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Neuntes Kapitel

An einem Nachmittage kam Adele zu ihm. Er schrieb gerade, als er ihren Schritt hörte und hielt die Feder an und erblich.

Sie war ohne Hut und ihre schwarzen Haare rahmten scharf das schmale Gesicht ein. Ihre Wangen waren von der Wärme gerötet, so erschienen ihre Augen noch heller und lebendiger. Ihre Lippen glänzten. Im Winter waren sie schmal und blaß, im Sommer geschwungen und rot, wie merkwürdig war doch das. Sie trug ein dünnes Kleid von der Farbe verblaßter Veilchen, eine große hellrote Koralle hielt es an der Brust zusammen. Kühle und Duft gingen von ihrem leichten Kleide aus.

Sie blieb lächelnd an der Türe stehen.

»Ich habe Sie wohl in der Arbeit gestört?« sagte sie. »Sie schrieben gerade.« Sie sah ihn mit klaren Augen an.

»Bitte, es ist eine höchst nebensächliche Sache, ich bitte Sie Platz zu nehmen. Sie befinden sich wohl?«

»Wie immer, danke!« Sie sah sich um und öffnete halb den Mund, während sie Graus Zimmer betrachtete. Dann duckte sie den Kopf ein wenig und sah zum Fenster hinaus. »Wie eigentümlich ist es doch, den Park von hier aus zu sehen!« sagte sie, ein wenig verlegen, da sie Graus Blick fühlte.

Sie schwieg und blickte Grau an, der totenblaß aussah.

Da saß sie und das Licht sprühte aus ihren Augen, das ewige Licht, das um Gottes Haupt wogt.

Ob eine besondere Angelegenheit sie zu ihm führe?

Adele lächelte fein. »Muß es denn eine besondere Angelegenheit sein, die mich zu Ihnen führt? Ich denke mir, daß Sie jetzt recht einsam sein müssen. Man sieht Sie ja gar nicht mehr. Sind Sie denn immer zu Hause?«

»Im Gegenteil, ich bin viel unterwegs.«

Pause. Adele sah ihn an. »Sie kommen mir verändert vor,« sagte sie und schüttelte den Kopf. »Sind Sie krank? So entsetzlich bleich sehen Sie aus!«

»Nein, ich fühle mich wohl,« antwortete Grau und dankte.

Adele blickte ihn prüfend an. »Sie sehen leidend aus,« setzte sie hinzu, dann sprach sie von andern Dingen.

Grau war schweigsam. Er sah sie nur und lächelte. Aber er fand nicht den kleinsten Gedanken in seinem Kopfe.

»Wie wunderbar sind doch die Nächte jetzt!« sagte Adele, aber sie brach plötzlich ab und lachte leise. »Aber sehen Sie doch, da sitzt ja eine Maus!« rief sie aus.

»Es ist eine zahme Maus,« sagte Grau und raffte sich auf. »Das heißt alle Mäuse sind ja zahm, aber diese Maus hier ist an mich gewöhnt. Sie heißt Mirza und lebt hier. Sie ist sehr klug und schön. Sie ist sehr zutraulich und oft wenn ich ruhig dasitze, knappert sie an meinen Schuhen.«

Adele lachte und sah Grau erstaunt an. »Mit einer Maus leben Sie?« sagte sie.

»Es ist ja wohl nichts Wunderliches dabei?« fragte er lächelnd.

Adele lächelte leicht. »Sie haben ja auch einen Hund, nicht wahr?« forschte sie. »Man sieht zuweilen einen gelben zottigen Hund in Ihrem Garten.«

»Ja,« erwiderte Grau, »aber er ist sehr untreu. Er läßt sich oft wochenlang nicht blicken. Es ist ein verwilderter Hund, dessen Herr gestorben ist, ein Waldhüter. Ich stelle ihm manchmal etwas Fressen hin. Wollen Sie sehen, wie klug diese Maus ist?«

»Ja!«

»Nun, sofort!« Grau legte ein Stückchen Speck auf den Boden in die Nähe des Schrankes, unter dem die Maus sich aufhielt. Er stieß einen zirpenden Laut aus. »Vielleicht kommt sie nicht, weil Sie da sind.«

Die Maus hatte das Stückchen Speck bemerkt, sie streckte die spitzige Schnauze unter dem Schranke vor und lugte mit den runden, glänzenden Augen, die wie pechschwarze Perlen aussahen, auf den Speck und auf Adele zu gleicher Zeit. Dann kam sie näher, lief in einem Bogen um den Speck herum und huschte wieder unter den Schrank. Sie mußte sich blitzschnell umdrehen können, denn die spitzige Schnauze wurde zur selben Sekunde wieder sichtbar als der Schwanz verschwand.

»Sie hat einen Versuch gemacht,« sagte Grau, »ob sie sicher sein könne. Nun aber werden Sie sehen, auf welche Weise sie den Speck fortschleppt!« Er war plötzlich gesprächig geworden.

Die Maus kam wieder unter dem Schranke vor. Sie saß eine Weile vor dem Speck, dann beschrieb sie einen Bogen und saß nun so, daß der Speck zwischen ihr und dem Schranke lag. Sie wartete noch ein Weilchen, dann lief sie blitzschnell auf den Speck zu und verschwand mit ihm.

»Es wäre ihr zu gefährlich, mit dem Speck im Maule umzuwenden, haben Sie das beobachtet?« erklärte Grau. »So klug ist sie.« Er erzählte noch einige Geschichten von der Maus, dann war er wieder still.

Grau kämpfte mit dem Gedanken aufzustehen und zu sprechen: –! Aber er tat es nicht.

Plötzlich hatte Adele einen Brief in der Hand.

»Ich habe einen Brief für Sie,« sagte sie leise, »er ist von Susanna.«

»Von Susanna?« Er begriff es nicht. Er starrte Adele an.

»Ja, sie hat mir diesen Brief übergeben – wann war es doch? – in der Zeit, da sie still lag um Kräfte für die Reise zu sammeln. Da gab sie mir diesen Brief. Ich solle ihn eine Woche nach ihrem Tode abgeben – im Falle sie doch sterben sollte. Ich habe nun gewartet und gewartet, denn es schien mir grausam Sie durch den Brief – nun ich wartete. Aber nun hat mich Susanna sozusagen daran erinnert.«

Grau nahm das Messer vom Schreibtisch und schnitt den Brief auf. Er hielt inne und sagte nach einer Weile: »Sie hat Sie sozusagen daran erinnert?«

Ja, sie habe geträumt von Susanna und dem Briefe.

»Ich habe ja jeden Tag an den Brief gedacht und an Susanna und schob es doch von Tag zu Tag hinaus ihn abzugeben,« sagte Adele. »Es ist also nicht zu verwundern, daß ich davon träumte. Ich habe geträumt, ich ginge mit Susanna zum Bade. Wir unterhielten uns und plötzlich sagte sie etwas von einem Briefe und ich lachte, denn ich wußte ja nichts von einem Briefe. Aber am Morgen erinnerte ich mich an den Traum und nahm mir vor, den Brief aus dem Hause zu schaffen.«

Grau sah Adele an.

Und Adele zuckte ein wenig die Achseln und fügte hinzu: »Ich wollte Ruhe haben. Ich liebe es nicht, an Verstorbene zu denken. Ich weiß nicht warum.«

Sie ging. Grau gab ihr das Geleite bis zur Gartentüre. Man fühlte, wie man sich durch die Wärme hindurch gleichsam Bahn brechen mußte, und Duft und Schwüle der Luft betäubten ein wenig. Adeles reiches Haar sprühte wie eine schwarze Flamme und hob sich scharf vom tiefblauen Himmel ab. Es war das einzige ringsumher, das schwarz war, denn alles war grün, golden und blau.

An der Türe sagte Grau: »Ich habe gehört, Sie reisen bald?«

Ja, bald ginge es fort. Adele lachte und blickte in die Luft empor, wo die Mücken über dem heißen Wege tanzten. »Es ist übrigens nicht ganz sicher, ob ich so bald reise,« sagte sie. »Aber ich freue mich darauf, fortzukommen, hinaus in die Welt. Nur denke ich zuweilen –«

»Was denken Sie zuweilen?«

»Ich weiß nicht, ob ich für die Ehe geschaffen bin, denke ich zuweilen. Wenn ich den Baron nicht so sehr liebte, aber ich liebe ihn ja so sehr.«

Grau sah sie an. Schön und stark war sein Blick.

»Nun?« fragte Adele.

»Es ist mir bange um Sie!« sagte Grau und er wußte nicht wie ihm die Worte auf die Lippen kamen.

Adele öffnete die Lippen und erbleichte ein wenig. »Bange?«

»Ja!« fuhr Grau fort – und plötzlich verlor er die Sicherheit, er wurde verlegen und setzte höflich hinzu: »Ich bitte Sie recht herzlich, den Schritt reiflich zu überlegen.«

Adele sah ihn an und ihr Blick senkte sich tief in seine Augen. Sie lächelte. Sie schüttelte leise den Kopf, als ob sie ihn nicht verstanden habe und sagte hauchend: »Adieu!«

»Ja, ich bitte Sie, den Schritt ja zu überlegen!« wiederholte Grau.

Adele nickte ihm zu. »Adieu!« sagte sie und ging langsam und stolz weiter, als ob nichts ihre Ruhe trübte.

Grau ging in großer Erregung ins Haus zurück. Wie kam es doch, daß ich plötzlich sprach! dachte er. Ich wollte es ja gar nicht. Adeles Gestalt verschwand zwischen den Zweigen und sein Herz pochte so laut, daß er die Hand auf die Brust legen mußte.

Nun war sie verschwunden! Er zitterte, mußte sich setzen, stand wieder auf, streckte die Hände nach den Büschen aus, hinter denen sie verschwunden war.

Erst nach langer Zeit gelang es ihm sich zu beherrschen. Er öffnete Susannas Brief und so bald er ihre Schrift sah, wurde er ruhig.

»Mein Geliebter,« schrieb Susanna, »Du süßester aller Menschen! Wolle Gott, der Gott an den Du glaubst, Dich glücklich machen, glücklich und reich. Oft bete ich so.

Ich bin nun tot und wenn Du hundert Schritte gehst, so stehst Du an meinem Grabe. Du sollst es nicht tun, ich will nicht, daß Du oft an mein Grab gehst. Es ist so wenig Sinn darin, denke ich. Kannst Du denken, daß ich vor Dir stehe? Siehst Du meine Augen und kannst Du Dich an meine Züge erinnern? Das tue zuweilen! Kannst Du fühlen, daß ich diesen Brief mit Dir lese und meine Wange an die Deine schmiege, so wie ich es oft getan habe, wenn wir zusammen in den Büchern blätterten?

Du sollst nicht an mich denken. Zuweilen, aber nicht oft. Denke an mich, wenn Du fröhlich bist, aber nicht zu oft. Denke nicht an mich, wenn Du traurig bist.

Vielleicht siehst Du ein Mädchen und Du liebst es. Dann küsse sie und vergiß mich ganz. Ich will, daß Du glücklich bist und Glück um Dich streust.

So spricht mein Herz.

Ja, ich liebe Dich. Bei Gott, aufrichtiger könnte Dich keine Frau lieben! Ist es ein Wunder, daß ich über diesen Brief weine? Ich liebe Mütterchen, aber ich liebe Dich hundertmal mehr und kenne Dich doch noch nicht lange.

O, du süßester aller, aller Menschen! Wenn ich nur ein Herz hätte, so hätte ich alles gesagt. Aber ich habe zwei Herzen und sie wollen nicht das gleiche.

Mein zweites Herz, das möchte viele Dinge, die das erste Herz nicht wünscht. Es wünscht Dir ebenfalls Glück, aber es ist traurig, daß es dieses Glück nicht mit Dir leben kann.

Es hat gewünscht, daß Du einmal meine Brust küssen möchtest und nun wünscht es, daß Du recht oft die hundert Schritte zu meinem Grabe machen würdest und Dich niederwerfen und die Erde aufwühlen – das wünscht mein zweites Herz und es bebt vor Freude – obgleich mein erstes Herz es nicht wollte. Es wünscht, daß Du vor Kummer sterben solltest, ja, es wünscht, daß Du nie mehr eine Frau küssest, denn es will Dich ganz allein haben. Ganz, ganz allein.

Mein zweites Herz kennt eine Frau, vor der es zittert. Denn diese Frau könnte jede Erinnerung an mich auslöschen. Ich habe gesehen, wie Du diese Frau anblicktest, es saßen viele Mädchen in meinem Zimmer, aber Du blicktest jene Frau mit andern Augen an als alle. Mein erstes Herz wünscht, daß jene Frau Dich liebe, aber das andre zittert davor. Laß es ruhig sein und schweigen.

Laß mein erstes Herz sprechen: Lebe wohl, Du gütiger, und vergiß mich so, daß Du nicht mehr leidest. Sei glücklich und liebe, liebe alle Frauen, so viele du willst.

Ich bin tot, aber ich komme zu Dir noch einmal, um mit Dir zu sprechen.

Süß ist der Gedanke, süß und schön und er lockte mich. Es ist nicht wahr, was mein zweites Herz sagt: Komm aus dem Tode zu ihm um Gewalt über ihn zu haben, um ihn nicht frei zu lassen. Nein. Du sollst ja nur fühlen, wie sehr ich Dich liebe, daß ich noch nach dem Tode zu Dir zu sprechen wünsche. Das ist die Wahrheit.

Lieber, es ist all diese Tage ein Gedanke in mir, ich kämpfe mit ihm. Würdest Du mir schwören, zu keiner andern Frau mehr von Liebe zu sprechen? Mein zweites Herz flüsterte mir den Gedanken ins Ohr. Wenn ich schwach werden sollte und Du solltest mir das Versprechen geben – ach, verzeihe mir dann, ich bin es ja nicht, die das will – Du bist frei, es gibt kein solches Versprechen! Wie sollte es doch ein solches Versprechen geben!

Lebe wohl, ich küsse Dich zum letzenmal. Es ist schwer zu gehen, aber lebe wohl. Lebe wohl, ich winke, lebe wohl, Du siehst mich nicht mehr. Lebe wohl für immer! Deine Susanna.«

Grau saß und das Blut schoß ihm in das Gesicht. Dann tastete er sich hinaus, durch die Türe hindurch, in das Schlafzimmer, dessen Läden geschlossen waren. Hier warf er sich auf das Bett und weinte.

Als Eisenhut am Abend zur Stunde kam, fand er Grau in seiner Stube damit beschäftigt, Noten auf ein Blatt zu schreiben.

»Was tust du da?« fragte Eisenhut.

»Ich schreibe ein kleines Lied,« antwortete Grau und lächelte und Eisenhut wunderte sich über seine zitternde Stimme.

»Ein Lied?«

»Ja, ich habe es noch nie getan, es ist mein erstes.«


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