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Zwölftes Kapitel.

In diesem, letzten Abschnitt unserer Geschichte von Radha, dem Liebling der Götter, erfahren wir, wie Malis Sohn Putna-Appa zum Dschungeljäger wird und wie er mit Ghautal und Mali im Dschungel lebt. Wie die Jäger ihren Schwur halten und nicht zurückkehren, ehe sie Radha wiederhaben; wir hören vom Kummer des Maharadscha. Dann aber kommt die schöne Zeit, und Mali findet Radha. Sudu kommt mit Kara-Nagh, um Radha zu holen. Vom Vollmondtanz der Elefanten und von Kara-Nagh und Radha. Wie die Freunde die Sonne begrüßen, und von den Ameisen. Wie Radha wieder in die Stadt der Tempel und vergitterten Balkone kommt und wie er einen großen Saphir bekommt. Vom Feste des Maharadschas und von der neuen Kaste Ghautals und Malis. Barrao! Barrao!

 

Mali lebte im Walde mit seinem jungen Weibe und Putna-Appa, seinem Sohn, dem Dschungelgeborenen. Ghautal, der Alte, war bei ihnen und jagte mit ihnen im Dschungel, jagte den Gestreiften mit Fallen und den Leoparden mit Gruben und Schlingen, fing das rasselnde Stachelschwein und tötete den Keiler, fing die zischende Giftschlange und die wilde Dschungelkatze und schoß den Dschungelhahn und die Taube zur Nahrung, denn die Jäger essen Fleisch, das nicht vom Rinde ist, dem heiligen Tiere Wischnus. Als Putna-Appa, dem alten Appa, den der Bär tötete, zu Ehren genannt, zwölf Jahre alt war, tötete er mit dem Pfeil einen Bären. Und Mali nahm das Blut eines jungen Dschungelhahnes und bestrich die Stirn seines Sohnes damit, zum Zeichen, daß er ein Jäger geworden.

Silberfäden waren im Bart Malis, Schnee war der Bart Ghautals, des Alten. In Eintracht lebten Ghautal, Mali und Nara, sein Weib, mit Toomai, dem Greisen, und Toomais Sohn, denn auch Toomai jagte im Dschungel.

Sie gingen auf der Elefantenfährte, die Jäger. Denn sie waren eingedenk des Schwures, den sie taten: niemals kehren Ghautal und Mali zurück, ehe sie Radha gefunden, ehe Radha ihnen folgen würde, Radha, der Verlorene. – Als die Mahulablüte fiel, fand Sudu die Jäger. Auch Kara-Nagh mit den andern Elefanten war da und Francis und Rakhna. Denn Mali hatte die Fährte der Herde Radhas gefunden, tief innen im Itahdschungel der Hills. –

Und Mali zog aus mit seinem Sohne, Ghautal mit Toomai, um die Spur zu verfolgen, die breite Fährte, die sich in die Hills hinaufzieht zu dieser Zeit – denn bald war Vollmond und Wendezeit – die Zeit der Elefantentänze auf dem Hochlande im Dschungel.

So kam es, daß Mali und Putna-Appa sich bis dicht an die Herde schlichen. Sie hörten das Poltern der mächtigen Mägen und Eingeweide, sie hörten die Ohren klatschen und die Rüssel schnauben, das Krachen der abgerissenen Zweige, der gebrochenen Bäume. Und sie wagten kaum zu atmen, als sie ihn sahen, den Fürsten der Dschungelriesen, Radha, den Elefanten mit den vergoldeten Zähnen.

Auch Ghautal und Toomai waren zur Stelle. Mali sandte seinen Sohn durch das Dschungel, um Sudu zu holen und Kara-Nagh und die anderen. – Er ließ Sir Francis sagen, er möge im Dörfchen bleiben, denn der Elefant ist mißtrauisch gegen den weißen Mann, den Kalten. –

Traurig fügte sich der Weiße. Er wußte – es war etwas Fremdes zwischen ihm und Indien, dem Lande, in dem er geboren, das er so liebte. Denn das Blut ist's, das bestimmt. – Soviel er auch lebte im Dschungel, so sehr er eindrang in die Natur, soviel er erkannte und wußte, er, der Schwärmer – sein Blut war wider ihn hier unter dem heißen Himmel, dem Himmel der fremden Götter ...

Es war ein breites Tal der Trennung zwischen Nordlands Sohn und dem Heißblut auf Wischnus Erde. Das fühlte Francis gar wohl – auch im Verkehr mit dem Fürsten, dem Freunde. Dessen Trauer ging ihm ans Herz, doch verstand er sie nicht. Selbstlos zog er ins Dschungel, um zu helfen, Radha dem Fürsten wiederzubringen. Aber er verstand nicht, welchen Kummer jener empfand. Er wurde feierlich gestimmt, wenn Ungewöhnliches geschah, wenn sein Fuß den Kreis der Wunder, des Zaubers streifte, es war ihm bang zumute und scheu, als er im Todestale war – aber er verstand nicht Kara-Nagh, nicht die Sterbende, wie Sudu, der Sohn Indiens ... Er war ehrfürchtig und liebte das Schöne – aber es blieb ein Geheimnis für ihn ...

Geheimnis bleibt Wischnus Erde dem Fremden, dem Kalten. –

*

Großmächtig stand die Juliwolke über Hills und Dschungel, ihre Regen brausten, die Flüsse wuchsen. Dann zerflatterte die Wolke, löste sich auf, und das Götterlicht flutete über Indiens Hügel. Blumen blühten mit doppeltem Duft, Falter flatterten, Käfer summten, Bienen und Honigsauger; in Schwärmen spielten die Mücken, Spinnen krochen, spannen, Vögel flöteten und kreischten, und die Zikaden geigten bei Tag und bei Nacht. Wenn aber der Mond über den Wipfeln geisterte, brummten feurige Lichter, die glühenden Käfer des tropischen Waldes. Tags krochen die Ameisen in Scharen und schleppten und bauten an mächtigen Burgen, über und unter der Erde, Sklaven der Zangenameisen, die sie hielten wie Zwingherren zu lebenslänglicher Zwangsarbeit. Sie gaben ihnen Nahrung, sie züchteten sie wie Hausvieh, sie ließen sie süße Insekten und Wanzen füttern, die milchenden Kühe, sie hießen sie Puppen tragen und Larven und schützten sie gegen Angriffe von anderen Völkern – aus Eigennutz nur, nicht aus Liebe. In der Ameise spiegelt sich die Welt, das ganze Geschehen, spiegelt sich das Wesen der Völker der Menschheit, aller Kultur. Freiheit hat nicht der Sklave, nicht der Zwingherr, denn Freiheit ist Phantom. So alt sie ist, die Erde in Nord und in Süd, Ost und West – noch nie ward die Freiheit geboren. Unfrei ist der funkelnde Trabant am Himmel, gebunden an seine Sonne, die Mutter, unfrei die Sonne selbst, denn über ihr steht eine größere, die Sonnengebärerin. Und auch diese ist unfrei, dreht sich um anderes, und das andere dreht sich um Fernes, Fernes um Ferneres in schrecklicher Unermeßbarkeit – im All, das sich dreht, drehen muß – um ein größeres, ferneres All ... Unfrei die Götter, unfrei die Sterne, unfrei die Welt. Und unfrei alle Kreatur auf ihr, gebunden, gefesselt in alle Ewigkeit. Unfrei alles, gebunden an das Gesetz, gefesselt, Sklave ...

Freiheit ist ein Wörtlein der – – Narren. –

Der große Unfreie, der Weise kam, um den zu holen, der sich frei dünkte – Radha, den Fürsten des Dschungels. Er wuchtete seinen Riesenkörper durch das Gestrüpp, durch Schlingranken und Busch, er trug seine Lenker, die er lenkte, er – Kara-Nagh, der Getreue.

Sudu saß auf Kara-Naghs Riesennacken, Malis Sohn war bei ihm. Und auf Bürstenwedel kam Rakhna geritten mit Ghautal, auf Trampelmann saß Mali, auf Pyari Toomai. Es war eine lange Reihe der mächtigen Elefanten.

Die Sonne sank glühend hinter den Blue-Hills, und der Mond schob sich über den Rand der Berge im Osten.

Still war's im Busch. Nur die Zikaden zirpten, fern brüllte ein Tiger, und Leuchtkäfer surrten um Blätter und Blüten. Das Dschungel glänzte im Tau. Höher, höher stieg die bleiche Scheibe, stand oben am tiefblauen Himmel. Fern, unnahbar weit, klein schien des Mondes eisigtotes Antlitz. Schwach flimmerten Indiens goldene Sterne.

Leiber traten auf die Wiese, Massen, grauglänzend im Licht. Rüssel schwankten, mächtig gewölbte Stirnen schimmerten, Ohren fächelten, Zähne blitzten. Und vor allen schritt in Majestät – er, der Fürst, der Goldgezähnte. Hundert Säulen stampften im Schritt, im Tritt, im Tanz – Boden dröhnte, Erde zitterte im Vollmondtanz. Leiber schwankten, hoben, senkten sich, Rücken glänzten, Rüssel schwenkten, pendelten ... Das war der große Tanz, der Elefantentanz!

Ketten rasselten: fremde Elefanten, wer weiß woher, gesellten sich zu den Reihen, Tusker, die von weitem herkamen, um teilzunehmen am Reigen, die morgen wieder zurückkehren würden zur Pflicht ...

Eine Nacht Freiheit der Sklaven der Arbeit – um Sklaven zu werden der Lust, Sklaven des Dranges der Leiber, der Brunst ...

Ketten rasseln – auch Ketten des Schicksals, unsichtbar, doch stärker denn Ketten aus Stahl ...

Gegenüber dem Goldgezähnten – Stirnen gegen Stirnen – schiebt sich die Reihe der Fremden, der Tusker. Und Kara-Nagh ist vor ihr. Und die Tusker tanzen, schreiten, treten den Tanz der Jahrtausende, gegenüber den Elefanten des Dschungels mit schwankenden Rüsseln, Rücken, Leibern ...

Ein Stutzen drüben. Dann aber setzt sich der Tanz fort, als wäre niemand erschienen, als wäre nichts geschehen. Im Takt. –

Es ist als töne ferne, dumpfe Paukenmusik dazu, rhythmisch, ein Läuten ... Die indische Welt läßt ihre Glocken klingen, ihre dröhnenden Pauken. Der Vollmondtanz dröhnt im Dschungel, und alles schweigt.

Kaum halten sich die Mahouts auf den Nacken ihrer Tiere. Sie schauern, sie fürchten sich. Wischnus Geist ist hier auf dem Plan, Schiwas, Krischnas, aller, aller Götter ...

Plötzlich stehen die Elefanten still – dröhnendes Trompeten tönt. Und Kara-Nagh tritt auf den Goldgezähnten zu Die Rüssel umschlingen sich. Werden die Mächtigen kämpfen? Groß ist Radha, großmächtiger Kara-Nagh. Die Rüssel lassen voneinander, die Zwiesprache beginnt. Ohren klappen, kleine Augen blinken. Hoch erhoben gegeneinander sind die Rüssel wie Riesenschlangen. Und Kara-Nagh spricht ...

Der goldzähnige Radha hört. Er steht regungslos, den Blick gerichtet auf Kara-Nagh – Sudu, Mali, Ghautal lauschen. Dumpf murmelt der Altelefant.

Er greift mit dem Rüssel rückwärts – nach Sudus Hand, die die Blume hält. Hell strahlt in silbernem Licht, in leuchtendem Glanz die Lotosblume, die längst verwelkte, die wiedererwachte, glüht in mildem Schein.

Und Kara-Nagh murmelt. –

Da tönt ein Schrei – ein furchtbarer Schrei! Radha wirft den Rüssel empor – schlingt ihn um Kara-Naghs Haupt – Kara-Naghs Rüssel wirft sich um Radhas Hals ... So stehen sie lange – die Finger der Rüssel fahren sacht, liebkosend auf der Haut des anderen hin und her ... Die Lotosblume steht auf Radhas Haupt – leuchtet ... Ein Knabe hält sie in seiner Kinderhand ...

Dann aber reihen sich die Elefanten in langer Linie, wilde und Tusker. Und dröhnend stampft der Vollmondtanz, bis die Sonne hinter den Hügeln aufglüht im Nebel.

Neben Radha tanzt Kara-Nagh, neben Pyari ein Fremder, dabei ist Bürstenwedel zwischen zweien der Wilden, Trampelmann inmitten der Schar ... Dumpf dröhnt die Erde, Steine rollen. Staub fliegt.

Und die Hochzeit der Elefanten vollzieht sich in mildleuchtender Frühe. –

In der Knabenhand Putna-Appas glänzt die Lotosblume auf Radhas Stirn!

Es ist still. Die Elefanten verstreuen sich – hierhin, dahin. Die wilde Herde folgt einem der großen Ihrigen hinter der Leitkuh.

Bergab aber zieht eine Reihe mächtiger Tusker. Kara-Nagh ist vor allen mit Sudu, und Pyari ist da mit Toomai. Dann aber schreitet, jauchzenden Knaben auf mächtigem Nacken, der Goldzähnige daher, Trampelmann folgt, Bürstenwedel und alle die anderen. Putna-Appa hockt auf Radhas Nacken, ohne Ankus und Stab – frei, glücklicher Sohn glücklichen Vaters. In seiner Hand glüht die heilige Blume. –

Als die Sonne über die Hügel flammt, breiten die Männer die Arme aus und grüßen das Licht.

Da zerfällt die flimmernde Blüte zu Staub in der Hand des Knaben. Sie ist zurückgekehrt in den Teich am Tempel, ins Tal der Erfüllung ...

*

Als Francis Bridgeman den Zug erreichte, bestieg er Kara-Naghs Hals. Ein Triumphzug war's, als die Reihe der Elefanten die Stadt am heiligen Strom erreichte, die Stadt der Tempel und Moscheen, der Büßer und Pilger, die Stadt der schönen Frauen hinter vergitterten Balkonen, die Sagenstadt.

Dumpf hallten die Schritte der Elefanten.

Tamtams heulten, Flöten klangen, Schellen. Und auf weißem Roß ritt der Maharadscha dem Zuge entgegen.

Ein großes Fest wurde gefeiert, ein Fest den Göttern, den Menschen.

Vor dem Thronbaldachin des Maharadschas stand Radha, der Wiedergeschenkte. »Radha, du Geliebter, du Schönster unter den Elefanten, o Radha! Weißt du, welche Tränen ich um dich verlor, du Kummer meiner Nächte? Die Götter selbst weinten um dich, o Radha! Nimm hier den Saphir, trage ihn auf deiner Stirn, die die heilige Blume trug, als Zeichen meiner Freude! Trage ihn, umgeben von Rubinen und einem Schilde aus Edelgestein, an goldenen Ketten! Golden sei die Kette deiner Gefangenschaft ...«

Mädchen kamen, tanzten, schmückten Radha mit Landablüten. Und Rosen fielen auf seinen Weg.

»Kara-Nagh, du Starker, du Weiser! Habe Dank, ewigen Dank!« sprach der Fürst und schmückte die Stirn des Elefanten mit goldenem Kleinod.

»Hoheit!« sprach Francis Bridgeman, »er ist mein bester, mein stärkster und klügster Elefant, Kara-Nagh, der Treue! Nehmt ihn von mir zum Zeichen meiner Freundschaft, ihn, den Retter aus Euerem Kummer! Er wird den Jagdelefanten voranschreiten auf Euren Tigerjagden, er wird die Haudah Eurer erlauchten Gemahlin tragen! Nehmt ihn, Hoheit!«

Da umarmte der Fürst den Briten und nannte ihn Bruder. Er schenkte ihm herrliche Steine und Teppiche als Gegengabe und lud ihn zur Jagd auf sein Schloß im Gebirge.

»Ihr aber, Ghautal und Mali,« sprach der Fürst, »gehöret von heute ab zu einer höheren Kaste, und Sudu wird der Leibmahout meiner Gemahlin und bleibt bei Kara-Nagh, dem Klugen und Getreuen! Bringt die seidenen Turbane«, befahl der Fürst den Trabanten, »und gebt den Männern die seidenen Umhänge! Auch du, Toomai, bleibe bei mir – nie werde ich deiner Dienste vergessen!«

Lauter Gong folgte den Worten des Fürsten, Pauken dröhnten.

»Du aber, Kleiner,« wandte sich der Maharadscha an Malis Sohn, »Putna-Appa, du Unerschrockener, der auf Radha ritt, du bleibst bei mir als mein Diener und Jäger! Stimmet alle an das Hoch auf den kleinen Elefantenreiter, der beim Mondscheintanz auf Radhas Nacken sprang und die Lotosblume in die Hand nahm, die Blume, die allen bösen Zauber bannt! Nur in der Hand eines unschuldigen Knaben konnte sie Wunder verrichten! Hoch der tapfere, der kleine Putna-Appa! Barrao! Barrao!«

Da hoben alle die Hände und stimmten in den Hochruf ein. Die Elefanten aber schlugen die Rüssel hoch, trompeteten und hoben die Beine im stampfenden Takt:

»Barrao! Barrao! Barrao!«

*


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