Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Wallfahrtsort für Kriegshetzer

Im Hause Bourgerie, dem ersten von Bazeille, haben sich am 1. September des Jahres 70 hundertzwanzig französische Marineinfanteristen so lange gegen einen bayrischen Ansturm verteidigt, bis sie achtzig Tote hatten und keine einzige Patrone mehr. Wie das Gesetz es befahl. (Die Gesetze befehlen solche Sachen.) Das war folgsam.

Als die Munition aufgebraucht und das Haus durchlöchert war, soll einer vorgeschlagen haben, man möge Selbstmord begehen, indem man sich in den Geschoßregen stürze. Ein anderer, behauptet eine wohlkonservierte Fama, habe beantragt, das Haus anzuzünden und in den Flammen unterzugehen. Das war blöd.

Aber der Major Lambert von der Division Vassoigne, der die Verteidigung des Häuschens geleitet hatte, entschloß sich zur Übergabe und steckte ein Taschentuch aus dem Fenster. Das war gescheit.

Die bayrische Abteilung, befehligt von Hauptmann Lissignolo, stellte das Feuer ein, und als die Verteidiger, schmierig, blutig und verwundet, aus dem Haustor wankten, standen die deutschen Soldaten stramm und salutierten. Das war ganz nett.

Eine Aufschrift, auf die Wand gemalt, besagt, daß das Haus »Maison de la dernière cartouche« heißt. Die Farbe der Buchstaben ist sehr verblaßt. Das ist belanglos.

Eine schöne Marmortafel mit goldenen Lettern verkündet, daß 1909 Herr Arthur Meyer, directeur du »Gaulois«, eine Sammlung zum Ankauf des Häuschens . . . Das ist niederträchtig.

Was hat der Name des Herrn Meyer, in Marmor gemeißelt, hier zu suchen, wo achtzig Menschen auf der Schlachtbank verblutet sind!

Was macht der Herr Meyer da, neununddreißig Jahre nachdem das Taschentuch gehißt worden ist? Weshalb feuert er an, wenn der letzte Schuß verfeuert worden ist? Was für ein nobler Charakter war doch der Esel von Soldat, der das Haus anzünden wollte, gegen diesen Chefredakteur, der es erhalten will! Damit sein Name in Marmor darauf steht und neue Geschlechter veranlaßt werden, ihre Häuser in Festungen zu verwandeln!

»Monsieur Meyer, je vous demande, avez-vous battu dans cette maison?«

»Non, monsieur, parceque j'avais dix ans en 1870.«

Na also, dann hetzen Sie nicht! Wenn Sie dabeigewesen wären, würden Sie wahrscheinlich kuschen. Natürlich gibt es auch Leute, die dabei waren und doch Heldentaten zur gefälligen Nachahmung erzählen. Aber die tun das, von den Herren Meyer und anderen solchen Direktoren des »Gaulois« aufgereizt und ihnen zu Gefallen. Und diese Aufhusser und Zuhörer und Weiterverbreiter und Ausschmücker sind schuld an den folgenden Kriegen.

Jawohl, Monsieur Meyer vom »Gaulois« und Herr Gaulois vom »Meyer«. Aber auch Sie, Monsieur Gaulois vom »Gaulois« und so weiter.

Übrigens hat die Gedenktafel jetzt einen tüchtigen Sprung. Ich habe einen braven Stein gegen sie geschleudert.

Gehet hin und tuet desgleichen!

 

Das Innere des Hauses ist natürlich ein Museum. Zerfetzte Uniformstücke, zerbrochene Gewehre, Patronen – alles längst veraltetes System. Verblaßte Daguerreotypien von Mac-Mahon, der ein paar Schritte von hier seinen Tausendfrancsschuß bekam, von Napoleon III., der ein Defätist war, von Wimpffen, Moltke, Bismarck, Anton von Werner und anderen Sedaner Größen. Durchlöcherte Schränke, blutiges Bett, zersplitterte Fensterladen.

Mitleidig lächelnd gehen Soldaten durch dieses Schnackerlmuseum. Wenn die Museen des jetzigen Krieges installiert sein werden, die Zweiundvierzigzentimetermörser, die Gelbkreuzgasbomben, die Flammenwerfer! Und statt der Glasphotographien herrliche Ölgemälde von allen unseren Heerführern! Zerschossene Türen gibt es nicht mehr: Schaue aus dem Fenster, ganze Ortschaften sind zu Müll geworden. Man kann nur nachsichtig lächeln über die Sehenswürdigkeiten.

Wenn nur nicht die Jahrgangsklasse 1956 über unser Kriegsgerät geringschätzig lächeln wird!

 

Dreißig Schritte vom »Haus zur letzten Patrone« entfernt ist der Friedhof. Einige tausend französische und bayrische Soldaten, die bei den Kämpfen um Bazeille gefallen sind, sind hier – nicht bestattet. Im Gegenteil: Die Gesinnungsgenossen des Herrn Meyer vom »Gaulois« haben die Toten aus ihren Einzelgräbern und Massengräbern exhumiert und in Gewölbe einer Krypta gelegt. Längs der Toten ist ein Korridor für den Fremdenverkehr frei gelassen. Die Touristen führt mit Erklärungen von epischer Breite Herr Jean-Claude Rocher, der vorher jedem Besucher seinen Militärpaß zeigt, dem zufolge er 1870 dem 3. Regiment der Marineinfanterie angehörte und als einer der überlebenden Verteidiger der Maison Bourgerie ins Kriegsgefangenenlager von Ingolstadt abgeführt worden ist.

Auch ein Gedenkbuch hat er, in das sich Prinz Rupprecht, Haeseler, Hindenburg (die Stammgäste von Sedan), aber auch Gallwitz, Eichhorn, Exzellenz Prdelka von Drahtverhau und andere feuchtfröhliche Erhalter des Siegfriedensgedankens eingeschrieben haben.

Monsieur Rocher ist mit den Gewölben auf der linken Seite bös. Nicht etwa, weil hier Bayern liegen, sondern weil das deutsche Kommando diese schönen Ausstellungsobjekte mit Steinplatten zudecken ließ. Es hat dies nach seiner Auffassung deshalb getan, weil sich die noch lebenden deutschen Soldaten angesichts der Kopfschüsse ihrer bereits toten Vorgänger zu sehr aufregten. Schade, jetzt sieht man die schönen Kopfschüsse nicht mehr!

Zum Glück gibt es rechts sehr sehenswerte Schauobjekte. Zwar nicht so viele, wie links verborgen sein mögen, aber immerhin doch noch ein paar hundert fünfzigjährige Leichen. Eine Krankenschwester, der der Arm abgerissen worden ist, ein Zuave mit zerpulvertem Kopf, ein Kapitän mit acht Kopfschüssen und was dergleichen reizende Kleinigkeiten mehr sind. Die Uniformen – Friedensstoff 1869 – sehen oft noch besser aus als die heutigen.

Ist das alles zur Abschreckung da? Nein, an den Wänden des Korridors hängen Glasperlenkränze mit Trikoloren, und auf den Trikoloren stehen Schwüre von Blutrache und Sieg und Revanche. Und jeder dieser Kränze wurde namens eines patriotischen Vereines niedergelegt, am 1. September, und der Redner, je blutiger er sprach, desto besser war's wohl.

Drüben, die Grenze ist nicht weit, feierte man den 1. September mit Hurra und Truppenparaden.

Vierundvierzig Jahre lang klangen Wehklagen und Rachegeschrei hinüber, Jubelrufe und Festesfreude herüber. Bis sich die Musikanten in die Haare gerieten.

 


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