Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Ära nach dem Prozeß Riehl

Es ist also ausgemacht: der Geschlechtsverkehr soll in Österreich abgeschafft werden. Der Bureaukretinismus hat – wie sagt man doch – »diese Maßnahme nach genauester Pflegung der Erhebungen ins Auge gefaßt«. Zugleich mit der Erhöhung der Postgebühren. Es soll seit dem Prozeß Riehl bewiesen werden, daß »was g'schieht«, und weil herausgekommen ist, daß in der Grünetorgasse Polizeibeamte gratis Geschlechtsfreuden genossen haben, sollen jetzt in anderen Gassen Männer, die keine Amtspflicht beschworen haben, auch nicht mehr dafür bezahlen dürfen. Gelegenheiten, die ehedem gemacht wurden, werden jetzt vereitelt, allgemein zugängliche Weideplätze der Wollust gesperrt, Frauen aller Gesellschaftsklassen auf der Straße nur mehr von Polizisten – die infolge der überhandnehmenden Einbruchsdiebstähle beschäftigungslos sind – angesprochen, und Rendezvous zwischen Junggesellen und ihren Begleiterinnen in die Wachstube verlegt, weil eine Privatwohnung eben nicht mehr die genügende Intimität bietet. Beinahe schon wie in Preußen, wo der normale Geschlechtsverkehr streng bestraft wird. Und wieder ist eine Frau der »Falschmeldung« schuldig und wieder fragt sie der Richter: »Sie sollen auch geheime Prostitution getrieben haben?«, kann sich die Frage nicht versagen, wiewohl er sogleich selbst antwortet: »Ich habe nur über die Falschmeldung zu judizieren«. Fleißaufgaben der Polizei aber, wie die in der folgenden Zuschrift an die ›Fackel‹ besprochene, sind in der Nach-Riehl'schen Epoche nichts besonderes: »Heute morgens stellte sich mir ein Polizeikommissär vor mit der Eröffnung, es sei eine anonyme Anzeige eingelaufen, daß mein Empfang von Damenbesuchen (in der separierten Wohnung eines Hauses, wo außer mir noch eine Partei logiert) öffentliches Ärgernis erregte; fragte, ob ›dies den Tatsachen entspricht‹, wie die Dame heiße und ob sie ›nicht vielleicht von geheimer Prostitution lebt‹. Ich erwiderte, daß niemand, auch nicht die Polizei das Recht habe, sich in meine persönlichsten Angelegenheiten zu mischen und daß es mir natürlich nicht einfalle, einen Namen preiszugeben oder eine Auskunft zu erteilen. Der Kommissär entfernte sich mit dem Bemerken, daß ich in dieser Sache eine Vorladung erhalten werde.« Wenn das so fortgeht, meint der Briefschreiber pessimistisch, werde einem jungen Menschen nichts anders übrig bleiben, »als sich im Bedarfsfall an einen Detektiv oder Kommissär zu wenden«. Versteht sich, nur um die behördliche Bewilligung zur Ausübung des normalen Geschlechtsaktes einzuholen.

Viel schwerer noch als den Männern wird's den Frauen gemacht. Der Bureaukretinismus, der jetzt das ›Extrablatt‹ als moraloffiziöses Organ ausersehen hat, gibt täglich Bulletins aus, um der Menschheit das bißchen Vergnügen auch durch publizistische Bedrohung zu stören. Vor allem will er den Konzessionszwang verschärfen. »Minderjährige Mädchen«, so sprach neulich ein »höherer Ressortbeamter« zu sozialpolitischen Frauen, »erhalten nur dann Gesundheitsbücher, wenn der Beweis ihrer völligen sittlichen Verkommenheit erbracht ist, das heißt, wenn nachgewiesen wird, daß sie bereits der clandestinen Prostitution ergeben sind, daher an ihnen nichts mehr zu verderben ist«; und: »Die Genehmigung des Vormundes genügt nicht mehr zur Einschreibung des Mündels in die polizeiliche Liste der Prostituierten oder zur Aufnahme der Betreffenden in ein toleriertes Haus. Hiezu ist noch die Einwilligung der Obervormundschaft erforderlich. Die Polizei überweist dann jedes Gesuch, für das die Genehmigung des Vormundes zur Ausübung gewerbsmäßiger Prostitution beigebracht wird, dem zuständigen Pflegschaftsgerichte zur Entscheidung.« Ein Gericht also wird künftig die Frage zu entscheiden haben, ob ein Mädchen »das Schandgewerbe« ergreifen darf! Freuen wir uns, daß die öffentliche Vertrottelung in sexuellen Dingen bis zu dieser Kristallform gediehen ist, in der sie auch der Trottel erkennt. Und daß der »Beweis der völligen sittlichen Verkommenheit« erbracht werden muß. Szene in einem Kommissariat: »Ja, was wollns denn?« ›Ich möchte das Schandgewerbe anmelden!‹ »Ja, könnens denn (hochdeutsch:) den Beweis der völligen sittlichen Verkommenheit erbringen?« (Verlegen:) ›Nein.‹ »Nachher schauns, daß S' weiter kommen! – So a Schlampen!« Ein humaner Kommissär, der mit sich reden läßt, wird der Partei den Rat geben, vorerst ein wenig verbotene Prostitution zu treiben. Aber die ist doch gerade verboten? Natürlich ist sie verboten! Aber sie muß bewiesen sein, um das Recht auf ihre »Ausübung« zu gewährleisten. Protektion hilft natürlich auch da, und der Beweis völliger sittlicher Verkommenheit wird manchmal als erbracht angesehen werden, wenn einer Petentin sogar nachgewiesen werden könnte, daß an ihr noch etwas zu verderben sei. Dagegen wird streng darauf gesehen werden, daß kein Fall von »clandestiner Prostitution« der behördlichen Kenntnis entzogen bleibe, auch wenn er als Befähigungsnachweis für die Ausübung des Schandgewerbes gar nicht in Betracht kommen sollte. Die Erteilung des Büchls aber ist eine Art Prämie auf die Selbstanzeige wegen geheimer Prostitution. Die Behörde nimmt an, daß sich die Frauen dieses Vorteils bewußt zeigen werden. Wenn eine Frau jenes Naturrecht, für das kein Frauenverein kämpft, betätigt und sich dafür, daß sie immerhin auch dem Manne einen Gefallen erweist, bezahlen läßt (was merkwürdiger Weise noch keine Frau aus ihrem seelischen Gleichgewicht gebracht hat), so wird sie das der Polizei melden, und wenn die Baronin X in momentaner Verlegenheit ihre Schönheit und den erotischen Mehrwert ihrer sozialen Position mit tausend Gulden berechnet, so wird sie nicht zögern, den Kommissär Wossitschek, den Oberkommissär Jerschabek und den Regierungsrat Witlatschil zu verständigen. Dann hat sie Anspruch auf ein »Büchl«, und macht sie von dieser Chance Gebrauch, so steht sie unter dem Schutz der Behörde, wenn sie es nicht doch vorziehen sollte, sich unter den Schutz der Frau Riehl zu stellen. Schwieriger als die Anmeldung des Schandgewerbes ist die Abmeldung. Es muß nämlich auch abgemeldet werden. Eine Prostituierte kam neulich auf den polizeiwidrigen Gedanken, zu ihrer Mutter zurückzukehren. Und was weiter geschah, davon erzählt ein Gerichtssaalbericht. Der Beweis der sittlichen Läuterung muß gleichfalls, und zwar binnen vierundzwanzig Stunden, erbracht werden, und dies hatte das Mädchen unterlassen. Die Polizei machte die Anzeige beim Gericht, und das Gericht verurteilte die Verdächtige wegen unbefugter Ausübung der Ehrbarkeit oder wegen clandestiner Sittlichkeit – ich weiß nicht, wie das Delikt lautet – zu vierundzwanzig Stunden Arrest. Darauf erklärte die Angeklagte, daß sie jetzt wieder das Büchl nehmen werde ... So wird schließlich doch hie und da ein Mädchen, das man fast schon verloren glaubte, durch behördliche Fürsorge vor den Gefahren des soliden Lebenswandels gerettet. Wäre der Strizzi Staat so ehrlich, zu bekennen, daß er die Kontrolle der Prostitution sich lediglich aus dem Motiv der Gewinnsucht sichern, daß er einfach auf die Steuern der konzessionierten Bordelle nicht verzichten will, seine Lumperei hätte einen gewissen Stil und bedürfte der kläglichen Ausrede auf die Moral nicht (und nicht auf die Hygiene, die noch kein Polizeiarzt beglückt hat). Aber wann hätte je ein Strizzi Farbe bekannt und sich nicht moralisch über seine Aushälterin entrüstet? In den blitzdummen Gerichtsverhandlungen, die in der Ära nach dem Prozeß Riehl arrangiert werden, erfolgt immer pünktlich dann ein Freispruch, wenn der Steuerbogen vorgewiesen wird. Die Polizei toleriert, die Staatsanwaltschaft verfolgt, und die erschütterte Autorität erholt sich an der täglichen Aufdeckung heillosesten Widerspruchs. Wie weit die Konfusion gediehen ist, ersieht man daraus, daß konzessionierte Bordellwirtinnen fortwährend angeklagt werden, weil sie aus dem von ihren Pensionärinnen betriebenen Gewerbe »ihren eigenen Unterhalt bezogen« haben sollen. Nicht wegen Ausbeutung also, sondern bloß wegen Mangels an heroischem Opfermut beim Betrieb eines polizeilich bewilligten Gewerbes. Und ist es nicht toll, daß die Polizei, der die Mitschuld an der Einschränkung der persönlichen Freiheit im Falle Riehl nachgewiesen wurde, nicht die Fenster der Freudenhäuser sperrangelweit aufreißen läßt, sondern das Hinausschauen der Mädchen mit vermehrtem Eifer beanstandet? (Die »Damen« werden bei diesen Gelegenheiten nie ohne Anführungszeichen genannt, die Gefangenen von Schmöcken, Richtern, Verteidigern, Anklägern und allen Gutgesinnten auch noch in die Klammern des Hohns gesetzt. Am lieblichsten sind die Scherze der Anwälte, deren einer etwa fragt, ob »im Maison Wolfram eine doppelte Buchführung eingeführt« war.) Nein, die Perversität der normalen Geschlechtsmoral kann sich nicht drastischer offenbaren, als in diesem Spiegel offizieller Gehirnverlorenheit, die immer das Gegenteil von dem tut, was sie gerade tun sollte, in diesem Zerrbild einer Autorität, die in die Feuersbrunst rennt, um, ein tragischer Dummeraugust, mit dem Rufe »Alles gerettet!« zugrundezugehen.

Wo aber Konfusion ist, darf ein Gelehrter nicht fehlen. Im ›Neuen Wiener Tagblatt‹ ergreift der Professor Zeißl, Dermatologe an der Wiener Universität, das Wort. Um etwas Vernünftiges gegen die staatliche Begünstigung der Syphilis zu sagen? Nein, um über die Abnahme der Sittlichkeit zu klagen. Fern sei es von mir, einen Universitätsprofessor darüber belehren zu wollen, daß die beiden Übel – jenes, über dessen Vermehrung, und das andere, über dessen Abnahme er klagt – sich gewissermaßen gegenseitig bedingen. Herr Professor Zeißl ist Spezialist in Dingen der Moral, ich verstehe von der Behandlung der Syphilis überhaupt nichts, und somit wäre jeder Versuch einer Verständigung töricht. Nur eines möchte ich ihm zu bedenken geben. Kein Universitätsprofessor ist verpflichtet, deutsche und logisch geformte Sätze zu schreiben. Wenn er es aber nicht kann, so sollte er sich schon gar nicht dazu zwingen. Man könnte ein tüchtiger Mann in seinem Fach – ich meine jetzt ausnahmsweise die Heilung der Geschlechtskrankheiten – sein und müßte deshalb noch keinen Artikel über die Prostitution schreiben können, weil nämlich dazu leider zwei Voraussetzungen unerläßlich sind: daß man schreiben kann und daß man etwas von der Prostitution versteht. Die Schmierkur, die sich in der Therapie der Syphilis bewährt, sollte sich nicht im journalistischen Ehrgeiz eines Geschlechtsarztes erschöpfen. Herr Professor Zeißl macht ja zwischen fünfhundert Unsinnigkeiten hin und wieder einen ganz verständigen Vorschlag (z. B. daß die Steuereingänge der tolerierten Häuser zur Erhaltung von Spitälern für Geschlechtskranke verwendet werden sollen). Zum Schlusse aber gibt er doch die Hauptschuld an der Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten der Aufführung der »Rose Bernd« im Burgtheater und fragt, ob es nötig sei, »hysterischen Ekel wie Hedda Gabler oder Fräulein Julie auf die Bühne zu bringen«. Herr Professor Zeißl zählt nämlich diese Werke zur pornographischen Literatur, und die pornographische Literatur sei an der Unmoral und die Unmoral an der Syphilis schuld. Ferner hat bekanntlich die Forschung festgestellt, daß die Syphilis an der Gehirnerweichung schuld ist. Ob aber auch schon die bloße Beschäftigung mit der Syphilis so verheerende Folgen nach sich zieht, bleibt trotz der Darlegungen des Professors Zeißl zweifelhaft. Sie sind so konfus, daß man überhaupt keinen positiven Eindruck von ihnen empfängt und zum Schlusse nicht einmal weiß, ob das Theaterrepertoire die Prostitution erzeugt hat oder ob man sich die Syphilis von einer Betrachtung der Schaufenster unserer Buchhandlungen holt. (Oder am Ende doch eher von dem Anblick des Inseratenteils des ›Neuen Wiener Tagblatts‹!) Ein Arzt, der als Mittel gegen venerische Krankheiten die Moral empfiehlt, beklagt sich über die Heuchelei, mit der das Problem der Prostitution betrachtet wird. Ein Syphilidologe, der sich über die Moralheuchelei beklagt, begnügt sich damit, den Namen der Krankheit, die er ausrotten will, zu unterdrücken und läßt sich erst zum Schlusse seiner langen Ausführungen dazu hinreißen, ganz beiläufig den Lesern des Familienblattes für Kuppelannoncen zu verraten, welche »Infektionskrankheit« er eigentlich gemeint habe. Und ein Mann der Wissenschaft, der zugibt, daß ein Trinkgefäß und ein Rasiermesser die Syphilis übertragen, daß »unschuldige Geschöpfe, die nie mit Deklassierten in Berührung kamen«, daß vierjährige Kinder durch Zufall infiziert werden können, hält eine Erbauungspredigt gegen »Sittenlosigkeit« und »Libertinertum«, die in dem praktischen Vorschlag gipfelt, Bordelle gesetzlich zu tolerieren, sie aber »nicht in der Nähe von Schulen, Gasthäusern, Theatern oder anständigen Vergnügungslokalen« errichten zu lassen und den Bordellmädchen auf alle Fälle »das Kartenspiel und das Abhalten von Tanzunterhaltungen zu untersagen«; »Asyle für erkrankte Dirnen« zu errichten, in denen nicht nur physische, »sondern auch die moralische Gesundung angestrebt würde«, die »Einjährig-Freiwilligen über die Gefahren des Großstadtlebens gemeinverständlich aufzuklären« und vor allem, vor allem, Hedda Gabler vom Repertoire abzusetzen. Welch ein Dermatologe! Und er wurde noch am Tage, da diese Fülle fachlicher Erkenntnis vor den Zeitungslesern ausgebreitet wurde, von Herrn Silberer, dem um die Verbreitung der Sittlichkeit hochverdienten Besitzer des Annahofs, im niederösterreichischen Landtag gepriesen.

Nun hat's die Polizei schwarz auf weiß, daß der Geschlechtsverkehr an allem schuld ist, und nun geht's munter los gegen die »geheime Prostitution«. In keinem Bereich kommerzieller Betätigung schwätzt das Unverständnis der Unbeteiligten so dreist hinein wie in die Affären des Liebesmarkts. Nirgends wird der reelle Handel so sinnlos mit dem unreellen zusammengeworfen, nirgends das Interesse der Händler und Konsumenten weniger berücksichtigt und ausschließlicher das Interesse der zum Kauf oder Verkauf unfähigen Kreise des Publikums. Es gehört ja der ganze Optimismus der ärarischen Lebensfremdheit dazu, zu glauben, daß die vielen Beamtensgattinnen, die sich aus irgendeinem Grunde zu prostituieren wünschen und auf die natürlichste Art von der Welt die Gehaltsaufbesserung herbeiführen, die der Staat ihren Gatten verweigert, das »Büchl« nehmen, und daß die vielen Kupplerinnen, die Geheimräte bei sich empfangen, ihre weit und breit angesehenen Häuser in Bordelle verwandeln lassen werden. Und nichts ist so albern, nichts für die Autorität so gefährlich, wie jene Prozesse gegen kleine Gelegenheitsmacherinnen, die jetzt überhandnehmen. Sie müssen Manöver bleiben, weil ein Krieg gegen die Großfirmen bloß für die angreifende Beamtenschaft riskant wäre. Ich will hier nicht des Näheren begründen, warum ich von der Überzeugung tief durchdrungen bin, daß »die Sachs, die Weiß und die Schön«, daß jene geheimnisvolle Trias, die im letzten kriminellen Unfug berufen wurde, ihren Platz im staatlichen Leben viel besser und zur größeren Zufriedenheit des Publikums ausfüllt als etwa der Ministerpräsident, der Statthalter und der Polizeipräsident, und ihrem gemeinnützigen Beruf viel sachkundiger obliegt als etwa die Herren Benedikt, Singer und Vergani. Doch im Ernst muß gefragt werden, ob diese plötzliche Bedrohung harmloser alter Frauen, die gegen einen noch älteren Paragraphen verstoßen, aber den ältesten Geboten der Menschheit treulich gedient haben, überhaupt einen Sinn hat. Die einzige Vergehung der Kupplerinnen gegen ein öffentliches Interesse wäre die, daß sie an ihrer unentbehrlichen Tätigkeit mehr verdienen, als unbedingt notwendig ist. Oft genug habe ich's ausgesprochen, daß es die Tendenz der behördlichen Neugierde ist, sie auf eben diesen Weg zu drängen. Die Polizei hat die Riehl auf dem Gewissen. Nicht bloß, weil sie sie unmittelbar in ihren strafbaren Handlungen bestärkt hat. Nein, weil sie seinerzeit die solide Vermittlerin von Rendezvous williger und mündiger Menschen, mit der beide Parteien – die höchsten Staatsbeamten und die geachtetsten Ehefrauen bekennen es heute – zufrieden waren, gezwungen hat, ihr Gewerbe »anzumelden«, ein Bordell zu etablieren und sich der ihr oktroyierten unmenschlichen Hausordnung zu fügen. Nur das ›Extrablatt‹, dem seine schwachsinnige Rettermission den Kamm geschwellt, die Auflage erhöht, aber das Deutsch nicht verbessert hat, glaubt heute noch, daß » die moralische Schädigung derartiger Salons auf die Bevölkerung eine eminent große, eine größere noch ist, als es der Kleidersalon Riehl gewesen ist«. Welche Gefahr für eine kulturell hochstehende Bevölkerung, deren Analphabeten sogar in der Journalistik tätig sind, wenn die Frau A. sich entschließt, mit dem Herrn B. bei der Frau S. zusammenzutreffen und mit fünfzig Gulden im Portemonnaie wieder fortzugehen! Man lasse uns doch endlich mit diesen Kretinismen ungeschoren. Als ob die Dichter aufhörten, Gedichte zu schreiben, wenn man den Verlegern die Buden sperrte! Als ob nach dem Verkauf des Sofas der Ehebruch unmöglich wäre! Als ob die Handels- und Verkehrsform das Bedürfnis schüfe und nicht das Bedürfnis die Form. Und als ob nicht selbst der »Mädchenhandel« wie jeder andere Handel neben seinen Auswüchsen, die zu bekämpfen sind, seine reale Berechtigung hätte. Man klage die Kupplerinnen an, wenn sie mehr verdienen, und meinetwegen auch, wenn sie mehr lügen als unbedingt notwendig ist. Man schütze den Staatsbürger vor Übervorteilung und vor der Vorspiegelung falscher Tatsachen, vor den Mehrforderungen, die erhoben werden, wenn ihm ein Stubenmädel als die Tochter des Kaisers von Rußland vorgestellt wird. Aber man sperre ihm doch nicht eine der seltenen Gelegenheiten, sein pflichtenvolles Leben freudiger zu gestalten. Denn wenn der Staat auch noch so energisch gegen die Unmoral vorgeht, die eine Wahrheit wird sich nicht aus der Welt schaffen lassen: daß der beste Staatsbürger nicht immer nur ins Konskriptionsamt, nur ins Militärtaxsteueramt, und nur ins magistratische Bezirksamt gehen will, sondern manchmal auch zu einer Kupplerin.

Und daß vor allem jene hochgebornen Persönlichkeiten, die ihr Leben lieber dem Vergnügen opfern, als es in Verpflichtungen zu vergeuden, der Behörde nicht dafür dankbar sein werden, wenn sie sich von einem Schundblatt zu einer Aktion gegen die unentbehrlichen Mittlerinnen der Daseinsfreude wird aufhetzen lassen ... Sie wird nicht. Der junge Herr von der Staatsanwaltschaft hat zwar im letzten Prozeß außer der vorschriftsmäßigen Frage, ob auch Champagner getrunken wurde, die Bemerkung fallen lassen, die Behörde werde »in allen Fällen von Kuppelei, die ihr zur Kenntnis kommen, unnachsichtig vorgehen«. Aber er hat übertrieben. Er ist jung und weiß noch nicht, daß »die Sache« der Behörde mehr schaden kann, als die Behörde der Sache. Er achte auf seine Karriere! Schon erwachsenere Kriminalisten sind bei dem törichten Versuch, die Staatsnotwendigkeiten eines in beiden Reichshälften anerkannten Rendezvoushauses mit einem Strafparagraphen zu stören, gestrauchelt. Man wird sich hüten, die ungarischen Minister, die nach Wien kommen, zu verstimmen. Man wird sich aber auch hüten, die Empfindlichkeit cisleithanischer Gesellschaftskreise zu verletzen. Oder gar der Bequemlichkeit der englischen, spanischen, russischen, ägyptischen und serbischen Dynastien nahezutreten, für die Wien bisher immer noch einige Anziehungspunkte hatte. Man kann im Innern noch so viele Dummheiten machen, von einer Angelegenheit, die die äußere Politik streift, läßt man gerne die Hand. Aber hier ist die Warnung vor diplomatischen Verwicklungen überflüssig. Hier empfiehlt wirklich schon das österreichischeste Interesse die Beachtung des politischen Grundsatzes: Quieta non movere. Als letzthin die Angeklagte endlich die typische Anspielung auf die hochgeborne Wiener Kundschaft machte, erwiderte der Richter mit der typischen Bemerkung: »Lassen wir das!« Wäre aber die Anspielung glaubhaft, es wäre nie zur Verhandlung gekommen. Die Notorietät hoher Beziehungen macht eine Kupplerin immuner als den Beleidiger eines Thronfolgers das Abgeordnetenmandat, und es bedürfte im Ernstfall nicht einmal des Vorweises von Bestellbriefen, um einen Staatsanwalt in seiner Ruhe zu bestärken, dem man mit der Adresse hundertmal unter der Nase herumgefuchtelt hat. Den klassischen Schmerzensruf: »Dank vom Haus Österreich!« hat vorläufig noch keine treue Dienerin ihres Herrn ausstoßen müssen ... Es ist ja im höchsten Grade peinlich, zu sehen, wie bei uns selbst der Grundsatz, daß Allen gleiches Unrecht werde, an der Protektion zuschanden wird, und wie die staatliche Autorität sich immer wieder in einen Kampf engagiert, den ein unsichtbares Palladium zugunsten des Gegners entscheidet. Aber freuen wir uns, daß die Dummheit hierzulande wenigstens ein Korrektiv findet: die Korruption!


 << zurück weiter >>