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Rückkehr Poniatowskis nach Rußland als polnischer Gesandter. – Brockdorf und seine Intrigen. – Aussprache mit dem Großfürsten und Brockdorf. – Man verspottet den letzteren. – Meine Ratschläge für den Großfürsten. – Wie Peter III. ein Lügner wurde. – Leon Narischkin soll sich verheiraten. – Die Liebe des Großfürsten zu Madame Teploff ist im Abnehmen. – Elisabeth Woronzow gewinnt von neuem seine Gunst. – Intrigen dagegen.
Gegen Ende des Jahres 1756 kam Graf Poniatowski nach Petersburg als Minister des Königs von Polen zurück. Während des Winters 1757 war die Lebensweise bei uns dieselbe wie im vorhergehenden: dieselben Konzerte, dieselben Bälle, dieselben Klatschereien. Ich bemerkte bald nach unserer Rückkehr in die Stadt, wo ich die Verhältnisse mehr in der Nähe sah, daß Brockdorf mit seinen Intrigen beim Großfürsten großen Erfolg hatte. Er genoß dabei die Unterstützung einer ziemlich großen Anzahl holsteinscher Offiziere, die der Großfürst auf sein Zureden den ganzen Winter über in Petersburg bei sich behielt. Ihre Zahl belief sich mindestens auf zwanzig, und sie befanden sich fortwährend in der Umgebung des Großfürsten. Dazu kamen noch ein paar holsteinsche Soldaten, die als Laufburschen und Kammerdiener bei ihm angestellt waren und zu allen möglichen Geschäften benutzt wurden. Im Grunde aber waren alle diese Menschen nichts als Spione Brockdorfs und Genossen. Ich wartete in diesem Winter nur auf einen günstigen Augenblick, um ernsthaft mit dem Großfürsten zu reden und ihm aufrichtig zu sagen, was ich von seiner Umgebung und deren Intrigen dächte. Es fand sich auch bald ein solcher, und ich ließ ihn nicht unbenutzt vorübergehen. Der Großfürst selbst kam eines Tages in mein Boudoir und sagte mir, daß man es ihm als unumgänglich notwendig darstelle, einen geheimen Befehl nach Holstein zu schicken, die Verhaftung einer der durch Stellung und Ansehen hervorragendsten Persönlichkeiten des Landes betreffend. Diese Persönlichkeit war ein gewisser Elendsheim, ein Mann von bürgerlicher Abkunft, der indes durch seinen Fleiß und seine Fähigkeiten sich zu jener Stellung emporgehoben hatte. Als ich den Großfürsten fragte, welche Beschwerden man gegen diesen Mann habe und was er verbrochen, daß man daran denke, ihn gefangen zu nehmen, erwiderte er: »Nun, man sagt, er sei des Unterschleifs verdächtig.« – Wer seine Ankläger wären, fragte ich nun, worauf er sich sehr im Rechte glaubte, als er antwortete: »Ankläger? die gibt es nicht, denn das ganze Land fürchtet und achtet ihn; aber gerade deshalb muß ich ihn verhaften lassen. Ist dies erst geschehen, so werden sich, wie man mir versichert, genügend Ankläger finden.« – Ich zitterte vor Aerger, als er mir das sagte, und erwiderte: »Auf diese Weise betrachtet, gibt es keinen Unschuldigen mehr auf der Welt. Es braucht nur ein Neidischer da zu sein, der im Publikum irgend ein vages Gerücht aussprengt, wie es ihm gerade gefällt, worauf man jeden Beliebigen arretiert; die Anschuldigungen und Verbrechen werden sich dann schon finden. Das ist à la façon de Barbarie mon ami, wie es im Liede heißt, daß man Ihnen rät, zu handeln, ohne auf Ihr Ansehen oder Ihre Gerechtigkeit Rücksicht zu nehmen. Wer gibt Ihnen so schlechte Ratschläge? Erlauben Sie mir diese Frage.« – Dies schien meinem Großfürsten doch ein wenig peinlich zu sein, und er entgegnete: »Sie wollen immer mehr wissen als die anderen.« – Da antwortete ich ihm, ich spräche nicht, um die Kluge zu spielen, sondern weil ich alle Ungerechtigkeit haßte und nicht glaubte, daß er so eine Willkürlichkeit begehen wolle. – Darauf schickte er sich an, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen, und entfernte sich dann mehr aufgeregt als ärgerlich. Kurze Zeit nachher aber kam er wieder und sagte mir: »Kommen Sie, Brockdorf wird mit Ihnen selbst über die Elendsheimsche Geschichte sprechen, und Sie werden sehen und überzeugt sein, daß ich ihn verhaften lassen muß.« Ich erwiderte: »Gut, ich werde Ihnen folgen und hören, was er sagen wird, da Sie es wünschen.« – In der Tat fand ich Brockdorf im Zimmer des Großfürsten, der zu ihm sagte: »Sprechen Sie mit der Großfürstin.« Brockdorf, etwas bestürzt, verneigte sich vor dem Großfürsten und sagte: »Da Eure Hoheit es mir befehlen, werde ich mit der Frau Großfürstin sprechen.« – Hier machte er eine Pause und fuhr dann fort: »Es ist eine Angelegenheit, die mit viel Heimlichkeit und Klugheit behandelt sein will.« – Ich hörte aufmerksam zu. – »Ganz Holstein ist erfüllt von dem Lärm der Elendsheimschen Unterschleife und Erpressungen. Allerdings sind vorläufig keine Ankläger da, weil man ihn fürchtet, aber wenn er erst verhaftet ist, wird man so viele haben, als man nur will.« Als ich darauf von ihm Einzelheiten über die Unterschleife und Erpressungen verlangte, erfuhr ich, daß, was die Unterschleife der Taxen betraf, gar keine Schuld vorlag, da er überhaupt kein Geld vom Großfürsten in den Händen hatte. Da er aber an der Spitze der Justizverwaltung stand, sah man es als Unterschleif an, wenn sich bei jedem Prozeß immer eine oder die andere streitende Partie über Ungerechtigkeit beklagte und aussagte, daß die Gegenpartei nur durch Bestechung der Richter gewonnen hätte. Aber Brockdorf mochte alle seine Beredsamkeit und Weisheit aufbieten, er überzeugte mich nicht. Ich behauptete fort und fort in Gegenwart des Großfürsten, daß man nur versuche, Seine kaiserliche Hoheit zu einer himmelschreienden Ungerechtigkeit zu bewegen, indem man ihn zur Ausfertigung eines Haftbefehls gegen einen Menschen aufstachele, gegen den weder eine formelle Anklage, noch eine Beschuldigung vorläge. Auch erklärte ich Brockdorf, daß auf diese Weise der Großfürst ihn gleichfalls zu jeder Stunde einstecken lassen und sagen könnte, Anklagen würden sich schon finden, u. s. w. Ich fügte noch hinzu, der Großfürst müsse sich mehr als jeder andere vor ähnlichen Dingen hüten, weil die Erfahrung ihn bereits auf seine Kosten gelehrt hätte, wozu die Verfolgungen und der Haß der Parteien führen könnten. Noch wären keine zwei Jahre verflossen, seit Seine kaiserliche Hoheit Herrn von Holmer aus seiner Haft entlassen hätte, nachdem man ihn sechs oder acht Jahre im Gefängnis hatte schmachten lassen. Aber es half mir wenig, dies frappante Beispiel zu zitieren. Der Großfürst hörte mir zwar zu, dachte aber, glaube ich, an etwas ganz anderes; Herr von Brockdorf, im tiefsten Innern seines Herzens vollkommen verroht, borniert und hartnäckig wie ein Klotz, ließ mich reden, da er keine Gegengründe mehr vorzubringen wußte. Als ich fort war, soll er zum Großfürsten bemerkt haben, daß alles, was ich gesagt, mir nur die Herrschsucht eingegeben habe; alle Maßnahmen mißbillige ich, die ich nicht selbst angeraten hätte, und ich verstünde gar nichts von Geschäften. Frauen wollten sich eben in alles mischen, aber alles, was sie anfaßten, verdürben sie; besonders tatkräftige Handlungen gingen über ihren Horizont hinaus. Kurz, er gab sich solche Mühe, daß er schließlich doch den Sieg davontrug. Der Großfürst, von ihm überzeugt, ließ den Befehl, Elendsheim zu verhaften, aufsetzen, unterzeichnen und abfertigen. Ein gewisser Zeitz, Sekretär des Großfürsten, der Pechlin beigegeben und der Sohn der Hebamme war, die mich entbunden hatte, benachrichtigte mich davon. Die Partei Pechlins mißbilligte im allgemeinen diese gewaltsame und unzeitige Maßregel, womit Brockdorf sie und ganz Holstein zittern machte. Sobald ich erfuhr, daß Brockdorfs Intrigen über mich und alles, was ich dem Großfürsten vorgestellt hatte, den Sieg davongetragen, faßte ich den festen Entschluß, Brockdorf meine ganze Entrüstung wissen zu lassen. Ich sagte zu Zeitz und Pechlin, daß ich von diesem Augenblicke an Brockdorf wie die Pest fürchtete, die man fliehen müsse. Auf jeden Fall müßte er vom Großfürsten entfernt werden, und ich selbst würde alles aufbieten, was in dieser Angelegenheit in meiner Macht stehe. Und von dieser Zeit an ließ ich bei jeder Gelegenheit die Verachtung und den Abscheu durchblicken, den das Benehmen dieses Menschen mir einflößte. Ich ersparte ihm nichts, womit ich ihn lächerlich machen konnte, und machte gegen niemand ein Geheimnis daraus, wie ich über ihn dachte. Leon Narischkin und andere junge Herren amüsierten sich köstlich darüber und unterstützten mich in meinen Bemühungen. Wenn Brockdorf vorüberging, riefen alle hinter ihm her: Baba ptiza (Pelikan); dies war sein ständiger Spitzname. Der Pelikan war der häßlichste uns bekannte Vogel, und Brockdorf war als Mensch gerade so häßlich, sowohl äußerlich als innerlich. Er war lang und dünn, hatte einen entsetzlich langen Hals und einen dicken, platten Kopf; dazu war er rothaarig und trug eine mächtige Perücke. Seine kleinen Augen lagen tief in ihren Höhlen, hatten so gut als gar keine Lider und Brauen, und seine Mundwinkel hingen bis zum Kinn hinab, was ihm ein saueres, bösartiges Ansehen verlieh. Hinsichtlich seines Charakters beziehe ich mich nur auf das, was ich bereits über ihn gesagt, füge indes noch hinzu, daß er lasterhaft genug war, um von allen Geld zu nehmen, die ihm welches anboten. Damit aber sein erhabener Herr sich nicht eines Tages über seine Erpressungen beschweren möchte, veranlaßte er ihn, den er stets in Geldverlegenheit wußte, dasselbe zu tun. Auf diese Weise verschaffte er dem Großfürsten so viel Geld als er nur konnte, indem er einem jeden, der dafür klingende Münze bezahlte, holsteinsche Titel und Orden verkaufte. Oder er ließ den Großfürsten Geld verlangen und alle möglichen, oft ungerechte und selbst für das Land drückende Angelegenheiten bei den verschiedenen Gerichtshöfen und dem Senate betreiben, wie Monopole und andere Steuern, die sonst niemals hätten durchgehen können, weil sie den Gesetzen Peters I. zuwiderliefen. Außerdem stürzte Brockdorf Peter III. mehr als je in Trunk und Liederlichkeit, umgab ihn mit einem Haufen von Abenteurern und Individuen, die aus den Wachtstuben und Kneipen Deutschlands und Petersburgs herstammten, weder Treu noch Glauben kannten und nichts taten, als zechen, essen, rauchen und gemeine Redensarten führen.
Als ich bemerkte, daß trotz allem, was ich sagte und tat, um Brockdorfs Einfluß zu schwächen, dieser sich beim Großfürsten behauptete, ja größere Gunst genoß als zuvor, faßte ich den Entschluß, dem Grafen Schuwaloff mitzuteilen, wie ich über diesen Menschen dachte, und ihm zu erklären, daß ich ihn als einen der gefährlichsten Menschen betrachte, die man möglicherweise einem jungen Fürsten, dem Erben eines großen Reichs beigeben könne. Ich hielt es für meine Pflicht, die Sache ganz im Vertrauen mit ihm zu besprechen, damit er die Kaiserin davon benachrichtigen oder passende Maßregeln treffen könne. Darauf fragte Schuwaloff, ob er mich nennen dürfe, was ich ihm getrost gestattete. Sollte übrigens die Kaiserin mich selbst fragen, so würde ich kein Blatt vor den Mund nehmen und alles sagen, was ich wisse und gesehen habe. Graf Alexander Schuwaloff blinzelte mit den Augen und hörte mir sehr ernsthaft zu, wagte indes nicht, ohne den Rat seines Bruders Peter und seines Vetters Iwan Iwanowitsch zu handeln. Lange Zeit hörte ich nichts von ihm, bis er mir endlich eines Tages zu verstehen gab, es sei wohl möglich, daß die Kaiserin mit mir reden würde.
Inzwischen kam eines schönen Morgens der Großfürst in mein Zimmer gestürzt, während ihm sein Sekretär Zeitz mit einem Papier in der Hand folgte. – »Sehen Sie bloß diesen verteufelten Kerl!« rief der Großfürst, »bringt er mir heute, wo ich noch ganz betäubt von dem vielen Trinken von gestern bin, einen großen Bogen Papier, nichts als Register der Angelegenheiten, die ich zu Ende führen soll; er verfolgt mich sogar bis in Ihr Zimmer.« – Zeitz wandte sich zu mir und sagte: »Alles was ich hier habe, kann in einer Viertelstunde durch ja oder nein entschieden werden.« – »Nun, wir wollen sehen,« sagte ich, »vielleicht kommen wir eher damit zu Ende, als Sie glauben.« – Und nun schickte sich Zeitz an zu lesen, und je nach Gutdünken bemerkte ich »ja« oder »nein«. Dies gefiel dem Großfürsten sehr, und sein Sekretär sagte: »Wirklich, gnädigster Herr, wenn Sie erlauben wollten, daß wir es zweimal wöchentlich so machten, würden Ihre Geschäfte nicht stocken. Es sind freilich nur Kleinigkeiten, aber sie müssen doch auch zum Abschluß gebracht werden, und Sie sehen ja, die Großfürstin hat sie mit einem halben Dutzend Ja und ebenso vielen Nein entschieden.« – Von diesem Tage an gefiel es Seiner kaiserlichen Hoheit, Zeitz jedesmal zu mir zu schicken, wenn es Fragen mit ja oder nein zu beantworten gab. Nach einiger Zeit bat ich ihn, mir ein Schriftstück auszustellen über das, was ich ohne seinen speziellen Befehl erledigen und nicht erledigen dürfe, was er denn auch tat. Nur Pechlin, Zeitz und ich wußten von dieser Aenderung, mit der die beiden ersteren außerordentlich zufrieden waren. Wenn es sich darum handelte, zu unterzeichnen, unterzeichnete der Großfürst nur was ich vorher geregelt hatte. Die Affäre Elendsheim blieb in Brockdorfs Händen. Da indes Elendsheim im Gefängnis saß, beeilte sich Brockdorf nicht sehr, sie zu Ende zu bringen, weil sein Zweck so ziemlich damit erreicht war. Er hatte ihn von den Geschäften entfernt und den Holsteinern gezeigt, wie groß sein Einfluß über seinen Herrn war; weiter wollte er nichts.
Eines Tages benutzte ich die Gelegenheit, den Großfürsten zu fragen, ob er, da er die Verwaltung Holsteins schon langweilig finde und sie als eine Probe dessen ansehe, was er eines Tages zu verwalten haben werde, später wenn ihm das russische Reich zufalle, nicht diese Zeit als eine noch viel drückendere Last empfinde. Darauf wiederholte er, was er mir schon tausendmal geantwortet: er fühle, daß er nicht für Rußland geschaffen sei; er gefalle weder den Russen, noch gefielen die Russen ihm, und er sei überzeugt, daß er in Rußland zugrunde gehen werde. Ich meinerseits erwiderte ihm nun, was ich ihm ebenfalls schon oft gesagt, nämlich, daß er sich in diesen verhängnisvollen Gedanken nicht gehen lassen dürfe, vielmehr müsse er alles, was in seinen Kräften stehe, tun, um die Liebe eines jeden Russen zu gewinnen und die Kaiserin bitten, ihn in den Stand zu setzen, sich über die Reichsangelegenheiten zu unterrichten. Ich drängte ihn sogar, um einen Sitz im Rate der Kaiserin nachzusuchen. Und wirklich sprach er mit den Schuwaloffs darüber, die es denn auch bei der Kaiserin durchsetzten, ihn jedesmal zu jenen Konferenzen zuzulassen, wenn sie selbst zugegen war. Dies war aber gerade so, als hätte man ihm den Zutritt verweigert, denn die Kaiserin selbst ging höchstens zwei- oder dreimal mit ihm hin, worauf sowohl sie als er ihre Besuche ganz einstellten.
Die Ratschläge, welche ich dem Großfürsten gab, waren im allgemeinen gut und heilsam. Allein wer Ratschläge erteilt, kann dies nur gemäß seinem Geist, seiner Art, zu denken und die Dinge anzuschauen und zu behandeln tun. Der größte Fehler der Ratschläge, die ich dem Großfürsten gab, war nun eben der, daß seine Denk- und Handlungsweise ganz und gar von der meinigen verschieden war, und je älter wir wurden, um so schärfer trat der Unterschied hervor. Ich war bestrebt, in allen Dingen der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, er indes entfernte sich täglich mehr und mehr von derselben, bis er endlich ein leidenschaftlicher Lügner ward. Da die Art, wie er es wurde, sehr sonderbar ist, will ich hier davon sprechen; vielleicht trägt dies ein wenig zu der Erkenntnis der Entwickelung des menschlichen Geistes in dieser Beziehung bei, sowie zur Verhinderung oder Besserung dieses Lasters bei Individuen, die dazu geneigt sind.
Die erste Lüge, welche der Großfürst beging, war, daß er jungen Frauen oder Mädchen, bei denen er sich in Gunst setzen wollte, und auf deren Unwissenheit er rechnete, erzählte, wie ihn sein Vater, als er noch in Holstein war, an die Spitze einer Abteilung seiner Garden gestellt und gegen einen Trupp Zigeuner geschickt habe, die in der Umgebung von Kiel umherschweiften und, wie er behauptete, scheußliche Räubereien begingen. Er erzählte die genauesten Einzelheiten über ihre Verbrechen, sowie von der List, die er angewandt, um die Räuber zu umzingeln, beschrieb die verschiedenen Gefechte, in denen er Wunder von Kunst und Tapferkeit verrichtete, worauf er die Zigeuner gefangen genommen und nach Kiel transportiert habe. Anfangs wandte er immerhin noch eine gewisse Vorsicht bei seinen Prahlereien an, indem er sie nur denen erzählte, die seine Geschichte nicht kannten. Allmählich jedoch faßte er den Mut, seine Erfindung auch bei denen anzubringen, auf deren Diskretion er genügend zählen konnte, um gewiß zu sein, daß sie ihn nicht Lügen strafen würden. Als er aber auch mir diese Erzählung zum besten geben wollte, fragte ich ihn, wie lange Zeit vor dem Tode seines Vaters diese Ereignisse stattgefunden hätten? Ohne zu zaudern, antwortete er: »Etwa drei oder vier Jahre.« – »Nun, dann haben Sie sehr früh angefangen, Heldentaten zu verrichten,« sagte ich, »denn drei oder vier Jahre vor dem Tode Ihres Vaters waren Sie kaum sechs oder sieben Jahre alt. Nach seinem Tode, also mit elf Jahren, sind Sie unter die Vormundschaft meines Onkels, des Kronprinzen von Schweden, gekommen. Was mich aber am meisten Wunder nimmt,« fügte ich hinzu, »ist, daß Ihr Herr Vater, dessen einziger Sohn Sie waren, Sie in so jungem Alter gegen Räuber ausgeschickt hat, zumal da Ihre Gesundheit, wie man mir gesagt, in Ihrer Kindheit sehr zart gewesen ist.« – Darüber wurde der Großfürst schrecklich böse und erwiderte, ich wollte ihn nur vor aller Welt als Lügner hinstellen und in Mißkredit bringen. Aber ich antwortete ihm, daß nicht ich, sondern der Kalender seinen Behauptungen widerspräche; übrigens überließe ich es ihm selbst, zu beurteilen, ob es menschenmöglich wäre, einen kleinen Knaben von sechs Jahren, den einzigen Sohn und Thronerben, die ganze Hoffnung seines Vaters, gegen Räuber und Mörder auszusenden. Dann schwiegen wir beide, aber er grollte mir noch lange Zeit nachher. Als er jedoch meine Einwände vergessen hatte, fuhr er nichtsdestoweniger fort, sogar in meiner Gegenwart dies Märchen von neuem zu erzählen, das er bis ins Unendliche variierte. Später dachte er sich noch eine weit schimpflichere und für ihn schädlichere Geschichte aus, die ich bei passender Gelegenheit ebenfalls mitteilen werde. Gegenwärtig ist es mir unmöglich, alle die Fabeln zu erwähnen, die er zuweilen ersann und für Tatsachen ausgab, woran indes nicht ein Funken Wahrheit war. Uebrigens wird auch diese Probe, wie ich glaube, genügen.
Eines Donnerstags, gegen Ende des Karnevals, war Ball bei uns. Ich saß zwischen der Schwägerin Leon Narischkins und seiner Schwester, Madame Siniawin, und wir sahen zu, wie Marine Ossipowna Sakrefskaia, die Ehrendame der Kaiserin und Nichte des Grafen Razumowski Menuett tanzte. Sie war sehr anmutig und gewandt, und man erzählte sich, daß Graf Horn in sie verliebt sei. Da er es aber immer in drei Frauen auf einmal war, hielt er sich auch an die Gräfin Maria Romanowna Woronzow und an Anna Alexiewna Hittroff, gleichfalls Ehrendamen Ihrer Majestät. Wir fanden, daß Marine Ossipowna sehr gut tanzte und ziemlich hübsch war. Ihr Partner war Leon Narischkin. Bei dieser Gelegenheit erzählten mir seine Schwägerin und seine Schwester, daß seine Mutter mit dem Gedanken umginge, Leon mit Fräulein Hittroff, einer Nichte der Schuwaloffs mütterlicherseits, zu verheiraten. Ihre Mutter war eine Schwester Peter und Alexander Schuwaloffs. Ihr Vater kam oft in das Haus der Narischkins und hatte so lange für seine Tochter Propaganda gemacht, bis sich Leons Mutter schließlich die Heirat in den Kopf gesetzt hatte. Aber weder Madame Siniawin, noch seiner Schwägerin lag etwas an der Verwandtschaft der Schuwaloffs, die sie, wie schon erwähnt, nicht liebten. Was Leon anbetraf, so wußte er nicht einmal, daß seine Mutter die Absicht hatte, ihn zu verheiraten, und war in die Gräfin Maria Woronzow verliebt, von der ich soeben gesprochen. Als ich dies daher vernahm, sagte ich zu den Damen Siniawin und Narischkin, daß man die Heirat mit Fräulein Hittroff, die kein Mensch leiden mochte, weil sie intrigant, boshaft und eine Schwätzerin war, auf keinen Fall zugeben dürfe. Um ähnliche Ideen kurz abzuschneiden, müsse man Leon eine Frau unserer Art geben und die erwähnte Nichte des Grafen Razumowski, Marine Ossipowna, wählen, die obendrein uns allen sehr angenehm und immer in ihrem Hause war. Die beiden Damen billigten vollkommen meine Ansicht. Tags darauf fand bei Hofe Maskenball statt. Bei einer günstigen Gelegenheit wendete ich mich an den Marschall Razumowski, der damals Hetmann der Ukraine war, und sagte ihm rund heraus, er habe unrecht, seiner Nichte eine Partie wie Leon Narischkin entgehen zu lassen. Leons Mutter wolle ihn zwar an Fräulein Hittroff verheiraten, allein Madame Siniawin, seine Schwägerin, und ich hätten entschieden, daß seine Nichte die einzig passende Partie für ihn sei; er möge daher den Beteiligten so bald als möglich diesen Vorschlag machen. Dem Marschall gefiel unser Plan ausnehmend. Er besprach sich sofort mit seinem damaligen Faktotum Teploff, der die Sache sogleich dem Grafen Razumowski, dem älteren, mitteilte. Dieser gab seine Einwilligung, und am folgenden Tag begab sich Teploff zum Bischof von Petersburg, um für fünfzig Rubel den Erlaubnisschein zu erkaufen. Nachdem er ihn erhalten, gingen der Marschall und seine Gemahlin zu ihrer Tante, der Mutter Leons, und stellten ihr die Sache in einem so günstigen Lichte dar, daß sie sich zu allem verstand. Und sie kamen gerade im rechten Augenblick, denn an eben demselben Tage hatte sie Hittroff ihr Wort geben sollen. Nun begaben sich der Marschall Razumowski, die Damen Siniawin und Narischkin zu Leon, um ihn zu überreden, die zu heiraten, an die er nicht im entferntesten gedacht hatte. Obgleich er eine andere liebte, willigte er ein; allerdings war die Gräfin Woronzow mit dem Grafen Buturlin so gut wie verlobt. Was Fräulein Hittroff betraf, so machte er sich nicht den geringsten Kummer. Nachdem er also seine Zustimmung gegeben, ließ der Marschall seine Nichte rufen, die die Heirat zu vorteilhaft fand, um sie zurückzuweisen. So baten die beiden Grafen Razumowski am andern Tag die Kaiserin um ihre Einwilligung, die auch ohne Zögern gegeben wurde. Die Herren Schuwaloff aber waren von der Art und Weise, wie man sie und Hittroff hintergangen hatte, äußerst bestürzt und beleidigt, denn sie erfuhren den ganzen Vorgang nicht früher, als nach der Einwilligung der Kaiserin. So heiratete Leon, der in eine junge Dame verliebt war, und den seine Mutter mit einer andern vermählen wollte, eine Dritte, an die weder er noch irgend jemand drei Tage vorher gedacht hatte. Seine Heirat knüpfte meine Freundschaft mit den Grafen Razumowski fester als je, da sie mir wirklich Dank wußten, ihrer Nichte eine so gute und glänzende Partie verschafft zu haben. Auch waren sie durchaus nicht böse, daß sie über die Schuwaloffs, die sich nicht einmal beklagen konnten, sondern ihren Verdruß verbergen mußten, den Sieg davongetragen hatten. Letzteres war ebenfalls eine Genugtuung, die sie einzig und allein mir verdankten.
Die Liebe des Großfürsten zu Madame Teploff regte sich nur noch mit mattem Flügelschlage. Eins der größten Hindernisse derselben war die Schwierigkeit, sich öfters zu sehen. Es konnte nur heimlich geschehen, was dem Großfürsten, der Schwierigkeiten ebensowenig liebte, als auf empfangene Briefe zu antworten, sehr unbequem war. Gegen Ende des Karnevals fing seine Liebe an, vollkommen Parteisache zu werden.
Eines Tages benachrichtigte mich die Prinzessin von Kurland, Graf Roman Woronzow, der Vater der beiden Hofdamen – der, beiläufig gesagt, samt seinen fünf Kindern dem Großfürsten damals aufs höchste zuwider war – habe sehr unüberlegte Aeußerungen auf Rechnung des Großfürsten getan. Unter anderm habe er erklärt, wenn er Lust hätte, so würde es ihn keine große Mühe kosten, den Haß des Großfürsten gegen ihn in Wohlwollen zu verwandeln. Zu diesem Zwecke brauche er nur Brockdorf ein Gastmahl zu geben, ihm englisches Bier vorzusetzen und ihm, wenn er ginge, sechs Flaschen davon für Seine kaiserliche Hoheit in die Tasche zu stecken; dann würden er sowohl als seine jüngste Tochter sofort wieder Matadore in der Gunst des Großfürsten sein. Da ich denselben Abend beim Ball bemerkte, daß Seine kaiserliche Hoheit und die Gräfin Marie Woronzow, die älteste Tochter des Grafen, viel miteinander plauderten, machte es mir nicht gerade ein besonderes Vergnügen, zu denken, daß Fräulein Elisabeth Woronzow wieder obenauf kommen sollte. Um dies zu verhindern, erzählte ich dem Großfürsten die eben erwähnten Aeußerungen, die der Vater der jungen Dame über ihn hatte fallen lassen. Darüber geriet der Großfürst in Wut und fragte, von wem ich dieselben erfahren habe. Lange sträubte ich mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Allein er erklärte, da ich niemand nennen könne, müsse er annehmen, daß ich es sei, die die Geschichte erfunden habe, nur um dem Vater und seinen Töchtern zu schaden. Es half nichts, ihm zu entgegnen, daß ich nie in meinem Leben solche Lügen erfunden habe, und ich sah mich schließlich gezwungen, ihm die Prinzessin von Kurland zu nennen. Er würde ihr auf der Stelle einen Brief schreiben, sagte er, um zu erfahren, ob ich die Wahrheit rede. Wenn aber der geringste Mangel an Übereinstimmung zwischen dem, was sie ihm antworten werde und dem was ich ihm gesagt habe, vorkäme, würde er sich bei der Kaiserin über meine Lügen und Intrigen beschweren. Hierauf verließ er das Zimmer. Da ich nicht sicher war, was die Prinzessin ihm antworten werde, und aus Furcht, sie möchte sich zweideutig äußern, schrieb ich ihr folgendes Billett: »Ich beschwöre Sie, sagen Sie die einfache und reine Wahrheit, wenn man Sie fragen wird!« Mein Billett wurde ihr unverzüglich überbracht und kam zur rechten Zeit, denn es erreichte sie noch vor dem Briefe des Großfürsten. Die Prinzessin von Kurland antwortete Seiner kaiserlichen Hoheit die Wahrheit, und er mußte einsehen, daß ich nicht gelogen hatte. Auf diese Weise wurde er wenigstens noch eine Zeitlang von einer Liaison mit den beiden Töchtern eines Menschen zurückgehalten, der ihn so gering achtete und den er selbst nicht ausstehen mochte.
Um ihm indes noch ein weiteres Hindernis in den Weg zu legen, überredete ich den Marschall Razumowski, den Großfürsten ein- bis zweimal wöchentlich ganz insgeheim zu sich einzuladen. Es war sozusagen eine Gesellschaft zu zwei Herren und zwei Damen, denn nur der Marschall, Maria Paulowna Narischkin, der Großfürst, Madame Teploff und Leon Narischkin waren zugegen. Dies dauerte fast die ganze Fastenzeit hindurch und gab zu einem andern Plane Veranlassung.
Das damalige Haus Razumowski war aus Holz gebaut. Die Gesellschaft versammelte sich gewöhnlich in den Gemächern der Marschallin, und da sowohl er als sie gern spielten, wurde fast immer gespielt. Der Marschall ging und kam, hatte aber in seinen Gemächern ebenfalls eine Partie für sich, wenn der Großfürst nicht da war. Nachdem Razumowski ein paarmal bei mir in meiner kleinen geheimen Spielgesellschaft gewesen war, drückte er den Wunsch aus, wir möchten doch auch zu ihm kommen. Zu diesem Zwecke wurde seine Eremitage, wie er es nannte, bestehend aus zwei bis drei Zimmern im Erdgeschoß, uns eingeräumt. Ein jeder versteckte sich vor dem andern, weil wir, wie bereits erwähnt, ohne Erlaubnis der Kaiserin nicht ausgehen durften. Auf diese Weise befanden sich manchmal drei bis vier kleine Gesellschaften im Hause. Der Marschall ging von einer zur andern, aber nur die unsrige erfuhr alles, was im Hause vorging, während die andern nicht einmal wußten, daß wir da waren.