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Drittes Kapitel

Adele wurde von den Herren, die die Sektbude belagerten, mit lautem Hurra begrüßt und mit schmeichelhaften Vorwürfen über ihr langes Wegbleiben überhäuft.

»Hoch, hoch, hurra!« schrieen die Herren und schwenkten die Kelche. Adele hatte Mühe sich den Weg in den Kiosk zu bahnen.

Im Kiosk bedienten die feinsten Damen der Stadt. Die Frau des Bezirksamtmannes, Frau Häberlein mit dem porzellanartigen Teint, eine hohe Blondine, die etwas schielte und eine dicke Jüdin mit weißem mächtigen Busen. Die Damen hatten alle Hände voll zu tun, Flaschen zu entkorken, die Kelche zu füllen, zu trinken. Hier herrschte eine ausgelassene, fast wilde Stimmung und die Herren waren alle angeheitert.

Die Mutter Adeles saß in einem Stuhl, in Spitzen und Seide gehüllt, fein, durchsichtig, fast selbst nichts andres als Spitzen und Seide, sie hatte Adeles Augen; der Freiherr von Hennenbach stand in einem Kreise von jungen, fröhlichen Herren – es waren die Offiziere von Weinberg – er war größer als alle, grau und würdevoll, er rauchte eine große Zigarre und trug einen mächtigen Siegelring am Zeigefinger. Er hatte Augen wie ein Falke und änderte nie den Ausdruck des Gesichtes, ob er nun lachte, plauderte oder zuhörte. Seine Haare waren bis in den Nacken hinab sorgfältig gescheitelt und sahen aus wie eine schmale, graue Straußenfeder, die kokett über seinen hohen Schädel gelegt war.

Baron Kirchgang – Adeles Bräutigam – war ein schweigsamer, etwas ärgerlich aussehender Herr, dessen Schläfen ergraut waren. Sein Gesicht war rot, von verschwommenen Formen, als sei es mit kochendem Wasser verbrüht worden. Er wechselte einige nichtssagende Worte mit Grau. Als er an den Schenktisch trat, bemerkte Grau, daß sein linker Arm verkrüppelt war, er war kürzer als der rechte und lahm.

Grau sah sich unter all den Herren aufmerksam um.

»Ihr Herr Bruder ist nicht da?« fragte er Adele.

»Er ist dagewesen,« antwortete sie ihm, »er sitzt mit seinen Freunden im ersten Stock irgendwo und spielt. Wollten Sie ihn sprechen?«

»Ich dachte nur,« sagte Grau. »Danke!«

Adele füllte ein Glas und reichte es Grau. Sie stieß mit ihm an und sagte lächelnd: »Auf das Wohl Ihrer Braut!«

Grau dankte. »Auf Susannas Wohl!«

Adele leerte das Glas und sah Grau einen Augenblick lang tief an. Er verstand ihren Blick nicht. Adele lachte und wandte sich den Gästen zu. Sie begann zu lachen und zu plaudern, aber ihre Stimme klang kühl und ihre Augen blitzten hart. Sie blickte nicht mehr auf Grau, ja sie sah stets an ihm vorbei, wenn sie dahin blickte, wo er stand. Sie lachte und schien heiter zu sein, aber ein unruhiger Glanz war in ihren Augen. Nur wenn sie auf ihre Mutter blickte, die nur Augen für die Tochter hatte, so änderte sich ihr Blick jedesmal. Mit tiefen, schwärmerischen Augen sah sie die Mutter an. Dieser Blick verriet alle ihre Liebe.

Gerade in diesem Augenblick näherte sich Eisenhut dem Kiosk. Er bahnte sich langsam und hartnäckig den Weg. Er zwängte sich zwischen zwei lachenden Mandarinen hindurch, puffte einen Herrn im Frack in die Seite, dann ging er um einen dicken Herrn herum, der sich nicht zur Seite drängen ließ. Endlich stand er am Schanktisch und man konnte seinem Munde ansehen, daß er zufrieden lächelte. Eine Weile stand er wartend da, die Damen waren alle beschäftigt. Er reckte den Hals aus dem hohen Stehkragen, bewegte die Lippen und seine kleinen lebendigen Mausaugen verfolgten durch die Schlitze der Maske jede Bewegung Adeles. Er räusperte sich, er hustete um sich bemerkbar zu machen, aber in all dem Getöse hörte man ihn gar nicht, niemand beachtete ihn.

Nun klopfte Eisenhut auf den Tisch.

Die schwarze Jüdin mit dem vollen weißen Busen wandte sich ihm zu. »Sofort, sofort, mein schöner Herr!« rief sie. »Willst du eine Flasche, eine ganze Flasche? Nur zwanzig Mark!«

Eisenhut starrte auf ihren weißen Busen, er lächelte, dann sah er auf Adele und rief: »Eine ganze Flasche, jawohl. Zwanzig Mark, einerlei.« Er sprach immerzu mit verstellter, quiekender Stimme.

Da drehte sich Adele rasch um und sagte: »Es ist Herr Eisenhut! Für ihn geben wir es nicht so billig. Er soll etwas besonderes tun!«

Eisenhut legte den Kopf auf die Seite und lächelte. Aber dann machte er sich ganz steif und quiekte mit verstellter Stimme: »Sind Sie auch sicher, daß es Herr Eisenhut ist?«

Adele lachte laut auf. Und alle Umstehenden lachten. Das könne ein Blinder sehen. Er könne ruhig die Maske abnehmen.

»Maske ab! Maske ab!« schrieen die Herren.

Eisenhut meckerte und nahm langsam die Maske ab. Sein gelbes verlebtes Gesicht kam zum Vorschein, er lachte, strich sich den Spitzbart und gab dann allen ringsum schüchtern die Hand. Er verneigte sich auch gegen die Herren, die um den alten Freiherrn von Hennenbach herum standen. Man schrie und schüttelte ausgelassen seine Hand. Er ließ die Blicke herumwandern, zuletzt heftete er seine kleinen entzündeten Augen auf Adele.

»Wie merkwürdig, daß Sie mich sofort erkannt haben!« sagte er. »Guten Abend, Fräulein von Hennenbach!« Er machte auch einen schüchternen Versuch, ihr die Hand zu reichen.

Aber Adele sah die Hand nicht. Sie lachte. »Nun will ich Ihnen einschenken, ich werde es selbst tun, aber Sie müssen ein übriges tun, verstehen Sie, es gehört für die Armen, das wissen Sie ja. Sie werden für jedes Glas hundert Mark bezahlen, nicht wahr?«

»Bravo! Bravo!« riefen die Herren.

Eisenhut sah Adele an. Seine Augen wurden glänzend, gleichsam als ob sie erwachten. Dann lächelte er und zeigte seine schlechten, zerfressenen Zähne.

»Sie scherzen?« sagte er.

»Scherzen? Nein, ich bin gar nicht in der Laune zu scherzen!«

Er betrachtete Adele, die mit dem Füllen des Glases beschäftigt war. Seine Augen glänzten, er blickte auf Adeles Haar, ihre glitzernden Hände, ihre Arme, er lächelte und für einen Augenblick erschien sein Gesicht friedevoll und schön, seine Wangen färbten sich. Adele füllte sorgfältig das Glas. Aber je mehr der Wein in dem schlanken Kelche stieg, desto mehr veränderte sich Eisenhuts Gesicht. Das Lächeln verschwand, der Friede und die momentane Schönheit, sie verschwanden, die vielen tiefen Linien und Falten erschienen wieder, die Stirn wurde niedrig, der Mund zog sich zusammen, die Farbe wurde gelb und alt. Dann wurde sein Gesicht fahl. Adele reichte ihm das Glas und er sah ihren Augen an, daß sie nicht scherzte.

»Fräulein von Hennenbach?« stotterte er.

Über Adeles weiße Hand floß der Wein, über all die Ringe, die Steine. »Herr Eisenhut?«

»Hundert Mark? Hundert M–?« fragte Eisenhut leise. »Hundert Mark – aber ganz unmöglich?« Er lächelte beklommen.

Alle lachten über den Ausdruck seines Gesichtes, auch Adele.

Eisenhut raffte sich zusammen.

Er knöpfte das unglückliche gelbe Kostüm auf und fuhr hastig in die Rocktasche. Wie andere Leute eine alte Zeitung herausziehen, so zog er einen ganzen Pack von Banknoten aus der Tasche.

Gelächter! Ja, da sehe man, daß man es mit einem Millionär zu tun habe, hoho! Selbst die Offiziere von Weinberg wurden aufmerksam.

»Bitte, Herr Eisenhut!« sagte Adele, da Eisenhut zögerte. »Ich werde sogar nippen an dem Kelche, aber legen Sie nur das Geld auf den Tisch!« Sie lachte und nippte am Glase.

Eisenhut fühlte sich unbehaglich. Er blinzelte rasch hintereinander, lächelte, machte eine wegwerfende Handbewegung und legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch.

»Bravo! Ja, bravo und hoch Eisenhut!«

Eisenhut lächelte. Er nahm das Glas, erhob es gegen Adele und trank es leer. Er fühlte sich von allen Seiten beobachtet und wurde mehr und mehr unsicher.

Adele füllte abermals Eisenhuts Glas. Sie lachte und sagte, daß sie wieder daran nippen werde und er werde wieder hundert Mark dafür bezahlen.

»Wieder?« fragte Eisenhut mit zitternder Stimme.

»Sie werden sich wohl nicht erst lange besinnen, oder? Eine Kleinigkeit wie hundert Mark! Und noch dazu, wenn ich am Glase nippen werde.«

»Noch mehr?« fragte Eisenhut in ungläubigem Tone. »Hundert Mark für die Flasche, wie? Man hat sie mir um zwanzig Mark angeboten, vorhin.« Er deutete auf die Jüdin mit dem hohen Busen.

Haha! Ja, zwanzig Mark für gewöhnliche Menschen, aber für Millionäre da hätten sie ganz besondere Preise.

Eisenhut blinzelte. Er legte das Gesicht in Falten, drehte den Kopf hin und her. »Sie scherzt – Fräulein von Hennenbach scherzt!« sagte er zu der lachenden Gesellschaft von Herren.

»Ich sagte schon, daß ich nicht scherze. Sehen Sie nicht, daß man sich schon über Sie lustig macht. Ich verkaufe Ihnen jedes Glas für hundert Mark, fülle es selbst, nippe daran, ich meine, da sollten Sie sich nicht lange besinnen.«

Es sei wirklich ein Skandal, es sei eine Schmach und eine Schande! Vorwärts Eisenhut – hahaha – schmeißen Sie den Bettel hin! Die Herren schrien und lachten und stießen sich gegenseitig an.

Eisenhut kämpfte mit sich. Er sah Adele an, die ihm das Glas kredenzte, ein Zittern lief durch sein Gesicht, er öffnete den Mund, blinzelte und fuhr wieder in die Rocktasche.

»Bravo! Hurra!«

Aber Eisenhut zögerte. Warum gerade er solch horrende Summen bezahlen sollte?

»Weil Sie der reichste Mann der Stadt sind!« antwortete Adele. »Sie nennen sich ja selbst so bei jeder Gelegenheit und Sie sind es auch.«

»O – hoho!« versetzte Eisenhut geschmeichelt.

»Wenn man zwölf Steinbrüche hat und den Schrank vollgestopft mit Wertpapieren, dann kann man doch ruhig solch eine Bagatelle bezahlen!«

Eisenhut streckte den Kopf vor. »Haben Sie denn – haben Sie denn diesen Schrank voller Wertpapiere gesehen? frage ich.« Er lächelte eigentümlich und blickte Adele an.

Adele lachte laut und unnatürlich. »Selbstverständlich habe ich ihn gesehen. Sie haben mir ihn ja selbst gezeigt. Erinnern Sie sich, als ich in der Nacht zu Ihnen kam und zehntausend Mark bei Ihnen entlieh?«

Gelächter. Eisenhut starrte mit offenem Munde auf Adele.

»Aber genug nun! Ich habe an dem Glase genippt und sehen Sie her, ich nippe nochmals daran. Nun, nehmen Sie?«

Eisenhut nahm zögernd das Glas in die Hand. Bravo Eisenhut, hoch, hurra! Eisenhut, Eisenhut!

Aber Eisenhut trank nicht. Er schnitt Grimassen, er drehte den Hals als sei ihm der Kragen zu eng, er schwankte hin und her und blickte die Umstehenden, die lachten, plötzlich mit scharfen, bösen Blicken an. Gelächter.

»Bitte!« sagte Adele und lachte. »Weshalb zögern Sie denn?«

Hier näherte sich Grau. Er sagte: »Fräulein von Hennenbach?«

Adele wandte ihm den Blick zu. Sie zog die Augen zusammen und sagte: »Bitte?«

In diesem Augenblick brach eine ungeheure Lachsalve auf Eisenhut ein. Er hatte die Scheine wieder in die Tasche gesteckt. Ja, er müsse doch ein Narr sein, ein vollständiger Narr müsse er sein! Hundert Mark für jedes Glas, die Herren bezahlen eine Mark dafür. Er verlor die Fassung und stellte das Glas so heftig auf den Tisch zurück, daß es zerbrach und der Wein über das Tischtuch floß. Eisenhut erschrak, einen Augenblick lang war seine Nasenspitze schneeweiß. Er bewegte die Lippen um etwas zu sagen, er blickte verwirrt auf Adele. Adele lachte und alle, alle lachten und stampften mit den Füßen und schrieen, was sie konnten.

Eisenhut bewegte heftig die Hände. »Bezahlt ihr!« schrie er. »Bezahlt ihr! Ich bin kein solcher Narr! Ich habe bezahlt, hundert Mark. Bezahlt ihr, bezahlt ihr!« wiederholte er lauter und wilder, um das Gelächter zu überschreien. Er beugte sich mit einer verzweifelten Gebärde über den Tisch, deutete auf das zerbrochene Glas, stotterte, aber er sagte nichts.

Er wandte sich rasch um und entfloh in seinem gelben Kostüm und mit seiner gelben Mütze, gefolgt von lautem, wildem Gelächter. Er verschwand in der treibenden Menge.

»Haha! Ein Prachtexemplar, dieser Eisenhut! Haha! Hoch Eisenhut, hurra!«

Im gleichen Augenblick war auch Grau verschwunden, und als Adele zu Baron Kirchgang blickte, mit dem er zuletzt geplaudert hatte, sah sie seinen Platz leer. Baron Kirchgang unterdrückte ein Gähnen.

Adele zog die Brauen zusammen und begann mit erneuter Ausgelassenheit zu scherzen, zu lachen und Sektgläser zu füllen.


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