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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der Michael Hely blieb nicht allzulange in der elterlichen Wohnung, sondern kehrte in die Werkstätte seiner Meisterin zurück. Diese hatte sich während seiner Gefangenschaft um einen tüchtigen Gesellen umgesehen, aber da Arbeit für zwei vorhanden war, so sah sie die Rückkehr des Lehrlings doch gern. Nun begann vor der Hobelbank ein fröhlicher Wetteifer der beiden jungen Männer, von dem die Meisterin Vorteil zog, ebenso wie der Lehrling, der voll Freude an der Arbeit und mit natürlichem Geschick ausgestattet, bald ein tüchtiger Meister zu werden versprach.

Jahrelang mied er den Verkehr mit seinen Altersgenossen aus Scheu und in dem Bewußtsein, daß man ihn doch nirgends al pari nehme. Die Stunde seiner Muße verbrachte er bei der Ihleins Lisbeth oder er las zum fünfzigsten Male die »Rosa von Tannenburg« und genoß so, indem er sich mit dem guten Kinde identifizierte, das seltene Vergnügen, den endlichen Triumph der guten Sache bei andern zu erleben und für sich zu erhoffen.

Wenn im Herbste oder Frühjahr seine alte Liebe zu den Schafen erwachte, so ließ ihn seine Meisterin gerne für einen oder den andern Tag mit den durchkommenden Hirten ziehen. Sie wußte, daß er nach seiner Heimkehr mit doppeltem Eifer die Arbeit wieder aufnehmen und durch Fleiß wieder einbringen würde, was er an Zeit verloren hatte.

Als die Stare vor ihren Häusern gar lustig zwitscherten und die Märzensonne so hell auf die getrockneten Straßen schien, da packte die Wanderlust den Altgesellen, er schnürte sein Felleisen und zog von dannen. Er wollte in die weite Welt hinaus, dorthin wo der Himmel auf der Erde aufzuliegen schien, und wenn er dort war, so wollte er wieder weiter. Er war jung und sein Geist griff nach den Horizonten. Der Junggeselle, der Hely, trug dem Scheidenden das Felleisen weit über die Gemarkungsgrenze hinaus und dann trennten sich die beiden Schreiner unter Segenswünschen als gute Kameraden.

So war unser Freund mit einem Male die wichtigste Persönlichkeit im Hause geworden, und selbst im Dorfe mußte man mit ihm rechnen. Er ging zuweilen aus. Wenn er irgendwo im Wirtshaus Gesellschaft traf, so setzte er sich an den Tisch der Handwerker; denn geschäftliche Beziehungen und das Eingreifen eines Handwerks in das andere hatten ihm in dieser Kaste, die ohnehin von Vorurteilen freier zu sein pflegt als der Bauernstand, die Wege geebnet. Man schätzte ihn als gute Arbeitskraft und ließ das, was ihm von seiner Geburt und seinem Vorleben anhing, unberührt. So konnte in dem jungen Manne allmählich das Gefühl entstehen, daß er soviel wert sei wie irgendein anderer. Diesen frommen Glauben mußte er mit einer bittern Enttäuschung teuer genug bezahlen.

Wieder einmal war Kirchweihe im Ort. Aus dem Saale des Engelwirts lockte die Fidel zum Tanz und es jauchzte die Klarinette zu dem jubelndem Kehrreim:

»Jeder will die Zotzenbacher Gänsgretel ha'n,
Jeder will sie foppen,
Jeder will sie roppen,
Jeder will die Zotzenbacher Gänsgretel ha'n.«

Wild stampften die Burschen und traten mit dem Absatz den Takt zur Polka, daß die Fenster klirrten und die Lampe am Durchzug zu hüpfen begann. In den Armen der Jünglinge glühten die rosigen Köpfe der Dirnen, während die Röcke flogen und mit dem Saum den Staub von den Gesimsen kehrten. Ein in ruhigen Zeiten zurückgehaltener Drang nach zügelloser Hingabe der beiden Geschlechter aneinander schäumte über und durfte sich in diesen Tagen vor aller Augen blicken lassen.

Von seiner Dachkammer aus sah der junge Hely durch die weit geöffneten Fenster in das frohe Treiben des Tanzsaales hinein, und ein seltsames Sehnen nach Freude und Glück zog ihn wie weiland seine Mutter unwiderstehlich in die Reihen der Fröhlichen. Er öffnete die Tür seines Kleiderkastens und musterte seine Garderobe. Da hing das neue Wams mit den zwei Knöpfen in der Taille und den reizenden Fältchen, die von diesen beiden Zentren aus einen Bogen schlugen wie das Rad einer Pfauentaube. Da war die rote Weste und die Latzhose, beides noch neu und vor acht Tagen erst von der Nadel gekommen. Am Haken über seinem Bette hing die kleine Mütze mit dem schwarzen Hundepelz und dem Boden aus grünem Tuch, über den sich kreuzweise eine feine Posamentierarbeit spannte.

Hatte er nicht alles so gut wie der reichste Bauernsohn, und hatte er es nicht ehrlich und durch seiner Hände Fleiß erworben? Warum sollte er ausgeschlossen sein von der allgemeinen Lust, die heute und morgen wohl alle Standesunterschiede verwischen konnte!

Er zog sich an und befragte mit großer Umständlichkeit über jede Handbreite der ihm erreichbaren Vorderfassade seines Körpers den kleinen Handspiegel um sein Urteil. Als er wie ein Mosaik die einzelnen Stücke in seinem Geiste zu einem Gesamtbilde zusammensetzte, schien er mit diesem äußerst zufrieden zu sein. Kühn stülpte er die Pelzmütze aufs Ohr, legte die Holzpfeife unternehmend in den einen Mundwinkel und blies so herausfordernd wie nur möglich die blauen Rauchwolken aus dem andern in die Luft hinaus.

Als er aber am Wirtshaus drüben die ausgetretene Holztreppe hinaufstieg, schwand ein Teil seines Selbstbewußtseins, und er legte sich die beunruhigende Frage vor, ob die protzigen Bauernsöhne ihn in ihrer Gesellschaft dulden würden. Mehr als anderswo scheidet auf dem platten Lande der Besitz die Menschen in Kasten, die sich nur bei der Arbeit nähern, sonst aber gegenseitig ausschließen, ein Zustand, der durch patriarchalisches Alter eine gewisse Ehrwürdigkeit erlangt hat.

Bei der Tür angekommen, ließ er die Pfeife ausgehen und mischte sich unter jene bedauernswerte Reserve der Tänzerinnen, die aus Mangel an Schönheit oder Geld keine Verehrer finden und sich nun an der Tür und in den Zimmerecken herumdrücken, zischelnde Reden führen und vom Neid vergiftete Blicke nach ihren Rivalinnen werfen. So stand er mit Gefühlen, die von denen seiner allernächsten Umgebung nicht wesentlich verschieden waren, und sah die Paare bald in wogendem Walzertakt gemächlich sich drehen, bald im Galopp vorüberrasen.

Soeben durchquerte einer von den Musikanten mit einem Zinnteller den Saal und wo ein überhitztes Paar eine kleine Pause machte, da erschien er wie ein Geist, der aus der Erde gestiegen. Plötzlich und erhob von dem Tänzer den Lohn für die Musik. Sein Späherauge glühte über dem ganzen mit Menschen vollgestopften Saale und keiner, in dessen Taschen er Geld vermutete, entging seiner einnehmenden Aufmerksamkeit. Er kam auch an den Michael Hely und hielt ihm den Zinnteller unter die Nase mit den Worten: »Kein Geld, keine Courage?«

Kein Geld? Wer konnte ihm das nachsagen? Er hatte seine Ersparnisse von drei Jahren in der Tasche, und er fühlte, daß wenige da sein dürften, die ihm das Geldstück wechseln konnten, das er in der Westentasche trug. Er war geärgert über den geringschätzigen Ton, den er aus der Anrede des Musikanten herauszuhören glaubte, und er wollte sich nicht lumpen lassen. Er griff in die Hosentasche, tastete einen halben Gulden und warf ihn laut klirrend auf den Teller.

Daß es ihm an Geld nicht fehlte, das hatten die Leute gesehen; nun sollten sie auch sehen, daß er Courage habe. Ja, jetzt wollte er tanzen, mitten unter den geldstolzen Bauernsöhnen, die so taten, als ob Gott die Kirchweihen zu ihrer ausschließlichen Nutznießung speziell gemacht habe. Er hatte bezahlt so gut, vielleicht besser, als mancher andere und er wollte tanzen, was auch daraus werden mochte.

Da er bei der Auswahl seiner Tänzerin in eine der Ecken griff und nicht nach den Tischen verlangte, wo die Bauern mit ihren rotbäckigen Töchtern vor vollen Weinflaschen saßen, so entging er der unangenehmen Wahrscheinlichkeit, sich einen Korb zu holen.

Die Musik spielte zum nächsten Tanze auf und er trat an und schwang im Sechsschrittwalzer, wie er ihn in den Hopfenscheunen von Schwetzingen erlernt hatte, seine Tänzerin, daß die Kleider wie Segel flatterten und daß der Zugwind, den sie erzeugten, beinahe den dünnen Kuchen, der in den Tellern auf allen Tischen stand, durch die offenen Fenster wehte.

Der erste Eindruck, den dieses ungebetene Eindringen eines solchen Halunken in eine so erlauchte Gesellschaft seltsam geformter Bauernschädel machte, war ein sprachloses Entsetzen, dem erst allmählich die Wut nachhinkte. Von den Tischen hörte man derbe Flüche und hin und wieder einen Segenswunsch, der, wenn er sich erfüllt, dem Michael Hely die Möglichkeit gegeben hätte, noch am gleichen Abend mit des Teufels Großmutter zu tanzen. Von den walzenden Paaren setzte eines nach dem andern aus, und die aufgeputzten Bauerndirnen rümpften die Nasen und sahen mit hochmütiger Verachtung über die Schultern weg nach dem Dorfteufel und der Tänzerin, die er sich zugelegt hatte. Indessen ging ein Flüstern durch die Reihen, und wo das leise gesprochene Wort nicht zum Verständnis ausreichen wollte, da half ein Zwinkern mit den Augen nach und ein sanftes Stoßen an die schwellenden Hüften. Aller Augen richteten sich auf den Hofbauerns Peter Anton, einen langen Schlingel, der bei den Chevauxlegers diente und der das Fest durch seine Gegenwart und den Glanz seiner Uniform verherrlichte. Dieser begriff sofort das Ehrenvolle des Auftrags, den er von allen Gesichtern las, und er steuerte los mit seiner Tänzerin.

Gerade als der Michael Hely an der Saaltür vorübertanzen wollte, karambolierten die beiden Paare, und ehe er noch recht wußte, was geschah, lag der Hely im Hausgange und diejenige, die bis jetzt mit ihm das Vergnügen geteilt hatte, teilte nun auch den Schmerz des Falles und die ganze Erniedrigung, die er nach sich zog. Ein wütendes Gelächter und lautes Beifallklatschen füllte den Saal und streckte den langen Peter Anton derartig, daß es ihm fast unmöglich wurde, in seiner Siegergröße unter dem Durchzug der niederen Stube hindurchzukommen.

Der laute Beifallssturm gab dem Dorfteufel die Besinnung wieder. Wutschnaubend erhob er sich vom Boden, stürzte in den Saal und seinem Gegner an die Kehle. Im selben Augenblick faßten ihn zwanzig Fäuste und schneller als er hinaufgekommen war, flog er die Treppe hinunter, und hinter ihm her die Pelzmütze, die er im Kampfe verloren hatte.

Wütend sprang er auf die Füße, tastete nach dem Messer an der Seitennaht seiner Hose, er fühlte in sich die Kraft und Rücksichtslosigkeit, mit einer Welt zu kämpfen. Doch zehn Finger umkrallten sein Handgelenk und zogen ihn in die Küche. Hinter ihm drehte ein Schlüssel den Riegel ins Schloß, er war gefangen.

Jetzt erst sah er, wer ihm diesen Dienst geleistet. Es war die Ihleins Lisbeth, die man über das Fest als Aushilfsköchin verwendet hatte. Gewiß, es war nicht leicht, den Ergrimmten zur Ruhe zu bringen; aber schließlich gelang es dem mütterlichen Zuspruch des braven Weibes doch, und als die Nacht seine Schande verbarg, ging der Jüngling, der den Sturm in seinem Inneren niedergekämpft hatte, ruhigen Schrittes über die Straße, nach seiner stillen Dachkammer und hängte die neuen Kleider in den Schrank, fest entschlossen, sie nicht eher herauszuholen, als bis er sie in sein Wanderbündel schnallen könne.

Der Meisterin teilte er seinen Entschluß, in die Fremde zu gehen, mit und diese bat ihn, noch solange zu bleiben, bis sie Ersatz gefunden hätte.

So kam der Winter. Der Schneesturm verwehte die Straßen, und wer nicht ins Freie mußte, pries sein Geschick und suchte mit dem warmen Ofen Freundschaft zu machen. Wenn der Michael Hely nachts in seiner Dachkammer unter der weichen Decke lag und hörte, wie der Wind vor Kälte heulte und am Fenster rüttelnd Einlaß begehrte in die warme Stube, dann ward es ihm leichter, seine Ungeduld zu dämpfen. Aber er spähte doch nach den Zeichen des kämpfenden Frühlings, und als die Märzensonne den roten Staub auf der Straße trocknete und kleine Wirbelwinde ihn neckend zu Trichtern formten, die über den Feldern tanzten, sah er oft die Gasse hinunter, ob kein Ersatz für ihn käme und fragte jeden Handwerksburschen, ob er nicht ein Schreiner wäre.

 


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