen zu können.) Leon wurde wiederholt in den heikelsten diplomatischen Missionen nach Berlin und Paris entsendet, und daß man mit seinem Vorgehen zufrieden sei, war daraus ersichtlich, daß man ihm ähnliche Sendungen immer wieder anvertraute.

Wo er auch hinkam, überall fand er dieselbe Bühne, dieselben Akteurs: Ninive, Babylon, Sybaris, Astarte-Feier, der Tanz um das goldene Kalb allenthalben, in Paris, in Berlin, in Wien. Und er spielte mit und tanzte mit, als ob er das Anliegen des armen Bauern von Gezetlen und das Epheublättchen aus dem Walde zu Etelvar ganz und gar vergessen hätte. Und doch trug er beide am Herzen. Man hätte meinen sollen, er amüsire sich: man hielt ihn für flatterhaft, für einen Leichtsinn, der die ihm anvertrauten Staatsgeheimnisse preisgebe. Doch das war nur Schein und Kunst bei ihm. Er betrog alle Welt, im Ernst und zum Scherz, nur Jene nicht, denen er zur Treue verpflichtet war. Und wem gehört hier Deine Treue? – das vermag dem Manne nur sein eigen Herz zu sagen.

Ein Herz aber ist eine große Seltenheit in diesen hohen Regionen; ein Herz, welches zu ermessen weiß, wie viele Schweißtropfen es dem armen Landmanne gekostet, bis er einen jener Gulden erworben, deren Milliarden vergeudet werden, um eines rasch gesprochenen Wortes willen; ein Herz welches zu fühlen vermag, wie viele Thränen die arme Mutter vergoß, bis sie ihren Sohn großgezogen hatte, der mit Hunderttausenden seines Gleichen verblutet um einer an den Degengriff gelegten Hand willen; sie können es dort oben kaum erwarten, dieses Wort, dieses Säbelrasseln!

Und der halbe Welttheil rüstet für diesen Tag, der dem Tage des jüngsten Gerichtes gleich werden soll. Ninive, Babylon, Sybaris, sie tanzen und zünden Weihrauch an auf Astartens Altären; insgeheim aber häufen sie Waffen auf im Tempel des Dagon. Sie suchen insgeheim Verbündete. Sie machen Versprechungen. »Willst Du der Feind meines Feindes sein, so will ich Dir meinen Freund zur Beute überlassen.«

Was da im Wege steht, muß beseitigt werden, sei es durch Intriguen, sei es durch Parteiungen, oder aber, wenn es in keiner dieser Weisen geht: durch Gewalt. »Gestern waren wir Feinde, morgen wollen wir Verbündete sein; übermorgen wollen wir selbander einen Dritten zu Boden schlagen – dann können wir wieder Feinde sein.« Wie der Säbel bereits von selber in der Scheide rasselt! Wie die Trommeln, ohne noch gerührt zu werden, bereits von selber wirbeln! Wie die Kanone heult, wenn der Wind dahinstreicht an ihrer Mündung! Der Krieg hing in der Luft, vollständig gereift; wer nur die Hand ausstreckte, konnte ihn haben.

Dem armen Bauern von Gezetlen aber war es nicht um Ruhm zu thun, – er brauchte Frieden. Und der arme Bauer von Gezetlen ist – das ganze Land.

Eines Abends – es war im Spätherbste – erhielt Leon Ordre, sich zur Reise nach Paris bereit zu halten. Er sollte eine gesiegelte Depesche überbringen.

Das sieht nun allerdings aus wie ein ganz gewaltiger Anachronismus; in den Zeiten der Eilposten und Telegraphen-Verbindungen Briefschaften noch durch Couriere zu befördern! Indessen, es ist nun einmal so gebräuchlich. Wir leben zwar in innigster Freundschaft miteinander, aber deshalb trauen wir einander doch nicht und vermögen uns des Vorurtheils nicht zu entschlagen, daß die Regierung eines jeden Staates der bösen Unsitte fröhne, die an die Diplomaten einlangenden Briefschaften zu öffnen (die Operation hinterläßt auch nicht die geringste Spur), auf telegraphischem Wege einlaufende Depeschen aber zu kopiren und daß überall ein eigenes Bureau unterhalten werde, dessen Aufgabe es sei, diese in Geheimschrift gehaltenen Depeschen zu dechiffriren. – Es läßt sich kaum mit Bestimmtheit sagen, ob der Argwohn begründet ist oder nicht, aber er ist nun einmal tief eingewurzelt und man pflegt daher Mittheilungen, welche besonders geheim gehalten werden sollen, nicht nur in Chiffreschrift abzufassen und zu versiegeln, sondern auch noch überdies ihre Beförderung einem durchweg zuverlässigen Beamten anzuvertrauen.

Leon eilte sofort nach seiner Wohnung, um sein Bündel zu schnüren. Die Depesche selbst verschloß er in ein Täschchen, welches er auf der Reise stets an einem Riemen über die Schulter gehängt zu tragen pflegte; der Schlüssel hing unter den Breloques verborgen an seiner Uhrkette. Um desto geräuschloser verschwinden zu können, schickte er seinen Diener in die nahe gelegene Casino-Restauration nach einem Souper. So würde er dann bis zum Morgen nicht mehr genöthigt sein auszugehen und Jedermann, der ihm etwa begegnen könnte, Rede zu stehen. Denn davon durfte er vollkommen überzeugt sein, daß man in dem Augenblicke, wo er seine Depesche in Verwahrung übernahm, von seiner Sendung auch bereits an Orten wußte, wo man um dieselbe nicht wissen sollte.

Chiffrirte Depeschen haben jede ihren eigenen Schlüssel. Es giebt eine eigene Geheimschrift, in welcher die Souveräne unter einander korrespondiren; dann eine andere, in welcher die Minister des Auswärtigen zu schreiben pflegen, und wieder eine andere, in welcher die Minister des Auswärtigen zweier verschiedener Länder mit einander verkehren; überdies hat man eine besondere Geheimschrift, welche in der Korrespondenz zwischen den Botschaftern und ihren respectiven Regierungen gebraucht wird, und wieder von allen diesen verschieden ist endlich die Chiffreschrift für den Briefwechsel zwischen den Regierungen und ihren Emissären. Den Schlüssel zur Lösung dieser Depeschen giebt eine gewisse Devise, deren Buchstaben die Reihenfolge des Alphabets normiren, so zwar, daß die das Alphabet anhebenden bei jedem Worte auf andere Buchstaben fallen. In der Devise darf kein › A‹ vorkommen. Wer dieses Geheimwort nicht kennt, vermag die Schrift nicht zu lesen, weil nie ein Wort auf das andere hinleitet. Ueberdies wird die Devise selbst häufig gewechselt. Die Parole, welche den Schlüssel zur Lösung jener Depesche an die Hand gab, die Leon anvertraut war, lautete: » Non semper idem.«

Diese Devise ist stets ein Geheimniß, welches selbst Derjenige nicht kennt, an den sie gerichtet ist; er empfängt das Wort selber erst von dem Ueberbringer des Schreibens. Leon notirte sich die Devise nicht einmal in seine Brieftasche; es genügte ihm, sie im Kopfe zu behalten.

Man klingelte an der geschlossenen Eingangsthür. Leon war allein; er dachte, es sei sein Diener, der mit dem Souper komme: er öffnete. Er war nicht wenig erbost, als er den Eintretenden erkannte. Es war der eiserne Kakadu.

»Servus lieber Freund! Heißt das gelaufen! Ich triefe vor Nässe. Der Platzregen ereilte mich und ich habe meinen Schirm daheim gelassen. Nimm's nicht übel, daß ich Dich um diese Zeit störe; Deine Wohnung war mir zunächst am Wege gelegen; ich weiß, daß Du mich nicht davonjagst.«

Jenun – Leon wußte das nicht so ganz mit Bestimmtheit.

»So ist dieses Wien; man weiß nie recht, soll man mit dem Schirme oder mit dem Spazierstock auf die Gasse gehen. Am Neubau scheint die Sonne, in der Leopoldstadt bläst der Wind und in der innern Stadt regnet es. Ich habe meinen Schirm daheim gelassen.«

»Ich besitze aber nur einen und den kann ich Dir nicht leihen, weil ich ihn brauche.«

»Das verlange ich auch gar nicht; wenn Dein Diener nachhause kommt, soll er mir einen Komfortabel holen. Bis dahin erlaube mir, hier bei Dir ein wenig zu lungern.«

Nun das fehlte noch! »Hier im Vorzimmer magst Du Dich niedersetzen, wenn Du Lust hast. In mein Zimmer kann ich Dich nicht führen.«

Leon wollte ihn nicht wissen lassen, daß er im Begriff sei zu verreisen; das fertig geschnürte Gepäck aber würde das sofort verrathen haben.

»Hehehe! Ein zärtliches Tête-à-Tête?« schäkerte der fadenscheinige Staatsmann. »Ist wohl eine hübsche Dame drinnen, wie?«

»Ja wohl, was denn sonst?« bestätigte Leon ärgerlich.

»Und ich habe die Schäferstunde gestört? Hehehe!«

»Jawohl Du störst mich. Geh zum Hausmeister hinunter und schicke ihn nach einem Wagen, denn mein Diener kommt lange nicht nachhause; wenn Du kein Kleingeld bei Dir hast, so stehe ich Dir mit Vergnügen zu Diensten.«

Damit nahm Leon die obligaten fünf Gulden, die Gabe für die stereotype, verschämte vornehme Familie, aus seinem Portemonnaie und wollte sie dem aufdringlichen Menschen in die Hand drücken, um ihn los zu werden. Der nahm indessen die milde Gabe diesmal nicht, sondern neigte sich mit eigenthümlichem Lächeln zu Leon und flüsterte ihm ins Ohr: » Non semper idem.« Das heißt zu deutsch: »Nicht immer derselbe.«

Leon fuhr nicht wenig betreten zurück und sah den sonderbaren Gast erstaunt an, der ihn mit seinem eigenen Geheimworte begrüßte. Der eiserne Kakadu schien sich eine Zeit lang an Leons Erstaunen zu ergötzen, dann griff er ruhig in die Tasche und zog einen Gegenstand daraus hervor, den er Leon vorwies, jedoch nicht ohne das Ding dabei sorgsam festzuhalten. Es war jenes goldene Petschaft, mit welchem sich die intimsten Chargés d'affaires der Regierung als solche zu legitimiren pflegen. Sie zeigen dieses geheime Symbol nur in sehr kritischen Momenten, nur zu Zeiten der äußersten Nothwendigkeit vor. Manch eines dieser Abzeichen kommt gar niemals ans Tageslicht, sondern gelangt vom Todtenbette des Vertrauten als wohlversiegelter Nachlaß an den Vollmachtgeber zurück. Der Anblick dieses symbolischen Petschaftes wirkte auf Leon wie ein galvanischer Funke. So vollkommen hatte ihn noch nie ein Mensch getäuscht, als diese verkommene Figur, die man allenthalben puffte und verlachte.

Der fadenscheinige Diplomat sagte flüsternd: »Nicht Jedermann ist was er scheint. Du hast keine galante Dame in Deinem Zimmer verborgen, wie?«

»Nein.«

»Sondern, Du schicktest Dich zur Reise an und willst es Niemanden wissen lassen?«

»So ists.«

»Nun, dann lässest Du mich eintreten.« Leon ließ seinem Gaste den Vortritt. »Weißt Du, es regnet draußen gar nicht; ich habe mir selber den Hut am Brunnen naß gemacht, um einen Vorwand zu haben, bei Dir einzutreten. – Ich sehe, Du hast bereits gepackt; hier in dem Täschchen ist die Depesche, die Du zu überbringen hast, wie? – Ich frage nur deshalb, weil man sie Dir stehlen wird. Na na, Du kannst dessen gewiß sein; man wird sie Dir stehlen! Du magst thun, was Du willst, magst sie hinstecken, wohin Du willst, man wird sie Dir dennoch stehlen. Es ist bereits die Ordre ergangen, daß man sich dieser Depesche um jeden Preis bemächtigen müsse. In diesem Schreiben ist das Schicksal der nächsten Zukunft Europas niedergelegt; es enthält die Parole, die sänftigend oder zündend wirken muß. Ich kenne auch den Inhalt der Depesche; und ich versichere Dir: ein theureres Gelage hat Kleopatra nicht gehalten, als sie jene Perle im Werthe von achtzigtausend Sesterzien in Wein aufgelöst verschluckte, als ich heute halte, indem ich dieses Geheimniß niederschlucke; gewisse Herren würden mich einen »Hans Wohlfeil« nennen, wenn ich ihnen dasselbe für hunderttausend Gulden überantworten wollte. Wenn Du nicht dafür bekannt wärest, wofür man Dich eben kennt, so lägen auf Deinem Tische zur Stunde bereits drei Wechsel über ebenso viele hunderttausend Gulden, für die kleine Gefälligkeit, jenen Herren nur für eine einzige Nacht die versiegelte Depesche zu überlassen und ihnen die Devise mitzutheilen, die als Schlüssel der Geheimschrift dient. Den Antrag wagen sie Dir aber nicht zu machen. Sie werden Dir also die Depesche stehlen. Die Ordre ist bereits ausgegeben. Die Reise von hier nach Paris dauert zwei Tage und zwei Nächte. Du hast gar keine Ahnung davon, welcherlei Leute sich zu dieser Jagd auf die Sohlen machen, und mit welch einem Intriguengewebe man Dich umgarnt. Gelingt es keinem Manne, so wird es einem Weibe gelingen. In dem Augenblicke, wo Du Dir's am allerwenigsten vermuthest, an dem Orte, wo Du Dich am sichersten fühlst, wird man Dir Deine Depesche stehlen. Es ist vergebliche Mühe, daß Du sie Dir um den Leib bindest, daß Du mit dem Kopfe auf derselben schläfst. Wenn Du hundert Augen hast, gleich Argus, so werden sie hundert und eine Hand haben und diese eine wird Dich bestehlen. – Doch, nun habe ich Dir des Schreckens genug gemacht. Sei unbesorgt, es war nur Scherz. – Nun wollen wir aber ernsthaft reden. – Ist Dir eine Cigarre gefällig?«

»Ich danke. Rauche Du nur.«

»Ach ja, Du rauchst ja nicht. Also wie gesagt – es war Alles nur Scherz; Deine ganze Depesche ist nur Spaß. Die Depesche, die Du diesmal beförderst, ist gerade dazu da, um gestohlen zu werden; sie dient eigens dazu, Diejenigen zum Besten zu halten, die auf dieselbe Jagd machen. Sie haben Aussicht sich um einen solchen Preis von anderer Seite her auch den Schlüssel zu der Geheimschrift beschaffen zu können, wenn sie ihn von Dir nicht zu erlangen vermögen. Aber sie haben auch Dich noch nicht aufgegeben. Hüte Dich vor den schönen Weibern! Ich sage Dir nur soviel: Hüte Dich vor den schönen Weibern! Doch weshalb zum Plunder solltest Du Dich denn eigentlich vor schönen Weibern hüten? Hüte Dich lieber nicht. Nimm sie hin, wie sie sich geben. Mögen sie Dich bestehlen, bestiehl Du sie noch mehr! Die Depesche, die Du mit Dir führst, ist fingirt. Du wirst gut thun, sie Denjenigen gar nicht einmal zu überreichen, an die Du gesendet bist, selbst dann nicht, wenn man sie Dir nicht stehlen sollte. Trage ihnen mündlich vor, was Du sie wissen zu lassen hast. Was Du sie wissen lassen solltest – darüber ziehe Dein eigenes Herz und Deinen Kopf zu Rathe. Dein Herz fühlt, Dein Verstand erkennt, was Du reden sollst. Sage überall die Wahrheit. Sei nicht listig, verheimliche nichts; lege offen und vor Jedermann die wahre, die wirkliche Lage der Dinge dar, dasjenige, was neun Zehntheile des ganzen Landes wünschen. Wird man Dir nicht glauben, nur deshalb nicht glauben, weil es eben wahr ist, wird man das Gegentheil glauben, so ist das dann allerdings ein Unglück – doch nicht für uns; glaubt man Dir aber, so wird das Jedermann zum Heile gereichen. Du hast dermalen keinerlei Instruktionen; Du siehst, Du weißt Alles, was vor Dir, was hinter Dir liegt. Du bist mit keiner Aufgabe betraut, die List und Schlauheit erfordern würde. Ist Deine Mission vollführt, so wirst Du abberufen werden. Ueberkommst Du eine neuerliche Sendung, so wird den Schlüssel zur Geheimschrift Deiner Depeschen die Devise bilden: » Virtute puer.«

Leon fühlte sich genöthigt, diesem Manne unbedingt zu vertrauen. »Glaubst Du mir?« »Ich glaube Dir.« »Kennst Du mich nunmehr?« »Ich kenne Dich.« »Doch nicht so ganz, wie ich Dich. Bei einem Andern würde ich damit begonnen haben, womit ich bei Dir schließen will; mit der Geldfrage ...

(Also dennoch!)

Was Du an Reisegeld bekommen hast, das reicht eben nur für Deine gewöhnlichen Bedürfnisse aus. Du wirst aber überdies noch vielerlei Auslagen haben. Du mußt den Herrn spielen, um überall mit dabei sein zu können. Du mußt splendid auftreten und auch äußerlich Allen imponiren, mit denen Du in Berührung kommst. Deine Aufgabe wird sein, Dich auffällig zu machen. Nimm dieses Packet Banknoten; frage nicht, wer es Dir schickt, zähle nicht, wie viel es enthält. Ich weiß darüber selber nichts Näheres. Du hast keine Quittung zu geben, keine Rechnung zu legen. Es ist Niemand da, der sie entgegennehmen könnte. – Nimm es rasch an Dich – ich höre Deinen Diener die Treppe heraufsteigen. Thu' mir den Gefallen und mache mich vor ihm gehörig herunter. Schmähe mich zudringlich und unverschämt. Drohe mir, Du werdest mich die Treppe hinabwerfen, wenn ich mich unterfangen sollte, nochmal hierher zu kommen. Ich bin dergleichen gewohnt. Von Dir allerdings nicht – Du pflegst den Bittenden nicht brutal zu begegnen; Du greifst in die Tasche und drückst ihnen Geld in die Hand, um sie Dir vom Halse zu schaffen. – Halte es mit mir auch fortan so. Rück' heraus mit den bitteren fünf Gulden für die gewisse nothleidende verschämte Familie und verwinde das Opfer. Andere, deren Art es eben ist, versetzen mir wohl gar einen Fußtritt. Der Thürhüter des Mannes, dessen getreuester Diener ich bin, hebt den Stock gegen mich, wenn ich mich zeige. Alle Welt spottet mich den eisernen Kakadu«.

Es klingelte. Das fadenscheinige Männchen zog sich rückwärts schreitend zur Thür hinaus und machte dabei vor Leon zahllose Bücklinge und erschöpfte sich in Danksagungen – in lateinischer Sprache, um vom Diener nicht verstanden zu werden: » Ago gratias domine illustrissime; Deus omnipotens faciat felicem summa cum benignitate dominationem vestram. Sancta trinitas et omnes beati sancti vigilent super passus vestros. In gratiam angelorum vos recommendo.«

»O, Du verfluchter Eisenkakadu!« rief plötzlich grollend eine schrille Stimme hinter ihm, und eine indiskrete Hand fuhr ihm in den zierlich aufgewichsten Schopf und drückte ihm denselben nach vorne nieder, während ihm gleichzeitig eine brutale Stiefelspitze einen Stoß in die Kniebeuge versetzte. – Es war nicht Leons Diener, der da eintrat, sondern Fürst Oktavian von Nornenstein. Das schäbige Männchen sputete sich aber auch, unter den Armen des Standesherrn wegzuhuschen und die Treppe zu erreichen. Der erlauchte Herr rief ihm nach: »Komme ich Dir nur einmal in meinem Hause über Deinen Schopf, unverschämter Wohlthätigkeits-Kontributor Du! Da soll dann das spanische Rohr zu thun bekommen! Ein schamloser Bursche das! Es ist doch gerade, als ob der Kerl vom Wirbel bis zur Zehe aus Gummi elasticum wäre; man mag ihn werfen wie man will, er springt immer wieder in die Höhe. Bettelt der Bursche für eine arme, verschämte Familie, und sowie man ihm fünf Gulden giebt, läuft er geradewegs ins Hotel Impérial und läßt sich Champagner vorsetzen. Ich habe Sie da von einem höchst unangenehmen Gaste befreit, lieber Leon.«

Oktavian Nornenstein gestikulirte auch noch so erregt, als ob er absolut an nichts Anderes dächte, als an das soeben hinaus gejagte, in Unterthänigkeit ersterbende Männchen.

»Wie mögen Sie denn nur einem solchen Menschen den Zutritt in Ihr Zimmer gestatten, lieber Freund?« zankte er. »Der Bursche ist ja ein wahrhaftiger, ganz gemeiner Spion. Ein Spion in russischem und preußischem Solde, ein Mensch, bei dem das Betteln nur ein Vorwand ist. Er ist allenthalben nur darauf aus, ob sich nichts zu stehlen finde. Vor diesem Manne hüten Sie sich. Er gehört zu den Leuten, auf welche die Ladendiener in den Handlungen einander durch das Avis aufmerksam machen: »D. M. S!« (Der Mann schnipft.) Achten Sie wohl auf seine Finger, wenn er Ihnen ins Zimmer kommt.«

Und während er also sprach, ließ Fürst Oktavian seine Blicke forschend durch das ganze Gemach streifen und heftete dieselben wiederholt auf das bewußte Täschchen.

Leon erwiderte ruhig: »Mich hat man noch nie bestohlen.«

Er wußte seine Gesichtszüge genugsam zu beherrschen, um auch nicht durch ein Zucken die Malice zu verrathen, welche in dieser Antwort lag.

»Nun? Ei? So umfassende Vorkehrungen treffen Sie?« sprach Nornenstein auf ein anderes Thema übergehend, und wies auf den halbgepackten Mantelsack und die übrigen Reiseutensilien. Leon klemmte die Lippen zwischen die Zähne. Man ist zuweilen gezwungen, sich förmlich den Mund zuzuhalten, um nicht zu reden. Und soviel wußte Leon bereits ganz wohl, daß es zwei bedeutende Wissenschaften giebt, mit deren Hilfe man durch die ganze Welt kommt: man muß verstehen: »nicht zu hören« und »nicht zu antworten«. Er hatte nicht gehört, was er gefragt worden war, und er antwortete nicht darauf.

»Nun? Sie haben mein Billet doch wohl erhalten?«

Auf diese Frage antwortete Leon, und zwar durch ein Kopfschütteln.

»Wie? Sie haben nichts erhalten? Das ist aber denn doch entsetzlich! Und ich trage das Postrezepisse von vorgestern bei mir. Es ist also in der That wahr, daß meine Briefe aufgefangen, in's Cabinet noir gebracht, erbrochen und kopirt, und dann erst zugestellt werden. Ich habe die Leute nunmehr in flagranti ertappt; ich werde mich beim Minister beschweren. Das Briefgeheimniß ist heilig! Uebrigens, diesmal sind sie gut angekommen. Aus meinem ganzen Schreiben erfahren sie nichts weiter, als die unschuldige Neuigkeit, daß ich heute Abends in meiner Villa in Baden eine Soirée veranstalte, und mir dazu einige liebe, alte Freunde einlade. Unter diese rechne ich auch Sie, lieber Zarkany. Sie haben die Hochachtung aller Ihrer Bekannten errungen; in der That, im wahrsten Sinne des Wortes errungen! Sie haben die Leute auf der Heerstraße angehalten, sie aus dem Wagen gezogen und ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt: »Deine Hochachtung oder Dein Leben!« Jedermann ist bezaubert von Ihnen. Jeder Mann! Wie nun aber erst die Frauen! Sie haben gar keinen Begriff davon, welche Verheerungen Sie in den Frauenherzen anrichten. Nun, Sie werden ja sehen! Ein glücklicher Gedanke von mir, zu Ihnen heraufzukommen! Und es war reiner Zufall. Ich hatte in der Hofkanzlei zu thun; da fiel mir ein: Hoho! Hier wohnt ja auch Dein Freund Leon. Wie, wenn er etwa Deinen Brief nicht bekommen hätte – man kann nicht wissen – das Cabinet noir! Na, das hätte über meinem armen Kopf einen hübschen Sturm zusammengezogen: Blitze und Thränenströme aus schönen Augen, wenn ich Sie heute nicht zur Stelle hätte schaffen können.«

Es klingelte wieder. Leon ging nicht hinaus, um zu öffnen; er hatte die Thür absichtlich nicht gesperrt; der draußen steht, wird wohl von selber dahinter kommen, daß offen ist. Es war der Diener, der mit dem Speisekorb zurückkam. Oktavian wollte mit Leon ins Reine kommen, so lange der Bursche im Vorzimmer zu schaffen hatte. Er faßte Leons Hand. »Sie kommen also zu uns nach Baden hinaus?«

»Es wird kaum möglich sein, Hoheit, ich habe morgen früh ein Rendezvous.«

»Ei? Ein Tête-à-tête oder ein Rencontre? Doch gleichviel – eines von beiden. Um wieviel Uhr müssen Sie zur Stelle sein?«

»Um halb neun Uhr Morgens.«

»Gut. Da können Sie getrost zu uns nach Baden kommen; morgen Früh mit dem Fünf-Uhr-Zuge fahren Sie wieder zurück. Ob es nun ein Duell oder ein Liebes-Abenteuer ist, was Sie erwartet, ist ganz gleichgiltig. Ist es das erstere, so ist's ganz geeignet, die Geschichte mit etwas Nachtschwärmerei einzuleiten. Experto crede Ruperto. Ich habe, wenn mir ein Rencontre bevorstand, es immer vorgezogen, die letzte Nacht mit lustigen Kameraden zu verjubeln und der Todesgefahr mit illuminirtem Kopfe entgegenzutreten, als daheim zu sitzen, mein Testament zu machen und meine Sünden zu bereuen. Ist aber dieses unaufschiebliche Rendezvous zärtlicher Natur, so ist auch einer solchen Aventure, Sie können mir's glauben, kaum etwas förderlicher, als eine vorher durchschwelgte Nacht. Und durch ein ganz klein wenig Untreue, deren ich Sie allerdings fähig halte, wird die nachträgliche Leidenschaft nur potenzirt – das frischt die Phantasie auf. Nun denn: Hand darauf! Sie kommen heute Nacht zu uns. Falbenheims werden auch da sein.«

Leon war im Gedränge. Sein Diener begann den Tisch zu decken und meinte, das Beefsteak werde kalt werden.

»Verzehre Dein Beefsteak nur selber, mein Sohn,« sagte der Standesherr zu dem Diener gewendet; »und – da – trink auch ein Glas Wein dazu. Dein Herr wird heute nicht zuhause speisen.«

Leon bemerkte, daß die Banknote, welche Nornenstein seinem Diener in die Hand drückte, von größerem Format war, als jene, mit denen man in der Regel ein Glas Wein zu bezahlen pflegt. »Ich kann mir das Glück nicht versagen, zu Ew. Hoheit Soirée zu erscheinen,« sprach Leon, Nornenstein die Hand reichend.

»Aha, das letzte Argument hat verfangen,« scherzte der Standesherr mit schalkhaftem Augenzwinkern. »Ich habe das im vorhinein gewußt. Die schöne Loreley wird da sein. Vergessen Sie dann nur um ihrer willen nicht auf jenes andere Rendezvous!«

»Um dafür zwei Rencontres einzutauschen.«

»Zwei Rencontres?«

»Ich spüre keine besondere Lust, mich vom General in Stücke hauen zu lassen.«

»Ah, der alte Schleppsäbel pflegt die Courmacher seiner Tochter nicht umzubringen.«

»Die thun vielleicht einander selbst den Gefallen. Ich kenne Jemanden ganz in der Nähe, der dazu wahrscheinlich ohneweiters bereit wäre.«

»Ah! Unsinn! Jener Jemand ist gar nicht in der Nähe, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Jener Jemand sitzt derzeit in Etelvar und hilft der schönen Prinzessin Raphaela am Stickrahmen. Der ist besorgt und aufgehoben.«

Bei diesen Worten blitzte Leon ein dämonischer Einfall durch das Gehirn: ein Gedanke an Zerstörung, an Verwüstung. Es war ein böser Gedanke!

Es hätte ihn nicht nach der Wollust der Dämonen gelüsten sollen, die sich freuen, wenn sie sehen, wie die Thorheit des Menschen die schönsten, die herrlichsten Luftschlösser über sein eigenes Haupt zusammenstürzen macht. Er vermochte dem Kitzel nicht zu widerstehen, Diejenigen zum Besten zu halten, die mit ihm spielen wollten. Er dachte nicht weiter daran, was daraus wohl entstehen könne.

Und zu der dämonischen Antipathie gesellte sich überdies auch noch ein klein wenig menschliches Gerechtigkeitsgefühl. Ist es denn möglich, sich mit dem Gedanken zu befreunden, daß Prinzessin Raphaela die Frau eines Mannes wie Alienor werden solle? Eines Mannes, der sie schon in dem Augenblicke nicht liebt, wo er ihr vor dem Traualtare Liebe schwört? Niemand – selbst ein völlig Fremder nicht – könnte gleichgültig genug sein, ihm diesen unverdienten Schatz nicht zu neiden. Weshalb mußte Raphaela gerade ihn wählen? fand sie denn im ganzen weiten Ungarlande keinen ihrer würdigen jungen Mann? Stand ihr denn nicht die Wahl offen unter allen unseren stattlichen, hochsinnigen Jünglingen aus den vornehmsten Geschlechtern? An dieser Puppe konnte sie Gefallen finden? Ist Rangsucht die herrschende Leidenschaft in ihr? – Jenun, so mag sie's denn auch büßen!

»Zum Abendzuge treffen wir uns,« sprach Leon zu Nornenstein, der sich anschickte zu gehen. »Wir werden sehr erfreut sein.« »Ich fühle mich sehr geehrt, erscheinen zu können.«

Als der Standesherr fort war, wies Leon seinen Diener an, ihn mit dem Reisegepäck am nächsten Morgen am Bahnhofe zu erwarten, nunmehr aber seinen Ballanzug zurecht zu legen. Der Diener wollte die Hängetasche zu dem übrigen Gepäck legen. »Laß das; die Tasche nehme ich mit mir.«

»Wie? die Handtasche – zum Ball?«

»Ja wohl. Lasse sie nur liegen.«

Beim Umkleiden mahnte ihn das kleine Medaillon mit dem Epheublättchen, welches er auf der Brust trug, noch einmal: »Wäre es nicht besser gethan, wenn Du diesen Abend zubringen wolltest, an Diejenige zu schreiben, deren einziger Gedanke Du bist, der allein Du alle Deine Geheimnisse anvertrauen darfst? Wäre es nicht besser gethan, wenn Du Dir ihr liebeverklärtes Angesicht vor die Seele rufen, wenn Du von ihr träumen wolltest, wie jede Nacht?«

Das war die Stimme seines guten Genius. – Er hörte nicht auf dieselbe. Er entschuldigte sich vor seinem eigenen Gewissen damit, daß er dieses Geheimniß selbst ihr nicht mittheilen dürfe. Spott und Hohn und die Zerstörungssucht behielten die Uebermacht in seinem Herzen. Er kleidete sich zum Ball an.

Als er, sein Täschchen in der Hand, die Treppe hinabging, faßte ihn in dem Hausflur Jemand am Arme. – Es war der eiserne Kakadu. »Ich habe gewartet auf Dich. Wie wenn Du die Devise vergessen hättest: Virtute puer.«

Er hatte sie in der That bereits vergessen.

Der Portier jagte den Menschen in dem schäbigen Gewande zum Thore hinaus. »Ei, so seien Sie doch nicht gar so unverschämt zudringlich!«

Während Leon nach dem Bahnhofe fuhr, dachte er darüber nach, wie es doch im Leben auch solche Komödianten gebe, die bis zu Ende die Rolle des Bettlers, des Flehenden, des Geplackten spielen, deren Bestimmung es ist, über die Achsel angesehen, bespieen, gepufft, mit Spottnamen gehänselt zu werden, und die auch nicht ein einziges Mal das Haupt erheben, um der Welt ihren wahren Namen zu nennen. Sie spielen lebensgetreu den Geächteten, den Elenden bis zu Ende – ohne daß jemals eine Seele erführe, wer sie gewesen!

*


 << zurück weiter >>