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Neuntes Kapitel

Wiederum regierte mit eisiger Kälte der Winter im Land. Weltfern, wie eine Oase im Sand der Wüste, lag das Dorf im Schnee, der fußhoch das Tal und die langgezogenen Bergeshänge bedeckte. Der Postverkehr war eingestellt oder funktionierte nur sehr unregelmäßig. Der Kontakt mit der Welt da draußen war aufgehoben. Etwas hoffen und etwas sorgen muß aber der Mensch. Hat er keine welterregenden Ereignisse zu diskutieren, so begnügt er sich damit, kleine Nichtigkeiten um so gründlicher zu beleuchten. Er redet mit dem Nachbar vom Wetter, von den schlechten Zeiten, über des Kaisers Bart.

Die Waldmichelbacher waren in dieser Beziehung gut daran. Ein anderer Bart lag ihnen noch näher als der des Kaisers.

In der äußern Erscheinung des Michael Hely vollzog sich ein Wandel, der schnüffelnder Neugier nicht entgangen war. Aus der breiten Fläche seiner Backen wucherte grau meliert ein struppiges Dickicht und drohte, den stolzen Henri quatre zu ersticken, den er mit Selbstbewußtsein trug, weil er ihm ein gewisses fremdartiges Gepräge gab und sein Äußeres von dem Hintergrund der glattgeschorenen Bauerngesichter abhob, geradeso, wie auch sein Denken und Fühlen ein anderes war als das seiner Umgebung.

Viele wollten im Überwuchern des Barthaares, in dieser scheinbaren Vernachlässigung seines äußern Menschen ein Zeichen der Dekadenz sehen und wagten die Behauptung aufzustellen, daß es dem Dorfteufel an Geld fehle, den Nägele zu bezahlen. Andere wieder unterstellten, daß bei der geringen Entfernung von Kinn und Kehle und bei dem notorischen Zittern des Barbiers die Lebensgefahr für den Michael Hely eine zu große geworden sei. Sie bezichtigten ihn der feigen Furcht. Der Nägele selber, der sich über das Entgehen eines Verdienstes ärgerte und dessen unleugbare Kunstfertigkeit durch den Mangel an Zutrauen von seiten eines seiner Kunden in den Augen der anderen heruntergesetzt wurde, trieb die Bosheit so weit, daß er behauptete: »Der Dorfteufel müsse seinen Tiergarten vergrößern, da das Wild in den seitherigen Beständen keine ausreichende Nahrung mehr fände.« Dabei kratzte er sich hinter den Ohren und drückte die beiden Daumennägel so lebenswahr übereinander, daß die Zunächststehenden unwillkürlich einen Schritt zurücktraten, um nicht von kleinen Spritzern getroffen zu werden, die bei dem angedeuteten Hinrichtungsverfahren keine Seltenheit sind.

Der Michael Hely kümmerte sich nicht um das Gerede der Leute, ihm war es einerlei, ob man ihn für sauber oder unsauber hielt, reich oder arm. Und er war in der Tat in jenem Winter arm. Die bäuerliche Bevölkerung der Gegend saß hinter dem Ofen; jeder Betrieb ruhte, und die Gelegenheit zu verunglücken oder zu erkranken war eine so geringe, daß der Großherzogliche Bezirksarzt eine Bittschrift um Gehaltserhöhung damit motivierte: »Es herrsche epidemische Gesundheit im Lande.« Sterben wollte erst recht niemand. Im Besitze einer warmen Stube und alles dessen, was man aus einem rechtschaffenen Schwein nach seinem Hinscheiden aus dieser Zeitlichkeit Gutes machen kann, verminderte sich die Sehnsucht nach dem Himmel ganz wesentlich, und selbst das Gebet der Gottergebenen lautete: »Herr, wie Du willst, Dein Diener eilt nicht.«

Somit war der Zugwind im Sarggeschäft bedenklich abgeflaut, und der Michael Hely, den all seine Würden und Bürden im Dienst der Kirche nicht ernährten, mußte daran denken, sich noch einen Nebenverdienst zu verschaffen.

Er begann Siebe zu machen. Wir Jungens halfen ihm. Wir sortierten das Rohr und flochten es mit unseren gelenkigen Fingern in Holzrahmen. Unser Freund spannte es über die Trommel aus Eschenholz. So entstanden vor unsern Augen Siebe mit großen Maschen für Weizen und Roggen und solche mit winzig kleinen Poren: Mehlsiebe.

Wer von uns zu Hause eine Mutter hatte, wußte die Gute an der Schürze nach dem Küchenschrank zu ziehen und ihr allerlei abzubetteln für den Einsiedler auf dem Turm. Butter und Eier, Obst und Kartoffeln, Fleisch und Brot kamen wie das Geschenk gütiger Heinzelmännchen über Nacht ins Haus.

Am Ofen regten sich fleißige Hände. Aus dem harten Kiesel lockte der Stahl den lachenden Funken. Der Zunder nahm ihn liebend auf und gab ihm reichliche Nahrung, bis das Stroh ihm die Kraft verlieh fast selbständig aufzutreten. Voll Übermut sprang er als Flamme hinüber auf das Holz und nun rauschte und schnurrte er über dem Roste, daß den eisernen Platten des Ofens vor Zorn die Wangen glühten. Auch das Wasser im Topfe schien ungehalten, denn es fing an aufzubrausen und polternd stürzte es über den Rand der Blechgeschirre, um zischend zu verdampfen. Dann regte sich die Kartoffel in dem heißen Dampfbad, schwoll an und sprengte ihre Haut, um das süße Mehl zu zeigen, das in ihrem Innern verborgen war. Ein wenig Milch in einem Töpfchen, ein wenig Fleisch auf einem Teller und das Tischlein deck Dich war für den Michael Hely bereitet, der unterdessen nachdenklich in einer Ecke des Raumes an seinen Sieben gearbeitet hatte. So gingen die harten Tage des Januar ins Land, der Februar folgte, der März machte wieder ein freundlicheres Gesicht. Die Sonne schien, man brauchte weniger Holz, die Aussicht auf Verdienst lockte, der Haufen Siebe war gewachsen, der Dorfteufel hatte glücklich überwintert und keiner wußte wie.

 


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