Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Wat koofe ick mir for een Groschen?

In der Volksspeisehalle in der Schönhauser Allee trank ich eine Tasse Kaffee um zehn Pfennig und aß dazu einen Napfkuchen um den gleichen Preis. Drüben an der Wand, mit Kreide auf ein schwarzes Brett geschrieben, war die Speisekarte; aus ihr ersah ich, daß man für eine Tasse Milch, Kakao, Kaffee, Apfelwein oder Brühe, für eine Flasche Selterswasser, für zwei Zehntel Malz- oder Lagerbier, für eine mit Butter oder Schmalz gestrichene Stulle, für vier gewöhnliche Schrippen, für einen Blech- oder einen Napfkuchen nicht mehr und nicht weniger als zehn Pfennig zu zahlen hat. Noch reicher sehen die Genüsse aus, die sich einer vergönnen kann, der über zwei Groschen verfügt: eine Schale Weißbier, eine Pulle Brauselimonade, eine belegte Stulle, einen sauren Hering, einen marinierten Fisch, eine Portion Kartoffelsalat, ein Paar Würstchen oder ein Stück Wurst.

Um zu erfahren, ob man auch andere als alimentäre Werte um zehn Pfennig erwerben könne, rief ich eines der spielenden Gören zu mir, gab ihm einen Groschen und wollte . . . der Kleine war schon mit der Schnelligkeit eines Rodelschlittens davongerast, bevor ich ihn etwas fragen konnte. Ich sprach einen anderen Jungen an und stellte ihm, das Geldstück in der Hand behaltend, die Gewissensfrage: »Was tust du mit diesen zehn Pfennig, wenn ich sie dir gebe?« – Der Knirps machte eine abwehrende Geste. »Nee, so doof bin ick nich – dann jehm Se mir den Jroschen doch nich!« – Ich gab mein Ehrenwort. – »Ick jehe in Kintopp.« – Auf meinen Wunsch zeigte er mir sogleich das Kino, wo der Eintritt zehn Pfennig kostet, der teuerste Platz fünfzig Pfennig. Mein kleiner Führer verschwand mit dem Groschen in der Eingangstüre, auf der eine große Tafel besagte: Jugendlichen unter sechzehn Jahren ist der Eintritt verboten!

Ein kleines Mädchen, das ich fragte, machte mir die Mitteilung, daß sie für meinen Groschen – auch ins Kino gehen wolle. Da mir die statistische Feststellung, wieviel Kinder Berlins eine Münze zum Besuch des Films anlegen würden, doch etwas zu kostspielig schien, stellte ich den Versuch ein, mir auf dem Wege einer Umfrage das Material zur Verwendungsmöglichkeit von zehn Pfennig zu verschaffen.

Ich war in einer Gegend, in der der Geschäftsbetrieb viel mehr von den Finanzverhältnissen des Käufers abhängig ist als von dessen Bedarf. Diesem Umstande ist durch die Preisangabe in den mit tausenderlei Dingen vollgepfropften Schaufenstern Rechnung getragen. In den Papierwarenhandlungen sind keine Schreibhefte, Stahlfedern, Bleistifte oder dergleichen ausgestellt. Luxusdinge des täglichen Gebrauchs werden angepriesen: die entzückenden Künstlerkarten, welche keifende Schwiegermütter, wimmernde Pantoffelhelden und zahnlose alte Jungfern zeigen, kosten nur zehn Pfennig; der anonyme Absender braucht nur – mit verstellter Handschrift – die Adresse daraufzuschreiben . . . Um den gleichen Preis ist auch die hundertsechzehnte Lieferung des für unsere Jugend bestimmten Werkes »Huronen und Delawaren oder Das Zweite Gesicht oder Die Verfolgung rund um die Erde« zu haben, unter dessen vierfarbigem Titelbild die edlen Worte stehen: »Als Wilhelm Mut aus dem Blockhause heraustrat, sah er zehn Indianer in feindseliger Haltung vor sich stehen.« Für zehn Pfennig habe ich das Heft einer Pfadfinder-Bücherei erstanden, verlockt durch die bunte Umschlagzeichnung, deren Text lautete: »Durch das Krachen des Donners, das Brüllen der Wogen, das Heulen des Sturmes tönte Horst Krafts gellender Ruf: Pfadfinder, zu mir! Wir werden zusammen sterben, wenn wir sterben müssen!« Dieses Büchlein habe ich gelesen und kann sagen: Wenn Büchern wirklich ein erzieherischer Wert zukommt, dann ist dieses Werk vortrefflich geeignet, Knaben zu Idioten zu erziehen.

Auf billige Art können sich Mädchen der Peripherie mit aller raffinierten Eleganz umgeben: eine Madeira-Hemdpasse, eine Büchse mit wohlriechenden Cachous, eine Phiole!!! Allerfeinstes Pariser Ideal-Parfum!!! (die sechs Ausrufungszeichen sind Original) und ein Gummiabsatz kosten je einen Groschen. Schwerer ist es, ein Gentleman zu sein. Zwar kosten ein Stehkragen, drei Hemdknöpfe oder einmal Schnurrbartstutzen denselben Betrag, aber schon für ein Paar Manschetten, ein Stück Prima Mandelseife mit zwei Ausrufungszeichen, eine Nagelfeile, eine Pomadenstange oder einmal Rasieren muß man die doppelte Taxe entrichten, für Haarschneiden und Bartausziehen sogar fünfundzwanzig. Kräuseln der Haare dreißig Pfennig.

Die Lust zum Heiraten wird gewiß dadurch wachgerufen oder wenigstens verstärkt werden, daß man um zehn Pfennig einen vergoldeten Ehering beziehen kann, eine Säuglingsklapper von der gleichen Wohlfeilheit, zwei Zinnsoldaten oder ein Schilderhäuschen. Mit einer Autohupe für Kinder oder fünf Knallerbsen kann man Krach machen, der mit einem Groschen gewiß nicht überbezahlt ist. Weiter: ein (etwas verbogener) Alpakalöffel, der Band einer verschrotteten Leihbibliothek »nach Eugen Sue bearbeitet von Wilhelm Eichelkogel«, eine garantiert echte Haarlemer Hyazinthenzwiebel, ein achtel Pfund Kieler Sprotten, ein Stück Bruchschokolade, ein Umschlag mit Puderpapier, zwei Harzer Käse, Vanilleplätzchen und ein Kartoffelpuffer, alles bloß für zehn Pfennig.

Im Bagno-Museum auf dem Rummelplatz Ecke Lietzmannstraße–Neue Königstraße ist sogar ein Lustmord für einen Groschen zu sehen. In die Geldstücköffnung des Automaten wirft man zwei Sechser ein und dreht die Kurbel. Erstes Bild: Eine schlafende Dame. – Zweites Bild: Ein Mörder nähert sich mit gezücktem Messer. (Mörder nähern sich nämlich immer mit gezücktem Messer.) – Drittes Bild: Der Mörder nähert sich noch näher mit noch gezückterem Messer. – Viertes Bild: Der Mörder sticht der entsetzt erwachenden Dame das gezückte Messer in das Herz. – Fünftes Bild: Die Dame liegt tot neben zwei roten Tintenklecksen auf dem Boden, und der Mörder entfernt sich mit gezücktem, blutigrotem Messer. (Mörder entfernen sich nämlich immer mit gezücktem, blutigrotem Messer.)

Das alles koofe ick mir for een Groschen.

 


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