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Einzug in Kiew und Rückkehr nach Moskau. – Festlichkeiten. – Meine Schulden. – Meine finanzielle Lage – Die Feinde meiner Mutter. – Der Großfürst erkrankt an den Masern. – Reise nach Petersburg. – Geburtstagsfeier der Kaiserin in Twer. – Der Großfürst bekommt die Pocken. – Fürst Galitzin und Zacharias Czernitscheff. – Wir reisen miteinander nach Petersburg weiter. – Meine Beschäftigungen. – Graf Gyllenburg. – Schilderung meines eigenen Ichs. – Der Großfürst kehrt nach seiner Genesung nach Petersburg zurück. – Feier des siebzehnten Geburtstages Peters. – Die Kaiserin lobt meine Aussprache des Russischen. – Verdruß meiner Mutter. – Prinz August von Holstein, ihr Bruder. – Man gibt mir russische Kammerfrauen.
Am 29. August zogen wir endlich in Kiew ein. wir blieben zehn Tage dort und kehrten darauf nach Moskau, ganz und gar in derselben Weise wie wir gekommen waren, zurück.
In Moskau verging dann der ganze Herbst mit Theater, Ballett und Hofmaskeraden. Trotz aller Feste aber bemerkte man, daß die Kaiserin häufig verstimmt war. Eines Tages, als meine Mutter und ich mit dem Großfürsten in einer der kaiserlichen gegenüberliegenden Loge im Theater saßen, bemerkte ich, daß die Kaiserin sehr heftig und aufgebracht mit dem Grafen Lestocq sprach. Als sie zu Ende geredet, verließ Lestocq sie, kam in unsere Loge, näherte sich mir und sagte: »Haben Sie gesehen, wie die Kaiserin mit mir gesprochen hat?« Ich antwortete bejahend. »Nun,« fuhr er fort, »sie ist sehr böse auf Sie.« – »Auf mich? und weshalb?« erwiderte ich. »Weil Sie viel Schulden gemacht haben. Als sie Prinzessin gewesen, habe sie ebenfalls keine andere Einnahme gehabt und noch dazu für ein ganzes Haus sorgen müssen, doch sie habe sich gehütet, Schulden zu machen, weil sie gewußt, daß niemand dieselben für sie bezahlen werde.« Er sagte dies alles in einem ärgerlichen, trockenen Ton, wahrscheinlich, damit die Kaiserin aus ihrer Loge sehen sollte, wie er sich seines Auftrages entledigte. Die Tränen traten mir in die Augen, aber ich schwieg. Nachdem er ausgeredet, entfernte er sich. Der Großfürst, der neben mir saß und den größten Teil unserer Unterhaltung gehört hatte, fragte mich nach dem, was er nicht verstanden und gab mir dann mehr durch Mienen als durch Worte zu verstehen, daß er der Meinung seiner Frau Tante sei und es ganz recht finde, daß man mich gescholten habe. Dies entsprach durchaus seiner Art und Weise: er glaubte sich der Kaiserin angenehm zu machen, indem er auf ihre Ansichten einging, wenn sie jemand zürnte. Als meine Mutter hörte, um was es sich handele, erklärte sie, man habe ja alle möglichen Mittel angewandt, mich ihrer Autorität zu entziehen und mich in den Stand gesetzt, ohne ihren Rat zu handeln, so daß sie ihre Hände in Unschuld wasche. So nahmen sie beide gegen mich Partei.
Ich selbst wünschte nichts mehr, als meine Angelegenheiten sofort in Ordnung zu bringen und forderte am nächsten Tag meine Rechnungen. Aus diesen ersah ich, daß sich meine Ausgaben auf 17 000 Rubel beliefen. Vor der Abreise von Moskau nach Kiew hatte die Kaiserin mir 15 000 Rubel und eine große Kiste mit sehr einfachen Kleidungsstoffen gegeben, obgleich ich mich reich kleiden sollte. So betrug denn am Ende meine ganze Schuld 2000 Rubel, was mir keine unmäßige Summe schien. Uebrigens hatten mich verschiedene Umstände in Unkosten gestürzt.
Erstens war ich mit einer sehr unvollständigen Ausstattung nach Rußland gekommen. Wenn ich drei oder vier Kleider hatte, so war dies das höchste, und das an einem Hofe, wo man den Anzug täglich dreimal wechselt. Meine ganze Wäsche bestand aus einem Dutzend Hemden, und die Bettücher gebrauchte ich von meiner Mutter.
Zweitens hatte man mir gesagt, daß man in Rußland gern Geschenke empfinge, daß man sich durch Großmut Freunde erwerbe und sich gern gesehen mache.
Drittens hatte man mir die verschwenderischste Frau in ganz Rußland beigegeben, die Gräfin Rumianzoff, die immer von Kaufleuten umringt war und mir täglich eine Menge Sachen zeigte, die sie mich aufforderte, zu kaufen, und die ich häufig nur nahm, um sie ihr zu schenken, weil sie großes Verlangen danach hatte.
Dazu kostete mich der Großfürst viel, weil er ungeheuer gierig nach Geschenken war.
Auch die Verstimmung meiner Mutter war leicht gehoben, sobald man sie mit etwas erfreute, was ihr gefiel, und da sie sich damals häufig besonders gegen mich übelgelaunt zeigte, vernachlässigte ich nicht, dies von mir entdeckte Mittel in Anwendung zu bringen. Die Mißstimmung meiner Mutter rührte meist daher, daß sie bei der Kaiserin in vollkommener Ungnade stand und diese sie oft kränkte und demütigte. Außerdem sah sie nicht ohne Mißfallen, daß ich vor ihr den Vortritt hatte, was ich, so oft es möglich war, vermied; aber bei öffentlichen Gelegenheiten ließ sich nichts daran ändern. Ueberhaupt hatte ich mir zur Regel gemacht, ihr die größte Achtung und Ergebenheit zu beweisen, doch half mir dies wenig. Bei jeder Veranlassung entschlüpften ihr Ausdrücke der Bitterkeit, welche ihre Lage nicht besserten und die Menschen nicht zu ihren Gunsten einnahmen.
Unter den Personen, die meiner Mutter schadeten, war besonders die Gräfin Rumianzoff, die durch Hin- und Herreden und Klatschereien am meisten dazu beitrug, sie bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht zu setzen. Jener achtsitzige Wagen auf der Reise nach Kiew spielte dabei eine große Rolle. Alle Alten waren davon ausgeschlossen, alle Jungen zugelassen worden. Der Himmel weiß, welche Bedeutung man diesem in Wirklichkeit so unschuldigen Vergnügen beigemessen hatte. Das wahrscheinlichste aber ist, daß alle diejenigen, die durch ihren Rang eigentlich hätten zugelassen werden sollen, sich darüber ärgerten, daß man ihnen andere, die unterhaltender waren als sie, vorzog. Im Grunde aber rührte die Sache daher, daß man Betzki und die Trubetzkois, in die meine Mutter großes Vertrauen setzte, nicht an der Reise nach Kiew hatte teilnehmen lassen. Hieran waren Brummer und die Gräfin Rumianzoff sicher schuld, und der achtsitzige Wagen, in den man sie nicht mit Platz nehmen ließ, war eine Art Rache von meiner Mutter.
Im November bekam der Großfürst in Moskau die Masern. Da ich dieselben noch nicht gehabt, wandte man Vorsichtsmaßregeln an, um mich vor Ansteckung zu bewahren. Die Umgebung des Prinzen kam nicht mehr zu uns, und alle Vergnügungen hörten mit einem Male auf. Sobald er aber genesen, reisten wir zu Anfang des Winters von Moskau nach Petersburg; meine Mutter und ich in einem, der Großfürst und Brummer in einem anderen Schlitten. Wir feierten den 18. Dezember, den Geburtstag der Kaiserin, in Twer und setzten Tags darauf unsere Reise fort. Als wir die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten und in dem Flecken Chotilowo angekommen waren, fühlte sich der Großfürst, als er des Abends in meinem Zimmer war, plötzlich unwohl. Man brachte ihn in das seinige und legte ihn zu Bett. Während der Nacht litt er an heftigem Fieber. Den folgenden Morgen begaben wir uns, meine Mutter und ich, in sein Zimmer, um ihn zu besuchen. Allein kaum hatte ich die Türschwelle überschritten, als Graf Brummer mir entgegenkam und mir empfahl, nicht weiter zu gehen. Natürlich wollte ich die Ursache wissen, und er sagte mir, daß Pockenflecken beim Großfürsten zum Vorschein gekommen wären. Da ich die Pocken nicht gehabt hatte, führte mich meine Mutter schnell hinweg, und es wurde beschlossen, daß sie und ich noch an demselben Tag nach Petersburg abreisen sollten, während der Großfürst und seine Umgebung in Chotilowo zurückblieben. Auch die Gräfin Rumianzoff und die Ehrendame meiner Mutter blieben dort, um, wie man sagte, den Kranken zu pflegen.
Man hatte sofort einen Kurier an die Kaiserin abgeschickt, die vor uns abgereist und schon in Petersburg angekommen war. Kurz vor Nowgorod trafen wir sie. Sie hatte, als man ihr die Nachricht übermittelte, daß die Pocken bei dem Großfürsten ausgebrochen seien, Petersburg sogleich verlassen, um sich zu ihm nach Chotilowo zu begeben, und hielt sich dort solange auf, als die Krankheit währte. Sowie die Kaiserin uns sah, ließ sie, obgleich es mitten in der Nacht war, ihren und unsern Schlitten halten und fragte, wie sich der Großfürst befinde. Meine Mutter sagte ihr alles, was sie wußte, worauf die Kaiserin dem Kutscher weiter zu fahren befahl und auch wir unsere Fahrt nach Nowgorod fortsetzten, wo wir gegen Morgen eintrafen.
Es war Sonntag und ich ging zur Messe. Dann dinierten wir. Als wir eben wieder abfahren wollten, kamen der Kammerherr Fürst Galitzin und der Kammerkavalier Zacharias Czernitscheff von Moskau an, die im Begriff waren, nach Petersburg zu reisen. Meine Mutter war gegen den Fürsten Galitzin sehr erzürnt, daß er mit dem Grafen Czernitscheff reiste, weil dieser ich weiß nicht welche Lüge gesagt haben sollte. Sie behauptete, man müsse ihn fliehen wie einen gefährlichen Menschen, der nach Belieben Geschichten erdichte. Sie schmollte also mit beiden. Da man sich indes bei diesem Schmollen zum Sterben langweilte, und man außerdem nicht viel Auswahl hatte, da sie ferner viel unterrichteter waren und angenehmer plauderten als die andern, so stimmte ich nicht mit meiner Mutter überein, was mir ihrerseits mehrere bittere Bemerkungen zuzog.
Endlich kamen wir in Petersburg an und wurden in einem der zum Hofe gehörenden Häuser einquartiert. Da aber das Schloß, worin die Kaiserin wohnte, nicht geräumig genug war, um auch den Großfürsten darin unterzubringen, bewohnte er ein zwischen dem Palaste und dem unsrigen liegendes Haus. Meine Zimmer befanden sich im linken, die meiner Mutter im rechten Flügel des Schlosses. Sowie meine Mutter diese Anordnung bemerkte, ärgerte sie sich darüber, erstens, weil es ihr schien, als seien meine Zimmer besser gelegen als die ihren, zweitens, weil die ihrigen von den meinigen durch einen gemeinsamen Saal getrennt waren. In Wahrheit hatte jede von uns vier Zimmer, zwei nach vorn und zwei nach dem Hofe. Sie waren ganz gleich und ohne Unterschied mit blauen und roten Möbeln ausgestattet. Was aber am meisten dazu beitrug, meine Mutter aufzubringen, war, daß mir die Gräfin Rumianzoff in Moskau den Plan des Hauses auf Befehl der Kaiserin gezeigt, mir verboten, davon zu sprechen und mich zu Rate gezogen hatte, wie man uns einlogieren sollte. Da die Zimmer aber ganz gleich waren, konnte von einer Wahl nicht die Rede sein. Ich sagte dies der Gräfin, die mir bemerkte, daß es der Kaiserin angenehmer sei, wenn ich für mich wohnte, statt, wie in Moskau, mit meiner Mutter die Wohnung zu teilen. Diese Einrichtung gefiel auch mir bei weitem besser, weil ich mich in den Zimmern meiner Mutter sehr unbehaglich fühlte und ihre Gesellschaft buchstäblich niemand zusagte. Meine Mutter mußte wohl ahnen, daß man mir jenen Plan vorgelegt, und sprach davon, worauf ich ihr ganz einfach erzählte, was vorgefallen. Sie schalt mich, daß ich ihr die Sache verheimlicht hätte, doch ich erwiderte, man habe mir verboten, davon zu reden, worin sie indes keinen Grund zum Schweigen sehen wollte. Ueberhaupt bemerkte ich, wie sie von Tag zu Tag gereizter gegen mich wurde und ziemlich mit allen in gespanntem Verhältnis lebte, so daß sie weder mehr zum Diner noch zum Souper erschien, sondern sich in ihrem Zimmer servieren ließ. Nichtsdestoweniger besuchte ich sie drei- bis viermal am Tage; den Rest meiner Zeit benutzte ich, die russische Sprache zu erlernen, Klavier zu spielen und Bücher zu lesen, die ich mir selbst gekauft. So war ich denn mit fünfzehn Jahren für mein Alter einsam und fleißig genug.
Gegen Ende unseres Aufenthaltes in Moskau kam eine schwedische Gesandtschaft, an deren Spitze der Senator Cederkreutz stand. Kurz darauf traf auch Graf Gyllenburg ein, um der Kaiserin von der Vermählung des Kronprinzen von Schweden, des Bruders meiner Mutter, mit einer schwedischen Prinzessin Anzeige zu machen. Wir kannten Graf Gyllenburg und viele andere Schweden seit der Abreise des Kronprinzen nach Schweden. Er war ein sehr geistreicher Mann, nicht mehr jung, auf den meine Mutter große Stücke hielt. Ich meinerseits war ihm einigermaßen verpflichtet, denn als er in Hamburg bemerkte, daß meine Mutter wenig oder gar nichts von mir halte, sagte er ihr, sie habe unrecht, ich sei entschieden ein über mein Alter entwickeltes Kind. In Petersburg angelangt, kam er sofort zu uns und sagte mir aufs neue, ich habe eine sehr philosophische Geistesrichtung und fragte mich dann, wie es in dem Strudel meines gegenwärtigen Lebens mit meiner Philosophie stehe. Als ich ihm erzählte, womit ich mich in meinem Zimmer beschäftigte, bemerkte er, eine fünfzehnjährige Philosophin könne sich nicht selbst kennen, und ich sei von so vielen Klippen umgeben, daß er sehr fürchte, ich werde scheitern, wenn nicht mein Geist sich über alles erhebe. Es sei notwendig, ihn durch die beste Lektüre zu nähren, und zu diesem Zweck empfahl er mir, »Plutarchs Lebensbeschreibungen berühmter Männer«, das »Leben Ciceros« und die »Ursachen der Größe der Römer und des Verfalls des römischen Reichs« von Montesquieu zu lesen. Sofort ließ ich mir diese Bücher besorgen, die damals in Petersburg nur mit Mühe aufzutreiben waren. Ihm aber versprach ich eine Schilderung meiner selbst, so wie ich mich kenne, damit er sehen möge, ob ich mich richtig beurteile oder nicht.
In der Tat entwarf ich ein Bild von mir in einem Aufsatz unter dem Titel: »Porträt der fünfzehnjährigen Philosophin« – und schickte es ihm. Viele Jahre später, 1758, habe ich dieses »Porträt« wieder gefunden und war erstaunt über die tiefe Selbstkenntnis, welche es enthielt. Unglücklicherweise habe ich es in jenem Jahre mit allen andern Papieren verbrannt, da ich fürchtete, auch nur ein einziges in meinem Zimmer zu behalten, wegen der unglücklichen Affäre mit Bestuscheff.
Graf Gyllenburg gab mir einige Tage später mein Schriftstück zurück. Ob er eine Abschrift davon genommen hat, weiß ich nicht. Er begleitete es mit einem Dutzend Seiten voller Bemerkungen, worin er versuchte, die Seelengröße und Festigkeit ebenso sehr wie die andern Eigenschaften des Herzens und des Geistes in mir zu befestigen. Immer von neuem las ich durch, was er geschrieben, vertiefte mich darein und nahm mir vor, seinen Ratschlägen zu folgen. Ich versprach es mir selbst, und wenn ich mir etwas selbst versprochen, so habe ich es, so viel ich weiß, immer gehalten. Darauf gab ich dem Grafen Gyllenburg sein Schriftstück zurück, wie er mich gebeten hatte, und ich gestehe, daß es sehr dazu beigetragen hat, meinen Geist und meine Seele zu bilden und zu stählen.
Anfang Februar kam die Kaiserin mit dem Großfürsten von Chotilowo zurück. Sobald man uns von ihrer Ankunft benachrichtigte, gingen wir ihr entgegen und trafen sie im großen Saale zwischen vier und fünf Uhr abends, in der Dämmerung. Trotzdem erschrak ich fast, als ich den Großfürsten sah, der bedeutend gewachsen, dessen Gesicht aber fast unkenntlich geworden war. Seine Züge waren grob, das ganze Gesicht noch angeschwollen, und es war unzweifelhaft, daß man ihm die Spuren seiner Krankheit immer ansehen würde. Da man ihm die Haare abgeschnitten hatte, trug er eine ungeheure Perücke, welche ihn noch mehr entstellte. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob es mir nicht schwer werde, ihn wiederzuerkennen. Verwirrt stammelte ich einen Glückwunsch zu seiner Genesung, aber er war in der Tat abscheulich häßlich geworden.
Am 9. Februar 1745 war gerade ein Jahr seit meiner Ankunft am russischen Hofe verflossen. Am 10. feierte die Kaiserin den Geburtstag des Großfürsten, der in sein siebzehntes Jahr eintrat. Sie dinierte mit mir allein auf dem Throne, da der Großfürst noch nicht öffentlich erschien. Man beeilte sich nämlich nicht, ihn gerade in diesem Zustande, in den er durch die Pocken versetzt war, zu zeigen. Während des Diners war die Kaiserin sehr gnädig gegen mich. Sie sagte mir, daß die russischen Briefe, welche ich ihr nach Chotilowo geschrieben, ihr viel Freude gemacht hätten; sie wisse, daß ich mich sehr bemühe, die Landessprache zu erlernen. In Wirklichkeit waren sie von Abaduroff abgefaßt, von mir aber eigenhändig abgeschrieben. Dabei sprach sie immer Russisch mit mir und wollte, daß auch ich ihr in dieser Sprache antwortete, was ich denn auch tat. Sie lobte meine gute Aussprache und gab mir zu verstehen, daß ich seit meiner Krankheit in Moskau hübscher geworden sei; kurz, während des ganzen Diners war sie nur darauf bedacht, mir ihre Güte und Zuneigung zu beweisen. Sehr heiter und glücklich kam ich in mein Zimmer zurück, und jedermann beglückwünschte mich. Die Kaiserin ließ mein Porträt, welches der Maler Caravaque angefangen hatte, holen und behielt es bei sich in ihrem Zimmer; es ist dasselbe, welches der Bildhauer Falconnet mit nach Frankreich genommen hat; es war sprechend ähnlich.
Um in die Messe oder zur Kaiserin zu gehen, mußten meine Mutter und ich die Gemächer des Großfürsten durchschreiten, die neben den meinigen lagen, wir sahen ihn daher sehr oft. Manchmal brachte er auch des Abends einige Augenblicke bei mir zu, aber ohne besondere Lust; im Gegenteil, er war immer sehr vergnügt, wenn er einen Vorwand fand, um sich zu entschuldigen und in seinem Zimmer bleiben konnte, umgeben von seinem gewöhnlichen Spielzeug, wovon ich bereits gesprochen.
Kurz nach der Ankunft der Kaiserin und des Großfürsten in Petersburg hatte meine Mutter einen großen Verdruß, den sie nicht verbergen konnte. Der Sachverhalt ist folgender:
Prinz August, der Bruder meiner Mutter, hatte ihr nach Kiew geschrieben, daß er gern nach Rußland kommen möchte. Meine Mutter aber wußte, daß diese Reise nur den Zweck hatte, bei der Majorennität des Großfürsten, welche man vor der Zeit proklamieren wollte, die Verwaltung Holsteins zu erhalten, das heißt, man wünschte die Vormundschaft aus den Händen des ältesten Bruders zu nehmen, der Kronprinz von Schweden geworden war, und die Regierung Holsteins dem Prinzen August, dem jüngeren Bruder meiner Mutter, unter dem Namen eines volljährigen Großherzogs zu übertragen.
Diese Intrige war von der dem Kronprinzen von Schweden feindlichen, mit den Dänen verbundenen Partei, angesponnen, weil es die Dänen dem Kronprinzen nicht verzeihen konnten, daß er in Schweden den Sieg über den Kronprinzen von Dänemark, den die Dalekarlier zum schwedischen Thronfolger wählen wollten, davongetragen hatte. Meine Mutter antwortete ihrem Bruder, dem Prinzen August, von Koselsk aus einfach: statt sich zu Intrigen herzugeben, die ihn verführten, gegen seinen Bruder zu handeln, würde er besser tun, im holländischen Dienste, wo er sich befand, seine Pflicht zu tun und ehrenvoll zu sterben, als gegen seinen Bruder zu kabalieren und sich mit den Feinden seiner Schwester in Rußland zu verbinden. Damit meinte meine Mutter den Grafen Bestuscheff, welcher diese ganze Intrige im Gange hielt, um Brummer und allen andern Freunden des schwedischen Kronprinzen, des Vormundes des Großfürsten für Holstein, zu schaden. Dieser Brief wurde geöffnet und vom Grafen Bestuscheff und von der Kaiserin gelesen, welch letztere durchaus nicht mit meiner Mutter zufrieden und gegen den schwedischen Kronprinzen sehr erbittert war, weil er unter dem Einfluß seiner Gemahlin, einer Schwester des Königs von Preußen, sich zu den Ansichten der französischen Partei, welche denen Rußlands vollkommen entgegen war, hatte fortreißen lassen. Man warf ihm seine Undankbarkeit vor und beschuldigte meine Mutter des Mangels an Zärtlichkeit gegen ihren jüngeren Bruder, weil sie ihm geschrieben, er solle sich töten lassen, ein Ausdruck, den man hart und unmenschlich fand, während meine Mutter sich ihren Freunden gegenüber rühmte, einen festen und treffenden Ton angewendet zu haben. Das Resultat war, daß Graf Bestuscheff, ohne Rücksicht auf die Stimmung meiner Mutter, oder vielmehr, um sie zu verletzen und die ganze holsteinisch-schwedische Partei zu ärgern, für den Prinzen August von Holstein, ohne Wissen meiner Mutter, die Erlaubnis erlangte, nach Petersburg zu kommen. Als meine Mutter erfuhr, daß er unterwegs sei, war sie sehr verstimmt und aufgebracht und empfing ihn mit großer Kälte. Er jedoch, von Bestuscheff angetrieben, ließ sich nicht beirren. Man überredete auch die Kaiserin, ihn freundlich zu empfangen, was wirklich äußerlich in hohem Maße geschah; doch dauerte dies nur kurze Zeit und konnte auch nicht lange währen, da der Prinz August eine ganz unbedeutende Persönlichkeit war. Schon sein Aeußeres nahm nicht zu seinen Gunsten ein. Er war sehr klein und besaß eine schlechte Haltung, hatte dazu wenig Geist bei großem Jähzorn und wurde von den Personen seiner Umgebung geleitet, die ebenfalls alles Nullen waren. Und da es doch einmal gesagt sein muß: es war die Dummheit ihres Bruders, die meine Mutter ärgerte; mit einem Worte, seine Ankunft brachte sie fast zur Verzweiflung.
Indem Graf Bestuscheff sich vollkommen des Prinzen durch seine Umgebung bemächtigte, schlug er mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es konnte ihm nicht entgehen, daß der Großfürst Brummer ebenso sehr haßte, wie er selbst. Auch Prinz August liebte ihn nicht, weil er dem Kronprinzen von Schweden unter dem Vorwande der Verwandtschaft und als Holsteiner ergeben war. Der Prinz schloß bald mit dem Großfürsten Freundschaft, indem er ihm beständig von Holstein erzählte und ihn von seiner künftigen Volljährigkeit unterhielt, bis er ihn endlich so weit brachte, in seine Tante und den Grafen Bestuscheff zu dringen, eine Beschleunigung seiner Mündigkeitserklärung zu bewirken. Hierzu aber war die Erlaubnis des römischen Kaisers nötig. Dies war zu jener Zeit Karl VII. aus dem Hause Bayern, der indes inzwischen starb, so daß sich die Angelegenheit bis zur Wahl Franz I. verzögerte.
Da Prinz August von meiner Mutter sehr kalt empfangen worden war und ihr selbst wenig Achtung bezeigte, verminderte er auch bei dem Großfürsten das geringe Maß von Respekt, das dieser bis dahin noch für meine Mutter bewahrt hatte. Anderseits unterhielten sowohl Prinz August als auch der alte Kammerdiener, der Günstling des Großfürsten, die offenbar meinen künftigen Einfluß fürchteten, den Großfürsten häufig über die Art und Weise, wie er seine Gemahlin behandeln müsse. Der frühere schwedische Dragoner Romberg sagte ihm, daß die seinige kaum vor ihm zu atmen, noch sich in seine Angelegenheiten zu mischen wage, und wenn sie nur den Mund öffne, er ihr zu schweigen befehle; er sei der Herr im Hause, denn für einen Mann wäre es schmachvoll, sich wie ein Einfaltspinsel von seiner Frau lenken zu lassen.
Doch der Großfürst seinerseits war diskret wie ein Kanonenschuß und hatte, wenn Herz und Geist ihm von einer Sache voll waren, nichts Eiligeres zu tun, als es denen zu erzählen, mit denen er zu sprechen gewöhnt war, ohne zu bedenken, wem er es sagte. So erzählte mir Seine kaiserliche Hoheit auch diese Gespräche ganz offen bei der ersten Gelegenheit wieder. Er nahm immer von vornherein treuherzig an, daß jedermann seiner Ansicht und nichts natürlicher sei, als dies. Ich wiederum scheute mich nicht, offen hierüber mit allen zu reden, konnte aber doch nicht umhin, über das Los, das mich erwartete, sehr ernste Gedanken zu hegen. Ich beschloß also, das Vertrauen des Großfürsten so viel als möglich zu bewahren, damit er mich wenigstens als eine ihm ergebene Person betrachte, der er ohne Scheu alles sagen konnte. Dies gelang mir denn auch lange Zeit. Uebrigens behandelte ich jedermann so gut ich irgend konnte und studierte aufs genaueste, wie ich die Freundschaft derer gewinnen oder doch wenigstens ihre Feindschaft mindern konnte, von denen ich die geringste üble Stimmung gegen mich argwöhnte. Ich bewies keinerlei Neigung für eine oder die andere Person, mischte mich in nichts, zeigte stets eine heitere Miene, große Zuvorkommenheit, Aufmerksamkeit und Höflichkeit gegen alle. Und da ich von Natur aus heiter war, sah ich mit Vergnügen, wie ich von Tag zu Tag die Zuneigung des Publikums gewann, das mich als ein interessantes Kind betrachtete, dem es nicht an Geist fehle. Meiner Mutter bewies ich die größte Achtung, der Kaiserin unbedingten Gehorsam, dem Großfürsten viel Rücksicht und suchte mit unermüdlichem Eifer die Zuneigung des Volkes zu gewinnen.
Schon in Moskau hatte mir die Kaiserin Elisabeth Damen und Herren beigegeben, die meinen Hof bildeten. Bald nach meiner Ankunft in Petersburg gab sie mir russische Kammerfrauen, um, wie sie sagte, mir das Erlernen der russischen Sprache zu erleichtern. Dies war mir sehr angenehm, da es nur junge Mädchen waren, von denen die älteste ungefähr zwanzig Jahre zählte. Alle waren sehr lustig, so daß ich seitdem von meinem Erwachen bis zum Schlafengehen nichts anderes tat, als singen, tanzen und scherzen. Abends nach dem Souper ließ ich meine drei Damen, die beiden Fürstinnen Gagarin und Fräulein Kucheleff in mein Schlafzimmer kommen, wo wir Blindekuh und alle Art kindlicher Spiele spielten. Aber alle diese Mädchen hatten eine tödliche Furcht vor der Gräfin Rumianzoff. Da diese jedoch vom Morgen bis zum Abend im Vorzimmer oder in ihren Gemächern Karten spielte und nur notgedrungen von ihrem Sessel aufstand, kam sie höchst selten zu uns herein.
Inmitten unserer Vergnügungen fiel es mir einst ein, die Aufsicht über alle meine Sachen unter meine Kammerfrauen zu verteilen. Meine Kasse, meine Ausgaben und meine Wäsche überließ ich der Sorge des Fräulein Schenk, dem Kammermädchen, welches ich aus Deutschland mitgebracht hatte. Sie war eine alte Jungfer, einfältig und mürrisch, der unsere Heiterkeit aufs höchste mißfiel. Außerdem war sie auf alle ihre jungen Gefährtinnen, welche ihre Funktionen und meine Zuneigung teilen sollten, eifersüchtig. Meine Juwelen übergab ich der Aufsicht Fräulein Jukoffs, die, weil sie am meisten Geist besaß und heiterer und offener als die andern war, meine besondere Gunst zu gewinnen wußte. Meinem Kammerdiener Timotheus Nevreinoff vertraute ich meine Kleider an; meine Spitzen dem Fräulein Balkoff, welche bald darauf den Dichter Sumarokoff heiratete. Meine Bänder erhielt Fräulein Skorochodoff, die ältere, die später an Aristarchus Kachkin vermählt wurde. Nur deren jüngere Schwester Anna erhielt kein Amt, weil sie erst dreizehn oder vierzehn Jahre alt war.
Am Tage nach dieser schönen Einteilung, wo ich meine Zentralgewalt in meinem Zimmer ausgeübt hatte, ohne eine Seele um Rat zu fragen, war abends Theater. Um dorthin zu gehen, mußte man durch die Gemächer meiner Mutter. Man hatte nämlich in einer Reitbahn, die zur Zeit der Kaiserin Anna dem Herzog von Kurland gehörte, dessen Gemächer ich bewohnte, eine kleine Bühne errichtet, und die Kaiserin, der Großfürst, sowie der ganze Hof waren anwesend. Nach dem Theater, als die Kaiserin in ihre Gemächer zurückgekehrt war, kam die Gräfin Rumianzoff zu mir und sagte, daß die Kaiserin die von mir angeordnete Verteilung der Bedienung meiner Damen mißbillige und sie Befehl habe, die Schlüssel zu meinen Juwelen aus den Händen Fräulein Jukoffs an Fräulein Schenk zurückzugeben, was sie auch in meiner Gegenwart tat. Hierauf entfernte sie sich und ließ uns, Fräulein Jukoff und mich, mit langen Gesichtern, Fräulein Schenk hingegen triumphierend über das Vertrauen der Kaiserin zurück. Bald nahm sie mir gegenüber eine anmaßende Miene an, die sie noch einfältiger, noch unliebenswürdiger machte, als sie schon war.