Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Unterredung mit der Kaiserin. – Verleumderische Anklagen des Großfürsten gegen mich. – Ich gehe siegreich aus dem Kampfe hervor. – Unerwartetes Vertrauen der Kaiserin. – Graf Woronzow. – Ich erscheine wieder in der Oeffentlichkeit. – Prinz Karl von Sachsen. – Man erlaubt mir, meine Kinder zu besuchen. – Zweite Zusammenkunft mit Ihrer Majestät.

In dem Gemache Ihrer kaiserlichen Majestät angelangt, fand ich den Großfürsten dort schon vor. Sowie ich die Kaiserin erblickte, fiel ich vor ihr auf die Knie und bat sie unter Tränen aufs inständigste, mich zu meinen Angehörigen zurückkehren zu lassen. Sie wollte mich aufheben, aber ich verharrte zu ihren Füßen. Sie schien mir an diesem Abend mehr bekümmert als zornig, denn sie sagte mit Tränen in den Augen: »Wie können Sie wünschen, daß ich Sie zurückkehren lasse? Erinnern Sie sich nicht Ihrer Kinder?« – Ich antwortete: »Meine Kinder sind in Ihren Händen und könnten sich nirgends besser befinden; ich hoffe, Sie werden sie nicht verlassen.« – Darauf sagte sie: »Aber was soll ich dem Publikum als Ursache Ihrer Entlassung anführen?« – Ich erwiderte: »Eure kaiserliche Majestät wird ihm, wenn Sie es für passend halten, einfach die Gründe sagen, wegen derer ich mir Ihre Ungnade und den Haß des Großfürsten zugezogen habe.« – »Und wovon wollen Sie bei Ihren Verwandten leben?« fragte sie. – »Wovon ich lebte, ehe Sie mir die Ehre erwiesen, mich hierher zu rufen!« erwiderte ich. – Hierauf bemerkte sie: »Ihre Mutter ist flüchtig, hat ihr Land verlassen und sich nach Paris zurückziehen müssen.« – »Ich weiß es,« sagte ich, »man hat sie für eine allzu ergebene Anhängerin Rußlands gehalten, und der König von Preußen verfolgt sie.« Zum zweiten Male forderte mich jetzt die Kaiserin auf, mich zu erheben; und als ich es getan, entfernte sie sich nachdenklich von mir.

Das Zimmer, in dem wir uns befanden, war sehr lang und hatte drei Fenster, zwischen denen zwei Tische mit den goldenen Waschgeschirren der Kaiserin standen. Außer ihr, dem Großfürsten, Alexander Schuwaloff und mir befand sich niemand in dem Gemache. Der Kaiserin gegenüber standen zwei große spanische Wände, vor die man ein Sofa gestellt hatte. Anfangs vermutete ich hinter diesen spanischen Wänden unzweifelhaft Iwan Schuwaloff und vielleicht auch seinen Vetter, den Grafen Peter. Später erfuhr ich denn auch, daß meine Vermutungen zum Teil richtig waren und Iwan Schuwaloff wirklich dahinter gestanden hatte. Ich näherte mich dem Toilettentisch, welcher der Türe, durch die ich eingetreten war, am nächsten stand und bemerkte, daß in dem Waschbecken verschiedene zusammengefaltete Briefe lagen. In diesem Augenblick aber kam die Kaiserin wieder auf mich zu und sagte: »Gott ist mein Zeuge, wie viel ich um Sie geweint habe. Als Sie nach Ihrer Ankunft in Rußland todkrank wurden, habe ich mich sehr um Sie gesorgt; und hätte ich Sie nicht wahrhaft geliebt, ich würde Sie gewiß nicht behalten haben.« – Dies sollte, wie es mir schien, eine Verwahrung dagegen sein, daß ich gesagt, ich habe mir ihre Ungnade zugezogen. Als Antwort dankte ich Ihrer Majestät für alle Güte und alles Wohlwollen, das sie mir damals und später bewiesen, und sagte, die Erinnerung daran würde sich nie in meinem Gedächtnis verwischen, und stets würde ich es als mein größtes Unglück betrachten, ihr Mißfallen erregt zu haben. Nun trat sie ganz nahe zu mir heran und sagte: »Sie sind überaus stolz. Erinnern Sie sich wohl, daß ich Sie einmal im Sommerpalast fragte, ob Sie Halsweh hätten, weil ich bemerkte, daß Sie mich kaum grüßten? Aber Sie hatten nur aus Stolz mit einem bloßen Kopfnicken gegrüßt.« – »Mein Gott, Madame,« erwiderte ich, »wie können Sie glauben, daß ich Ihnen gegenüber hätte stolz sein wollen? Ich schwöre Ihnen, es ist mir nie im entferntesten in den Sinn gekommen, daß diese Frage, die Sie vor vier Jahren an mich richteten, eine solche Beziehung haben könnte.« – Und nun sagte sie: »Sie bilden sich ein, niemand habe so viel Geist, als Sie,« worauf ich antwortete: »Wenn ich diesen Glauben habe, so ist nichts geeigneter, mich zu enttäuschen, als mein gegenwärtiger Zustand und unsere Unterredung, denn ich sehe, daß ich bis zu dieser Stunde rein aus Dummheit nicht begriffen habe, was Ihnen gefiel, mir vor vier Jahren zu sagen.«

Während Ihre Majestät mit mir sprach, flüsterte der Großfürst mit dem Grafen Schuwaloff. Sie bemerkte es und näherte sich ihnen. Sie standen etwa in der Mitte des Zimmers, und ich verstand daher nur wenig von dem, was sie miteinander redeten. Außerdem sprachen sie nicht gerade laut, und das Zimmer war sehr groß. Schließlich aber hörte ich doch, wie der Großfürst mit ziemlich erhobener Stimme sagte: »Ja, sie ist furchtbar schlecht und außerordentlich dickköpfig!« Als ich hörte, daß es sich um mich handelte, wandte ich mich an ihn und sagte: »Wenn Sie von mir sprechen, so gewährt es mir großes Vergnügen, Ihnen in Gegenwart Ihrer kaiserlichen Majestät zu sagen, daß ich in der Tat denen gegenüber schlecht bin, die Ihnen zu Ungerechtigkeiten raten. Dickköpfig bin ich nur geworden, weil ich sehe, daß meine Sanftmut und Freundlichkeit zu nichts führt, als zu Ihrer Feindschaft.« – Er wandte sich an die Kaiserin und bemerkte: »An dem, was sie sagt, können Eure Majestät ja selbst sehen, wie schlecht sie ist.« – Auf die Kaiserin indes, die unendlich viel mehr Geist besaß als der Großfürst, machten meine Worte einen andern Eindruck, und ich sah deutlich, daß, je mehr unsere Unterredung fortschritt, sie, obgleich man ihr sicher empfohlen hatte, oder sie selbst entschlossen war, strenge gegen mich zu verfahren, allmählich ganz gegen ihren Willen und trotz ihrer Entschlüsse milder gestimmt wurde. Dennoch wandte sie sich an ihn und sagte: »O, Sie wissen noch lange nicht alles, was sie gegen Ihre Räte und besonders gegen Brockdorf geäußert hat, hinsichtlich jenes Menschen, den Sie haben verhaften lassen.« Dies mußte als ein förmlicher Verrat meinerseits gegen den Großfürsten erscheinen, denn er wußte kein Wort von meiner Unterhaltung mit der Kaiserin im Sommerpalast. Ueberdies sah er seinen Brockdorf, der ihm so teuer und wertvoll geworden war, bei der Kaiserin angeklagt, und zwar durch mich. Dadurch gestaltete sich natürlich unser Verhältnis schlechter als je, machte uns vielleicht für immer unversöhnlich und raubte mir das Vertrauen des Großfürsten. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich die Kaiserin in meiner Gegenwart so zu dem Großfürsten reden hörte, und sah, wie sie das, was ich ihr nur zum Besten ihres Neffen gesagt zu haben glaubte, als mörderische Waffe gegen mich kehrte. Sehr überrascht von diesem plötzlichen Vertrauen der Kaiserin, rief der Großfürst: »Ah! diese Geschichte kannte ich ja gar nicht; sie ist sehr gut und beweist vollkommen ihre Schlechtigkeit.« – Ich dachte für mich: »Gott weiß, wessen Schlechtigkeit sie beweist!«

Von Brockdorf ging Ihre Majestät plötzlich auf das zwischen Stambke und Graf Bestuscheff entdeckte Einverständnis über und sagte: »Ich kann mir unmöglich denken, wie dieser Mensch zu entschuldigen ist, der doch mit einem Staatsgefangenen in Verkehr gestanden hat.« – Da indes in dieser Sache mein Name nicht erwähnt worden war, schwieg ich, zumal mir die Aeußerung ohne Beziehung auf mich schien. Aber die Kaiserin näherte sich mir und begann: »Sie mischen sich in viele Dinge, die Sie nichts angehen. Ich würde nicht gewagt haben, dies zur Zeit der Kaiserin Anna zu tun. Wie zum Beispiel konnten Sie wagen, Befehle an den Marschall Apraxin zu schicken?« – »Ich!« rief ich, »nie ist es mir eingefallen, ihm Befehle zu schicken.« – »Wie?« fragte sie »können Sie wohl leugnen, daß Sie ihm geschrieben haben? Ihre Briefe befinden sich hier in diesem Becken« – sie deutete mit dem Finger darauf hin – »und doch ist Ihnen aufs strengste verboten, zu schreiben.« – Hierauf antwortete ich: »Es ist wahr, ich habe dies Verbot übertreten und bitte Sie deshalb um Verzeihung. Da aber meine Briefe hier sind, können Eure Majestät sich ja selbst überzeugen, daß ich niemals Befehle geschickt habe, sondern ihm nur mitteilte, was man von seinem Benehmen dächte.« – Sie unterbrach mich mit den Worten: »Und weshalb schrieben Sie ihm dies?« – Ich erwiderte ganz offen: »Weil ich mich für den Marschall, dem ich sehr geneigt war, interessierte. Ich bat ihn nur, Ihre Befehle zu befolgen. Von den beiden andern Briefen enthält der eine weiter nichts als einen Glückwunsch zu der Geburt seines Sohnes, und der andere einige Wünsche zum neuen Jahr.« – »Bestuscheff behauptet, es wären noch viele andere da,« rief sie. – Ich antwortete: »Wenn Bestuscheff dies sagt, so lügt er.« – »Nun wohl,« entgegnete sie, »da er in Beziehung auf Sie lügt, werde ich ihn foltern lassen.« – Sie glaubte mich nämlich dadurch in Schrecken zu jagen, aber ich antwortete ihr ruhig, sie sei Herrscherin und könne tun, was ihr gut dünke; ich habe nichts an Apraxin geschrieben, als diese drei Briefe. Darauf schwieg sie und schien sich zu sammeln.

Das sind natürlich nur die hervorstechendsten Züge dieser Unterredung, die mir im Gedächtnis geblieben sind; überdies wäre es mir ganz unmöglich, alles zu erwähnen, was während der anderthalb Stunden gesprochen wurde. Die Kaiserin ging im Zimmer auf und ab, sich bald an mich, bald an ihren Herrn Neffen wendend, öfter aber noch an den Grafen Alexander Schuwaloff, mit dem der Großfürst sich meist unterhielt, wenn die Kaiserin mit mir sprach. Ich habe schon oben bemerkt, daß ich an dieser weniger Zorn als Sorge wahrnahm. Was den Großfürsten anbetraf, so ließ er in allen seinen Reden während der Unterhaltung viel Galle, Heftigkeit und Eifer gegen mich durchblicken. Er suchte Ihre Majestät so viel er konnte gegen mich aufzuhetzen. Da er sich aber höchst einfältig dabei benahm und mehr Leidenschaftlichkeit als Gerechtigkeit zeigte, verfehlte er sein Ziel, und die Kaiserin stellte sich auf meine Seite. Mit besonderer Aufmerksamkeit und einer Art vielleicht unfreiwilliger Zustimmung hörte sie meinen festen und gemäßigten Antworten auf die maßlosen Reden meines Herrn Gemahls zu, dem man es deutlich ansah, daß er beabsichtigte, mich aus meiner Stellung zu verdrängen, um am liebsten seine augenblickliche Maitresse dahin zu setzen. Allein es konnte weder nach dem Geschmack der Kaiserin noch dem der Herren Schuwaloff sein, die Grafen Woronzow zu ihren Gebietern zu machen. Doch dies ging über die Urteilsfähigkeit Seiner kaiserlichen Hoheit hinaus, der immer alles glaubte, was er wünschte, und jeden Gedanken, der den seinigen entgegen war, beiseite schob. Ja, er ging darin so weit, daß die Kaiserin zu mir herantrat und leise sagte: »Ich hätte Ihnen noch manches mitzuteilen, aber ich kann nicht sprechen, weil ich Ihnen nicht noch mehr Unfrieden bringen will, als Sie schon haben.« Und mit einer Bewegung der Augen und des Kopfes gab sie mir zu verstehen, daß es die Gegenwart der andern sei, die sie daran verhindere. Bei diesem Zeichen wahrhaften Wohlwollens ihrerseits in einer so kritischen Lage wurde ich ganz gerührt und flüsterte: »Auch ich kann mich nicht aussprechen, ein so mächtiges Verlangen ich auch fühle, Ihnen mein Herz und meine Seele zu öffnen.« – Wie ich bemerkte, brachten meine Worte einen mir günstigen Eindruck hervor. Die Tränen traten ihr in die Augen, und um zu verbergen, daß und in welchem Grade sie bewegt war, verabschiedete sie uns, indem sie bemerkte, es sei schon sehr spät.

Es war wirklich schon drei Uhr morgens. Der Großfürst entfernte sich zuerst. Ich folgte ihm. Als aber auch Graf Alexander Schuwaloff nach mir hinausgehen wollte, rief ihn die Kaiserin zurück, und er blieb bei ihr. Diesmal beeilte ich mich nicht, dem Großfürsten, der immer sehr große Schritte machte, zu folgen. Er kehrte in seine Gemächer, ich in die meinigen zurück. Schon fing ich an, mich zu entkleiden, als ich an meine Tür klopfen hörte. Ich fragte, wer da sei, und Graf Alexander Schuwaloff antwortete, ich möchte ihm doch öffnen. Ich tat es. Darauf forderte er mich auf, meine Frauen zu entlassen, und als diese sich entfernt hatten, teilte er mir mit, daß die Kaiserin ihn zurückgerufen und beauftragt habe, mir ihre Empfehlungen zu bringen und zu sagen, ich solle nicht traurig sein, sie werde eine nochmalige Unterredung mit mir haben. Ich verneigte mich tief vor Graf Schuwaloff und bat ihn, Ihrer kaiserlichen Majestät meine untertänigsten Empfehlungen zu machen und ihr für ihre Güte zu danken, die mich dem Leben zurückgebe. Ich würde diese zweite Zusammenkunft mit ihr mit der lebhaftesten Ungeduld erwarten und bäte sie, den Zeitpunkt derselben zu beschleunigen. Er empfahl mir, mit niemand davon zu sprechen, besonders nicht mit dem Großfürsten, den die Kaiserin zu ihrem Bedauern sehr gegen mich aufgebracht finde. Ich versprach es. »Wenn man sich aber über sein Wesen gegen mich ärgert,« dachte ich, »warum bringt man ihn dann noch mehr durch die Wiedergabe meiner Worte im Sommerpalast auf?«

Diese unerwartete Rückkehr der Freundschaft und des Vertrauens der Kaiserin war für mich ein großer Trost und gewährte mir viele Freude. Tags darauf beauftragte ich die Nichte des Beichtvaters, ihrem Onkel für den wichtigen Dienst zu danken, den er mir geleistet, indem er mir diese Unterredung mit Ihrer kaiserlichen Majestät verschaffte. Als sie von ihrem Onkel zurückkehrte, sagte sie mir, sie wisse, daß die Kaiserin geäußert habe, ihr Neffe sei ein Dummkopf, aber die Großfürstin besäße viel Geist. Und diese Aeußerung wurde mir von mehr als einer Seite wiederholt. Auch sollte Ihre Majestät gegen ihre Vertrauten meine Fähigkeiten aufs höchste gelobt haben, wobei sie oft hinzufügte: »Sie liebt die Wahrheit und Gerechtigkeit und ist eine geistreiche Frau; aber mein Neffe ist ein Einfaltspinsel.«

Dennoch verschloß ich mich nach wie vor in meine Gemächer unter dem Vorwande, daß ich krank sei. Ich erinnere mich, daß ich damals die fünf ersten Bände der »Geschichte der Reisen« las, mit der Karte auf dem Tische, was mich ebenso sehr unterhielt als belehrte. Als ich diese Lektüre satt hatte, durchblätterte ich die ersten Bände der Encyclopädie und erwartete dabei immer sehnsüchtig den Tag, an dem es Ihrer Majestät gefallen würde, mir eine zweite Zusammenkunft zu gewähren. Von Zeit zu Zeit wiederholte ich dem Grafen Schuwaloff meine Bitte und drückte den lebhaften Wunsch aus, mein Schicksal endlich entschieden zu sehen. Was den Großfürsten betraf, so hörte ich gar nichts mehr von ihm. Ich wußte nur, daß er meine Entlassung mit großer Ungeduld erwartete und sicher darauf rechnete, Elisabeth Woronzow in zweiter Ehe zu heiraten. Sie kam schon in seine Gemächer und machte dort die Honneurs, wahrscheinlich erfuhr ihr Onkel, der ein vollendeter Heuchler war, alle diese Pläne durch ihren Bruder oder vielleicht auch durch ihren Neffen. Diese waren damals fast noch Kinder, denn der älteste zählte kaum zwanzig Jahre. Aus Furcht aber, sein eben erst gestiegenes Ansehen könnte dadurch bei Ihrer Majestät leiden, suchte Woronzow um den Auftrag nach, mich zu überreden, von der Forderung meiner Trennung vom Großfürsten abzustehen – denn es geschah folgendes.

Eines Morgens meldete man mir, daß der Vizekanzler Graf Woronzow seitens der Kaiserin mit mir zu sprechen verlange. Aufs höchste von dieser ungewöhnlichen Sendung überrascht, ließ ich, obgleich ich mich noch nicht angekleidet hatte, den Herrn Vizekanzler eintreten. Er küßte mir die Hand und drückte sie mit großer Zärtlichkeit. Dann trocknete er sich die Augen, aus denen ein paar Tränen flossen. Da ich damals ziemlich eingenommen gegen ihn war, setzte ich kein großes Vertrauen in diese Einleitung, die seine Ergebenheit für mich beweisen sollte, ließ ihn aber gewähren und bat ihn, sich zu setzen. Er litt an großer Atemnot, woran eine Art Kropf schuld war. Als er sich gesetzt hatte, sagte er, die Kaiserin habe ihn beauftragt, mit mir zu reden, um mir von meiner Rückkehr zu meinen Verwandten abzuraten. Ihre kaiserliche Majestät habe ihm sogar befohlen, mich ihrerseits zu bitten, diesem Gedanken, zu dessen Ausführung sie niemals ihre Zustimmung geben werde, zu entsagen; und er besonders bitte und beschwöre mich, ihm mein Wort zu geben, daß nie mehr die Rede davon sein sollte. Meine Absicht bekümmerte in der Tat die Kaiserin und alle ehrlichen Leute, zu denen zu gehören er beteuerte. Ich antwortete ihm, es gäbe nichts, was ich nicht gern der Kaiserin und allen meinen Freunden zu Gefallen täte, aber ich sähe meine Gesundheit und mein Leben durch die Lebensweise, der ich ausgesetzt sei, bedroht. Außerdem bringe ich nur Unglück, denn alle, die mir zu nahe kämen, würden unausgesetzt verbannt und entlassen. Den Großfürsten reize man bis zum Hasse gegen mich auf, und außerdem habe er mich niemals geliebt. Ihre Majestät selbst gäbe mir fast fortwährend Beweise ihrer Ungnade. Da ich so allen zur Last falle und selbst fast vor Langeweile und Kummer stürbe, habe ich um meine Rücksendung gebeten. Nur so könnte man ein so lästiges, vor Langeweile und Kummer vergehendes Wesen, wie mich, erlösen. Nun fing er von meinen Kindern an zu sprechen. Ich sagte ihm, daß ich sie niemals sähe und seit meinem Kirchgang das jüngste noch nicht zu sehen bekommen hätte; dies sei mir nur auf ausdrücklichen Befehl der Kaiserin, von deren Zimmern sie zwei bewohnten, möglich. Ich zweifele durchaus nicht an der Sorgfalt, die sie ihnen angedeihen lasse, aber so lange ich der Freude, sie zu sehen, beraubt sei, wäre es mir gleichgültig, ob ich hundert Schritte oder hundert Meilen weit von ihnen entfernt sei. Er sagte, die Kaiserin werde eine zweite Unterredung mit mir haben, und fügte hinzu, es sei sehr zu wünschen, daß Ihre kaiserliche Majestät mir näher käme. Ich bat ihn, doch diese Unterredung zu beschleunigen; ich meinerseits werde nichts versäumen, was die Erfüllung seines Wunsches erleichtern könne.

Länger als eine Stunde war er bei mir gewesen. Er hatte lange und viel über die verschiedensten Dinge gesprochen, wobei ich bemerkte, daß sein hoher Einfluß aufs vorteilhafteste seine Redeweise und Haltung gegen früher verändert hatte. Denn es gab eine Zeit, wo ich ihn mit vielen andern zwiebelartig auf einen Faden aufreihte, wo er, unzufrieden mit der Kaiserin, mit den Geschäften und denen, die die Gunst und das Vertrauen Ihrer Majestät genossen, mir eines Tages bei Hofe, als er die Kaiserin Elisabeth sehr lange mit dem österreichischen Gesandten sprechen sah, während er und ich, sowie die ganze Umgebung der Kaiserin umherstanden – wir waren nebenbei zum Sterben müde – sagte: »Wollen wir wetten, daß sie nur albernes Zeug spricht?« – »Mein Gott, was sagen Sie da!« rief ich. – Er aber erwiderte russisch: »Ona ss prirodu dura« (Sie ist von Natur dumm . . .) – Endlich entfernte er sich mit der Versicherung seiner Ergebenheit und nahm von mir Abschied, indem er mir wieder die Hand küßte.

Für den Augenblick also konnte ich sicher sein, nicht fortgeschickt zu werden, da man mich ja selbst bat, nicht diesen Wunsch auszudrücken. Dennoch hielt ich es für gut, noch nicht auszugehen, sondern wie vorher in meinem Zimmer zu bleiben, als ob ich die Entscheidung meines Schicksals erst von der zweiten Unterredung mit der Kaiserin erwartete. Aber es dauerte lange, ehe mir diese gewährt wurde. Dabei erinnere ich mich, daß mir die Kaiserin am 21. April, meinem Geburtstage, an dem ich ebenfalls nicht ausging, durch Alexander Schuwaloff sagen ließ, sie trinke auf meine Gesundheit. Ich ließ ihr dafür danken, daß sie sich an diesem, wie ich mich ausdrückte, unglücklichen Tage meiner Geburt, den ich verwünschen würde, hätte ich nicht an ihm die Taufe empfangen, meiner gnädigst erinnere. Als der Großfürst erfuhr, daß die Kaiserin mir an diesem Tage eine Botschaft geschickt, kam er gleichfalls auf den Einfall, mir dasselbe sagen zu lassen. Und als man mir seine Wünsche überbrachte, erhob ich mich feierlich und sprach mit einer tiefen Verbeugung meinen Dank aus.

Nach meinem Geburtstage und dem Krönungsfeste der Kaiserin, die nur vier Tage auseinander lagen, blieb ich immer noch in meinem Zimmer, bis Graf Poniatowski mir die Nachricht zugehen ließ, daß der französische Gesandte, Marquis de L'Hôpital, meinem festen Benehmen großes Lob gespendet und erklärt habe, dieser Entschluß, meine Gemächer nicht zu verlassen, könne nur zu meinem Vorteil ausschlagen. Da ich in dieser Aeußerung nur die perfide Lobeserhebung eines Feindes sah, entschloß ich mich sofort, das Gegenteil von dem zu tun, was er pries. Eines Sonntags, als man es am wenigsten erwartete, kleidete ich mich an und verließ das Innere meiner Gemächer. Sowie ich das Zimmer betrat, wo sich die Damen und Herren aufhielten, bemerkte ich ihr Erstaunen und ihre Ueberraschung, als sie mich sahen. Einige Augenblicke später kam der Großfürst. Auch sein Erstaunen malte sich auf seinem Gesichte aus. Da ich mit der Gesellschaft sprach, mischte er sich in die Unterhaltung und richtete einige Worte an mich, auf die ich ihm offen antwortete.

Während dieser Zeit kam Prinz Karl von Sachsen zum zweiten Male nach Petersburg. Der Großfürst, der ihn das erstemal ziemlich ritterlich empfangen hatte, glaubte sich diesmal berechtigt, gar kein Maß in seinem Benehmen gegen den Prinzen zu beobachten, und zwar aus folgenden Gründen. In der russischen Armee war es schon längst kein Geheimnis mehr, daß Prinz Karl von Sachsen in der Schlacht von Zorndorf einer der ersten gewesen, die die Flucht ergriffen. Man sagte sogar, er habe diese Flucht ohne Aufenthalt bis nach Landsberg fortgesetzt. Da Seine kaiserliche Hoheit hiervon gehört hatte, faßte er den Entschluß, mit ihm, als einem erklärten Feigling, nicht mehr zu sprechen. Ueberhaupt wollte er nicht das geringste mit ihm zu tun haben. Allem Anschein nach trug die Prinzessin von Kurland, von der ich schon öfter Gelegenheit hatte zu sprechen, zu diesem Entschlusse nicht wenig bei, weil sich damals das Gerücht zu verbreiten begann, man habe die Absicht, den Prinzen Karl von Sachsen zum Herzog von Kurland zu machen. Biron, der Vater der Prinzessin, saß noch immer in Jaroslaw gefangen. Sie teilte ihren Groll dem Großfürsten mit, auf den sie immer noch einen gewissen Einfluß hatte. Uebrigens war die Prinzessin damals zum dritten Male verlobt, und zwar mit Alexander Baron Tscherkassoff, mit dem sie sich auch wirklich den Winter darauf vermählte.

Endlich, einige Tage vor unserer Uebersiedlung aufs Land, meldete mir Graf Alexander Schuwaloff seitens der Kaiserin, ich solle am Nachmittage durch ihn darum bitten lassen, meine Kinder zu sehen. Wenn ich sie besucht hätte, würde mir die lange versprochene Unterredung mit Ihrer Majestät gewährt werden. Ich tat, was man von mir verlangte und beauftragte in Gegenwart vieler Leute den Grafen Schuwaloff, Ihre Majestät um die Erlaubnis zu bitten, meine Kinder zu sehen. Er entfernte sich und meldete mir später, daß ich um drei Uhr zu ihnen gehen könne. Ich hielt die Zeit genau ein und blieb bei meinen Kindern, bis Schuwaloff mir meldete, daß Ihre Majestät mich zu empfangen wünsche. Sie war ganz allein. Diesmal befanden sich auch keine spanischen Wände im Zimmer, und wir konnten uns in voller Freiheit aussprechen. Mein erstes war, ihr für die Audienz zu danken, die sie mir gewährte, und ihr zu versichern, schon ihr gnädiges Versprechen allein habe mir meinen Lebensmut zurückgegeben. Hierauf bemerkte sie: »Ich verlange, daß Sie mir über alles, was ich Sie fragen werde, die reine Wahrheit sagen.« Und ich versicherte sie, daß sie nur die volle Wahrheit aus meinem Munde hören werde, denn ich wünsche nichts mehr, als ihr mein Herz rückhaltslos zu öffnen. Sie fragte darauf nochmals, ob ich wirklich nur jene drei Briefe an Apraxin geschrieben hätte, und ich beschwor dies mit der größten Wahrhaftigkeit, wie es sich in der Tat verhielt. Dann fragte sie nach Einzelheiten über das Leben des Großfürsten.

 


 


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