Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Siebzehntes Kapitel.

Krieg mit Friedrich II. – Die Marschallin Apraxin. – Man sucht den Großfürsten immer mehr von mir zu entfernen. – Er ist in Madame Teploff verliebt. – Zweifelhafte Ehrenhaftigkeit der »Ehrendamen« der Kaiserin. – Der Großfürst liebt nur im Winter. – Ankunft der Kadetten in Oranienbaum. – Melgunoff. – Ich nehme wieder Reitstunden. – Madame Schuwaloff und ihre Tochter. – Graf Poniatowski und Graf Horn. – Verräterische Zutunlichkeit des Bologneser Hündchens. – Fürst und Fürstin Galitzin. – Intrige der letzteren. – Aufregende Szene mit dem Großfürsten. – Abberufung Sir Williams'.

Man rüstete sich zum Kriege mit dem Könige von Preußen. Zufolge ihres Vertrages mit dem Hause Oesterreich mußte die Kaiserin 30 000 Mann Hilfstruppen stellen. Dies war wenigstens die Ansicht des Grafen Bestuscheff. Aber Oesterreich wollte, daß Rußland es mit allen seinen Streitkräften unterstützte. Der Wiener Gesandte Graf Esterhazy intrigierte dafür mit aller Macht, wo er nur konnte, und auf die verschiedenste Weise. Die Gegenpartei Bestuscheffs bildeten der Vizekanzler Woronzow und die Schuwaloffs. England verbündete sich damals mit Preußen, und Frankreich mit Oesterreich.

Schon in dieser Zeit fing die Kaiserin Elisabeth an, häufig an Unpäßlichkeiten zu leiden. Anfangs wußte man nicht genau, was es war, und schrieb die wiederholten Nervenanfälle ihrem Eintritt ins Alter zu. Die Schuwaloffs waren oft sehr beunruhigt und betrübt und versuchten sich beim Großfürsten einzuschmeicheln. Man raunte sich zu, die Unpäßlichkeiten Ihrer kaiserlichen Majestät seien bedeutender als man glaubte; die einen nannten es hysterische Leiden, die andern Ohnmachten, Krämpfe oder Nervenanfälle. Dies währte den ganzen Winter von 1755-1756.

Endlich, im Frühjahr erfuhren wir, daß der Marschall Apraxin das Kommando über die Armee, die in Preußen einrücken sollte, übernommen hatte. Die Marschallin kam mit ihrer jüngsten Tochter zu uns, um Abschied zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit sprach ich mit ihr über den Gesundheitszustand der Kaiserin, und wie unangenehm es mir wäre, daß ihr Mann gerade in einer Zeit abreise, wo man sich, wie ich glaubte, nicht besonders auf die Schuwaloffs verlassen könnte. Ich betrachtete sie als meine persönlichen Feinde, weil sie es mir nicht verzeihen würden, daß ich ihre Gegner, besonders die Grafen Razumowski, bevorzugte. Madame Apraxin berichtete Wort für Wort ihrem Gemahle wieder, der sich durch mein Wohlwollen für ihn sehr geschmeichelt fühlte. Auch Graf Bestuscheff war sehr zufrieden mit mir, denn auch er haßte die Schuwaloffs, umso mehr, da er mit den Razumowskis verwandt war; sein Sohn hatte eine Razumowski geheiratet. Apraxin konnte den dabei Interessierten als Vermittler von Nutzen sein wegen des Verhältnisses, das zwischen seiner Tochter und dem Grafen Peter Schuwaloff bestand. Leon übrigens behauptete, Vater und Mutter der jungen Dame wüßten um dieses Verhältnis. Außerdem war es mir vollkommen klar, daß die beiden Schuwaloffs Brockdorf mehr als je dazu benutzten, den Großfürsten möglichst von mir fern zu halten. Trotzdem aber besaß dieser damals noch ein gewisses Zutrauen zu mir, was er merkwürdigerweise nie vollkommen verloren hat; allerdings ohne daß er es selbst wußte oder sich darum kümmerte oder beunruhigte. Damals hatte er sich gerade mit der Gräfin Woronzow entzweit und war in Madame Teploff, eine Nichte der Razumowski, verliebt. Wenn er sie sehen wollte, zog er jedesmal erst mich zu Rate, wie er sein Zimmer ausschmücken sollte, um der Dame besser zu gefallen. Wenn er es dann mit Flinten, Grenadiermützen, Bandelieren u. s. w. ausgeschmückt hatte, so daß es aussah wie ein kleines Zeughaus, zeigte er es mir. Ich ließ ihn gewähren und entfernte mich. Außer dieser Dame brachte man ihm auch noch des Abends eine kleine deutsche Sängerin, Leonore mit Namen, die er unterhielt, zum Souper. An der Veruneinigung des Großfürsten mit der Gräfin Woronzow war besonders die Prinzessin von Kurland schuld, die zu dieser Zeit eine seltsame Rolle am Hofe spielte. Zuvörderst war sie eine alte Jungfer von etwa dreißig Jahren, klein, häßlich und bucklig, wie schon gesagt. Sie hatte es verstanden, sich die Protektion des Beichtvaters der Kaiserin und mehrerer alter Kammerfrauen Ihrer kaiserlichen Majestät zu erwerben, so daß man ihr alles hingehen ließ, was sie tat. Sie wohnte mit den Ehrendamen Ihrer Majestät zusammen, und diese standen unter der Fuchtel einer Frau Schmidt, der Gattin eines Hoftrompeters. Jene Frau Schmidt war eine geborene Finnländerin, erstaunlich dick und massig, übrigens eine herrschsüchtige Person, die den groben, bäurischen Ton ihres ehemaligen Standes beibehalten hatte. Sie spielte indes eine gewisse Rolle am Hofe und stand unter dem unmittelbaren Schutze der alten deutschen und schwedischen Kammerfrauen der Kaiserin. Ebenso begünstigte sie der Hofmarschall Sievers, der selbst ein Finne war, und die Tochter der Madame Kruse, der Schwester einer sehr ergebenen Person, wie schon oben erwähnt, geheiratet hatte. Frau Schmidt regierte das Hauswesen der Ehrendamen mit mehr Kraft als Verstand, erschien aber niemals bei Hofe. In der Oeffentlichkeit stand die Prinzessin von Kurland an der Spitze der Damen, während Frau Schmidt ihr nur insgeheim das Benehmen der Fräuleins am Hofe ans Herz legte. Sie wohnten in hintereinander gelegenen Zimmern, von denen das erste Frau Schmidt und das letzte die Prinzessin von Kurland inne hatte. Sie schliefen zu zwei, drei und vier in einem Zimmer; jede von ihnen hatte eine spanische Wand um ihr Bett, und alle Räume besaßen keinen andern Ausgang, als von einem in den anderen. Auf den ersten Blick hätte man die Wohnung der Ehrendamen für undurchdringlich halten können, denn es war nur möglich, durch das Zimmer der Frau Schmidt oder der Prinzessin von Kurland hineinzugelangen. Aber Frau Schmidt litt oft an Verdauungsbeschwerden von den vielen Straßburger Gänseleberpasteten und anderen Leckerbissen, die ihr die älteren dieser Damen fortwährend zusteckten, so daß nur noch der Ausgang durch das Zimmer der Prinzessin von Kurland blieb. Böse Zungen behaupteten, daß man hier, um in die andern Zimmer zu gelangen, auf diese oder jene Weise Eintritt bezahlen müßte. Was daran Wahres war, ist, daß die Prinzessin von Kurland jahrelang unter den Ehrendamen der Kaiserin Verlobungen stiftete und wieder auflöste, wie sie es gerade für gut befand. Die Geschichte von dem Eingangszoll habe ich aus dem Munde mehrerer Herren, unter andern auch von Leon Narischkin und dem Grafen Buturlin, vernommen, die alle dreist behaupteten, man sei nicht in der Lage, denselben mit Geld zu bezahlen.

Die Liebschaft des Großfürsten mit Madame Teploff dauerte so lange, bis wir aufs Land gingen. Hier wurde sie unterbrochen, weil Seine kaiserliche Hoheit im Sommer unerträglich war. Da sie ihn nun nicht mehr sehen konnte, versprach Madame Teploff ihm wenigstens zwei- bis dreimal wöchentlich zu schreiben. Um ihn also zu einer solchen Korrespondenz zu veranlassen, begann sie damit, ihm einen vier Seiten langen Brief zu schreiben. Kaum hatte er diesen erhalten, kam er mit einem ganz verstörten Gesicht zu mir. Den Brief Madame Teploffs in der Hand, sagte er, vollkommen außer sich und in zornigem Ton: »Denken Sie sich nur, da schreibt sie mir einen vier Seiten langen Brief und will, daß ich das lesen soll. Ja, noch mehr, ich soll ihr antworten, ich, der ich doch exerzieren muß – er hatte neuerdings seine Truppen aus Holstein kommen lassen – dinieren, schießen, dann die Probe der Oper und das Ballett sehen muß, welches die Kadetten darin tanzen sollen. Ich werde ihr sagen lassen, daß ich keine Zeit habe; und ist sie mir böse, so überwerfe ich mich mit ihr bis zum Winter.« – »Das ist jedenfalls der kürzeste Weg,« antwortete ich.

Hier die Erklärung für das Erscheinen der Kadetten in Oranienbaum. Im Frühjahr 1756 glaubten die Schuwaloffs, um den Großfürsten von seinen holsteinschen Truppen abzubringen, sehr politisch zuwege zu gehen, wenn sie die Kaiserin überredeten, Seiner kaiserlichen Hoheit den Befehl über das Landkadettenkorps zu geben, das damals das einzige Korps dieser Art war. Man hatte ihm den intimen Freund Iwan Iwanowitsch Schuwaloffs und seinen Vertrauten Alexander Petrowitsch Melgunoff untergeordnet. Letzterer war mit einer der deutschen Kammerfrauen verheiratet, die bei der Kaiserin in besonderer Gunst stand. So hatten denn die Herren Schuwaloff einen ihnen äußerst ergebenen Mann in der Umgebung des Großfürsten, mit dem er jeden Augenblick sprechen konnte. Unter dem Vorwande des Opernballetts in Oranienbaum brachte man also etwa hundert Kadetten dahin. Herr Melgunoff und die ergebensten seiner Offiziere folgten: alles Aufpasser à la Schuwaloffs. Unter den Lehrern, die mit den Kadetten nach Oranienbaum kamen, befand sich auch ihr Stallmeister Zimmermann, der damals für den besten Reiter in ganz Rußland galt. Da aus meiner vermuteten Schwangerschaft vom vorigen Herbst nichts geworden war, kam mir der Gedanke, bei Zimmermann Reitstunde zu nehmen. Ich sprach davon mit dem Großfürsten, der nichts dagegen hatte.

Schon längst waren die alten, von den Tschoglokoffs eingeführten Regeln vergessen, vernachlässigt oder ignoriert, denn Alexander Schuwaloff genoß seiner selbst wegen gar keine oder doch sehr geringe Achtung. Wir machten uns über ihn, seine Frau, seine Tochter, seinen Schwiegersohn fast in ihrer Gegenwart lustig. Aber sie reizten auch dazu, denn niemals wohl sah man unedlere und gemeinere Gesichter, als die ihrigen. Madame Schuwaloff hatte von mir den Spitznamen Salzsäule erhalten. Sie war mager, klein und gedrungen. Ihr Geiz trat selbst in ihrer Kleidung zutage, denn stets waren ihre Kleider zu eng und hatten eine Breite weniger, als sie haben mußten. Ihre Tochter, die Gräfin Golofkin, war ebenso angezogen. Ihr Kopfputz und ihre Manschetten waren gemein und sahen immer aus, als ob sie daran hätte Ersparnisse machen wollen, obgleich sie sehr reich waren. Aber sie hatten einmal Geschmack für alles Kleinliche und Eingeschränkte, das wahre Bild ihres Geistes.

Sobald ich meine regulären Reitstunden wieder angefangen hatte, gab ich mich diesem Sport von neuem mit ganzer Leidenschaft hin. Ich stand morgens um sechs Uhr auf, zog Männerkleider an und begab mich in meinen Garten, wo ich mir einen Platz hatte herrichten lassen, der mir als Reitbahn diente. Ich machte so rasende Fortschritte, daß Zimmermann oft aus der Mitte der Reitbahn mit Tränen in den Augen auf mich zukam, um mir mit einer Begeisterung, die er nicht beherrschen konnte, die Füße zu küssen. »Nie in meinem Leben,« rief er dann aus, »habe ich einen Schüler gehabt, der mir so viel Ehre gemacht, der in so kurzer Zeit so viel gelernt hätte!« Bei diesem Unterricht waren nur mein alter Wundarzt Gyon, eine Kammerfrau und einige Domestiken zugegen. Da ich meine Stunden regelmäßig jeden Morgen, nur Sonntags ausgenommen, nahm, belohnte Zimmermann meinen Fleiß mit ein paar silbernen Sporen, die er mir nach den Regeln der Reitbahn überreichte. Schon nach drei Wochen war ich alle Exerzitien durch, und im Herbst ließ Zimmermann ein Sprungpferd kommen, worauf er mir die Steigbügel geben wollte. Allein am Abend vorher erhielten wir den Befehl, nach der Stadt zurückzukehren, und die Partie wurde bis zum nächsten Frühling verschoben.

Während dieses Sommers machte Graf Poniatowski eine Rundreise in Polen, von der er mit einem Ministerkreditiv des Königs von Polen nach Rußland zurückkehrte. Vor seiner Abreise kam er nach Oranienbaum, um Abschied von uns zu nehmen. Graf Horn, den der König von Schweden unter dem Vorwande, die Nachricht vom Tode seiner Mutter – meiner Großmutter – nach Petersburg zu bringen, nach Rußland geschickt hatte, um ihn den Verfolgungen der französischen oder Hutpartei gegen die russische oder Mützenpartei zu entziehen, begleitete ihn. Diese Verfolgung wurde in Schweden während des Landtages von 1756 so heftig, daß fast alle Anführer der russischen Partei in diesem Jahre hingerichtet wurden. Graf Horn sagte mir selbst, daß, wenn er nicht nach Petersburg gekommen wäre, er unfehlbar das Schicksal der andern geteilt hätte.

Graf Poniatowski und Graf Horn blieben zwei Tage in Oranienbaum. Am ersten Tage behandelte sie der Großfürst sehr gut, aber schon am zweiten langweilten sie ihn, weil ihm die Hochzeit eines Jägers im Sinne lag, wo er trinken wollte. Als er sah, daß die beiden Herren noch blieben, ließ er sie einfach stehen, und ich mußte die Honneurs des Hauses machen. Nach dem Diner führte ich meine kleine Gesellschaft in die innern Gemächer des Großfürsten und die meinigen. Als wir in mein Boudoir traten, kam uns mein Bologneserhündchen entgegen und bellte den Grafen Horn wütend an, doch als es den Grafen Poniatowski bemerkte, glaubte ich, das Tier würde vor Freude toll werden. Da das Kabinett sehr klein war, sah es außer mir niemand, als Leon Narischkin und seine Schwägerin. Aber Graf Horn ließ sich nicht täuschen, und während ich durch die Gemächer nach dem Saal zurückging, faßte er den Grafen Poniatowski beim Rock und raunte ihm zu: »Mein Freund, das Schrecklichste was es gibt, ist ein Bologneserhündchen. Das erste, was ich stets getan habe, wenn ich Frauen liebte, war, ihnen einen solchen Hund zu schenken, und durch diese Tiere habe ich dann immer erkannt, ob jemand mehr in Gunst stand als ich. Diese Ansicht ist vollkommen zutreffend, denn wie Sie sehen, war der Hund wütend, als er mich sah, wollte mich beinahe auffressen, mich, den er nicht kennt, während er nicht wußte, was er vor Freuden tun sollte, als er Sie gewahrte; offenbar war es nicht das erstemal, daß er Sie an diesem Orte sah.« – Graf Poniatowski behandelte die ganze Sache als Torheit, konnte es ihm aber nicht ausreden. Graf Horn erwiderte nur: »Seien Sie unbesorgt, ich bin vollkommen diskret.« Am folgenden Tag reisten sie ab. Horn pflegte zu sagen, daß, wenn er sich verliebte, er es immer in drei Frauen zugleich täte. Und dies führte er praktisch vor unsern Augen in Petersburg durch, wo er drei jungen Mädchen auf einmal den Hof machte. Zwei Tage später reiste Graf Poniatowski nach seinem Vaterlande ab. Während seiner Abwesenheit ließ mir Sir Williams durch Leon Narischkin sagen, daß der Großkanzler Bestuscheff gegen die Ernennung des Grafen Poniatowski intrigierte und versucht hätte, ihn zu bewegen, dem Grafen Brühl, dem damaligen Minister und Günstling des Königs von Polen, diese Ernennung auszureden. Williams jedoch beeilte sich nicht sehr, diesen Auftrag auszuführen, obwohl er ihn nicht abgelehnt hatte. Dies hatte er aber nur deshalb nicht getan, weil er befürchtete, der Großkanzler würde dann jemand anders damit beauftragen, der sich vielleicht pünktlicher dieses Auftrages entledigte, wodurch er nur seinem Freunde, der sehnlichst wünschte, nach Rußland zurückzukehren, geschadet hätte. Williams vermutete, daß Bestuscheff, dem seit langer Zeit die sächsisch-polnischen Minister zur Disposition standen, einen seiner ergebensten Anhänger zu diesem Posten ernennen lassen wollte. Aber Graf Poniatowski erhielt ihn doch. Im Winter kam er als polnischer Gesandter zurück, und die sächsische Gesandtschaft blieb unter der unmittelbaren Leitung des Grafen Bestuscheff.

Einige Zeit bevor wir Oranienbaum verließen, kamen der Fürst und die Fürstin Galitzin in Begleitung Betzkis dort an. Sie reisten gesundheitshalber ins Ausland, besonders der letztere, der sich ein wenig von dem tiefen Kummer zerstreuen wollte, den ihm der Tod der Prinzessin von Hessen-Homburg verursacht hatte. Diese war eine geborene Fürstin Trubetzkoi, Mutter der Fürstin Galitzin und Tochter aus erster Ehe der Prinzessin von Hessen mit dem Hospodar der Walachei, Prina Kantemir. Da die Fürstin Galitzin und Betzki alte Bekannte waren, lag mir viel daran, sie in Oranienbaum aufs beste zu empfangen. Nachdem ich sie überall umhergeführt hatte, bestieg ich mit der Fürstin Galitzin ein Kabriolet, das ich selbst fuhr, und wir machten eine Spazierfahrt in die Umgebung von Oranienbaum. Unterwegs gab mir die Fürstin, eine sehr sonderbare und beschränkte Person, zu verstehen, daß sie glaube, ich grollte ihr. Aber ich versicherte ihr, ich habe durchaus nichts gegen sie, wisse auch nicht, woher mein Groll rühren solle, da ich nie einen Streit mit ihr gehabt. Hierauf erwiderte sie, sie befürchte, Graf Poniatowski habe ihr bei mir geschadet. Diese Worte überraschten mich aufs höchste, und ich sagte ihr, sie müsse geradezu träumen, denn Poniatowski sei nicht der Mann, ihr in meinen Augen zu schaden, da er längst abgereist und mir übrigens nur von Ansehen und als Ausländer bekannt sei. Ich könne mir wirklich nicht erklären, wie sie auf diesen Gedanken gekommen sei. Zu Hause angelangt rief ich Leon Narischkin und erzählte ihm das erwähnte Gespräch, das mir ebenso dumm als dreist und indiskret erschien. Er erzählte mir nun, daß die Fürstin während des ganzen Winters Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hätte, um Graf Poniatowski an sich zu fesseln. Dieser habe ihr auch aus Höflichkeit einige Aufmerksamkeiten erwiesen, sie sei ihm indes auf jede mögliche Weise entgegengekommen, was, wie ich mir wohl denken könne, wenig Erwiderung gefunden, weil sie alt, häßlich, albern und einfältig, ja toll sei. Als sie nun gesehen, daß er ihre Wünsche nicht berücksichtigte, habe sie wahrscheinlich daraus Verdacht geschöpft, daß Poniatowski sich meistenteils in seiner – Leon Narischkins – und seiner Stiefschwester Gesellschaft befand.

Während des kurzen Aufenthaltes der Fürstin Galitzin in Oranienbaum hatte ich wegen meiner Ehrendamen eine furchtbare Szene mit dem Großfürsten. Ich bemerkte nämlich, daß dieselben, die stets die Vertrauten oder Maitressen Seiner kaiserlichen Hoheit waren, bei verschiedenen Gelegenheiten es an Erfüllung ihrer Pflichten, ja sogar an der mir schuldigen Rücksicht und Achtung fehlen ließen. Ich begab mich daher eines Nachmittags in ihr Zimmer, warf ihnen ihr Betragen vor, erinnerte sie an ihre Pflicht und Schuldigkeit und drohte, mich bei der Kaiserin zu beklagen, wenn sie ihr Benehmen nicht änderten. Einige waren aufs äußerste bestürzt, andere gereizt, noch andere weinten; aber als ich hinaus war, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als sofort dem Großfürsten von dem Vorgefallenen Bericht zu erstatten. Seine kaiserliche Hoheit wurde wütend und eilte sogleich zu mir. Seine ersten Worte beim Eintreten waren: es sei unmöglich, länger mit mir zu leben, von Tag zu Tag werde ich hochmütiger und stolzer, verlange Rücksichten und Ehrerbietungen von den Hofdamen und verbittere ihnen das Leben. Sie seien Mädchen von Rang, aber ich behandle sie wie gewöhnliche Dienerinnen. Wenn ich mich aber bei der Kaiserin über sie beschwere, so werde er sich auch über mich beschweren, über meinen Stolz, meine Anmaßung, meine Schlechtigkeit, und Gott weiß worüber noch. Ruhig hörte ich ihn an und antwortete, er könne von mir denken, was er wolle, denn wenn die Sache seiner Frau Tante hinterbracht werde, würde sie gewiß sehr bald entscheiden, ob es nicht das Vernünftigste wäre, Mädchen, die sich schlecht aufführten und durch ihr Hin- und Herreden ihren Neffen und ihre Nichte veruneinigten, fortzujagen. Unzweifelhaft werde Ihre Majestät, um den Frieden zwischen ihm und mir wieder herzustellen und nicht durch Mißhelligkeiten belästigt zu werden, keinen andern Entschluß fassen; sie werde im Gegenteil unfehlbar zu diesem Mittel greifen. Als er mich so reden hörte, kühlte sich seine Wut ein wenig ab, denn argwöhnisch, wie er war, kam er auf den Gedanken, daß ich mehr von den Absichten der Kaiserin betreffs der Mädchen wisse, als ich merken lasse, und diese wirklich wegen des Vorgefallenen entlassen werden könnten. Er begann daher, mich auszufragen. »Sagen Sie, wissen Sie etwas Näheres darüber? Hat man schon davon gesprochen?« – Ich antwortete ihm, daß, wenn es erst soweit käme, daß die Angelegenheit vor die Kaiserin gebracht würde, ich nicht zweifelte, daß sie auf eine sehr bündige Weise darüber entscheiden werde. Hierauf ging er nachdenklich im Zimmer auf und ab, wurde allmählich ruhiger und ging endlich halb und halb besänftigt hinaus. Am selben Abend erzählte ich der vernünftigsten unter den Damen die ganze Szene, die ihr unkluges Verhalten gegen mich herbeigeführt hatte, Wort für Wort wieder. Seitdem hüteten sie sich, die Umstände auf die Spitze zu treiben, denn sie mußten gewärtig sein, ihnen zum Opfer zu fallen.

Im Laufe des Herbstes kehrten wir in die Stadt zurück. Kurz darauf wurde Sir Williams nach England abberufen. Er hatte seinen Zweck in Rußland verfehlt. An dem Tage nach seiner Audienz bei der Kaiserin hatte er einen Allianzvertrag zwischen Rußland und England in Vorschlag gebracht, und Graf Bestuscheff hatte Befehl und Vollmachten, denselben abzuschließen. In der Tat wurde der Vertrag vom Großkanzler unterzeichnet, und der Gesandte war außer sich vor Freude über seinen Erfolg. Tags darauf jedoch zeigte ihm Graf Bestuscheff durch eine Note den Beitritt Rußlands zu der in Versailles unterzeichneten Konvention zwischen Frankreich und Oesterreich an. Dies war ein Donnerschlag für den englischen Gesandten, der in dieser Angelegenheit von dem Großkanzler hintergangen und betrogen worden war; wenigstens schien es so. Allein Bestuscheff war damals nicht mehr Herr seiner Handlungen. Seine Gegner fingen an ihn zu verdrängen und intrigierten, oder vielmehr man intrigierte bei ihnen, um sie zur französisch-österreichischen Partei überzuführen, wozu sie nur allzusehr geneigt waren. Die Schuwaloffs, besonders aber Iwan Iwanowitsch, liebten Frankreich und alles was von dort kam, bis zur Narrheit. Sie wurden hierin durch den Vizekanzler Woronzow bestärkt, dem Ludwig XV. für diesen Dienst den Palast, den er eben in Petersburg hatte bauen lassen, mit alten Möbeln ausstattete, die der Marquise von Pompadour, seiner Maitresse, nicht mehr gefielen, und die sie dem König, ihrem Geliebten, mit Profit verkauft hatte. Aber der Vizekanzler hatte außer diesem Vorteil noch einen andern Grund für sein Handeln, nämlich den, das Ansehen seines Nebenbuhlers, des Grafen Bestuscheff, zu schmälern und sich seiner Stelle für Peter Schuwaloff zu versichern. Er dachte ferner daran, das Tabakmonopol in seine Gewalt zu bringen, um dann in Frankreich den Tabak verkaufen zu können.



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