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Im Wohlthätigkeits-Bazar.

Die gesammte vornehme und berühmte Damenwelt Budapests, all die Schönheiten der Magnaten- und Künstlerkreise hatten zum Besten eines humanitären Instituts einen Wohlthätigkeits-Bazar arrangirt.

Eine der anmuthigen Heben am Buffet, wo unter einem riesigen Baldachin kalte Braten, Backwerk und Liqueure feilgeboten wurden, war die Baronin Pompeja von Falbenheim; sie war als bretagnisches Kellnermädchen kostümirt, in einer Spitzenhaube mit mächtigem Aufsatze, in kurzem Röckchen aus großgeblumtem Stoffe, unter welchem die rothseidenen Strümpfe hervorlugten. Ihr Tischchen war das besuchteste; sie wußte ihre Gäste mit unnachahmlicher Grazie zu bedienen und entwickelte eine wahre Meisterschaft in der Kunst, die Herren, welche an ihrer Bude vorüberhuschen wollten, heranzulocken.

Wer sich übrigens nicht lange locken ließ, das war Leon.

»Daß Sie mich doch nur wiedererkannt haben!« empfing ihn die Baronin in scherzhaftem Tone, der jedoch immerhin einen leisen Vorwurf durchklingen ließ. »Es ist ja fast ein Jahrtausend her, seit ich Sie zum letzten Male gesehen habe.«

»Und ich werde doch Tag für Tag zur Schau gestellt.«

»Wo denn?«

»Nicht im Thiergarten, wohl aber in jener großen Ausstellung, wo die Weisen des Vaterlandes zu sehen sind. Ich bin auch eine von jenen Wachsfiguren.«

»Ich habe noch gar nicht Gelegenheit gehabt, Ihnen dazu Glück zu wünschen. Nun, dieses Glas Sherry sollen Sie gratis haben, zur Feier Ihres Wahlsieges. Sagen Sie doch: Wann halten Sie denn Ihre »Jungfern-Rede?« An dem Tage gehe ich auf die Galerie des Landhauses.«

»Ach Baronin, da werden Ihre Verehrer sehr lange danach schmachten müssen, sich durch Ihren Anblick zu einer Ovation begeistern zu lassen. Ich gehöre zu Jenen, welche die Anerkennung des Hauses durch »jungfräuliches Schweigen« zu verdienen streben.«

»Aber weshalb denn?«

»Weil ich rings um mich her so viele glänzende lumina im Hause sehe, daß ich mich scheue, mein bescheidenes Lämpchen unter ihnen leuchten zu lassen.«

»Das sagen Sie einem Anderen. Wir wissen ganz wohl, daß Sie zwar im Hause selbst konsequent stillschweigen, in den Konferenzen aber durch Ihre treffenden Bemerkungen Jedermann überraschen. In den Fachkommissionen hat man bereits erkannt, welch ein Schatz von Kenntnissen in Ihnen steckt und hat Sie mit Arbeiten überhäuft – jedenfalls der höchste Grad von Anerkennung. Schade, daß Sie nur so kurze Zeit hier bleiben.«

»In der That eine kurze Zeit, die ich ›hier‹ verweilen darf, Baronin; wenn ich aber wüßte, daß Ihnen meine Anwesenheit nicht unerträglich ist – ich wollte Ihren ganzen Schinken aufessen, um desto länger bleiben zu können.«

»Wenn ich sage ›hier‹, so verstehe ich darunter nicht meine Boutique, und den ganzen Schinken gebe ich Ihnen nicht, denn daraus muß ich netto fünfzig Gulden lösen – da gingen zehntägige Diurnen drauf. Ich will sagen, daß Sie nicht lange als Abgeordneter im Hause bleiben werden.«

»Sollte man am Ende gar meine Auslieferung wegen irgend eines Kriminalfalles verlangen?«

»Sie suchen vergeblich, meine Attaquen durch Witze zu pariren. Meine Hiebe sitzen. Sie werden binnen Kurzem auf die diplomatische Laufbahn, ins Ministerium des Auswärtigen berufen werden und dann müssen Sie Budapest und das Palais in der Sandorgasse verlassen, und uns ebenfalls. Sie machen Ihre Carrière nicht mehr per Dampf, sondern mittelst Flugmaschine. Demnach werden Sie eine Stellung in der Diplomatie einnehmen.«

»Aufrichtig gestanden, Baronin: ich habe dieses ganze Glück dem Umstande zu danken, daß dem Ungar drei Dinge nicht nach seinem Geschmacke sind: Englisch lernen, im Auslande reisen und Briefe schreiben. Ich habe mich zufällig an alle diese drei Sachen gewöhnt. Das Ministerium des Auswärtigen brauchte einen Beamten, der ein Ungar, der Mitglied des Abgeordnetenhauses sein sollte, den man von Pontius zu Pilatus schicken könne, und der, wenn Einer sagt › Hau du ju du?‹ nicht zur Antwort giebt: ›Hüt' Dich, Schwab – wenn Du mich hauest, so hau' ich Dich wieder!‹ Solcher Junge nun fand sich außer mir keiner; so hat man denn faute de mieux mich zum diplomatischen Commis voyageur ausersehen.«

»Schlürfen Sie doch Ihren Sherry langsam und nehmen Sie etwas Kuchen dazu. Ich habe Ihnen noch Manches zu sagen. Ich kenne die Laufbahn, welche Sie anzutreten im Begriffe stehen. Man steigt in diesem Berufe mit einer Schnelligkeit empor, wie im Luftschiffe; fällt man aber, so geht es gleichfalls mit derselben Vehemenz in die Tiefe nieder, wie aus dem Luftschiffe. Und ein einmal gefallener Diplomat ist ein abgethaner, ein todter Mann für ewige Zeiten, zumal wenn er in subalterner Stellung war. Sie werden auf Ihrem Wege auf mehr denn eine solcher Leichen stoßen, die als warnende Exempel an der Heerstraße hingestreckt bleiben. Insbesondere einem auffallenden Individuum werden Sie gleich in den ersten Tagen begegnen. Seinen wahren Namen sage ich Ihnen nicht; Sie werden ihn nach der Schilderung erkennen. Der Mann wird Sie überraschen. An neue Beamte pflegt er sich mit Vorliebe zu hängen. Er trägt den Spottnamen »der eiserne Kakadu.« Vor Jahren hatte er nämlich starkes, pechschwarzes Haar und trug dasselbe in der Mitte des Kopfes aufgezwirbelt, daß es aussah, wie der Schopf eines Kakadu. Heute ist der Mann alt geworden, das Gesicht von tausend Falten durchfurcht; aber noch heute scheint jede einzelne Falte lächeln zu wollen und das längst ergraute Haar starrt noch immer mit Wachspommade zum Kakaduschopf aufgerichtet vom Scheitel empor.«

»Ich habe den Mann schon einmal irgendwo getroffen.«

»Dieser Mann war seinerzeit ein sehr bedeutender Diplomat. Plenipotentiär der Monarchie an einem der Fürstenhöfe an der unteren Donau. Er hatte damals Aussicht, es dereinst zum Botschafter bei der Pforte zu bringen. Das Volk des erwähnten Ländchens ist von jeher ein sehr unruhiges; jeden Augenblick sind die Leute mit ihrem Fürsten unzufrieden. Der eiserne Kakadu hatte von seiner Regierung die bestimmteste Weisung, den Fürsten gegen die Malkontenten zu unterstützen. Er kam dieser seiner Aufgabe eifrig und getreulich nach. Mit einem Male melden ihm seine Agenten, daß ein höherer österreichischer Offizier das Land durchstreife, der die Bevölkerung im Sinne einer energischen Erhebung bearbeite. Der Diplomat erstattet hierüber Bericht an seinen Minister und frägt an, wer von ihnen Beiden denn nun eigentlich die Politik der Regierung repräsentire, er oder jener Offizier? Wenn es noth thue, den Fürsten fallen zu lassen und die Malkontenten zu patronisiren, so könne das der eiserne Kakadu ja ebenso gut. Er erhielt die Antwort, sich nur immerhin an seine Instruktionen zu halten und den Fürsten zu unterstützen. Der Offizier aber setzte gleichfalls die Wühlereien unbeirrt fort, bis endlich eines Tages das Volk aufstand, und der Fürst sich entscheiden mußte, ob er die Revolution mit Kanonen und Bajonetten niederschlagen, oder aber außer Landes flüchten wollte? Der eiserne Kakadu betrat den fürstlichen Palast in dem Augenblicke, als man daselbst soeben die Antwort auf diese Frage fabrizirte: man war eben im Begriffe, das Gold des Fürsten in Wachs einzugießen und zu Schiffe zu bringen. Der Fürst selber legte eine Verkleidung an und der eiserne Kakadu schätzte sich glücklich, daß es ihm gelang, als Matrose kostümirt auf demselben Schiffe mit Sr. Hoheit zu entkommen. Er eilte nach Wien, kam ganz entrüstet zu seinem Minister und legte dar, wie er sich stricte nur an die Weisungen der Regierung gehalten habe. ›Vollkommen richtig – erwiderte ihm der Lenker der Geschicke des Staates – und wenn der Fürst die Revolution niedergeschlagen hätte, würde Ihnen ohne Frage eine hohe Auszeichnung zu Theil geworden sein. Da nun aber die Revolution die Oberhand behalten hat, so wird jener hohe Offizier Ihren Posten einnehmen, Sie aber gehen in Pension und mögen Ihre diplomatische Laufbahn als abgeschlossen betrachten.‹ Von diesem Tage an ist der Mann ein Todter – man füttert ihn, aber man läßt sich mit ihm in kein Gespräch ein. Er muß in Ungnade sein – weil er getreu war. – Und solcher Menschen giebt es sehr viele, selbst Höhergestellte; nur haben sich die Letzteren in ihr Schicksal gefunden und steigen aus ihren Sarkophagen nicht mehr ans Tageslicht. Dieser eine, grauhaarige Diplomat, mit den unzähligen Falten im Gesichte aber kommt und geht und läuft ohne Unterlaß, für jeden ehrgeizigen Berufsgenossen ein mahnendes Exempel dessen, was aus dem Diplomaten wird, den das Ohngefähr zu Boden tritt. Hätte damals der Fürst die Revolution niedergeschlagen, so wäre der General auf die Festung spaziert.«

»Ich werde Ihr Avis hoch in Ehren halten, Baronin.«

»Redensart! Sie haben ja kaum gehört, was ich Ihnen sagte. Sie haben in einem fort den Turlututu meiner Nachbarin bewundert.«

»Mein Ehrenwort, ich weiß nicht einmal, was ein Turlututu ist.«

»Jenun, wenn Sie an meine Freundschaft glauben, so versprechen Sie mir, daß Sie, wenn Sie jemals in eine kritische Lage kommen sollten, mir davon Mittheilung machen wollen. Ich kann Ihnen jederzeit sagen, wem Sie vertrauen sollen und wem nicht.«

»Ich werde mich hochgeehrt fühlen, Baronin, mit Ihnen in diplomatische Correspondenz treten zu dürfen.«

»Das ist nun wieder façon de parler. Nehmen Sie dieses Stück Kuchen und stecken Sie es in die Tasche; das Papier, in welches es eingeschlagen ist, werfen Sie zu Hause nicht fort.«

Leon hätte ein schlechter Diplomat sein müssen, wenn er das Papier nicht sofort hätte ansehen sollen. Er war starr vor Erstaunen. – Es war das Original jenes Briefes, durch welchen die Batoker damals über das Geheimniß der halben Banknoten aufgeklärt worden waren. Leon vermochte seine höchliche Ueberraschung nicht zu verbergen. Er verbeugte sich stumm vor Pompeja.

»Erkennen Sie nunmehr Ihre Freunde?«

Ueber Leons Gesicht dämmerte ein eigenthümliches Lächeln hin. »Ich begreife Sie vollkommen, Baronin.«

»Sie wollen mich also fortan mit Ihrem Vertrauen beehren?«

»Jederzeit, Baronin.« Und so viele sprechende Beweise von Huld sollten noch immer nicht genügend sein, Jemanden hineintaumeln zu machen in den tiefen Abgrund, wie unser großer Dichter die Liebe nennt!

»Wohl bekomm' das Frühstück mit sammt dem Mittagsmahl!« sprach plötzlich hinter den eifrig Flüsternden eine, Beiden wohlbekannte Stimme: es war Alienors Stimme. – »Oder gedenkst Du vielleicht hier auch noch zu soupiren?«

»Ah! Sollte ich schon so lange hier stehen?«

»Die Minuten habe ich nicht gezählt, wohl aber die Schinkenschnitten und die Kuchen. Fünf Schnitten Schinken und neun Stück Kuchen. Das wäre selbst für ein Batoker Banket genug. Baronin Pompeja wird Dir offiziell sagen, was Du verzehrt hast – im Interesse des wohlthätigen Zweckes.«

Pompeja aber setzte diese Berufung einigermaßen in Verlegenheit, denn sie hatte nicht darauf geachtet, was und wie viel ihr Gast im Laufe des Gespräches verzehrte; eine unrichtige Angabe aber konnte bei dem Umstande, daß der » Coeur roi« auf der Lauer gelegen war und mit eifersüchtigem Auge kontrolirt hatte, was der » Valet de coeur« bekam, nicht erfolgen. Zarkany half ihr jedoch mit leichter Mühe aus der Verlegenheit.

»Herren pflegen nicht nach der Karte zu bezahlen, sondern nach eigenem Belieben!« sprach er mit prahlerischer Munifizenz, nahm ein Hundertfrancsstück aus der Tasche und ließ es in Pompeja's rosiges Händchen gleiten. Darauf bekam er noch einen ostentativen Händedruck vor Alienors eigenen Augen. Leon flüchtete nunmehr aus diesen Feen-Abruzzen. Er hatte kein Hundertfrancsstück mehr zu vergeben. Auch dieses eine war für eine Andere bestimmt gewesen. – Allein diese Andere war nicht da. Prinzessin Raphaela und Fräulein Livia hatten Tags zuvor ihre Mitwirkung im Bazar eingestellt. Sie waren mit dem Fürsten plötzlich abgereist, ohne die Ursachen irgend Jemandem mitzutheilen.

*


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