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In diesem Abschnitt hören wir, wie der Jäger auf Streifenfell Jagd macht, daß aber der »Menschenfresser« längst in Sicherheit und in den Blue-Hills ist. Ferner aber hören wir, was Stumpfzahn, der alte Tusker, berichtet und welcher Art seine Abenteuer waren. Wir hören von einem zornigen Nashorn und seinem Siege über die Zweibeine, von Ghautal, dem Hindu, und von Mali, seinem Sohn. Wir hören auch von dem Monsunwinde und vom Regen und von der Natur. Dann aber erfahren wir, daß die Elefanten wieder in den Hügeln sind und daß sie dort Nahrung finden.
Francis Bridgeman wurmte es: den großen Tiger hatte er gefehlt, der Lanceroffizier aber hatte ihn geschossen. Und da er ehrgeizig war, beschloß er, den »Mankiller« selbst zu erlegen, ohne Elefanten und Treiber und ganz allein mit Hilfe der Eingeborenen. Fünf Pfund Sterling bot Herr Francis Bridgeman, des Großfarmers Sohn, Toomai, dem Hindu, wenn er ihn gut zu Schuß brächte.
Der Hindu wußte Geld zu schätzen. Er band ein junges Rind im Dschungel an, auf einer freien Stelle, er baute einen Hochsitz aus Bambus im Ebenholzbaum, so hoch, daß kein Tiger ihn erreichen konnte, legte eine Strickleiter an und holte den Sahib.
Die Sonne ist gesunken, in Scharen ziehen die Vögel heim. Es herrscht ungewisses Licht im Dschungel, im Walde. Oben auf dem Sitz hocken die Jäger – der Europäer mit Mückenschleier und Helm, der Braune halbnackt. Doch den Körper hat Toomai wohl eingerieben mit starkriechendem Öl, damit die Moskitos nicht allzu arg stechen. – So sitzen sie schon lange, ehe das Licht über den Coohölzern stand, als es noch hell und heiß brannte. –
Ein Nashorn schnauft irgendwo, ein dumpfes Büffelbrummen tönt vom Strom. Dann aber murrt eine tiefe Stimme: »Wurrr – oooa« ...
»Der Tiger kommt!« flüstert der Braune. – Ängstliches Vogelzwitschern schallt im Dschungel.
Affengeschnatter, Atzelkreischen. Ein Pfau schreit: »kiiau, kiaah!«
Dann Stille. Nur leises Säuseln des Nachtwindes. –
War dort nicht ein leises Knistern ...? Wieder tönt Vogelgezeter. Das angebundene Jungrind brüllt ...
»Er kommt ...« flüstert der Hindu, »er ist schon ganz nahe ...« Knacken, Rascheln. Dann wieder Stille. Der Bulle reißt an den Stricken.
Ein rotgelber Schatten – undeutlich im Abendlicht – Poltern, Brechen, ein knallender Schlag – Angstbrüllen ... Der Tiger steht über seinem Opfer, reißt mit fürchterlichen Zähnen am Halse des Rindes, zieht die Beute fort. Die Stricke hindern – der Tiger brüllt wütend auf. –
Da zuckt oben aus dem Geäst ein roter Feuerstrahl – gräßliches Brüllen schallt, aufgeregt werden Affen und Vögel ... Dröhnender Knall ... Der Tiger liegt neben der Beute!
Die Männer klettern langsam vom Baum. Da stutzt der Hindu – zeigt auf den Gestreiften – flüstert: »Tötet ihn ...« Deutlich sieht der Schütze die zurückgelegten Gehöre des Tigers, die sich bewegende Schwanzspitze. Ein zweiter Schuß – ein Stöhnen, ein grollend-schmerzliches Mauzen ... Dann ist alles still. Die Gehöre des Tigers richten sich langsam auf: die Bestie ist tot. –
»Der frißt keine Leute mehr«, meint der Hindu. Der junge Jäger aber ist stolz und befriedigt. Und er freut sich seiner Beute.
Toomai aber freut sich nicht weniger: fünf Pfund für den Tiger und ein Pfund fürs Jungrind – das reicht für lange, sehr lange.
Neun Schuh mißt der Gestreifte. Ein großer Tiger ... Der »Maneater« ist's nicht ... Der Hindu weiß es. Aber er versteht zu schweigen. –
*
Der, dem die Jagd galt, schlich zur selben Stunde ums Hindudorf am Bakhnachar; vierzig Meilen weiter.
Er schlich in die staubige Dorfstraße, er achtete der kläffenden Dorfhunde nicht. Er sprang über die nächste Fenz, mitten in den Hof ...
Er ging im Hof einher, als wäre er hier Herr und Eigentümer. Zum Ziegenstall – zum Rinderstall ... Er hieb die Pforte auf! Das Haustier brüllte in der Angst. –
Streifenfell ist im Stall. Er reißt, er fetzt, er schlägt ...
Kein Mensch zeigt sich auf Hof und Straße. Und der Tiger springt mit dem Jährlingskalb über die Fenz, als wär's eine Ziege, ein Schaf ...
Schrecken war im Lande, und der Telegraph spielte. –
Der »Menschentöter« aber witterte nach Jagd, Raub und wüster Mahlzeit den warmen, nassen Wind. Er zog in die Berge, die Blue-Hills. Den Elefanten nach, den Büffeln, dem Nashorn. Und die Menschen jagten umsonst nach ihm.
*
Die Elefanten zogen südwärts, ostwärts, wieder nach Süden und dann in die Hügeltäler und langsam hinauf ins höhere Land, in die Hills. – Voran, wie immer, Spritznase, die Kluge, dann die anderen alle in der wohlbedachten alten Ordnung. Allen nach aber zog wieder Stumpfzahn, der Tusker. –
Als die Sonne zum ersten Male den Elefanten im Hügellande schien, sammelte Baumbrecher die Ältesten zum Rat und ließ Stumpfzahn, den Tusker, kommen.
»Stumpfzahn, Weisester der Weisen! Nun halte dein Versprechen und berichte!« Der Sultan hob den Rüssel. »Stille! Der Alte erzählt!«
Der Tusker wiegte sich ein wenig hin und her, denn er war geschmeichelt. Und dann begann er:
»O Erhabenster der Erhabenen! O ihr Weisen und Starken, ihr Lieblinge der Götter! Höret denn die Geschichte Stumpfzahns, den ihr »Tusker« nennt, weil er selbst sich so nannte!
Geboren bin ich in den Ghats, dort, wo es oben kühl weht und wo die Master von den Bergen schießen. Als ich noch jung war, kam ich mit der ganzen Herde in die Menschenfallen – vierzig Elefanten wurden gefangen. Zwanzig Sommer hatte ich damals, zwanzig große Regenzeiten erlebt. Und ich wurde ein Elefant der Menschen, unten, wo das große Meer brandet und rauscht, wo die großen Schiffe tuten und wo die Glocken läuten von Schiffen und Türmen um Mittag im Dreiklang – ting, tang, tong ...
Dort lernte ich die Arbeit kennen, denn ich trug Ketten und einen Mann, als ich stark und älter war. Und ich war ein Arbeitselefant der Menschen ...«
Da hoben die Elefanten die Rüssel und bliesen und trompeteten. Und alle waren erstaunt.
»Mein Mahout war ein guter Mann. Ghautal hieß er. Und er starb. Damals war ich vierzig Jahre. Die Menschen gaben uns gute Nahrung, sie waren nicht schlecht zu uns. Wir schleppten Balken und stapelten sie, und einmal mußte ich lange, schwere Donnerdinger schleppen, sogar in die Berge hinein. Und mit uns zogen Männer mit roten Röcken und weißen Hüten. Ich lernte bald, warum: denn es ging gegen braune Leute, die die Herren bekriegten, die Männer mit dem roten Gesicht. Das war eine böse Zeit. Dann aber waren wir wieder unten am Meeresufer und stapelten Balken. Das war, als mein Mahout starb. –
Ich bekam einen neuen Mahout. Der gefiel mir nicht, denn er liebte mich nicht und stach mich ungerecht mit dem Ankus, wenn er in der Laune war. Einmal hatte ich einen furchtbar schweren Steinblock zu bewegen. Der Block rollte und rutschte, und ich brachte ihn nicht fort. Da ärgerte sich Kalinga, mein Mahout, ein Mann aus dem Süden, und schlug mich mit dem Stiel seines Ankus auf den Rüssel.
Es war aber zu der Zeit, da wir Elefanten zusammengehen wollten ... Und ich fühlte, wie mir der klebrige Wutstoff an den Ohren ausbrach, wie es mir dumm im Kopfe wurde. Ich sah alles rot, hörte brausen ... Und ich weiß noch, daß ich den bösen Tamilen packte und hochwarf und auf ihn trat! Seine Knochen knirschten ... Um mich war Geschrei. Ich aber raste davon, durch den Ort, in den Busch, weiter, weiter, immer weiter ... Die Ketten waren zufällig gelöst – ich verlor sie bald. Ich lief Tag und Nacht und traf auf eine Herde wilder Brüder und Schwestern. Denen schloß ich mich an. Lange zog ich mit der Herde. Und eines Tages ward ich ihr Sultan, weil ich der Stärkste war. Aber ich verlor meine Stoßzähne vorzeitig, da die Menschen sie gekürzt hatten. Und dann wurde ich alt, und nun bin ich bei euch. Weit über hundert große Trockenzeiten zählt mein Alter. Und darum, weil ich bei den Zweibeinigen war, kenne ich sie und ihre List. Und ich hasse sie. Das ist meine Vorgeschichte.«
Die Elefanten trompeteten beifällig und schwenkten die Rüssel zum Zeichen ihrer Anerkennung. Denn die Wildelefanten achten zwar die zahmen nicht hoch, doch ehemals zahme, die zur Wildnis zurückfanden und in ihr blieben, um so mehr. »Darum bist du so klug, o Weisester!« sagte Baumbrecher. »Nun aber fahre fort, Erfahrenster!«
»Jetzt erzähle ich, was ich kürzlich erlebte«, fuhr der Tusker fort. »Ich ging dahin, woher wir gekommen waren – zum Dorfe der Zweibeine, wo der Brand im Rohr war. Ich kam spät am Abend an und roch noch Rauch. Als es dunkel war, ging ich in die Pflanzung und brach an Bäumen, was ich brechen konnte – Bananenbäume und andere.
Da hörte ich Sprechen von Zweibeinen. Ich rannte auf das Dorf los und schmiß die erste Hütte um und dann die zweite!
Hunde bellten, Männer schrien, Weiber kreischten! Ich aber trampelte und stieß gegen Umzäunungen, Bretter, Balken und leichte Bambuswände, daß alles flog und krachte!
Und die Hühner gackerten und schrien und flogen fort ins Dunkel, Menschen rannten ... Und bumms! ging ein Schuß los ... Das aber kümmerte mich nicht, denn ich kenne die braunen Zweibeine.
Plötzlich aber roch ich eine Witterung – trotzdem meine eigene Zornwitterung stark war und eine Hütte in Flammen stand – ich roch etwas Altes, Bekanntes ... Witterung bleibt lange im Gedächtnis – unbewußt – nichts erinnert so an längst Vergangenes, wie Geruch ... Ich roch – – Ghautal, meinen toten, längst toten Mahout! ...
Und ich hörte bei mir eine sanfte, gute Stimme: »O Herrlichster, o du Perle unter den Elefanten, o du Liebling der Götter und Menschen – schone dies Dorf!« Und ich stand und stand und begriff nichts. Und ich sah im Gedächtnis meinen alten Mahout ... Sechzig Jahre sind es her – nein, mehr noch, viel mehr ... Und ich hörte das Meer, sah die Segel der Menschen und die Balken ... Und meinen Mahout, Ghautal ... Und ich erschrak und fürchtete mich und kehrte um und zog in das Dschungel. Deshalb, Erhabenster, bin ich wieder so früh zurück ... Ich hörte die Götter sprechen ... Denn die Götter nur rufen die Toten zurück ...«
Die Elefanten standen schweigend und andächtig. Baumbrecher aber strich zärtlich mit seinem Rüsselfinger über die borkige Stirn des Alten. »Gesegnet ist der, der die Stimme der Götter hört«, sagte er. –
Am Abend brachen die Elefanten auf. Neben Stumpfzahn, dem Ältesten der Alten, aber schritten zwei große Bullen als Ehrengeleit. So bestand die Nachhut aus drei mächtigen Männern ...
Tief in die Hügel ging's hinein. Und der Monsunwind fegte über die Gipfel, Nebel ballten sich, rauschend fiel der schwere Regen über das Land. Es war große Regenzeit, und alles ward saftgrün im Walde.
*
Im Flachlande rauschte der Regen heftiger als in den Hügeln. Schwere Wolken hingen tief herab, die Bäche wurden zu Flüssen, die Flüsse zu Strömen, und der Dschungelwald ward Sumpf. Seen breiteten sich aus, Dampf lag zwischen den Bäumen und Büschen, es roch nach frischem Boden und nach Mulm und Moder. Und viel Getier zog nach dem Hochlande.
Plattenhaut, das alte Einhornnashorn, hatte sich verspätet und watete mürrisch und übellaunig durch den matschigen Schlamm. Es hatte einen Elefantenpfad zwischen den Bambusgruppen entdeckt und ging ihm mühsam nach, da der Boden weich war. Das hohe Gras erschwerte den Weg, und darum ging das Nashorn auf dem tiefgetretenen Pfade.
Ermüdet blieb es stehen und verschnaufte. Es war ein Fluß dabei und eine feste Sandbank. Auf ihr rastete Plattenhaut. Leistenkrokodile und Gaviale waren da, Kropfstörche und andere Vögel.
Die Regentropfen trommelten auf den Blättern, peitschten die gelbe Flut des angeschwollenen Flusses, der eiliger als sonst meerwärts strömte. Es war sehr still an den Ufern, selbst die Singvögel und Affen machten keinen Lärm, denn wer sich verkriechen konnte, verkroch sich vor den Wasserströmen, die vom gleichmäßig grauen Himmel niederrauschten.
Dem Nashorn war der Regen gerade recht, wenn auch keine Vögel kamen, um Maden auf seinem Rücken zu suchen und ihm das gewohnte angenehme Krabbeln zu machen. Auch die vier großen Gaure, die abseits am Flusse standen, um sich auf dem Marsche nach den Hügeln, ihrer eigentlichen Heimat, auszuruhen, fühlten sich im Regen wohl: lauwarmes Wasser auf die Haut ist angenehm und bekömmlich.
Die Vögel der Flußufer, Regenpfeifer und Schnepfen, Baumenten und Buntschnabelenten, Höckergänse und Teichhühnchen liefen trillernd und pfeifend, schnatternd und quäkend umher und machten sich ein Fest aus dem Regen, und die beiden Pelikane, die sich neben dem Nimmersatt und den riesigen Kropfstörchen niedergelassen hatten, verdauten ihre Fische mit größter Behaglichkeit und sahen den Kormoranen zu, die in langer Kette mitten auf dem Flusse ein Treiben auf Weißlinge veranstalteten und immerfort tauchten. Die Krokodile lagen in stiller Beschaulichkeit im Regen, und eine Glattotter zog langsam schwimmend über den Fluß, als wär's schon Nachtzeit und Mondlicht dazu.
*
Sir Francis Bridgeman hatte sich verspätet auf seiner Jagd, die dem großen Büffel gegolten hatte, In Begleitung seiner drei Hindus war er drei Tage im Boot, durchnäßt bis auf die Haut, stromabwärts gefahren und hoffte, nun bald den großen Strom und die Dörfer zu erreichen, um wieder zur Stadt zurückzukehren, in der er sein Haus und seinen Dienst hatte.
Um sich die steifen Gelenke wieder biegsam zu machen, war Bridgeman ausgestiegen und hatte Toomai, den Inder, mitgenommen, marschierte auf dem Büffelpfade und kam an den Fluß.
Er hatte ein gut Stücks Weg abgeschnitten, denn der Strom machte hier einen großen Bogen, und das Boot mit den beiden anderen Indern war noch weit.
Die Gaure hoben die Köpfe und machten sich auf: menschliche Witterung ist auch dem wehrhaften Büffel unheimlich. Sie verschwanden im Buschwerk und wateten langsam hügelwärts. Die Krokodile schoben sich langsam zum Wasser und glitten unter die braungelbe Flut, die Vögel trillerten und rauschten hoch; nur das Nashorn stand auf demselben Flecke, denn es hatte keinen Wind bekommen und war kurzsichtig von Natur.
Als der Hindu das Nashorn sah, erschrak er und flüsterte dem Jäger aufgeregt zu, er solle vorsichtig sein, denn ein Nashorn sei ein gar böses Tier und nehme mitunter unerwünschte Begegnungen übel.
Der junge Jäger war voller Jagdlust, als er die große, graue Gestalt erblickte. Er pürschte sich näher und schoß!
Plattenhaut bekam einen Schlag auf den Hals, spürte Schmerzen und drehte sich wutschnaubend um. Er schnüffelte, bekam fremdartige Witterung und rannte über die Sandbank – gerade auf den Feind zu.
Es knallte, dröhnender Schall brüllte von den Waldkulissen zurück – Plattenhaut fühlte einen Hieb gegen die Stirn, verlor einen Augenblick fast das Bewußtsein, rannte aber dennoch weiter, witterte den Feind ganz nahe, sah etwas Gelbes und Weißes, stieß darauf zu und unterrannte es mit dem Horn!
Der Schütze sprang im letzten Augenblick beiseite, bekam aber einen Stoß, flog, sich überschlagend, ins Dickicht, verlor seine Büchse und saß bis an die Hüften im feuchten Schlamm.
Das Nashorn raste vorüber, drehte um, suchte den Feind abermals, fand die Spur des Inders und tobte hinter Toomai her.
Der aber war schon auf einen Baum geklettert und sah von sicherer Höhe dem Graus da unten zu. »Sahib, Sahib – töte ihn, töte ihn!« rief er entsetzt aus sicherer Höhe.
Das war nun viel leichter gesagt als getan, denn der sehr ehrenwerte Sir Francis Bridgeman, Leutnant der Kaiserlichen Armee, saß bis zur Brust fast im weichen Tümpelschlamm, und seine Büchse steckte fünf Meter weiter mit den Läufen im Morast.
Plattenhaut tobte um den Baum, fuhr mit dem Horn in die Rinde, pflügte Grasplacken auf und warf die Büschel in die Luft, schnaufte und grunzte und kehrte plötzlich der Szene den Hinteren zu, als wäre nichts geschehen und als hätte es niemals Zweibeine gegeben, die harmlos ruhende Nashörner belästigen und kränken. Die Wunden waren nicht gefährlich, der Schmerz nicht groß. Und da ein Nashornhirn wenig faßt, kurz von Gedächtnis ist und selbstbewußt zugleich, meinte das Einhorn, es habe einen kleinen Kampf ausgefochten gegen irgendetwas und habe gesiegt. Glänzend gesiegt über einen fremden Feind. Und hochgemut zog Plattenhaut in gemächlichem Gang den Hügeln zu, wo es lange schon hinwollte, da ein braves Nashorn in der Regenzeit oben in den Auen und Schluchten der Hügel steht und nicht in der Ebene. »Pfauff« machte der Bulle noch einmal und war schon weitab vom Kampfplatz.
Als Toomai merkte, daß die Luft rein war, kam er herunter und sah nach seinem Herrn. Er nahm einen Stock und reichte ihn in das Sumpfloch – und der sehr ehrenwerte, gänzlich mit schwarzem Schlamm bedeckte, gänzlich verwirrte und sehr beschämte Sir Francis kam aus dem Morast hervor. Er untersuchte seine langen Glieder, fand, daß sie heil waren bis auf ein paar Schrammen und Beulen, daß aber die schönen Breeches eines neuen Bodens bedurften und der Khakirock von oben bis unten aufgerissen war. Den Tropenhelm fand Toomai, tief vom plumpen Nashornfuß in den Sumpf getreten, völlig geschwärzt und ohne Form, und die gute Doppelbüchse, die den vermeintlichen »Mankiller« getötet, mit den Läufen im Schlamm und mit zerbrochenem Schaft.
So kamen Herr und Diener zum Boot. Und die traurige Karawane fuhr stromabwärts in fließendem Regen. –
»Gut, daß wir morgen in der Station sind«, tröstete Toomai.
»Inschallah«, sagte der eine der Ruderer, denn er war ein Gläubiger des Propheten und ein Gurkha vorn Norden her.
»Ja – wenn die Götter wollen«, murmelte der zweite Hindu.
Der Brite aber, Sohn eines reichen Großfarmers und Leutnant Ihrer Majestät, saß ruhig im Kahn und hatte Würde und Ruhe längst wieder zurück. »Goddam«, sagte er, stopfte sich eine Pfeife, ließ sich Feuer geben und blies nachdenklich die blauen Wölkchen seines Shags von sich. Er war keine Memme, nein, beileibe nicht. Und er sann auf Rache ...
*
Am Abend bezog sich der Himmel rabenschwarz. Es grollte und murrte, es zuckte fahlblau und gelbrot. Und der Regen schoß in Masten nieder ins dampfende Land, plätscherte, trommelte, rauschte ...
Und Blitz auf Blitz zuckte, schwefelgelb leuchtend, blau und grün, rot und weiß, Donner krachten, rollten, brüllten. Schwarze Nacht, taghelles Blendlicht, fahrende Funken, schlängelnde Blaustrahlen, brüllendes Krachen, Schmettern, Flammen. Wassermassen in Strömen, in Kaskaden, in wüstem Schwall. Und der Fluß wuchs, ward zum tosenden Strom, ward zum wogenden, grellzuckend beleuchteten See, zum Meer.
Eine Katastrophe schnob über das sturmgepeitschte Dschungelland, eine Sintflut. Dampf, Nobel, Dunst und heißer Brodem, warme Himmelsströme. Die Bäume des Waldes wankten, zitterten, krachten in Blitzschlag und Sturm, die Wolken senkten sich in die Wipfel des Hügelwaldes wie schwere Ballen, jagten wie Schleier, wie Rauch. Und die Fluten schwollen, rauschten, brüllten. Der wilde Südwestmonsun schnob über Indien. –
Oben in den Tälern der Golden Hills und Blue Hills fiel der Regen milder, war der Wind schwächer, zuckten die Blitze weniger grell. Der Boden grünte, Blüten taten sich auf, die Blätter schossen aus den Zweigen der Bäume, und der Trockenwald ward neu. In den ersten Marschnächten waren die Elefanten noch tief unten an den Hängen, wo der Regenwald langsam und allmählich in den Bergwald übergeht. Hier wucherten Lianen an Ebenholz und Rotholz, vereinzelten Coobäumen und anderen, immergrünen Laubbäumen, hier gab es Bärlapp und Orchideen, wilde Kokos- und Phönixpalmen, viele Kletterpflanzen und Baumwürger, Bambus von großer Höhe und dicke, gewaltige Stützäste, Luftwurzeln und Brettwurzeln. Dann änderte sich das Waldbild. Es traten mehr Bananenbäume und Baumfarne auf, schönes Moos und Haarfarn, Wiesen waren zu sehen, verwilderte Fruchtbäume – ein Rest aus alter, uralter Zeit. ... Dort liegen auch alte Gemäuer, Tempel, in denen einst die Menschen zu den Göttern beteten. Und Schlösser, in denen mächtige Fürsten wohnten, die in den Grüften der Hügel ruhen, deren Zeit so schön und reich, voller Kunst und Heldentum war. Kein Heldenbuch, keine Chronik nennt die Namen der Geschlechter, die Namen der Elefanten, die ihnen dienten ... Nur die Sage raunt unter den Büschen und Bäumen, spinnt um die Haine, um die sprühenden, rauschenden Wasserfälle ...
Nur Steine reden noch zu den Menschen. Aber es ist ein Geschlecht im Walde Indiens, deren Älteste die Sage, die Überlieferung bewahren in ihrem tiefen, treuen Sinn. Das sind die Riesen des Waldes, die Elefanten. Denn die Götter Brahmas gaben ihnen den Sinn der Vergangenheit und der Zukunft, wenn sie alt werden. –
Das grobe, aber feinblätterige Gras ist saftgrün, an den Bäumen sind Lianen angeschmiegt, Haarfarne wachsen aus goldgrünem Moos, Kardamomstauden wuchern, in wirrem Netzwerk leben Orchideen. Große Wälder von Rohr wuchern, Ebenholz wächst in den Tälern, in herrlichen Bögen, wie mächtige Sträuße schießen hohe Bambusse auf, in Gruppen, in Familien. Dazwischen wächst hohes Elefantengras und Calamusrohr.
Noch einen Tag der Wanderung – der Wald ist lichter. Hier wachsen noch Teakbäume und Gamboges, Rosenholz dazwischen und Palmen, hellgrüner Itahdschungel ist in den Senken, Gurukustämme bilden tiefes, schwerdurchdringbares Dickicht, Baumfarne zeigen starke Bestände, überall wuchern Schlingpflanzen. Und weiter oben zu den Spitzen der Hills dehnt sich das Parkland der Hochebene, über der die Spitzen der Hügel und Berge liegen. Dort, zwischen Felsen, wuchern, blühen in zarten Farben Rhododendren, Felsen schimmern im Licht, im feuchten Glanz des Monsumnebels, hier leuchtet tags gar oft zur Regenzeit die Sonne, und der Adler kreist hoch im Blau.
Tiefe Elefantengrasdschungel liegen unter den Spitzen der Hügel und unter dem Parkland. Auch Speerbambuswälder sind in den Tälern, viel buntes Buschwerk liegt wirr in den Hängen.
Und weiter im Parklande liegen Dörfer der Menschen und ihre Pflanzungen bunter Art.
Während der Regenzeit steigen, die Elefanten hoch auf die Hills. Und viele von ihnen, die im tiefen Flachlands standen, gehen bis in die hohen Ghats, die »Treppenberge« hinauf. Denn die Ghats sind ein Paradies.
Viel, viel Nahrung gab es jetzt in den Hügeln. Und die Elefanten der Herde Baumbrechers beschlossen im Rat, lange dort zu wohnen. Sie trafen auch auf fremde Elefantenherden, sie begegneten Nashörnern aus dem Norden, sie fanden viele Affen und Vögel, und sie fanden viele Schlangen. Und Tüpfelbalg war da, der Leopard, Breithorn, das Ungeheuer aus der Gaurfamilie mit seinem Anhang, Antilopen kamen, Zibetkatzen und Mungos, Füchse und Schakale, und auch Streifenfell, der Tiger, war da und viele seiner Sippe mit ihm.
Donner rollten, Regen rauschte, und die Natur war schön und reich. Und nach Schrecken und Blitzdonner kommt warmer Sonnenschein und milder Regen, befruchtend, segnend. Gütig sind die Götter, denn sie lieben ihr Land und ihre Geschöpfe. Wo aber wäre es, wo es nicht Tod und Verderben gäbe nach Werden und Leben? Wo wäre es, wo man nicht spürte des Lebens genug nach des Todes Wechsel? – Denn ein Wechsel im Leben nur ist Tod und Vergehen. Ewig ist dies Gesetz, denn es ist das Gesetz der lebendigen Götter. –
*
Ghautal und Mali, sein Sohn, waren in den Wald und die Dschungeln geflohen, als der erste Angriff des bösen Rogue, des Altelefanten, erfolgte. Als Stumpfzahn im Dörfchen wütete, flammte eine der Hütten auf, da das Küchenfeuer das herabfallende Dach erfaßt hatte. In der Helligkeit der Flammen glaubte der erfahrene Hindu den Makna, den alten Stumpfzahn, zu erkennen. Einer Eingebung folgend, schlich er sich in die Nähe des tobenden Riesen und rief ihm beruhigende Worte zu, die Worte, die alle Mahouts den Elefanten zurufen, wenn die Tusker wild und tobsüchtig werden.
Denn Ghautal war der Sohn des großen Mahouts Ghautal, des Mahouts von dem Sahib am Meere, und sein Vater, Ghautal der Ältere, war Führer eines Arbeitselefanten gewesen, der plötzlich wütend und widerspenstig wurde, als Ghautal gestorben war und ein fremder Tamile sein Mahout geworden. Der Erzählungen des Vaters eingedenk, beschloß Ghautal, einen Versuch zu machen. Vielleicht war dieser Rogue ein entwichener Arbeitselefant? Vielleicht war er gar derselbe, den Ghautal, der Ältere, führte! Dann war dieser Stumpfzahn kein anderer als Kara-Pudmi, der Ausbrecher, der einst seines Großvaters Tusker war ...
Ghautal schlich sich in die nächste Nähe. Sein Herz klopfte, denn die Gefahr war groß. ... Als der Hindu dicht neben dem Wütenden stand, rief er mit sanfter Stimme: »O Schönster der Schönen, du Perle unter den Elefanten, du Großer, Starker, Fleißiger und Kluger! Schone dies Dorf, o Liebling der Götter und Menschen!«
Und – ein Wunder geschah! Der gewaltige Elefant aufmerksam mit den Ohren und stand still; er stieß ein freundliches Brummen aus und zog langsam fort, ganz langsam. Und das Dschungel schlug hinter ihm zusammen.
Ghautal rief nun die geflüchteten Leute zusammen. Nur ein Mann fehlte: der lag tot unter seiner zusammengestürzten Hütte. Neben ihm der von einem herabgefallenen Sparren erschlagene Hausaffe. –
Der alte Appa kam zuletzt angehinkt – ihn traf ein starker Bambus vom fallenden Häuschen am Bein.
So waren denn fast alle wieder zusammen, und Ghautal beruhigte die Leute und erzählte, wie er den Elefanten besprach. Da staunten die Männer, und die Weiber bewunderten Ghautal, den Weisen, noch mehr als früher.
Schon am nächsten Tage begannen die Leute, die Hütten wieder aufzubauen. Sie rammten hohe, starke Pfähle aus Teakholz ein und bauten aus Bambus und Stangen die Plattformen, die Wände und den First. Und sie bekleideten die Wände dicht mit geflochtenem, dünnem Bambus und Rohr. Pfahlbauer ist der Mann im fernen Dschungelbusch, denn es gibt wilde Tiere im Dschungel und giftige Schlangen ...
Als dann Ghautal mit seinem Sohn abends in der Hütte saß, berichtete er von Kara-Pudmi, dem entflohenen Altelefanten seines Großvaters. So kam die Kunde vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel, vom Enkel auf den Urenkel, wie die meisten Dinge in Indien. – Und da der Sinn der Leute einfach, ist ihre Kunde schlicht und wahr, wahrer als die in den Büchern der weißen Leute der Stadt.
Mali aber, Ghautals Sohn, war fünfzehn Jahre alt zu dieser Zeit. Und er bewahrte die Kunde in seinem Herzen und dachte täglich an Kara-Pudmi, den alten Elefanten, und an alles, was er gehört. Denn Vaters Wort ist heilig im Dschungel. –
Mali war ein Jäger geworden wie Ghautal, sein Vater. Ein Jäger auf böses Raubgetier, kein Jäger auf harmloses Wild. Denn der Mann des wilden Dschungels verschmäht das Fleisch, wenn er ein frommer Gläubiger Brahmas geblieben ist. Es waren ihrer aber viele, die Fleisch aßen im Dorf, und ihr Geruch war der des Tigers ...
Zorn und Bosheit machen böse Witterung, Neid und Habsucht geben bösen Geruch. Und wer Fleisch ißt, riecht nach Raubtier in heißer Tropenglut. Darum meinen die Inder, der weiße Mann röche nach Tiger ... .