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In das Reich der Malaien.

Obschon den Malaien engverwandte Stämme auf Borneo, Celebes, den Sundainseln, Java und Sumatra wohnen und Malaiisch durch ganz Niederländisch-Indien als Hauptsprache gesprochen wird, liegen die eigentlichen Malaienstaaten doch jenseits von Singapore und enden an der Grenze von Siam einer-, von Birma andrerseits. Nun sollte ich in dieses neue und weit unbesuchtere Gebiet als Java kommen.

Singapore liegt nicht, wie häufig angenommen wird, auf dem Festlande selbst, sondern auf einer so großen Insel, daß man hinter der Stadt kurz nach meiner Ankunft einen Tiger schoß, der über den nicht lange bestehenden Damm von Johore, dem unverbündeten Staat, herübergekommen sein mußte.

Die politische Einteilung ist ziemlich verwickelt. Singapore mit den ganzen Straits Settlements von Penang, Port Swettenham und so weiter gehört direkt unter die britische Krone, während das große und reiche Hinterland in die verbündeten Malaienstaaten von Negri Sembilan, Selanger, Perak und Pahang und in die unverbündeten oder unabhängigen Staaten mit eigenem Sultan von Johore, Trengganu, Kelantan, Kedah und Perlis zerfallen. Der Hauptreichtum der Staaten besteht in Zinn und in Kautschuk, die beide in großen Mengen ausgeführt werden. Perlis besitzt überdies Guanofelsen, sehr viel Fische und so viel Geflügel, daß jährlich 220 000 Eier ausgeführt werden; Johore hat Eisenerz, das besonders nach Japan verschifft wird, Kelantau erzeugt die prachtvollen Seidenschals (Hausindustrie), Trengganu führt über 5000 Tonnen getrocknete Fische aus, macht schöne Arbeiten aus weißem Messing und stellt einfachere handgewebte Sarongs, mit Gold- und Silberfäden, in einzelnen Dörfern her; doch Kautschuk und Zinn werden in Perak und Selanger gewonnen, weil man da die chinesischen Kulis einerseits, die Hinduarbeiter für die Pflanzungen andrerseits angeworben hat, denn der Malaie liebt, pilgert nach Mekka, fischt und tötet, aber er arbeitet nicht. Es ist das Schicksal eines Menschen in den Sternen geschrieben: Steht Geld darin, bekommt man es ebenso; steht kein Geld darin, nützt alles Arbeiten nicht. Ich war halb geneigt, diese Anschauung in Zukunft zu der meinen zu erheben.

 

Die Landungszwickmühle.

Einen Tag vor unserer Ankunft in Singapore verbreitete sich die Nachricht, daß in der Stadt die Cholera ausgebrochen sei, und niemand ans Land dürfe, außer denen, die hier ausgeschifft wurden, die aber dafür auch nicht wieder auf das Schiff zurückdurften. Das bedeutete, daß man mit seinem Gesamtgepäck herabklettern mußte und nicht erst eine Wohnung suchen konnte. Wohl hatte ich die Adresse einer guten und billigen Pension, aber immerhin war es besser, zu fragen. Unter den Umständen blieb mir natürlich nichts übrig, als einen Wagen zu nehmen und dahin zu fahren, denn in Singapore bleiben wollte ich, da ich erst das Geld aus Siam abzuwarten gedachte. Meine Mutter hatte so oft schon an jenen Herrn geschrieben, daß ich sicher war, auf den ersten Anruf hin Geld zu erhalten. Wie man im Leben oft zu sicher sein kann!

Am Morgen fuhren wir in den rühmlichst gelobten Hafen von Singapore mit seinen schönen Hafenbauten, den unzähligen Schiffen aus aller Herren Ländern, den Buchten und Parkanlagen, den Inseln und Vorinseln ein. Schlimme Menschen wurden da einmal in Steine verwandelt, behauptet man. Was man über die Vorgeschichte dieser, der wichtigsten Stadt an der ganzen siamesischen Küste weiß, ist nur, daß der Sohn Sang Superbas, der sich die Gunst des Häuptlings von Palembang auf Sumatra zugezogen hatte, weil er behauptete, ein direkter Nachkomme Alexanders des Großen zu sein, ans Festland fuhr und im Jahre 1160 eine Stadt gründete, die in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts vom Radja von Majapahit angegriffen und durch Verrat erobert wurde. Später wurde die Stadt der Sitz der ostindischen Gesellschaft, und l819 kaufte der vielbeschuldigte, doch im Grunde sehr tüchtige Raffles die Insel dem Sultan von Johore ab und verwandelte sie in einen Freihafen. Seither ist Singapore ständig gewachsen und heute, wie schon erwähnt, der einzige Hafen, den alle Schiffe, – sie mögen nun kommen, woher sie wollen oder fahren, wohin es ihnen beliebt – unfehlbar anlaufen, sei es um Post, Kohle oder Lebensmittel an Bord zu nehmen, sei es, um sich neue Papiere und Ersatzmannschaft zu beschaffen, sei es nur, um auch hier im herrlichen Becken einmal ganz sturmgesichert zu ruhen.

Von hier waren es gerade noch achttausend Meilen bis Europa …

Die Reisenden waren schon alle abgefertigt, und nur mich hielt der Beamte noch zurück. Ich hatte einen Paß, wie ihn sonst niemand hatte, und was in aller Welt war ein Jugoslave? Etwas ganz Seltenes, das man erst gehörig untersuchen mußte, und das man nicht wie Trixi und Pixi ins Land lassen durfte. Das mir, die ich weniger wog als mein bescheidener Koffer!

Malaienstaaten: Ein Krokodil.

Ich war neuerdings bereit, wie der Vater Flucher des Märchens zu klagen, daß alles Glück nur für die anderen und alles Pech auf Erden für mich bestimmt war, als der Inspektor begütigend hinzufügte, daß ich trotz meiner möglichen Erzgefährlichkeit ans Land dürfe, mich aber um Punkt elf Uhr beim Paßamt der Polizeiabteilung im Innern der Stadt melden solle, weil man sich bis dahin schon überlegt haben würde, inwieweit ein Jugoslave das Reich vernichten oder nicht vernichten konnte. Damit war ich in Ungnaden entlassen und schritt über Deck, um mein Gepäck zu holen, das samt den schaurigen, zwei Meter langen Neu-Guineapfeilen gegen die Reeling lehnte und das zwei Mitfahrende eifrigst untersuchten, da sie meinten, es müsse ein Forscher sie aus den Tiefen gebracht haben. Mein Träger kam, und ich ergriff die Speere selbst. Die Herren lächelten und riefen: »Platz für die Waffen!« Wenn diese ungefährdet durchkamen – das wußten sie – kam auch ich durch das Gedränge. Und mich hatte der Schutzmann (ohne Pfeile nota bene) gefährlich gefunden! Wenn ich diese heilsame Angst nur einer einzigen saumseligen Schriftleitung hätte einimpfen können! Aber d i e fürchteten sich wahrlich nicht …

Die Holländer (sie mögen das freundlichst entschuldigen und ein andermal um einige Grade wärmer gegen Fremde sein!) machten in meinen Augen alles verkehrt. Da hatten wir also die Cholera in Singapore, und kein Reisender (der ohnedies nie in die einfachen Hafengastlöcher gegangen wäre) durfte landen, aber die hiesigen fragwürdigen Händler standen unten auf dem Damm und boten ihre Waren feil. Alle schmutzigen Kulis durften die Warensäcke unbeschadet aufs Schiff tragen, und die Agenten konnten drinnen an der Schiffsbar lehnen und zechen. Kam dadurch die Cholera weniger aufs Schiff? Nein. Aber die Reisenden mußten möglichst geärgert werden.

Ich winkte der » Koningin der Nederlanden« Lebewohl zu und dachte mir, daß mich Niederländisch-Indien nie wiedersehen würde.

 

Beim nettesten Generalkonsul der Welt.

Diese Plagen! Die genannte Pension, die weit draußen um einen Hügel gelegen war (wo ich nie eine Wohnung gesucht hätte!) war überdies voll besetzt, zwei weitere Hotels ebenfalls, und ich konnte nicht in alle Ewigkeit mit einem teuren Mietswagen von Pension zu Pension fahren, daher bat ich, im Empire-Hotel (der stolze Name zeigte ein sehr einfaches Absteigquartier im chinesischen Hafenviertel) mein Gepäck hinterlassen zu dürfen, bis ich irgendwo Unterschlupf gefunden hätte, und weil ich mehrere Tage zu bleiben versprach, richtete mir die Frau sofort ein kleines Zimmer zurecht, das die Straße überschaute und zu dem eine lange, finstere Galerie führte.

Es war zwischen zehn und elf Uhr, ich hatte Zeit. Aus wie vielen Zufälligkeiten ein Menschenleben zusammengesetzt ist! Die Unfreundlichkeit oder eher die Wachsamkeit der Behörde, das fragliche Zimmerchen, die nötige Zeit – alles bestimmte mich, Herrn von Keßlers Rat zu folgen und Legationsrat Weber, den reichsdeutschen Generalkonsul in Singapore, zu besuchen. »Der Herr interessiert sich für die Presse!« hatte er gemeint, und das überwog endlich meine Bedenken. Ich würde gehen. Beißen konnte mich niemand. Diesen Trost wenigstens flüsterte ich mir im Aufzug beruhigend zu, dann stand ich im zweiten Stock des Union Building und dem Adler gegenüber.

Singapore: Blick von der Cavendagh-Brücke.

Die junge Dame, die mir entgegenkam, hielt nicht viel von meinem Hut (ich auch nicht), lächelte mir aber dennoch begütigend zu und fragte, was ich eigentlich vom Generalkonsul wollte. Die Frage warf mich eine Sekunde lang aus dem Sattel, denn im Grunde wollte ich nichts. Höchstens ihn anschauen, und das zu äußern, wäre grausig und frevelhaft gewesen. So sagte ich bescheiden, daß ich Grüße von der Behörde in Batavia auszurichten hätte. Ein Empfehlungsschreiben an die Gesandtschaft in Siam hatte ich mit, so daß ich immerhin einen Ausweis für meine Behauptung hatte.

Nach einigen Minuten wurde mir gewinkt und ich in das Allerheiligste eingelassen. Vielleicht wäre ich zusammengeknickt – ich weiß es nicht –, denn der Vertreter des Deutschen Reiches war das Reich selbst. Groß, fest, ehrfurchtgebietend und streng, aber es blieb mir zum Einknicken keine Zeit, da ich sofort einem sehr ausführlichen, aber liebenswürdigen Kreuzverhör verfiel, das sich auf meinen gesamten Lebenslauf bezog und mit der Frage nach dem Paß endete, der noch beim Polizeiinspektor verweilte. Die Unterredung endete wider alles irdische Erwarten mit der Frage, ob ich nicht eine Weile in Singapore bleiben und am Konsulat arbeiten wolle – man eröffnete gerade ein Reisebüro oder richtiger einen Fremdenwerbedienst, der bezweckte, durchreisende Asiaten zur Fahrt nach oder über Deutschland zu bestimmen, und überhaupt merkte ich gleich, wie sehr bemüht um das Wohl seines Landes der Generalkonsul war und wie gut er sich mit der englischen Presse – ein wichtiger Punkt für einen Reichsvertreter – stand. Ich überlegte. Singapore war sehr interessant, und Siam lief nicht davon. Wenn ich hier verdiente, so brauchte ich kein Geld aufzunehmen und ich vermochte meine Schuld in Batavia schnell zu regeln. Ehe ich drei Stunden in Singapore gewesen, hatte ich eine Stellung, einen lieben Menschen und eine Einladung zum Mittagessen gefunden. Ungeachtet meines Hutes speiste ich im Raffles-Hotel und sollte Montag schon in meine neuen Pflichten eingeweiht werden.

Meine hübsche Kollegin kam mir sehr freundlich entgegen. Nach den ersten Einleitungen fragte ich sie, wo man in Singapore einen Hut kaufen könne, und sie empfahl mir ein nahes Geschäft. Am nächsten Tage beerdigte ich meinen Fidji-Inselrest feierlichst im Papierkorb der reichsdeutschen Behörde. Ein ehrenderes Ende für einen abgedienten Gehirnschoner kann man sich füglich nicht vorstellen. Mit dem Hute legte ich auch etwas von dem angesammelten Welttrotz – doch nie wieder alles – ab.

 

Die Nacht der gehobenen Speere.

Es ist nicht gut, wenn der Mensch eine zu freudigblühende Einbildungskraft besitzt, und die meine schlägt immer wie ein Kirschbaum im Frühjahr aus. Kaum war ich daher in meinem Stübchen im Chinesenviertel, als ich mir allerlei Schrecknisse vorzumalen begann. Die Gestalten der Matrosen unten auf dem schlecht erhellten Bogengang, die Chinesenfrauen mit ihren Kleinen an der Brust oder auf der Hüfte nach Art der Malaien, die dunklen Gesichter der Hafenarbeiter, die aus Borneo, aus Afrika oder aus dem Innern der Malaienstaaten stammen mochten und die scheinbar planlos auf- und niederstrichen, der ganze, nie endende Lärm vor meinem Fenster erregten und bevölkerten mein Denken mit immer neuen Vorstellungen, aber all das wäre in einer Geschichte ausgeklungen, wenn nicht unglückseligerweise die Wand zum Nebenzimmer eine sehr niedrige gewesen wäre. Meine peruanischen und Filipino-Erfahrungen von niederen Wänden waren nicht danach angetan, mir den Umstand hier erfreulicher zu machen, und das Unglück wollte es, daß mein Wirt an Asthma litt und die ganze Nacht hindurch nicht schlafen konnte, weshalb er von Zeit zu Zeit aufstand, keuchend herumhumpelte und sich stöhnend zu seiner sanft schnarchenden Ehehälfte zurückbettete. Es schliefen auch Kinder in dem Raum und ein Bettherr, wenn ich mich nicht irre, aber anstatt daraus Trost zu ziehen, bildete ich mir ein, daß unbedingt der eine oder der andere über die Wand klettern werde – sei es, um mich zu ermorden, sei es aus schlechteren Absichten. Dann lachte ich mich selbst aus und versuchte einzuschlafen, aber gerade in dem Augenblick schlich mein Wirt dicht an der Wand entlang, und ich war schon auf einen Tigersprung gefaßt und saß wieder aufrecht im Bette.

Wozu hatte ich aber Speere aus dem Lande der Menschenfresser? Ich kroch vorsichtig heraus, öffnete das Bündel und stellte die Speere so gegen die Wand, daß ich sie gleich erfassen konnte. Sobald sich nun ein Kopf zeigen würde …

Nun mag man noch so heldenhaft neben Speeren liegen – es nützt nichts, wenn man dabei unter dem Mückennetz bleibt und nach einigem Ach und Weh mußte ich mich bequemen, das Netz zurückzuschlagen, mich tüchtig beißen zu lassen und, unbehindert von einem Schleier, die Wand im Auge behalten. Der Straßenlärm dauerte bis nach drei Uhr morgens, dann flaute er etwas ab, und ich versuchte einzuschlafen. Wer bis gegen vier Uhr früh nicht über die Wand kletterte, der würde es sicher nicht nach vier Uhr tun. Das Asthma hatte sich erschöpft, Wirt und Wirtin schnarchten in seligem Einklang, doch mich ließen die Mücken nicht schlafen. Früh am Morgen band ich meine Waffen wieder zusammen, und am Nachmittag holte mich der Kanzler vom Generalkonsul und führte mich in eine teure, doch sehr anständige Pension. Gern hätte ich mir selbst ein Zimmer gesucht, das ich da wohl ohne Kost genommen hätte und das natürlich weit billiger gewesen wäre (so zahlte ich 25 Straits Dollar wöchentlich ohne Gabelfrühstück), doch bei einer Behörde kommt es sehr darauf an, wo man wohnt, und ich wagte keinerlei Einwürfe. Selbst wenn mir von meinem Verdienst wenig bleiben sollte, so lebte ich doch endlich wieder wie ein richtiger Christenmensch und fütterte mich für weitere Entbehrungen auf. In dem Lichte gesehen, hatte die Sache immerhin ihre Vorteile.

Sicher ist, daß Armut gütiger macht. Nur einen Abend hatte ich unten im Empire-Hotel gesessen, das eine Zufluchtsstätte für verkrachte Europäer schien, und dennoch hatte mir schon dieser oder jener gesagt, daß er mich da- oder dorthin führen, mir dies oder jenes zeigen werde – ohne Hintergedanken, nur vom Wunsche beseelt, jemand zu dienen.

 

Wanderungen …

Singapore: Priesterjünger im Hindutempel vor dem Taipusan

Bis auf die Hafenanlagen, den bekannten Raffles Square, mit seinen schönen Geschäftshäusern in europäischem Stil und die gotische Kirche unweit des Raffles-Hotels, die öffentliche Bücherei im Museumsgebände und einige Villen in den Vorstädten ist ganz Singapore chinesisch. Auf dem trägen Fluß schaukeln Sampans, die überdachten Boote, wie in Kanton; die Kulis, die aus den Warenhaustoren stolpern, vorwiegend kautschukbeladen, sind Südchinesen; die winzigen Geschäftchen unter den zahllosen Steinbogengängen sind rein chinesisch und bieten immer wieder Neues, und so ist der Markt, so sind die einzelnen Straßen, besonders der berühmte Eierklub, weil man in dieser Straße zwischen elf und zwei Uhr nachts nichts als Eierspeisen bekommt, an kleinen Tischen sitzt und eine Frau bei sich hat, mit der man nie gesetzlich verknüpft ist.

Singapore: Raffles Square.

Zwischen eins und zwei durchwanderte ich diese Gäßchen, Markte, Bazare mit einer Begeisterung, die meine Konsulatsfreunde nie verstanden hätten. Meine Butterbrötchen verschluckte ich in fünf Minuten, und die weiteren fünfundzwanzig Minuten schwelgte ich in den Wundern Asiens. Es war ein Studium, denn nur um zu beobachten, wie der Chinese ein Stückchen rosa Teig in die langfingrigen braunen Hände nahm, ihn gewandt und liebevoll knetete, ihn mit Schwung in das siedende Sesamöl warf und diesem einen Kügelchen in rasender Eile andere Kügelchen folgen ließ, verlohnte schon der Mühe des Stehens. Oder jemand buk Fische, die im Fett durcheinanderflogen, in henkellosen blauweißen Näpfen auf Reis landeten, mit Stäbchen zerstampft und mit Hast in offene Münder geschaufelt wurden; oder man beobachtete den Schuster bei seiner Pantoffelarbeit und sah, wie die Schuhe nur ein Drittel von unserer Damengröße, dafür aber einen unheimlich hohen Rist hatten; oder ich beschaute die Räucherstäbchen, die immer in goldbeschriebenen roten Papiertüten steckten und nach all dem Sandelholz und Benzoin der Welt rochen, es gab Brautkronen, Brautbaldachine, Brautsänften zu bestaunen, oder es hingen an einer Tempelwand eine Anzahl Bilder aus chinesischen Legenden oder Geschichten mit Feen, die auf Phönixen ritten, Männern mit Bärten wie wehende Wolkenzipfel, Tieren, wie sie nur dem Traum eines Irrsinnigen entsprungen sein konnten, und Festungen mit Türmen, deren Gold die Augen blendete. Daneben verkaufte ein alter Mann Kinderspielzeug, wie wir es nie kennen lernen, und johlten Rikschakulis, Verkäufer, Weiber, Bettler wüst durcheinander.

Aber nicht immer sah man nur Chinesen oder Chinesisches, denn es gab eine Unmenge von Tamilen und Südindiern überhaupt in der Stadt, und auch diese taten alles, was sie wollten, auf dem Pflaster. Ein Koch in einer Ecke des Raffles Square machte Tschipati, das indische Flachbrot, und ich stand oft andächtig neben ihm und sah ihm zu. Er nahm ein Stücklein Teig, schlug es flach zwischen den Fingern, bis es einem Pfannkuchen glich, warf es auf die Pfanne eines winzigen Holzkohlenherdes, drehte nach einer Minute die Herrlichkeit um, knetete unterdessen wieder eine Tschipati, legte die fertige auf den Stoß und die geklopfte Tschipati auf die heiße Pfanne und tat, als ob ich die reinste Luft wäre. Indier kamen zuzeiten und kauften ihm gleich mehrere Stück um wenige Münzen ab.

Sehr viel Eindruck machten auf mich auch die schneeweißen Kühe, die ungewöhnlich groß und steif aufstehende Hörner hatten. Um die Geister abzuhalten, war ein Horn scharlachrot, das andere hellgrün gestrichen, was sehr malerisch wirkte. Hühner waren oft violett oder lila, rot oder goldgelb gestrichen, damit jeder Besitzer sofort sein eigenes Tier erkannte. Die Kinder hatten eine Schnur mit einer Münze wie eine Hundemarke um den Hals, auf der Name und Wohnort geschrieben waren, damit man sie zustellen konnte. Finderlohn wurde wohl kaum gegeben, man rechnete das eben als gute Tat für die Zukunft an.

Jeden Abend ging ich am Hindutempel vorüber (ich lief so gern, daß ich nur bei strömendem Regen eine Rikscha nahm), und immer wieder wirkte er stark auf mich. Er war am Ende der Orchard Road, ein kleiner, unansehnlicher Bau aus grauem Stein. Die Kuppel mag einmal grün gewesen sein; nun schimmerte sie wie ein grünspanüberzogener Löffel, aber gerade dieses verwitterte Aussehen verlieh ihm einen eigenen Reiz. Drinnen im Heiligtum brannte ein großes Feuer, und das Standbild des Götzen aus Gold leuchtete grell. Weiße Lendentücher tragende, dunkelbraune, schöne Priester, den Oberleib nackt, räucherten den Altar mit brennendem Benzoinharz und warfen sich flach in Anbetung auf den Boden aus roten Fliesen nieder, über die der Feuerschein blutigrot tanzte, oder sangen mit erhobenen, über dem Haupte gefalteten Händen, während alte Priester zwischen den Säulen kauerten und Sanskritverse sangen oder öfter eintönig herableierten. Der starke, weit ausströmende Duft, das Glitzern der Kerzen, das Schimmern des Standbildes, die sich lautlos bewegenden Priester, das Geheimnisvolle des Ortes hielten mich jedesmal fest – in aufrichtiger Andacht und stärker als manche Kirche, denn ich dachte mir, daß Gott überall zu finden war, für die, die ihn suchten – – – im Stein, in den Gestirnen, im eigenen Herzen, und daß wir alle nur um eins flehten, um eins beteten: Vom Leid dieser Welt erlöst zu werden. So stand ich andächtig vor dem Götzenbild, doch bescheiden draußen auf der Straße, und die Priester verscheuchten mich nicht, denn sie lasen besser in den Menschenherzen als viele meiner Rasse, die zur Seligkeit nur den einen engen Weg sahen. Wohl dem, der seinen Gott in irgend einem Glauben, irgendwo fand! Ich war so schicksalgebrochen, daß ich ihn nirgends mehr sah als in der kalten Unerbittlichkeit seiner uns unverständlichen Gesetze …

Singapore: Maleienhaus

 

In der Pension

Die Orte folgen aufeinander, sie ähneln sich nicht. Ich wohnte in einem hohen Holzgebäude inmitten eines Gartens jenseits der langen Orchard Road in einem jener verruchten Tropenzimmer, die keine echten Wände, leider aber ein Stückchen nutzloser Veranda (weil andere darauf Lärm machen können) davor haben. Im Zimmer war es so dunkel, daß ich die beiden Türen zur Veranda offen lassen mußte, und hatte ich sie offen, so gingen die Leute an mir vorbei ins Badezimmer, bügelte die Babu oder Dienerin womöglich dicht neben mir und schnatterte unaufhörlich, bis ich es ihr zu untersagen gezwungen war, oder es nahte meine Hausfrau, ein gutes altes Fräulein, aber in chronischer Geldverlegenheit, so daß sie immer wieder auf ihren Ledersandalen angeschlürft kam und einen Vorschuß haben wollte, etwas, das mir sehr unangenehm war, da es ewige Verwirrung in meine Angelegenheiten brachte. Indessen lieh ich ihr dennoch öfter etwas, nur um sie loszuwerden und zu meiner Arbeit zu kommen.

Tropenpensionen sind echte Brunnen schriftstellerischen Erfahrens. Ich hätte nirgends mehr Charaktere an die Oberfläche schöpfen können. Jede Bewohnerin hatte ihren Roman, und von jedem Zimmer hörte man Bruchstücke des Gesprächs und mehr als Bruchstücke oft von anderen Dingen.

Bald nach meiner Ankunft war Weihnachten, und ich kann gar nicht sagen, wie lieb alle Leute gegen mich waren. Ich erhielt Geschenke beim Generalkonsulat, in der Pension und verplauderte den Abend sehr angenehm bei einer Reichsdeutschen. Wir hatten ein handhohes Christbäumchen und tranken Champagner. Der Christschmaus in der Pension war sehr gut, wir hatten wie jeden Sonntag abends herrliches Eis und dazu ein Schnäpslein zur Magenwärmung. Dies war mir zwar verboten, aber ich erinnerte mich Gott sei Dank immer erst an das Verbot, nachdem ich es getrunken hatte. Kurz sind bekanntlich Schnaps und Leben, und lange ist das Leid …

Wir speisten auch sonst sehr gut in der Pension, und ich aß – wohl zum letztenmal im Leben – nach vorwärts und nach rückwärts, wie ich es nannte, das heißt, ich aß genug, um für vergangene Entbehrungen und künftigen Mangel alles wettzumachen. Zum Frühstück hatten wir Bratwürstchen, geblähtes Brot, Eierspeise, Butter und, wer wollte, auch Schinken oder anderes Fleisch, ganz guten Kaffee und ein Futterpaket von dünnen belegten Brötchen für den Tiffin; nachmittags erwartete mich der ausgezeichnete chinesische Tee mit Butterbrötchen und einer Banane, und zum Abendbrot gab es Suppe, Fisch, Braten und Zulage, Mehlspeise und Obst, von einem Diener in weißer Uniform serviert. Das erste Frühstück, das einen »aufwecken« soll, wurde um sieben Uhr früh aufs Zimmer gebracht und bestand aus einer Tasse Tee und einer Banane.

Sonnabend war nach englischer Sitte Halbfeiertag, da aßen wir zu Hause um zwei Uhr Reiscurry mit Zutaten und eine Mehlspeise, und den Tee tranken wir schon um vier Uhr.

 

Im Amt.

Der Generalkonsul hatte gesagt: »Die Amtsstunden beginnen um neun Uhr früh und enden um vier Uhr – oder später!« Nun war ich bei einer Botschaft gewesen und kannte die Dehnbarkeit reichsdeutscher Zeitbegriffe. Ich teilte es mir immer so ein, daß ich vor sieben Uhr abends nichts festsetzte, und ich hatte ohnedies sehr viel Glück und kam schon oft um fünf Uhr weg; sonst blieben wir bis sechs, auch bis halbsieben, und den Feiertag gab es nicht, an dem nicht gearbeitet wurde, obschon ich – auf meine Einnahme verzichtend – den Weihnachts- und zweiten Christtag wegbleiben durfte. Um neun Uhr früh begann das Amt, aber wenn ich extra früh war und nach halb anlangte, saß der Kanzler schon bei der Arbeit und hatte eine Zigarre durchgekaut (denn er kaute). Er hatte zuerst die barsche Art, die mich so leicht auf den Rücken warf, und er hatte mir bei unserem ersten Zusammensein im Tone eines Grenadiers aus den napoleonischen Kriegen zugerufen, daß, wer sich mit ihm nicht vertragen konnte, ein Hund war, was mich einige Tage hindurch glauben machte, schon meinen Hundeschwanz zu sehen, aber er hatte recht gehabt: Ich blieb Mensch und fand ihn ungemein nett, heiter und entgegenkommend. Die Art war nur die Stachelhülle von draußen.

Vor dem Chef zitterten wir alle. Er kam oft schon um neun, doch wenn er Besprechungen hatte, erst gegen elf, und wenn dann eine von uns nicht an ihrem Orte war, schossen wir wie auf Skiern unserem Tische zu. Ich hatte zum Glück die lautlosen Gummisohlenschuhe, und es gelang mir auch nur, weil die Tür nach Art der Tropen die bekannte Lederschürze hatte, die den Körper verdeckte, nicht aber die Füße. Sah ich daher die generalkonsuligen Hosen aus dem Lift steigen, so sauste ich Hals über Kopf meinem Tisch zu, und Fräulein L. begann auf ihrer Maschine zu tippen, als ob die Welt um uns versunken wäre.

Wenn er wünschte (wir wünschten es gar nicht!), uns in seinem Bau zu sehen, so mußten wir über den offenen Gang gehen, und nie sah ich eine so kurze Spanne Raum so einschrumpfend wirken. Im Amt waren wir groß, aber wenn wir vor ihm standen, waren die Knie wie eine Ziehharmonika, und unsere Stimme kam gehorsam aus den Zehen. Es ist das der Geist des deutschen Adlers, und man kann dem Luftkreis nicht entgehen, selbst wenn man, dem Paß nach, nicht dazu gehört. Dabei war er als Vorgesetzter wohl streng, doch nie unhöflich, und ich glaube, es war das Einglas, das er ans linke Auge hob, wenn unser Gewissen nicht rein war (oder er auf dem reinsten Gewissen Flecken fand, denn ich ließ mir bewußt nichts zu Schulden kommen), was einen so tiefen Eindruck in uns hervorrief.

Ueberdies kam es mir da schlußgebend zum Bewußtsein, daß ich nie eine Stelle annehmen durfte, die mit meinem Beruf in keinerlei Einklang stand. Ich hatte den besten Willen – das kann ich ehrlich beschwören –, mein Bestes zu tun und zu geben, aber ich war wie eine Mutter, die auswärts waschen geht und das Kind jenseits eines Plankenzauns läßt. Sie wäscht und wäscht, aber ihre Gedanken, ihre Blicke, ihr Sehnen gehen alle über den Zaun, und zum Schluß leistet sie bei allem Fleiß nicht das, was ein gewöhnlicher Arbeiter leistet. Meine Gedanken, vergeblich an das Generalkonsulat gefesselt, rannten stets zu den Kindern meiner Schöpfung. Ich sog all den Zauber um mich her ein; ich witterte tausend Geschichten, ich brannte darauf, sie festzuhalten, aber ich verlor sie, weil ich mich verkauft hatte. Nutzlos zu sagen: Schreibe am Abend! Man kann nicht eine Geschichte, die reifen muß, die wie ein Teewasser langsam zu brodeln beginnt und nicht früher ausgeschüttet werden darf, ohne den Teegeschmack zu verderben, in aller Hast hinwerfen, besonders wenn man abgespannt nach Hause kommt. Die Arbeit war leicht und angenehm, aber ich war von neun bis eins im Amt, bis zwei im Galopp auf der Straße gewesen, war gegen sechs zu Fuß begeistert heimgelaufen, hatte den kaltgewordenen Tee verschluckt und – – war plötzlich müde zusammengesunken. Noch konnte ich einen Beitrag für ein Blatt, nicht länger aber irgend etwas aus mir selbst schreiben. In Java waren bei aller Entbehrung fünfzehn Geschichten in zehn Wochen entstanden; in Singapore in acht nur zwei.

Ein Maler darf nicht Zäune streichen, ein Musiker nicht im Kino Klavier spielen, und der geheiligte Gebrauch einer Schriftsteller-Erika ist nicht das Abschreiben von Dokumenten, das Aufsetzen von Depeschen, noch das Niederklappern von Übersetzungen. Es läßt sich tun – gewiß; aber es erstickt für die Zeitdauer des anderen Unternehmens das Künstlerisch-Schöpferische. Ich habe oft, und, wie man behauptete, ausgezeichnet unterrichtet, mir indessen geschworen, es nicht wieder zu tun. Wir haben ein nicht feines, aber wahres Volkssprichwort, das sagt, man könne mit einer menschlichen Kehrseite nicht auf zwei gleichzeitig fallenden Kirchtagen tanzen. Im Worte des Volkes liegt wie immer die gesunde Wahrheit. So tanzte ich auf zwei Kirchtagen weder mir noch anderen ganz zum Nutzen.

Ein unendliches Hindernis war für mich nämlich meine politische Unkenntnis. Wenn ich vom Mond gefallen wäre, würde ich nicht weniger gewußt haben. Die britische Politik hatte mich als Ausländerin kalt gelassen, aber ich war in ihr erfahren und bewandert genug, die Grundzüge zu verstehen. Von der deutschen Politik wußte ich nichts. Ich sollte Depeschen übersetzen, und obschon ich Wort für Wort verstand, blieb mir natürlich oft der Sinn unklar. Dem Kanzler leider auch. So wurde ich zum Chef gerufen. Himmeldonnerwetter! Was will die Deutsche Volkspartei?? Ich hatte nicht den Schatten einer Ahnung. Der Chef hatte die ganze Politik im kleinen Finger und sehr viel Uebersicht über Unterströmungen. Er war ein ausgezeichneter Beamter und arbeitete Tag und Nacht. Ihm war es unfaßlich, daß mir irgend eine Partei wurst war (nicht daß ich so etwas Ketzerisches je laut werden ließ), und daß ich nicht in deutscher Politik wie eine Ente im Teich schwamm. Um im Bilde zu bleiben, war mein Teich zugefroren und mir zu kalt, um darüber hinzuwatscheln. Ich nahm daher in ehrfurchtsvoller Haltung die Riesennase in Empfang, die so zu geben künstlerische Begabung der Reichsdeutschen ist, verbeugte mich und verschwand auf meinen Gummisohlen wie ein Spuk. Wenn er einmal nichts sagte, wußte ich, daß er zufrieden war. Bei einer deutschen Behörde ist kein Tadel schon Lob.

Aus dem Gesagten braucht man indessen nicht zu schließen, daß ich unglücklich war! Die Nasen bei einem Konsulat sind wie Sternschnuppen im November, und sie fallen auf Gerechte und Ungerechte; man schüttelt sie, wenn der Urheber des Schnuppenfalls verschwunden ist, sanft ab und freut sich seines Daseins, denn es ist doch schön bei einem Generalkonsulat. Nicht so abgeschlossen fein wie bei einer Botschaft, aus deren Tor man mit der Miene eines Menschen treten darf, der die Geheimnisse des Weltalles hinter dem linken Ohr trägt, aber dafür lebhafter und immer noch über dem Kaufmannston. Es wurde uns eingeschärft, gegen alle Besucher sehr höflich zu sein, und wenn Fräulein L. zufällig nicht da war, schoß ich auf den zitternden Besucher zu (es zittern die meisten, die ein unseliges Geschick zu einer fremden Behörde führt) und fragte nach seinem Begehr. Er gab mir den Paß mit dem Gesichtsausdruck Egmonts, als er das »Oranien, Oranien!« sprach, und ich nahm ihn wie Graf Alba entgegen, aber was ich tat, war, ihn zum Kanzler zu tragen (der schnell den Kautabak ausspie und den Rock anzog), um mit der Meldung zurückzukehren, daß der Herr nun selbst eintreten möge. Uebrigens geschah sehr viel für alle, die Auskunft wünschten. Es wurden alle Adressen von Kaufleuten hervorgesucht, man unterstützte Anknüpfungen, man erteilte jederzeit Auskunft, und man vermittelte billige Heimfahrten für Reichsdeutsche, hätte es auch für Oesterreicher getan, wenn sie nur dem Konsulat unterstellt gewesen wären. Ich habe es nicht verstehen können, warum die Oesterreicher ihre Interessen nicht den Reichsdeutschen zur Wahrung übergeben haben. Weit und breit ist kein Konsul, und oft sind die Reisenden in der bittersten Verlegenheit, können sich weder Rat noch Papiere verschaffen und sitzen fest; gerade weil Singapore der Knotenpunkt aller Schifffahrtslinien ist, sollte da unbedingt auch eine den Oesterreichern helfende Behörde vorhanden sein, und in welch bessere Hände als die des dortigen deutschen Generalkonsuls könnte sie gelegt werden?

Ich denke immer gern an meine konsularischen Tage zurück. Nie hätte ich an irgend einem anderen Orte in so kurzer Zeit so viel gelernt, denn meine Aufgabe war es, alle Blätter durchzulesen und alles das rot anzuzeichnen, was in irgend einem Blatte für das Konsulat von Interesse war. Dadurch erfuhr ich auch, was sich sonst in Selanger, Perak und so weiter ereignete, wie der Markt stand, was geboten wurde, und auf Grund dieses Wissens konnte ich meine Fragen und Forschungen klarer einstellen.

Ferner konnte ich in den Mappen alte Berichte nachlesen – sollte es sogar tun und sie ordnen – und erweiterte dadurch meine Kenntnisse und endlich ordnete ich auch alle deutschen Zeitungen, doch leider interessierte mich an ihnen weit mehr die Tendenz ihrer Feuilletonbeilagen (zu späterer Beschickung) als die ihrer Politik.

Endlich bot der Parteienverkehr Wissen und Abwechselung, und selbst die Diener waren interessant. Es waren islamitische Malaien, und sie rührten unsere Schinkensemmeln selbst nicht von außen an. Zu Mittag holte mir Ibrahim meinen Kaffee aus einer Sudelküche, und ich trank ihn, weil er heiß und ich in glücklicher Unwissenheit war, wie man ihn zubereitet hatte. Er hatte schon eine Frau, obwohl er selbst kaum zwanzig Jahre zählte, und wurde während meines Konsulatsdienstes Vater, was ihn sehr entzückte.

Es fehlte aber auch nicht an Versuchungen, denn in Singapore herrscht die sonderbare Sitte, daß die Händler in alle Aemter gehen und ihre Waren anbieten dürfen. Nutzlos zu betonen, daß man einen Hausierer sofort davonschickte, wenn der Chef in nächster Nähe war; da er aber gar oft zu Besprechungen, Sitzungen oder an Bord eines deutschen Dampfers mußte und es offizielle Tiffins im Raffles-Hotel gab, boten sich genug Gelegenheiten, die Zudringlichen nicht sofort wegzujagen, sondern sich die Waren anzusehen. Manchmal brachten die Leute Felle von Tibet-Fuchs, Marder, Bär, Berghund und so weiter; ein andermal Tigerfelle oder Krokodilhäute, und immer ließen sie gern mit sich handeln; an diesen großen Sachen glitt ich mit leerem Beutel natürlich sehr glatt vorüber, doch wenn die anamitischen Krämer mit den schönen Einlegearbeiten, die chinesischen Holzschnitzer mit ihren reizenden Nachahmungen chinesischer Volkstypen, die Muschelkleber mit ihren gelungenen Tieren, aus kleinen Muscheln zusammengestellt, oder ähnliche Händler kamen, waren wir, besonders ich, Feuer und Flamme, und man erstand immer wieder eine Kleinigkeit. Die meisten hätten auch ruhig Kredit gegeben, doch das wollte ich nicht. Was ich kaufte, das bezahlte ich bar, oder ich verzichtete.

Meine Kollegin bestand auch darauf, daß ich mir einige Kleider kaufte, und ich fügte mich klaglos ihrem Willen, denn ich wußte, daß ich selbst – so lange ich in einer Haut steckte – nie daran denken würde. Sie war wie jedermann (erstaunlich, wie gut die Menschen stets gegen mich waren!) sehr lieb gegen mich und machte mir drei davon selbst, und meines Haares nahm sich, sozusagen, das ganze Konsulat an, denn eines Morgens, als ich wieder auftauchte, band mir mein Kollege das Diensthandtuch um, nahm die riesige Papierschere, die länger als mein Unterarm war und schnitt mir unter Begutachtung Fräulein L.'s ritsch! ratsch! das Haar, bis wieder ein anständiger Bubikopf an den Tag trat. Mit dem Rasiermesser des Kanzlers rasierte er, mit der Amtsseife mich einseifend, den Hals, und ich wußte vor Lachen und Angst nicht, was ich tun sollte, denn es war neun Uhr früh, die Haare lagen rund um den Stuhl, und jeden Augenblick konnte der Chef eintreten. Ich glaube, er hätte uns allen dreien mit der Papierschere den Kopf abgeschnitten. Zum Glück kam weder er noch sonst eine Seele, und das Herz meiner Kollegen sowie mein Kopf waren bedeutend leichter.

 

In Johore.

Eines Nachmittags erschien Herr Elias beim Generalkonsulat und forderte uns Mädchen auf, mit ihm nach Johore zu fahren. Er war Multimillionär mit eigenem Kraftwagen und konnte sich das schon leisten. Selten bin ich einem Menschen begegnet, der das Leben so gut auszunützen verstand – ohne dabei hartherzig oder selbstsüchtig zu werden – wie er, denn er hing dem Glauben des Augenblicks an. Wenn etwas Gutes kommt, genieße es heute! Wenn etwas Trauriges dich befällt, überwinde es, vergiß es – schon heute! Unbehindert durch die Vergangenheit, unerschreckt durch die Zukunft. Er meinte, daß die Mehrzahl der Menschen an erfundenen Uebeln kranke – an etwas, das längst gewesen und dessen Wirkungen aufgehört haben oder in jedem Falle nicht mehr zu ändern sind; an Furcht vor dem Zukünftigen, das vermutlich nie eintreffen würde, ihnen jedoch die Gegenwart, die einzig in ihrer Macht lag, nützlich verbitterte. Als wir daher bescheiden einwandten, es könne der Chef noch nach fünf Uhr auftauchen, meinte er, daß diese Furcht auf nichts durchaus Bestimmtes begründet wäre und wir nur kommen sollten. Der Kanzler war der gleichen Meinung, und nachdem der Chef wirklich nicht wiederkam, hatten wir auch nachher weder Sturm noch Gewissensbisse.

Johore ist der nächste der unverbündeten Staaten, hat seinen eigenen Sultan und einen britischen Berater, der sagen muß, was in der Außenpolitik sein darf oder nicht sein darf. In der Innenpolitik ist der Sultan ziemlich frei und in seinem Harem, der über sechzig Frauen enthalten soll, ganz frei.

Auf dem Wege dahin sieht man zum erstenmal um Singapore die hübschen einfachen Malaienhäuschen, die, über das Wasser geneigt, neben einer windgebeugten Kokospalme stehen und von der Veranda aus das ganze Meer überschauen. Man trifft Malaien unterwegs, und sie sagen: »Möge dein Weg (deine Reise) erfolgreich sein!«, worauf man stilgemäß antwortet: »Und dein Bleiben friedvoll!«

In dieser Richtung liegt auch die Fabrik des Chinesen Tan Kha Kee, der meine geliebten absatzlosen Gummisohlenschuhe herstellt, so daß ich tatsächlich in Schuhen schwelgte und auch drei neue Paare mitnahm, doch erschöpft sich im Leben alles, und bei einer Forschungsreisenden, deren Füße immer in Bewegung sind, Schuhe zu allererst. »Oh, daß sie ewig kräftig blieben, die Schuhe, die wir Menschen lieben!«

Dort, wo sich kleine Ortschaften an den Weg schmiegen, findet man neben den sorglosen Malaien schon wieder den ewig strebsamen Chinesen mit seiner unvermeidlichen Bude, in der man alles kaufen kann, wonach sich ein schlichtes asiatisches Herz sehnt. Da vernimmt man auch zuzeiten die ohrenzerreißende chinesische Musik, von der die Malaien behaupten, sie erinnere an »Frösche in einem Sumpf nach starkem Regen!«

Später kommt man zu dem Grab eines islamitischen Propheten oder Heiligen, das geschmückte Stäbchen umgeben und zu dem die wilden Affen herunterkommen, denn es liegt ziemlich einsam, außer an Festtagen, wenn die Pilger nahen und hier picknicken. Der Busch zieht sich hier dicht an den Weg heran mit Gummibäumen, Palmen, dem üppigen Unterholz der Tropen, und hierauf steigt die Straße aufwärts durch einen Nadelwald (oder den tropischen Ersatz dafür), schütter und ernst, bis man das Meer sieht – die Meerenge von Tebau und dahinter das Festland mit den Häusern von Johore. Eine sehr lange Brücke, besser Damm genannt, verbindet seit kurzer Zeit die Insel mit dem Festland, und nachdem man eine kleine Steuer erlegt hat, ist man in der Hauptstadt des freien Staates. Die Häuser sind im maurischen Stil erbaut, schmucklos, einfach, da und dort von malaiischen Holzhütten im Inselstil unterbrochen; wirklich schön ist nur der Park um den Palast und die ehrwürdige Moschee, die man als Frau ohnehin nicht betreten darf. Die Ebene rund umher bietet wenig, wölbt sich allmählich zu Hügeln, führt tiefer hinein ins Unbekannte …

Nach unserer sehr interessanten Rundfahrt durch Johore kehrten wir ein und tranken Tee, während ein starker Regen draußen niederprasselte. Herr E. plauderte gern und sehr gut, und wir lachten viel.

»Wer kennt den Morgen? Heute wollen wir genießen!« meinte er, und ich trank noch eine Tasse Tee, weil das zu den harmlosen Genüssen gehört, die weder Vor- noch Nachwehen haben. Da ich ihn ohne Milch und Zucker trinke, bleibt er, wie die meisten meiner Genüsse, ohnehin ziemlich geschmacklos.

Der Kraftwagen war gut gefedert und weich. Er tat meinen Knochen wohl. Ich hatte Johore kostenlos gesehen und war Herrn Elias dankbar.

Fräulein L. bedauerte, nicht jeden Tag einen Kraftwagen zu haben, doch ich segnete meine Füße und den Herrn Tan Kha Kee, der für sie gerade die richtigen Schuhe erfunden hatte, und lief wie ein Hase um alle Ecken. Da konnte ich träumen und vergessen, daß ich lebte! Schöner war es als alle Kraftwagen aller Multimillionäre zusammen genommen.

 

Das große Fest der Wucherer.

Einmal im Laufe des Januars feierte man in Singapore das Taipusam, das Sühnefest der Geldverleiher und Geldwechsler, die alle Indier waren und einer besonderen Kaste angehörten. Ihr Tempel lag ebenfalls auf dem Wege zum Amt (auf meinem Regenwege, der kürzer, doch nicht so fesselnd war) und war sehr groß und schön. Man durfte, wenn man eingeladen war, hineingehen und sich Siva sowie die anderen Gottheiten in aller Ruhe ansehen. Da war Siva als Mahakala oder Zerstörer aller irdischen Wünsche mit den Totenschädeln zu Kränzen gewunden; als Mahadewa oder oberster Gott mit der Wurfschnur und den übrigen göttlichen Abzeichen; da war Ganesa mit dem Elefantenkopf, der Gott der Weisheit, und Kali, die Gattin Sivas, mit der weit aus dem Munde hängenden Zunge, dem Zeichen ihrer Beschämung.

Der feine Duft fremder Räucherstäbchen durchzog die hohen Räume, und im Hofe staute sich die Menge; den Gästen schlossen sich die Priester an, beschütteten mit Parfüm, bekränzten mit Blumen; vor dem Tempel war schon früh am Morgen ein großer Markt, und die Kuchen brannten einem mit ihren Farben fast die Augen aus, nicht erst zu erzählen, was einem alles die Geruchsnerven zu Grunde richtete. Ich hatte mein Frühstück so früh als möglich eingenommen und stand nun voll Begeisterung mitten im Getriebe, sah dem Bäcker zu, der Reis zu Festzwecken röstete, bis die Körnchen hoch angeschwollen waren, und beobachtete den Zuckerkünstler, der durch ein Loch in einer Papierschlange viele schneeweiße Würmer herauszauberte, die alle aus Zuckerteig sein mußten und die nur über einer starken Glut geröstet wurden; ich sah die Papierfächer entstehen und all das Getriebe, das Haschen der Kinder nach Verbotenem und die frühreifen Blicke der Mädchen, die mit ihren Eltern hierher gekommen waren; ich fühlte auch, nur zu gut, all die unvermeidlichen Rippenstöße, die man als freie Zugabe vom Fest mittragen mußte, doch zum Schluß kamen die beiden heiligen, schneeweißen und herrlich bekränzten Stiere, der goldstrotzende Baldachin über dem schimmernden Götzen – Subramaniam, dem Sohne Sivas –, und es versammelten sich die Priester und deren Jünger, alle nur mit langen, schneeweißen Lendentüchern, die hosenartig gerafft waren, bekleidet, schöne braune Gestalten mit finster-ernstem Blick, alle ihrer Würde bewußt. Dann nahten die bußesüchtigen Tschetties oder Geldwechsler, und ihr Anblick war etwas stark für empfindliche Augen, denn viele von ihnen hatten Pfeile, Spieße oder dicke Stahlnadeln quer durch Lippen und Wangen gesteckt, andere hatten auf Brust und Armen Nadeln wie in einem Nadelkisten, und der Hauptbüßende hatte sogar ein schauriges Stachelrad auf dem Rücken, dessen scharfe Haken tief ins Fleisch gingen. Alle diese Sühnenden eröffneten den Zug, gefolgt von den Priestern, den heiligen Stieren, dem Götzen auf seinem Thron, weiteren Priestern und endlich vom bunten Getriebe einer orientalischen Stadt. Der Silberwagen des Gottes leuchtete weithin wie Mondlicht auf Schnee.

Ebenso feierlich kehrte der Zug gegen Abend in den Tempel zurück; die Priester das Haupt mit den weißen wächsernen Melatiblüten geschmückt, die Opferbecken mit den unzähligen Opferstäbchen vor sich in den Händen, und alles, was die heiligen Tiere unterwegs verloren und wir keineswegs aufbewahren, das behielten die Leute als kostbares Ding, das getrocknet und zu heiliger Asche verbrannt wurde, mit der sich die Männer das Kastenzeichen jeden Morgen auf der Stirn, den Armen und der Brust erneuerten.

So schmerzhaft das Hineinstecken der Nadeln und Pfeile sein mag, so soll der eigentliche Schmerz erst im Herausziehen bestehen, und man behauptet, daß alle, die sich dieser Folter unterwerfen, vom Tempel mit Geld entlohnt werden, und daß sie, bevor sie sich dazu hergeben, sehr viel Opium zur Betäubung einnehmen. Das glaube ich gern: überdies sind die Nerven der Asiaten nicht so fein oder so verbraucht wie die unsrigen, und ich glaube auch, daß sie eine größere Beherrschung besitzen, Schmerzen ruhiger zu ertragen als wir. Jedenfalls wirkt der Anblick dieser grausen Verstümmelungen unheimlich genug auf den Beschauer.

Am nächsten Tag fährt der mächtige Gott Subramaniam noch einmal aus und steht auf den Recreation Grounds, gegenüber dem Raffles-Hotel, dann zieht er sich wieder in sein Heiligtum zurück und träumt bis zum nächsten Januar. Die Büßer aber wechseln weiter ihr Geld – ehrlich oder unehrlich – und borgen Geld auf Zinsen. Haben sie nicht schon genug getan, wenn sie sich Wangen und Lippen dem Gotte zu Ehren durchstochen haben? Warum liegt hinter der Schönheit einer Religion (oder bester vor ihr) solch ein Schutt von rein äußerlichen Bräuchen?

 

Durch die verbündeten Staaten.

Ueber die Sträucher im Hausgarten krochen die braunen Riesenschnecken, die einmal, mit Heu, herübergekommen waren, und sich nun wohl wie in Südafrika fühlten. Ich sammelte einige. In der Pension verwickelten sich die Liebesgeschichten, mehrten sich die Schulden der Pensionsmutter, wurden die beiden schwarzen Pinscher von Tag zu Tag räudiger; sonst floß das Leben einförmig dahin – viel zu schnell für mich, die ich von Anfang an nur zwei Monate zum Aufenthalt bestimmt hatte. Meine Mutter wurde immer älter, die Briefe immer dringender, und meine Sachen waren gewiß in den eigenen Händen am besten aufgehoben, und in denen waren sie erst, wenn ich die gute alte Europaerde wieder unter den Füßen hatte.

Das Leben war in Singapore zu teuer, als daß ich mehr als hundert Dollar zu ersparen vermocht hätte. Das Abzahlen einzelner Schulden, das Anschaffen der nötigsten Sachen hatte den Rest verschlungen. Dennoch fuhr ich ganz vergnügt in die Zukunft hinein. Es mußte sich ja klären, bessern! Nicht umsonst ist die Hoffnung als das einzige Gut genannt, das in der Büchse der Pandora uns Menschen geblieben. Heute ist es mir oft, als hätte sie meinen Anteil auch noch entweichen lassen …

Beim Konsulat war man reizend gewesen. Der Generalkonsul hatte sich meinetwegen zur Bahn bemüht, mir Bonbons geschenkt, und seine Gattin war sehr lieb gegen mich, so daß ich mir wieder sagte, daß die Reichsdeutschen – wenn sie es einmal waren – zu den allerliebenswürdigsten, herzlichsten Menschen der Welt gehörten. Sie mußten nur erst auftauen.

Auch von Fräulein L. und den Kollegen trennte ich mich schwer. Warum war gerade mein Schicksal so bestimmt, daß ich – sobald ich jemand lieb gewonnen – auf immer von ihm scheiden mußte? Wie ein Kometlein mit unendlich langer Bahn schoß ich an allen Sternen und Sonnensystemen vorüber und verlor ihr Licht wieder, nachdem sie alle aufgeleuchtet hatten. Ganz sittsam schoß ich weiter einem von mir selbst kaum geahnten Ziele zu. Wie wenig bestimmte ich letzten Endes über Fahrt oder Ziel! Wenn der Ruf erklang, mußte ich gehen und vermutete nur, woher der Ruf kam. Wir waren wie die Figuren auf einem Schachbrett, mit denen eine höhere Macht spielte. In mir reifte Auflehnung. Warum sollte ich streben, entscheiden, wenn alles doch einmal von Anbeginn an festgesetzt war? Nur über unsere Gedanken, unsere Träume war uns in bescheidenem Maße eine geringe Freiheit gelassen.

Negri Sembilan pflanzt vorwiegend Kautschuk. So weit das Auge reicht, stehen die Gummibäume mit ihrer seitlich angeschnittenen hellen Rinde und die Inder in dem hosenartigen Lendentuch, die von jedem Baume die Porzellanschälchen lösen, in die allmählich das Harz des verwundeten Stammes fließt und die aus der Ferne wie die Glöckchen an unseren Telegraphenstangen wirken. Das Land ist zum großen Teil eben und sehr fruchtbar, die Dörfer sind Malaiensiedlungen mit geringen Unterschieden.

Die Malaien setzen gern alles aufs Spiel, wenn ihnen das Glück nur kurze Zeit hold ist, und das gilt auch vom Würfeln, der Hauptschwäche des ganzen Volkes. In alten Zeiten durchwanderten fünf schöne Jungen mit ihren Lauten das Land, spielten vor allen Türen und begeisterten alle Frauen, so daß viel geliebt, doch wenig gearbeitet wurde. Da ließ der erboste Sultan die fünf verführerischen Sänger ergreifen und in einen tiefen Brunnen werfen. Zuzeiten steigen sie noch aus ihm heraus, und dann entsteht im ganzen Land die Cholera, denn das ist die Rache der Getöteten.

Die schwarzen Blattern hält man ab, indem man einen schwarzen irdenen Topf mit weißen geheimnisvollen Zeichen bemalt und auf einen Pfahl unweit des Garteneingangs steckt. Um die Penanggalan abzuhalten, die der Seele der neugeborenen Kinder nachstellt, bindet man Zitronenäste zwischen dem Türstock auf, denn die langen Dornen halten den Geist ab, und ebenso verfährt man mit dem Pontianak, dem Vogel, der Wöchnerinnen gefährdet und schrill warnend vom nächsten Ast herabschreit, doch müssen alle Türen, Fenster, Schachtel- und Topfdeckel offen bleiben, sonst kann das Kind nie richtig das Licht der Welt erblicken.

Reich, reich an Aberglauben sind alle Malaienstaaten …

Der fortschrittlichste Staat ist indessen wohl Selangor. Auch da findet man die üblichen Pflanzungen, aber dazwischen liegen noch die Besitzungen des Sultans und die einiger Großen des Landes. Kuala Lumpur, die Hauptstadt, bietet einen unerwartet schönen Anblick, denn schon das Bahnhofsgebäude ist schneeweiß im fremdartigen Stil, den der Islam bevorzugt; noch malerischer, noch prunkvoller ist der Palast des Sultans, das Gerichtsgebäude und die Moschee, die sich in einer Kanalvergrößerung spiegelt. Die Straßen sind rein, breit, oft baumbeschattet, mit ausgezeichnetem Pflaster, und rund um das Bahnhofsgebäude liegen die Villen der Europäer und der ganz reichen Einheimischen. Erst jenseits des Postgebäudes beginnt die Geschäftsstadt, die sehr bald ins Chinesenviertel ausläuft.

Malaienstaaten: Der Sultanspalast in Selangor

So lange bin ich selten an einem Orte herumgelaufen. Der Zug traf früh am Morgen ein, und ich durchwanderte zweimal die ganze große Stadt, besuchte das schöne Museum, durchwanderte den freien Platz, beschaute die Auslagen der Geschäfte und fand doch zwei Dinge nicht: das christliche Mädchenheim und eine Bank, auf der ich hätte ruhen können …

Fragen? Wen? Es gab außer im Postgebäude am Schalter niemand, der Englisch verstand. Die Chinesen, die feiertäglich angetan herumliefen und jeden Augenblick Feuerkracher losließen, verstanden nur malaiisch außer der eigenen Sprache; die Malaien nur ihre eigene Sprache, und Europäer sah ich keine. Man hatte die Geschäfte geschlossen, weil das chinesische Neujahr, das ungefähr zehn Tage dauerte, angebrochen war, und jedermann dem Steigen der Papierdrachen, dem Feuerwerk, dem Krachen an allen Straßenecken, den Festgelagen beiwohnen wollte. Alle Häuser und Geschäfte waren mit langen roten Glücksstreifen mit schwarzer oder goldener Schrift beklebt, alle Leute festlich geputzt, die Mädchen einmal alle in neuen Seidengewändern und dem Familienschmuck auf der Straße, die Kinder die Arme mit Spielsachen bepackt und überall ein ohrenbetäubendes, sinnverwirrendes Knistern und Knattern, Blenden und Glimmen.

Alle Schulden waren gezahlt worden – nun wanderte man dem Glückstempel des laufenden Jahres zu und vergnügte sich, wie und wo man konnte. Laternen und Stoffstreifen flatterten tief hernieder, und die beklebten Türen wirkten wie scharlachrote Asiaten – rotbetupft auf gelbem Grunde.

Ich fühlte mich erschöpft, fiebernd und unwohl, als ich endlich das Heim fand, und war vergnügt, da in Ruhe zu Mittag zu essen, zu ruhen und mit einem Mädchen zu plaudern, das ein weiblicher Schulinspektor war. Eigentlich wohnte sie in Kuala Lumpur, doch hauste sie nur alle drei oder vier Wochen einmal wieder daheim, denn jede Woche fuhr sie in einen anderen Staat und in diesem Staat wieder in verschiedene Orte. Nicht nur war es ihre Aufgabe, die Schulen zu prüfen – sie trug auch überall selbst etwas vor: den Kindern Erdkunde, den Lehrerinnen modernes Freihandzeichnen, neue Handarbeiten und verbesserten Sprachunterricht. Es war ein Beruf doppelter und anstrengender Pflichten, denn sobald sie Kuala Lumpur erreichte, mußte sie mehrere Malaiinnen auf die Lehrbefähigung vorbereiten. Sehr wenige Mädchen fanden sich nämlich bereit, Lehrerinnen zu werden, und wenn sich auch einige meldeten, so waren es höchstens Mädchen, die erst die Bedingung stellten, nur in ihrem Heimatdorfe angestellt zu werden, und die, wenn sie heirateten (und das wollten sie über kurz oder lang alle) auf immer austraten, so daß man immer mit neuen, ungeschulten Kräften rechnen mußte und überdies nie jene berufliche Hingabe fand, wie sie uns selbst eigen, da jedes Mädchen die Berufsarbeit als eine Zwischenzeit ihres Seins ansah, die mit der Ehe bald endete. Bezahlt wurden sie nicht hoch genug, um Begierde zu erwecken, wenngleich zwanzig Dollar für jemand, der daheim wohnte und aß und vielleicht nur fünf Dollar monatlich beisteuerte, ganz hübsch war. Nur Witwen, vorwiegend jedoch indische, und jene Mädchen, die in der ersten Jugend eine unglückliche Liebe gehabt oder im Anfang schon von ihrer Ehe enttäuscht waren, blieben bei ihrem Berufe.

Dann erzählte die Schulinspektorin – ein zartes Frauchen, kaum etwas größer und breiter als ich – von ihren einsamen Wanderungen durch den Busch und wie ihr in Negri Sembilan, im Hügelgebiet an der Grenze von Pahang, ein Tiger begegnet war, und wie ein anderer die Hütte, in der sie geschlafen, umschlichen hatte. Das ist viel gefährlicher, als man sich das bei uns denkt, denn kann der Tiger von unten die Leiter herauf nicht in den Raum einbrechen, so wagt er den Satz auf das Dach, das nur mit leichten Betellatten und Kokospalmenstroh gedeckt ist und durch das er nach einigem Scharren mit seinen wuchtigen Krallen leicht bricht. Dann springt er in das Innere und tötet nicht nur, was er verzehren will, sondern der Reihe nach, was er findet, und saugt jedem ein wenig Blut aus. Den besten Braten schleppt er, wenn es hoch kommt, mit, die übrigen Leichen läßt er liegen und holt sie, wenn er unterdessen nichts Besseres gefunden, an einem der folgenden Tage.

Wir plauderten den ganzen Nachmittag. Hierauf kamen die übrigen Bewohner des Heims und erzählten weiter, so daß ich eine ganze Menge erfuhr, und vieles, was mir von den Büchern her unklar geblieben war, erläutern und richtigstellen konnte. Selbst über Aberglauben gelang es mir, mehreres noch nicht Gehörtes in Erfahrung zu bringen. Um acht Uhr fuhr ich mit der Rikscha zur Bahn und nach Perak, dem reichsten Staat, weiter.

Hier liegen die großen Zinnbergwerke, und man arbeitet Tag und Nacht. Chinesen, die in vielen Tausenden nach den Staaten kommen, finden hier einen Verdienst. Sie sind fleißig und ganz handbar, wenn man sie nur zu behandeln weiß und ihrem Aberglauben nicht entgegenarbeitet. Ich vermute, daß sie von den Malaien den Glauben an die Geister in den Bäumen übernommen haben, denn sie fürchten sich, einen wirklich alten Stamm zu schlagen, weil sie behaupten, daß der Baum sich rächt. Man wird von Wahnvorstellungen befallen und verletzt sich dabei selbst. Ein Europäer wollte einen Riesenbaum schlagen, weil kein Chinese oder Eingeborener daran wollte. Als er eben das Beil hob, zeigte sich ihm zu Füßen etwas wie der Auswuchs einer Wurzel, aber so widrig, so häßlich, so abscheuerregend, daß er voll Ekel und Widerwillen das Beil hob und mit aller Kraft auf das Ding loshieb – mit dem Ergebnis, daß er sich das eigene Bein abschlug. Er konnte es sich nie erklären und ließ später nie wieder jemand an den Baum heran. Die Asiaten sagten »der Baumgeist!«. Sie bringen von Zeit zu Zeit kleine Opfer, um sich die Geister willig zu erhalten. Das muß geschehen, wenn jemand das Adler- oder das Benzoinharz einsammeln geht oder andere Urwaldschätze heimtragen will. Die Wälder enthalten Elefanten, den Seladang (ein mächtiges Tier mit ungeheuren Hörnern, das erst in die Luft wirft und dann, zertrampelt), den Tiger, den kleinen Bären, den komischen, schuppenbedeckten Ameisenbären und das schöne kleine Mauswild.

Die Hauptstadt von Perak ist Ipoh. Wieder sieht man die maurischen Bauten, die Chinesengeschäfte, das kleine Viertel der Weißen, die Buden der umziehenden Inder und dazwischen, wenn auch ganz vereinzelt, die sonderbaren Sakai der Dschungeltiefen, die klein, stark dunkel in der Farbe, mit etwas welligem Haar und so schmutzig sind, daß sie nur durch Zufall gewaschen werden. Sie wohnen oben in den höchsten Bergschluchten an der Grenze von Kelantan, und ihre Dörfer liegen so dicht im Urwald, daß sie mit den Tieren alle gewissermaßen auf du und du sind. Affen sind unter ihnen anzutreffen, und sie behaupten, daß alle Affen auch Menschen, aber ohne Sprache sind. Das sei kein Mangel, sondern eine von den Affen absichtlich gebrauchte Vorsichtsmaßregel. In alten Zeiten sprachen auch sie, aber als sie sahen, daß die Weißen alle Leute zur Arbeit zwangen, die sprechen konnten, gewöhnten sie sich diesen Verkehr ab, weil sie dadurch in ihrer Freiheit blieben …

Einmal, gerade an seinem Hochzeitstage, wurde ein Sakai von einem Orang-Utan-Weibchen ( orang – utan bedeutet »Waldmensch«) entführt und eine Woche in engster Gefangenschaft gehalten. Die Aeffin sprang mit ihm kühn von einem Ast auf den anderen, fütterte ihn und legte ihn zu sich ins Nest und man kann sich denken, wie die Frau Orang-Utan gestunken haben muß, wenn selbst der Sakai, der selbst einige Meter weit schon riechbar wird, diesen Geruch als das Unangenehmste seines im ganzen unbehaglichen Abenteuers anführte. Affen verlieben sich nicht selten in Frauen und erwürgen sie aus Eifersucht. Schon deshalb verlohnt es sich nicht, einen Affen als Hausgenossen zu halten.

 

In Penang.

Man kann sich bei uns keine richtige Vorstellung von den Entfernungen machen. Je länger ich fuhr, desto mehr gewann ich an der Ueberzeugung, daß die Welt doch größer ist als ich sie mir vorgestellt hatte, wenn auch nicht groß genug, um darin das zu finden, was man am meisten sucht …

Von Singapore, quer durch die beiden Staaten bis nach der Insel Penang, zu der ein Schiff vom Festland einen in einer Viertelstunde bringt, braucht man, wenn man ununterbrochen mit dem Eilzug fährt, mehr als vierundzwanzig Stunden. Ich, die ich unterbrach, brauchte mehrere Tage.

Penang gefiel mir besser als irgend eine Stadt der Tropen. Ich könnte kaum sagen, warum. Der hohe Berg mit seinen Ausläufern bildet einen schönen, schattengebenden Hintergrund; die Abhänge wimmelten von Affen, die Straße um die Insel herum von Tempeln; darunter war auch der Schlangentempel, in dem die Tiere frei herumlaufen und sich um die Altarleuchter und die Säulen winden. Betäubt mögen sie sein, aber unheimlich bleibt es, so zwischen Schlangen dahinzuwandern. Dann hat Penang den östlichen Zauber, der sonderbarerweise ohne Chinesen nie seinen Vollreiz erhält; das östliche Duften, das so viel umfaßt und daneben doch westliche Geschäfte, lachende Malaien, schöne Inder, stolze Araber, einige Neger. Die Stadt ist rein, sehr rein, und vielleicht hat mich etwas bezaubert, was meine Leser schwer begreifen werden. Die Straßen waren teilweise geteert und fest, man ging dahin – ich in meinen Pantöffelchen flog – und weil es überall Bäume gab, die gerade die tropische Winterszeit beendeten, so fielen, wenn auch nicht in großen Mengen, braungelbe Blätter hinab und sammelten sich zu Häufchen am Straßenrand. Es war wie daheim; das war ein leiser Hauch des Herbstes und heimelte mich an – – bis zu Tränen, bis zu einer wehmutsvollen Traumseligkeit. Ich stellte mir all das erfüllt vor, was ich angestrebt hatte, und ging vergnügt im raschelnden Laube …

Ich wohnte im christlichen Heim, und bis auf eine Schlange oder einen besonders großen Tausendfüßler, der nachts in mein Zimmer kam und wieder zur Gartentür hinaushuschte, ereignete sich nichts Ungewöhnliches. Ich durchwanderte tagsüber die Straßen und besuchte die eigenartigen Tempel, den Fischmarkt mit seinem hundert Formen, den komischen Fischkörbchen aus Bambus, den Obstmarkt dahinter und rieb Schulter mit den halbnackten Chinesen unter den Säulengängen. Zwei oder drei Stunden nach Tisch aber erholte ich mich, denn der ewige Klima- und Kostwechsel begann mich sehr zu erschöpfen, und das Leben in Singapore mit seinen langen wachen Nachtstunden, einige dem Vergnügen oder eher dem Erfahren, andere der Arbeit geweiht, hatten mich arg ausgesogen. Man reist nach sieben Jahren nicht mehr wie im ersten Jahre. Vor dem Morgenfrühstück und nach dem Tee schrieb ich auf der Erika. Wenn ich plötzlich in die Hölle fiele (obschon ich meist das Gefühl habe, dort zu sein!), würde ich gewiß sofort einen leeren Platz neben einem Kessel finden und auf meiner Erika klappern, und im Himmelreich …, aber da versagt meine Einbildungskraft, denn alles habe ich auf Erden einmal durchkostet, nur Glück nicht, so daß mir davon keine Vorstellung möglich wird.

Der Bangkok-Expreß fährt nur zweimal die Woche, und so wartete ich von Samstag bis, glaube ich, Dienstag auf die richtige Verbindung, nahm Abschied von den Malaienstaaten mit ihrem eigentümlichen Reiz und machte mich daran, noch einmal, auf fremdem Boden, aufzubauen.

 

Durch Kedah und Perlis.

Ich fuhr in der Ersten, und obschon ich später den Luxus beklagte, bereute ich es im Grunde nie. Es ist furchtbar, in der Zweiten unter all dem Farbenriffraff zu fahren und alle Gerüche ihrer Speisepakete mitzumachen. So bekam ich eine richtige »Zelle« für mich allein mit einem breiten Sofa am Tage, das nachts in ein Bett verwandelt wurde, auf dem es sich gut lag. Die Fenster hatten Jalousien gegen die sengenden Strahlen der Tropensonne, schließbare Glasfenster gegen den plötzlichen gußartigen Tropenregen und nachts ein regelmäßiges Drahtnetzfenster gegen Moskiten, die stellenweise sehr zahlreich und bösartig waren. Bangkok ist verrufen ungesund, hat sich jedoch in den letzten Jahren etwas gebessert, obgleich die Cholera noch immer epidemisch auftritt und die Malaria zur Regenzeit gefährlich wird.

Es war noch sehr früh, als ich der Fähre zueilte, und das Meer leuchtete wie ein von vielen Kerzen jäh getroffener Opal – eine Fläche voll wechselnder zuckender Lichter. Erst in Prai erlosch all der Glanz, der kupferfarbige Feind erkletterte rasch die Himmelsleiter, und der goldig-rote Abglanz lag auf all den unzähligen Urwaldgewächsen, die sich dicht an die Bahn heranschoben und die mit Pflanzungen abwechselten, um endlich ganz den Boden zu behaupten. Hügel rückten näher und aus einsamen Pfaden tauchte plötzlich ein Elefant auf und besah sich erstaunt das Dampfding, das, weißen Schaum ausstoßend, vorbeipustete. Von den Bäumen hingen Affen, Vögel stoben bei unserem Nahen davon, Dörfer kamen und gingen, und überall, wo wir hielten, drängten sich die Dritteklassereisenden in verwirrender Hast an den Zug heran, stießen, lachten, polterten, sprangen hinein und heraus – Hindus mit wehenden Turbanen, Malaien in flatternden Sarongs, Chinesen mit Riesenkörben und ein unbestimmtes Wesen, wahrscheinlich zur Menschrasse gehörig, weil mit einer Karte (dem magischen Zauberschlüssel) versehen, mit einem Gesicht wie ein verfehlter Neandertaler – kroch in meine geheiligte Erste, starrte sich an mir erst das eine, dann das zweite Auge aus und wurde vom Schaffner aus dem Abteil geworfen. Hierauf kamen vier Chinesen, die »nachzahlten«, um sitzen zu können und die in mein Frauenabteil geschoben wurden, wo sie einer auf den Knien des anderen saßen und mich zuerst ärgerten. Später begann der eine von ihnen, der trotz seines einfachen Ischangs und seiner billigen Lederpantoffel wahrscheinlich steinreich war, da er von seinem Kraftwagen und von den Pflanzungen an der Grenze redete, langsam Englisch zu mir zu sprechen und erzählte mir eine Menge über die Provinzen, in denen er schon seit zwanzig Jahren Kautschukgeschäfte betrieb. Die anderen waren weniger auf unser Denken oder Handeln eingestellt, zogen sich die Röcke aus, daß die dicke, haarige Brust seitlich herausschaute (warum wir Menschen oder einige von uns dort Haare haben, wo sie keinen ersichtlichen Zweck erfüllen, während auf dem Kopf, wo sie hingehören, oft nur eine Wüste ohne Sand oder Oase ist?) und saßen in Strümpfen mit hochgezogenen Knien wie Affen auf dem Sitz.

So erreichten wir Kedah. Ich war entzückt von der Gegend, die mich fremd anmutete, und von den Leuten, die so unberührt vom Westen schienen. Kein Wunder, denn die meisten Reisenden nach Bangkok wählen die Schiffahrt durch die chinesische See und den Golf von Siam, fahren behaglich vier Tage und haben die Kost in den Fahrpreis eingeschlossen, doch durch die Staaten bis nach Siam sieht man weit mehr, wenn man auch von Penang allein über sechsunddreißig Stunden mit dem Eilzug fährt.

Auf der Straße sah man urkomische Wägelchen von langhornigen Rindern gezogen. Sie hatten ein breites, überhängendes Strohdach und Seitenwände aus schütteren Holzlatten, die an einen Käfig in einem kleinen Tiergarten erinnerten, und seitlich nur je ein Rad, das aber so groß wie der halbe Wagen war. Vorn, auf der Lenkstange selbst, saß mit untergeschlagenen Beinen der Kutscher und erhielt irgendwie sein Gleichgewicht. Alles ging vornehm langsam, denn Eile spielt im Osten nicht die geringste Rolle. Der Weiße, der einen Asiaten zum Hasten bringen will, stirbt selbst an der nutzlosen Anstrengung. Morgen ist auch ein Tag. Allah sei's gedankt!

Hindufrauen mit safrangelbem Schleier (dem Sari, das Rock, Bluse und Schleier in einem macht) eilten mit einem halben Dutzend Paketchen herbei, Malaiinnen, das zweite, obere Sarong über das runde Gesicht gezogen, das mich mit seiner freundlichen Ausdruckslosigkeit an einen Faschingskrapfen denken ließ, watschelten heran, verstauten die Eßkörbe mit Fischwürze, daß einem schon von weitem der Atem verging; Männer in schlappen Hosen, im Sarong oder im indischen Lendentuch schoben sich eifernd näher, gackerten ihre Frauen zusammen, schubsten die Kinder auf die Bündel und nahmen endlich die Kleinsten auf den Arm, ehe sie selbst in den Zug kletterten. Einzelne Kinder hatten nur eine lange Franse nach vorn und sonst einen glattrasierten Kopf, andere hatten langes, glattes, ungekämmtes Haar, und die echten islamitischen Inder trugen auch schon im zartesten Alter eine Kopfbedeckung, die wohl ein Fez sein sollte.

Auf manchem Bahnhof sah man auch die Reiswaggons, die gesenkte Flächen haben, durch die der Reis sofort in bereitgehaltene Säcke fließen kann, während oben mittels eines Hebekrans geladen wird. Daneben standen andere Lastwaggons, aus denen es wie Wasser tropfte und die mit einer Masse wie feine Sägespäne gefüllt schienen. Das war Ampas, der Rest von Tapioca, aus der bekanntlich das beliebte Mehl gemacht wird. Wenn das Mehl indessen durch das letzte feine Stoffsieb durchgewaschen wird, bleibt das Fasernwerk zurück, und das verkauft man als Rinderfutter. Für einen Waggon Ampas zahlt man hundertfünfzig Straits Dollar.

Auf den Padifeldern (Reis) banden noch einzelne Frauen die Garben, aber in der Regel sah man nur gelbe Stoppeln, über die der Wind die zarten, weißlichgelben Bambusblätter wie Schnee wirbelte, und im Schlamm, entlang der Bahnstrecke, wälzten sich vergnügt eine Anzahl Wasserbüffel. Links blieb auf einer Höhe der einzige Kurort Kedahs, das »Kedah-Peak-Sanatorium«, liegen, und dann näherten wir uns der Hauptstadt Alorstar, einem weitverstreuten, von leichten Hügeln umgebenen Dorfe. In einiger Entfernung davon war auch der Sultanspalast, doch scheint mir mein Haus in Cilli schöner, und in einer Holzbude, zu der mehrere Stufen hinaufführen, liegt die hochlöbliche Post.

Hier stieg die erste Siamesin ein. Sie war asiatischer im Aussehen als die Malaiinnen, zart und klein, nackt bis über das Knie hinauf, und hatte das Panung um, das heißt, das Lendentuch so gerafft, daß es eine kurze Kniehose bildete, was schlanken Gestalten ganz gut steht. Die Brust war erst durch ein Pahom oder Brusttuch gedeckt, und darüber fiel eine kurze, durchsichtige Bluse mit Aermelchen, die nicht den Ellbogen erreichten. Sie ging in tief gebeugter Haltung durch den Zug, denn das erfordert die Höflichkeit, besonders wenn ein Mann zugegen ist …

Das nächste Mal werde ich Mann im Osten, damit alle krumm vor mir gehen müssen. Was für ein Gefühl das sein mag?

In Padang Besar, an der Grenze, muß man umsteigen. Hier findet die Paß- und die Zolluntersuchung statt, und vielleicht weil ich die hohen Pfeile in der Hand trug und daher so kriegerisch wirkte, fragte mich niemand nach meinen Papieren, die erst vor Bangkok durchgesehen wurden und den Paßbeamten nicht wenig Ehrfurcht und Wunder einflößten, denn die Visa zeigten alle Schreibformen, und allen voran, dort wo man gewöhnlich noch etwas verstand, las man nur Cyrillica.

»Wo das Land?« fragte der Beamte, aber ehe ich ihn von Kleinasien bis Italien gebracht (das war der einzig feste Punkt, an den ich immer anknüpfen konnte, sonst flog man sofort in die Tschechoslowakei) war sein Gehirn erschöpft, und er hatte mir die Papiere mit einem hinsterbenden Dank zurückgegeben. Wer konnte auch so weit außerhalb der Welt wohnen?

Malaienstaaten: Elefantenkarawane in Kelantan

Hinter diesen Urwäldern beginnen die so gut wie unbesuchten Gebiete um die Höhen von Kelantan, wo die Sakai hausen, wo ein Zwergvolk leben soll und man auch die Iakun, ein ziemlich vermischtes Bündel Menschen, findet. Ihrem Glauben nach werden sie durch die Hölle und in den Himmel von einem Hund und einer Katze geleitet, und zwar geht der Kater voran und sprengt Wasser rund um sich auf den Boden, um die Luft etwas zu kühlen, und der Hund verrichtet hinter der Seele das gleiche Geschäft. Der Weg ist lang und geht durch die Tiefen der Erde. Weil die Tiere helfen, dürfen sie auch nicht getötet werden.

Die Sakai haben einen sonderbaren Schwur, den ich noch erwähnen möchte. Sie sagen: »Möge ich von einem Tiger gefressen, von einem Baum erschlagen oder von einem Geist getötet werden, wenn …« Zwillinge sind verhaßt und werden oft beseitigt, und selbst Doppelbananen usw. werden nicht gegessen, weil man Unglück auf den Genuß hin fürchtet.


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