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Verunglückte Rutschpartie. – Intrige Madame Tschoglokoffs. – Sergius Soltikoff erscheint häufiger als nötig bei Hofe. – Man täuscht Tschoglokoff auf seine Weise. – Sergius Soltikoff erklärt mir seine Liebe. – Aufenthalt mit ihm auf der Insel Tschoglokoffs. – Der Großfürst ahnt unser Verhältnis. – Er selbst ist in Fräulein Schastroff verliebt. – Aufenthalt in Oranienbaum. – Die Kaiserin lädt uns nach Kronstadt ein. – Ihre Besorgnis um uns. – Rückkehr nach Oranienbaum. – Die Malerswitwe. – Abbruch der Unterhandlungen mit Dänemark. – Soltikoff läßt in seinem Benehmen gegen mich nach. – Anzeichen von Schwangerschaft.
So endete das Jahr 1751 und das folgende begann. Am Schlusse des Karnevals reiste Graf Czernitscheff zu seinem Regimente zurück. Einige Tage vor seiner Abreise – es war an einem Sonnabend – mußte mir zur Ader gelassen werden. Am Mittwoch darauf lud Tschoglokoff uns nach seiner an der Newamündung gelegenen Insel ein, wo er ein Haus mit einem Saal in der Mitte und mehreren Zimmern an beiden Seiten besaß. Neben diesem Hause hatte er verschiedene Rutschbahnen einrichten lassen. Bei meiner Ankunft fand ich den Grafen Woronzow dort, der, als er mich sah, ausrief: »Ah! ich werde Sie fahren; ich habe nämlich einen prächtigen kleinen Schlitten für die Rutschbahn machen lassen.« Da er mich schon oft vorher gefahren hatte, nahm ich sein Anerbieten freudig an, und er ließ sogleich seinen Schlitten bringen. Darin befand sich ein kleiner Sessel, auf den ich mich setzte, während er sich hintenauf stellte; so glitten wir hinab. Allein in der Mitte des Abhanges war Graf Woronzow nicht mehr Herr des kleinen Fahrzeugs, der Schlitten stürzte um, ich fiel heraus, und Graf Woronzow mit seinem sehr schweren und ungeschickten Körper auf mich oder vielmehr auf meinen linken Arm, an welchem mir vor vier Tagen zur Ader gelassen worden war. Wir erhoben uns und begaben uns zu Fuß nach einem Hofschlitten, welcher auf die Niedergleitenden wartete, um sie wieder nach dem Abfahrtspunkte zurückzubringen. Als ich aber mit der Fürstin Gagarin, die mir mit Graf Iwan Czernitscheff gefolgt war, in diesem Schlitten saß, während dieser und Woronzow hintenauf standen, fühlte ich in meinem linken Arm eine brennende Hitze, deren Ursache ich mir nicht erklären konnte. Ich faßte sofort mit der rechten Hand in den Aermel meines Pelzes, um zu sehen, was es wäre, und als ich die Hand wieder herauszog, war diese ganz mit Blut bedeckt. Ich sagte den beiden Herren und der Fürstin, mir scheine, meine Ader sei aufgesprungen, denn das Blut fließe heraus. Sofort ließen sie den Schlitten schneller fahren, und statt nach der Rutschbahn begaben wir uns nach Hause. Dort fanden wir niemand als einen Tafeldecker. Ich legte meinen Pelz ab, der Tafeldecker gab uns Essig, und Graf Czernitscheff übernahm das Amt des Chirurgen. Darauf verabredeten wir uns, zu keinem Menschen über dieses Abenteuer zu sprechen, und nachdem mein Arm verbunden war, kehrten wir alle zur Rutschbahn zurück. Den Rest des Abends tanzte ich, soupierte und kam erst sehr spät nach Hause, ohne daß jemand ahnte, was mir begegnet war. Doch schmerzte mich jene Stelle am Arm fast einen Monat lang; allein auch dies verlor sich allmählich.
Während der Fastenzeit hatte ich einen heftigen Zwist mit Madame Tschoglokoff, und zwar aus folgenden Gründen. Meine Mutter lebte seit einiger Zeit in Paris. Der älteste Sohn des Generals Iwan Feodorowitsch Gleboff, welcher eben von dort zurückkehrte, überbrachte mir von ihr zwei Stücke sehr reichen und schönen Stoffes. Als ich sie im Beisein Skurins, der sie in meinem Toilettezimmer ausbreitete, ansah, entfuhr mir die Bemerkung, sie seien so schön, daß ich mich versucht fühlte, sie der Kaiserin anzubieten. Und wirklich wartete ich nur auf einen günstigen Augenblick, um mit Ihrer Majestät, die ich nur sehr selten und noch dazu meist bei öffentlichen Gelegenheiten sah, darüber zu sprechen. Da es ein Geschenk sein sollte, welches ich ihr selbst zu geben mir vorbehielt, erwähnte ich meine Absicht auch mit keinem Worte gegen Madame Tschoglokoff und verbot auch Skurin, jemand wiederzusagen, was mir in seinem Beisein entschlüpft war. Er jedoch hatte nichts Eiligeres zu tun, als es Madame Tschoglokoff schleunigst zu hinterbringen. Einige Tage darauf trat sie eines schönen Morgens zu mir ins Zimmer und sagte, die Kaiserin lasse mir für meine Stoffe danken, sie habe einen davon behalten und den andern schicke sie mir zurück. Ich fiel wie aus den Wolken als ich dies hörte und erwiderte: »Wie soll ich das verstehn?« Madame Tschoglokoff antwortete, da sie gehört, daß ich meine Stoffe für Ihre kaiserliche Majestät bestimmt habe, hätte sie sie gleich der Kaiserin überreicht. Im ersten Augenblick wurde ich so zornig, wie ich mich nicht besinne, je gewesen zu sein. Ich stammelte – kaum vermochte ich zu sprechen – und sagte der Tschoglokoff, ich hätte mir ein besonderes Vergnügen daraus machen wollen, der Kaiserin die Stoffe zu überreichen, und nun beraube sie mich desselben, indem sie meine Stoffe ohne mein Wissen Ihrer kaiserlichen Majestät überbringe. Sie könne doch meine Absichten nicht kennen, da ich nicht mit ihr davon gesprochen, und wenn sie davon wisse, so sei dies nur durch den Mund eines Domestiken, der seine Herrin verrate, die ihn täglich mit Wohlwollen überhäufe. Madame Tschoglokoff, die stets ihre eigenen Gründe hatte, behauptete, da es mir nicht gestattet sei, über irgend etwas selber mit der Kaiserin zu reden, habe sie mir den betreffenden Befehl der Kaiserin kundgetan, und meine Diener seien verpflichtet, alles, was ich sage, ihr zu hinterbringen: jener Mensch also habe nur seine Pflicht erfüllt und sie die ihrige, wenn sie ohne mein Wissen die von mir für die Kaiserin bestimmten Stoffe Ihrer Majestät überbracht habe. Alles sei ganz in der Ordnung. Ich ließ sie reden, weil mich der Zorn stumm machte. Endlich entfernte sie sich. Als sie fort war, begab ich mich in ein kleines Vorzimmer, wo sich gewöhnlich Skurin am Morgen aufhielt und wo sich meine Garderobe befand. Ich gab ihm eine derbe Ohrfeige und sagte, er sei ein Verräter und der undankbarste Mensch, da er Madame Tschoglokoff hinterbracht, wovon ich ihm zu sprechen verboten habe. Während ich ihn mit Wohltaten überhäufe, verrate er selbst meine unschuldigsten Worte; allein von diesem Tage an werde ich nichts mehr für ihn tun, sondern ihn fortjagen und ausprügeln lassen. Was er sich denn von seinem Verhalten verspreche? fragte ich ihn, denn ich bleibe immer was ich sei, während die Tschoglokoffs, gehaßt und verabscheut von allen, wie sie wären, schließlich selbst durch die Kaiserin weggejagt würden, die früher oder später gewiß ihre Dummheit und Unfähigkeit für die Stellung, welche sie nur durch die Intrige eines bösen Menschen erlangt, erkennen werde. Wenn er wolle, könne er ja gehen und wiedererzählen, was ich gesagt; für mich würde dies sicherlich keine Folgen haben, aber was für ihn selbst daraus entstehe, werde er schon sehen. Bitterlich weinend stürzte mein Diener vor mir auf die Knie und bat mich mit aufrichtiger Reue um Verzeihung. Dies rührte mich und ich antwortete, nur sein künftiges Betragen werde mir den Weg weisen, den ich hinsichtlich seiner einzuschlagen habe, und daß meine Handlungen von den seinigen abhingen. Und da er ein intelligenter Bursche war, dem es nicht an Verstand fehlte, so hat er später nie sein Wort gegen mich gebrochen; im Gegenteil, ich erhielt stets Beweise des größten Eifers und der wahrhaftesten Treue von ihm, selbst unter den schwierigsten Umständen. Indes beklagte ich mich so viel ich nur konnte bei jedermann über den Streich, den Madame Tschoglokoff mir gespielt, damit die Sache zu den Ohren der Kaiserin gelange. Diese dankte mir allerdings nur für meine Stoffe, als ich sie sah, aber aus dritter Hand erfuhr ich, daß sie die Art, auf welche die Tschoglokoff verfahren, äußerst mißbilligte; und dabei blieb es.
Nach dem Osterfeste bezogen wir den Sommerpalast. Schon seit einiger Zeit bemerkte ich, daß der Kammerherr Sergius Soltikoff sich häufiger als gewöhnlich bei Hofe sehen ließ. Er kam stets in Begleitung Leon Narischkins, der alle durch seine schon oben geschilderte Originalität ergötzte. Die Fürstin Gagarin, welche ich sehr gern hatte und die sogar meine Vertraute war, konnte Sergius Soltikoff nicht ausstehen, der sich soviel als möglich bei den Tschoglokoffs einzuschmeicheln suchte. Da diese nun weder liebenswürdig, noch geistreich, noch unterhaltend waren, mußten wohl hinter seinen Bemühungen besondere Absichten verborgen liegen. Madame Tschoglokoff war damals gerade guter Hoffnung und daher oft unpäßlich. Da sie aber behauptete, ich unterhalte sie stets so vorzüglich, wünschte sie, mich so oft als möglich bei sich zu sehen. Auch Sergius Soltikoff, Leon Narischkin, die Fürstin Gagarin und noch viele andere besuchten sie gewöhnlich, wenn kein Konzert beim Großfürsten oder kein Theater bei Hofe war. Zu jener Zeit fand Sergius ein eigentümliches Mittel, Tschoglokoff, den die Konzerte des Großfürsten schrecklich langweilten, obgleich er nie verfehlte, dabei zu sein, zu beschäftigen. Ich weiß nicht, auf welche Weise er in dem schwerfälligen, aller Phantasie und alles Geistes baren Menschen eine leidenschaftliche Neigung zum Verfertigen von Versen zu wecken vermochte, die übrigens ohne Sinn und Verstand waren. Nachdem wir dies entdeckt hatten, baten wir Tschoglokoff jedesmal, wenn wir ihn los sein wollten, ein neues Gedicht zu machen. Dann setzte er sich bereitwilligst in eine Ecke des Zimmers, meist in die Nähe des Ofens, und beschäftigte sich mit der Abfassung des Gedichtes, was den ganzen Abend ausfüllte. Man war darüber entzückt und ermunterte ihn fortwährend zu neuen Leistungen. Leon Narischkin setzte dann seine Lieder in Musik und sang sie mit ihm. Unterdessen konnten wir uns ungestört unterhalten und sagen, was wir wollten. Ich besaß einen dicken Band von diesen Gedichten, weiß aber nicht, was daraus geworden ist.
Bei einem jener Konzerte ließ Sergius Soltikoff durchblicken, was die Ursache seiner Aufmerksamkeiten gegen mich war. Ich antwortete ihm zuerst nicht, als er aber immer wieder über denselben Gegenstand zu sprechen begann, fragte ich ihn, was er sich denn eigentlich davon verspreche? Darauf entwarf er ein ebenso glänzendes als leidenschaftliches Bild des höchsten Glückes. Ich erwiderte: »Und Ihre Frau, die Sie erst vor zwei Jahren aus Leidenschaft geheiratet und in die Sie, wie man sagt, bis zum Wahnsinn verliebt sind, ein Gefühl, welches sie mit gleicher Glut erwidert, was wird sie dazu sagen?« Hierauf bemerkte er nur: nicht alles sei Gold, was glänze, und er büße schwer für einen Augenblick der Verblendung. Ich tat dennoch, was in meinen Kräften stand, ihn auf andere Gedanken zu bringen; gutmütig, wie ich war, glaubte ich, daß mir dies gelinge – er tat mir leid. Schließlich aber erhörte ich ihn doch. Er war schön wie der Tag, und niemand kam ihm an dem großen Hofs der Kaiserin, geschweige denn an unserm kleinen gleich. Es fehlte ihm weder an Geist, noch an jener Gewandtheit in Kenntnissen, Benehmen und Rücksichten, welche die große Welt, besonders aber das Hofleben, verleiht. Er war sechsundzwanzig Jahre alt; kurz, Geburt und manche andere Eigenschaften machten ihn zu einem glänzenden Kavalier. Seine Fehler wußte er geschickt zu verbergen, deren größte seine Neigung zur Intrige und sein Mangel an Grundsätzen waren. Doch noch während des ganzen Frühlings und eines Teils des Sommers widerstand ich seinem Drängen, und obgleich ich ihn fast täglich sah, änderte ich mein Benehmen gegen ihn nicht. Ich verkehrte mit ihm, wie mit einem jeden, sah ihn nur in Gegenwart des Hofes oder wenigstens mehrerer Personen meiner Umgebung. Eines Tages kam mir sogar der Gedanke, mich seiner endlich zu entledigen, indem ich ihm kurzweg sagte, er komme übel an, und hinzufügte: »Was wissen Sie denn? Vielleicht gehört mein Herz schon einem andern?« Aber diese Worte, statt ihn zu entmutigen, bewirkten gerade das Gegenteil, und er wurde immer leidenschaftlicher. Von meinem lieben Gemahl war bei alledem nie die Rede, weil es eine ausgemachte Sache war, daß selbst die, in welche er verliebt war, ihn nicht liebenswert fanden; und verliebt war er fortwährend, ja er machte sozusagen allen Frauen den Hof; nur die, welche seinen Namen trug, war von seiner Beachtung ausgeschlossen.
Um diese Zeit lud uns Tschoglokoff zu einer Jagd auf seine Insel ein. Wir begaben uns in einer Schaluppe dorthin; unsere Pferde hatten wir vorausgeschickt. Gleich nach unserer Ankunft bestieg ich das meinige, um die Hunde abzuholen. Da paßte Sergius den Augenblick ab, wo die andern mit der Verfolgung der Hasen beschäftigt waren, um sich mir zu nähern und mich von seinem Lieblingsthema zu unterhalten. Aufmerksamer als gewöhnlich hörte ich ihm diesmal zu, während er mir die Grundzüge des Planes, den er sich ausgedacht, um wie er sagte, das Glück in ein tiefes Geheimnis zu hüllen, in den glühendsten Farben schilderte. Ich schwieg, und er machte sich mein Schweigen zunutze, um mir zu versichern, daß er mich leidenschaftlich liebe, und mich zu bitten, ich solle ihm zu glauben gestatten, daß er mir wenigstens nicht gleichgültig sei. Darauf erwiderte ich, ich könne ihn nicht hindern, sich seinen Phantasien hinzugeben. Endlich stellte er Vergleiche zwischen sich und andern Personen des Hofes an und drängte mich zu dem Geständnis, daß er gewiß diesen vorzuziehen sei, woraus er dann schloß, ich bevorzuge ihn wirklich. Ich lachte über seine Anmaßung, aber im Grunde meines Herzens mußte ich mir gestehen, daß er mir sehr gefalle. Nachdem wir uns anderthalb Stunden lang auf diese Weise unterhalten, forderte ich ihn auf, sich zu entfernen, weil ein so langes Gespräch Verdacht erregen könne. Er aber entgegnete, er werde sich nicht früher entfernen, als bis ich ihm gesagt, daß er mir gefalle, worauf ich antwortete: »Ja, ja, aber gehen Sie!« »Ich werde es mir gesagt sein lassen!« rief er und gab seinem Pferde die Sporen, doch ich entgegnete schnell: »Nein, nein!« und er wiederholte: »Ja, ja!« So trennten wir uns.
Nach dem Hause Tschoglokoff zurückgekehrt gingen wir sogleich zum Souper. Während desselben erhob sich ein heftiger Sturm, der die Wellen des Meeres so hoch peitschte, daß sie die Treppenstufen des Hauses umspülten, und die ganze Insel mehrere Fuß tief unter Wasser stand. Wir waren daher genötigt, auf der Besitzung Tschoglokoffs zu bleiben, bis Sturm und Wellen sich gelegt hatten, was erst gegen Morgen zwischen zwei und drei Uhr eintrat. Während dieser Zeit sagte mir Sergius unter andern Bemerkungen dieser Art, der Himmel sogar begünstige ihn heute und ließe ihn länger als sonst meinen Anblick genießen. Er hielt sich schon für überaus glücklich. Ich dagegen war es nicht. Tausend Befürchtungen quälten meinen Geist, und meiner eigenen Empfindung zufolge war ich an jenem Tage mürrisch und unzufrieden mit mir selbst. Ich hatte geglaubt, seine Gedanken so wie die meinigen lenken und meistern zu können, aber wie bald mußte ich einsehen, daß dies sehr schwer, wo nicht ganz unmöglich war.
Zwei Tage später teilte mir Sergius Soltikoff mit, ein Kammerdiener des Großfürsten, ein Franzose namens Bresson, habe ihm erzählt, Seine kaiserliche Hoheit hätte geäußert: »Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff, machen ihn glauben was sie wollen und lachen dann über ihn.« Und an dieser Bemerkung des Großfürsten war in der Tat etwas Wahres. Ich riet daher Sergius, künftig etwas vorsichtiger zu sein. Einige Tage darauf bekam ich eine schlimme Halsentzündung mit starkem Fieber, die drei Wochen dauerte. Während dieser Zeit schickte die Kaiserin die Fürstin Kurakin zu mir, die ich zu ihrer damals stattfindenden Vermählung mit dem Fürsten Labanoff schmücken sollte. Sie setzte sich zu diesem Zweck im Brautkleide mit großem Reifrock auf den Rand meines Bettes und ich versuchte, so gut ich konnte, ihren Haarputz zu vollenden. Da aber Madame Tschoglokoff sah, daß ich es nicht imstande war, forderte sie die Dame auf, mein Bett zu verlassen, und beendete selbst die Frisur.
Der Großfürst war damals in Fräulein Marta Isajewna Schasiroff verliebt, welche mir die Kaiserin vor kurzem zugleich mit ihrer älteren Schwester Anna Isajewna beigegeben hatte. Sergius Soltikoff, ein Dämon in Intrigen, ließ sich mit den beiden Damen ein, um zu erfahren, was der Großfürst zu den beiden Schwestern über ihn sage, was er sich dann zunutze zu machen gedachte. Die Mädchen waren arm, ziemlich einfältig, sehr interessiert und wurden wirklich nach kurzer Zeit äußerst vertraut mit ihm.
Unterdessen gingen wir nach Oranienbaum, wo ich wieder täglich ausritt und mit Ausnahme der Sonntage nur Männerkleider trug. Tschoglokoff und seine Frau waren sanft wie die Lämmer geworden. In Madames Augen besaß ich ein neues Verdienst: ich liebte nämlich eins ihrer Kinder sehr, liebkoste es oft, machte ihm Kleider und schenkte ihm Gott weiß was für Spielzeug und allerlei Tand. Die Mutter war in den Knaben rein vernarrt, der indes später ein Taugenichts wurde und sich wegen seiner Streiche eine fünfzehnjährige Festungshaft zuzog. Sergius Soltikoff war der Freund, Vertraute und Ratgeber der Tschoglokoffs geworden. Wie aber konnte ein Mensch, der gesunden Menschenverstand hatte, sich der Qual unterwerfen, das unsinnige Geschwätz von zwei hochmütigen, anmaßenden und egoistischen Narren den ganzen Tag lang anzuhören, ohne daß er ein großes Interesse dabei gehabt hätte? man ahnte, man setzte voraus, was ihn dazu bewog, und das Gerücht gelangte nach Peterhof zu den Ohren der Kaiserin. Nun geschah es damals sehr häufig, daß Ihre Majestät, wenn sie Lust hatte zu schelten, nicht immer ihren Zorn direkt gegen das richtete, was ihn mit Recht hätte erregen können, sondern den Vorwand dazu von einer Seite hernahm, von der man es am wenigsten erwartete. In Oranienbaum war unser ganzer Hof, Herren sowohl wie Damen, übereingekommen, sich für den Sommer Anzüge von derselben Farbe machen zu lassen, oben grau und unten blau, mit einer Jacke aus schwarzem Samt und ohne jegliche Garnitur. Eine solche Gleichförmigkeit war uns in mehr als einer Hinsicht bequem. Und diese Kleidung mußte diesmal herhalten! Besonders aber klammerte man sich an die Tatsache, daß ich stets im Reitkleide gehe und in Peterhof als Herr reite. Endlich, an einem Galatage, sagte die Kaiserin zu Madame Tschoglokoff, nur diese Art des Reitens sei schuld, daß ich keine Kinder bekomme, und mein Anzug wäre unschicklich; wenn sie reite, so wechsele sie ihre Kleidung. Darauf erwiderte Madame Tschoglokoff, daß ich keine Kinder bekäme, sei eine ganz andere Frage. Kinder könnten nicht ohne Ursache kommen, und obgleich Ihre kaiserlichen Hoheiten seit dem Jahre 1745 verheiratet seien, so existiere eine solche Ursache doch bis jetzt noch nicht. Nun schalt Ihre Majestät Madame Tschoglokoff und bemerkte, es sei einzig und allein ihre Schuld, daß sie vernachlässige, die dabei interessierten Personen hinsichtlich dieses Punktes zu ermahnen. Ueberhaupt zeigte sie sich sehr verstimmt und fügte hinzu, ihr Gemahl sei eine Schlafmütze, die sich von Rotznasen leiten lasse.
Alles dies wurde binnen vierundzwanzig Stunden den Vertrauten der Tschoglokoffs wiedererzählt. Bei dem Worte Rotznasen schneuzten die Rotznasen sich, und in einer von diesen Rotznasen abgehaltenen Beratung wurde beschlossen, daß in strenger Befolgung der Gefühle Ihrer Majestät Sergius Soltikoff und Leon Narischkin eine scheinbare Ungnade seitens Tschoglokoffs erleiden sollten. Sie entfernten sich denn auch angeblich wegen Krankheit ihrer Verwandten auf drei Wochen oder einen Monat, um die dumpf umlaufenden Gerüchte zum Schweigen zu bringen. Gleich Tags darauf reisten sie ab, um sich für einige Zeit in den Schoß ihrer Familien zurückzuziehen. Gleichzeitig änderte auch ich schleunigst meinen Anzug; auch die Uniform der andern war jetzt nutzlos geworden. Uebrigens setzte ich meinen Verkehr mit den Tschoglokoffs fort, obschon ich schreckliche Langeweile dabei empfand. Die beiden Ehegatten bedauerten die Abwesenheit der beiden Haupthelden ihres Kreises sehr – und ich war wahrhaftig nicht anderer Meinung. Sergius Soltikoffs Abwesenheit zog sich in die Länge. Währenddessen lud uns die Kaiserin ein, von Oranienbaum zu ihr nach Kronstadt zu kommen, da in ihrer Gegenwart das Wasser in den Kanal Peters I. gelassen werden sollte, den dieser begonnen und der soeben vollendet worden war. Sie selbst war uns nach Kronstadt vorangeeilt. Die Nacht nach ihrer Ankunft war sehr stürmisch, und da Ihre Majestät glaubte, wir befänden uns während des Sturmes auf dem Meere, war sie sehr unruhig. Sie brachte die ganze Nacht in großer Besorgnis zu, bald schien es ihr, als wenn ein Schiff, welches sie von ihren Fenstern aus mit den Wellen kämpfen sah, die Jacht sein könnte, auf der wir uns befanden, bald wandte sie sich aus Verzweiflung um Beistand an die Reliquien, die sie immer an ihrem Bett hatte, trug dieselben ans Fenster und bewegte sie nach einer dem mit den Wellen kämpfenden Schiff entgegengesetzten Richtung. Mehrmals rief sie aus, wir würden sicherlich untergehen, und das sei ihre Schuld, weil wir gewiß, nachdem sie uns vor kurzem getadelt, gleich nach der Ankunft der Jacht abgesegelt seien, um ihr einen Beweis unserer Ergebenheit zu geben. Aber in Wirklichkeit kam die Jacht erst nach dem Sturme in Oranienbaum an, so daß wir erst am Nachmittag des folgenden Tags an Bord gingen. Wir blieben drei Tage und Nächte in Kronstadt, währenddessen die feierliche Einsegnung des Kanals stattfand und man das Meer zum ersten Male einließ. Am Nachmittag war großer Ball. Die Kaiserin wollte in Kronstadt bleiben, um das Wasser wieder abfließen zu sehen, allein sie verließ es schon am dritten Tage, ohne daß man den Abfluß hätte bewirken können. Der Kanal wurde seit jener Zeit nicht wieder trocken gelegt, bis ich während meiner Regierung die Dampfmühle errichten ließ, welche ihn entleert. Außerdem wäre es auch unmöglich gewesen, da der Boden des Kanals tiefer liegt als das Meer, was damals nicht in Betracht gezogen wurde.
Von Kronstadt kehrte jeder nach Hause zurück; die Kaiserin nach Peterhof, wir nach Oranienbaum. Tschoglokoff verlangte und erhielt die Erlaubnis, sich für einen Monat auf eins seiner Güter zu begeben. Während seiner Abwesenheit war seine Frau Gemahlin aufs eifrigste bemüht, die Befehle der Kaiserin buchstäblich auszuführen. Zunächst hatte sie unzählige Beratungen mit Bresson, dem Kammerdiener des Großfürsten. Dieser fand in Oranienbaum eine hübsche Malerswitwe namens Groot, aber es vergingen einige Tage, ehe es gelang, sie zu überreden, und ihr, ich weiß nicht was, zu versprechen und sie über das, was man von ihr wollte und wozu sie sich hergeben sollte, aufzuklären. Hierauf wurde Bresson beauftragt, Seine kaiserliche Hoheit mit dieser jungen und schönen Witwe bekannt zu machen. Gleichzeitig bemerkte ich deutlich, daß Madame Tschoglokoff sich in einer gewissen Aufregung befand, nur wußte ich nicht weshalb, bis endlich Sergius Soltikoff aus seinem freiwilligen Exil zurückkehrte und mir nach und nach zu verstehen gab, um was es sich handelte. Endlich, mit vieler Mühe, erreichte Madame Tschoglokoff ihren Zweck, und als sie sich dieser Tatsache vergewissert hatte, benachrichtigte sie die Kaiserin, daß ihre Wünsche erfüllt seien. Sie hoffte, für ihre Mühe reichlich entschädigt zu werden, täuschte sich aber gründlich, denn sie erhielt nichts. Allein sie tröstete sich damit, daß sie behauptete, das Reich sei ihr zu großem Dank verpflichtet. Kurz darauf kehrten wir in die Stadt zurück.
Um jene Zeit gelang es mir, den Großfürsten zum Abbruch der Unterhandlung mit Dänemark zu bewegen. Ich erinnerte ihn an die Ratschläge des Grafen Bernis, der schon wieder nach Wien zurückgekehrt war. Der Großfürst folgte mir und befahl, die Unterhandlungen abzubrechen, ohne etwas abzuschließen, was denn auch geschah. Nach einem kurzen Aufenthalt im Sommerpalast bezogen wir den Winterpalast.
Ich glaubte damals zu bemerken, daß Sergius Soltikoff anfing, sich weniger um mich zu bekümmern, daß er zerstreut, mitunter albern, anmaßend und ausgelassen war. Dies quälte mich und ich sagte es ihm. Er antwortete mir mit banalen Ausreden, behauptete, ich verstehe die außerordentliche Geschicklichkeit seines Benehmens nicht zu würdigen. Er hatte recht, denn ich fand dasselbe sehr sonderbar. Einem Befehle zufolge bereiteten wir uns zur Reise nach Moskau vor. Am 14. Dezember 1752 reisten wir von Petersburg ab, wo Sergius Soltikoff noch einige Wochen verweilte. Ich verließ Petersburg mit leichten Anzeichen, daß ich guter Hoffnung sei. Da wir aber sehr schnell Tag und Nacht reisten, verschwanden diese auf der letzten Station vor Moskau unter heftigen Leibschmerzen. Nach der Ankunft in Moskau konnte ich nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß eine unzeitige Geburt stattgefunden hatte. Madame Tschoglokoff, die eben von ihrem siebenten und letzten Kinde entbunden worden war, war in Petersburg zurückgeblieben, folgte uns aber, nachdem sie sich erholt, ebenfalls nach Moskau.