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Die Geschwornen sprachen nicht per fas, aber mit Recht eine überwiesene Brandlegerin frei. Der Fall lag für den Psychologen ungemein einfach. Der faszinierende Einfluß einer männlichen Siegernatur – die blinde Ergebenheit einer zarten, neurotischen, wenn man will, »krankhaft veranlagten« Frauenseele. Zufällig kleiner Miedermacher und Verkäuferin. Nächstens Tenor, Bereiter oder Leutnant und Gräfin, Zofe oder Hausfrau; Christ und Jüdin, Jud und Christin. Diesmal hat die Siegernatur nach der Versicherungssumme verlangt, und die Frauenseele steckte das Geschäft in Brand. Aber auch Strindbergs Comtesse Julie hätte im Rausch der Johannisnacht dem Kammerdiener ihres Vaters auf Verlangen mehr als ihre Jungfräulichkeit geopfert. Beruf, politische Gesinnung und Konfession spielen in solch animalischem Verhältnis keine Rolle. So sollte man meinen – wenn man nicht in Österreich lebte, dem Lande, wo selbst das Allzumenschliche unter dem Gesichtswinkel der Parteiverblödung betrachtet wird. Wir unterscheiden nun eine liberale, eine antisemitische und eine sozialdemokratische Parteiverblödung. Die sozialdemokratische macht sich in einem Gerichtssaalbericht bemerkbar, in dem zehnmal hintereinander das Wort »Unternehmer« steht. Hier ist es der Unternehmer, der auch die Seele der Arbeiterin ausbeutet und diese zum Verbrechen treibt. Was sagt der antisemitische Gerichtssaalbericht? »Ein Opfer jüdischer Verführung.« Das arme Christenmädchen und der jüdische Lüstling. Mahnung für alle Christinnen, den Verkehr mit Juden zu meiden ... So hat denn der Liberalismus gebundene Marschroute. Er ist weder gegen den Unternehmer noch gegen den Juden. Aber er nimmt, wenn er die Wahl zwischen dem brutalen »Herrn der Schöpfung«, und möge er auch nur ein Überkommis sein, und der getretenen Frauenseele hat, immer für jenen Partei. Er verzeiht alles, er verzeiht Betrug und Wucher, nur sündige Liebe kann er nicht verzeihen. »Der Umstand, daß Marie Schuh freiwillig die Geliebte des Chefs war, entzieht ihr das Mitleid, auf das sie sonst im reichsten Maße Anspruch gehabt hätte.« Der freie Wille des Käthchens von Heilbronn, dem's niemand »geschafft« hat, dem Grafen Wetter nachzurennen, ist über allen Zweifel erhaben.
Bezirksgericht. Der Richter redet einer des Diebstahls angeklagten Frau ins Gewissen: Hab'n S' was g'stohl'n? – Angeklagte: I hab' nix g'stohl'n. – Richter: Wie kommen denn dann die fremden Sachen in Ihren Koffer? – Die Angeklagte erwidert, sie besitze einen Teil dieser Sachen schon seit zwei Jahren. Sie habe sie angeschafft, als sie mit einem Kinde niederkam. – Richter: Sie sind ja gar net verheiratet, wie kann ma denn da a Kind kriegen! – Angeklagte (kurz): Ledige Leute kriegen aa Kinder. – Richter: Ja, leider! Schamen S' Ihna!...
Daß in Theaterstücken – nicht nur auf Theatervorhängen – für Firmen Reklame gemacht wird, ist bekannt. Ich war einmal zugegen, als in einer Carltheaterpremière der Soubrette beim Auftreten von ihrem Partner ein Paprikabukett überreicht wurde, daß sie mit den Worten annahm: »Der Paprika-Schlesinger ist doch immer originell!« Daß Kaiserworte für die Reklamezwecke einer Firma appretiert werden, ist nicht weniger bekannt und schlimmer. Aber als eine Neuerung wird es jedenfalls begrüßt werden, daß von nun an auch Gerichtsurteile merkantile Empfehlungen enthalten sollen. In dem Prozeß, den neulich die Konfektionsfirma Rudolf Hoffmann & Co. gegen eine Schauspielerin geführt hat, wurde vom Zivillandesgericht ein Urteil gefällt, in dessen mündlicher Begründung der Vorsitzende – nach den Berichten der Tagesblätter – wörtlich ausführte: » Mit schwerem Herzen hat der Gerichtshof sich entschlossen, eine Firma wie die Klägerin, die so Bedeutendes leistet, mit ihren Ansprüchen abzuweisen ...« Dies stand in den Zeitungen. Entweder haben diese geglaubt, daß sie ein Gerichtsurteil, weil es im Namen Seiner Majestät des Kaisers gefällt wird, gegen Bezahlung genau so redigieren dürfen wie ein Kaiserwort: dann hätte sofort eine amtliche Berichtigung erscheinen müssen. Oder die Blätter haben, was hin und wieder vorkommen kann, wahrheitsgetreu berichtet: dann würde die Firma gut tun, in ihren Inseraten und auf ihren Geschäftskarten die richterliche Empfehlung abzudrucken. Dem Ansehen der Justiz wird's vielleicht nicht förderlich sein. Aber die Justiz hat sich ja längst selbst darauf verlegt, mehr ihr Aussehen als ihr Ansehen zu fördern. Der Talar muß die Würde machen. Frau Themis, wird man höchstens sagen, läßt jetzt bei Hoffmann arbeiten.