Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Hause Gugenzeil gab – wenn es auch nach außen nicht in die Erscheinung trat – die Mamsell den Ton an. Sie entlastete Frau Kaete von aller Hausarbeit – nicht nur, indem sie selbständig das Menü entwarf – auch dann, wenn Gäste geladen waren – auch über das Kommen und Gehen des Personals verfügte sie und nahm damit Frau Kaete viel Mühe und Arbeit ab.
Mit Herrn Gugenzeil verstand sie sich besonders. Seitdem sie alles Häusliche selbständig erledigte, war Frau Kaete immer guter Laune und quälte ihren Mann nicht mehr mit Dienstbotengeschichten. Und wenn er selbst mal einen Wunsch hatte – sei es, daß er über Wochenende ohne seine Frau verreisen oder seine Verwandten, die bei Frau Kaete nicht hoch im Kurse standen, bei sich sehen wollte, so bediente er sich der Fürsprache der Mamsell. Die sagte dann so nebenbei zu Frau Kaete:
»Ich verstehe den gnädigen Herrn nicht. Wenn ich Verwandte hätte, denen es nicht so gut geht wie mir, ich würde doppelt nett zu ihnen sein.«
»Sie haben ganz recht.«
»Gnädige Frau würden ihren Verwandten jedenfalls das Blaue vom Himmel herunterholen.«
»Selbstverständlich würde ich das. Aber Gott sei Dank steht ja meine Familie ja so da . . .«
»Ich weiß! Gnädige Frau hatten ja schon als gnädiges Fräulein ihr eigenes Auto.«
»Woher wissen Sie denn das?«
»Das wußte doch jedes Kind.« – Dabei hatte es ihr Frau Kaete schon ein paar dutzendmal erzählt. – »Es ist schon kein leerer Wahn, aus so gutem Hause zu stammen.«
»Wissen Sie, Mamsell, manchmal habe ich auch bei Ihnen den Eindruck, als ob Sie . . .«
»Sprechen wir nicht davon –« Und sie hatte recht, daß sie diesem Wunsche Ausdruck gab, denn ihr Vater war Streckenwärter gewesen. »Jedenfalls« – fuhr sie fort – »man weiß, was sich gehört.«
»Wieso? – Ach so, natürlich! – Aber was meinen Sie?«
»Ich nehme doch an, daß die gnädige Frau die Verwandten des gnädigen Herrn von sich aus einladen wird.«
»Das ist eine Idee! Ich werde ihn beschämen.«
»Überraschen!« verbesserte die Mamsell und ging vergnügt wieder an die Arbeit.
Und wenn Herr Gugenzeil dann des Abends, als er aus dem Büro kam, den Tisch für zwanzig Personen gedeckt sah und seine Frau fragte:
»Wer kommt denn? Muß ich mich umziehen?« – erwiderte sie:
»Aber nein! Es ist ja nur deine Familie.«
Herr Gugenzeil tat überrascht, küßte seine Frau und sagte:
»Wünsch dir was.«
Aber Frau Kaete erwiderte stolz:
»Ich werde doch aus dem Unglück deiner Familie nicht profitieren.«
»Ist es vielleicht kein Unglück, arm zu sein?«
Manchmal freilich stieß selbst die Mamsell bei Frau Kaete auf Widerspruch. So heute, als sie zu ihr sagte:
»Würde gnädige Frau zu dem Kinderfest zu Hildes Geburtstag nicht auch den jungen Krüger einladen?«
»Wie komme ich denn dazu?«
»Er ist doch an demselben Tag wie Fräulein Hilde geboren.«
»Wenn ich alle Kinder, die am 5. Januar geboren sind, einladen wollte, müßte ich die Philharmonie mieten.«
»Der kleine Krüger ist doch sozusagen in Ihrem Hause geboren.«
»Was soll denn der Friseurjunge unter den verwöhnten Kindern? Er fühlt sich da bestimmt ganz deplaciert.«
»Er soll die verwöhnten Kinder unterhalten. Er spielt Geige, Saxophon, tanzt, singt – er wird Stimmung machen.«
»Ach so! – Ja, das ist etwas anderes.«
»Er darf kommen?«
»Ja – aber ohne diese gräßliche Person« – sie stand vor dem Spiegel und befühlte ihr Haar – »das heißt, eigentlich hat sie mich besser frisiert als dieser Rudolf.«
»Vielleicht versuchen Sie es noch einmal mit ihr?«
»Nein! Nein! Dieser Rudolf erzählt so himmlische Geschichten. Von jeder Frau, die er bedient, weiß er etwas Besonderes.«
»Dann wird er womöglich auch von Ihnen . . .«
Frau Kaete erschrak: »Mamsell, da haben Sie recht! – Aber was kann er von mir schon erzählen? Ich amüsiere mich gern – nun gut! – Aber ich bin meinem Mann treu.«
»Muß denn alles wahr sein, was er erzählt? Er redet doch wahrscheinlich nur so viel, weil seine Damen es gern haben. Und wo nichts ist, da wird erfunden.«
»Dadurch wird man interessant. – Aber der Junge soll kommen. Wenn er die andern unterhält.«
Am selben Abend ging die Mamsell zu Frau Elsa Krüger, der sie das Ansinnen von damals längst vergessen hatte.
»Ich werde Ihren Richard protegieren«, sagte die Mamsell. »Wenn ich Herrn Gugenzeil darum bitte, bezahlt er seine Ausbildung – ohne, daß die Gnädige etwas davon erfährt.«
Frau Elsa hatte nichts dagegen. Auch, daß sie nicht mitdurfte, kränkte sie nicht. Die Mamsell wollte Richard, der wie die kleine Hilde Gugenzeil acht Jahre alt wurde, abholen. Aber Richard meinte:
»Was sollen denn die Mädel von mir denken? 'n Junge wie ich, geht allein.«
Und er zeigte auch keinerlei Scheu, als er mit seinen Instrumenten, im Matrosenanzug und blauem Mäntelchen die breite Treppe zu Gugenzeils hinaufstieg.
»Ich bin hier eingeladen«, sagte er –, und als er den Salon betrat, rief er betroffen:
»Das sind ja lauter Mädel.«
Frau Kaete beruhigte ihn:
»Es kommen auch noch Herren – sogar ältere als du.«
»Ist das auch wahr?«
»Wenn ich es sage. – Aber wolltest du nicht deine Instrumente mitbringen?«
»Die habe ich draußen abgestellt.«
Frau Kaete wies zur Tür, durch die jetzt drei kleine Gentlemen von acht, zehn und elf Jahren traten.
Richard ging ihnen entgegen und reichte ihnen die Hand. Die sahen ihn erstaunt an – und der älteste fragte:
»Wer bist du denn?«
»Ich heiße Richard Krüger und gehe in die dritte Klasse.«
»Wo wohnst du denn?«
»Hackescher Markt, 3. Quergebäude, vier Treppen.«
»Was ist denn dein Vater?«
»Der lebt nicht mehr.«
»Was war er denn?«
»Friseur.«
Die beiden älteren Knaben ließen ihn stehen. Der Achtjährige gab ihm die Hand und sagte:
»Friseur möchte ich auch werden. Ich darf Sonntags immer zusehen, wenn Papa rasiert wird.«
»Kommt doch, Jungens!« rief die kleine Hilde Gugenzeil, die ein blauseidenes Kleid mit Spitzen, seidene Strümpfe und Lackschuhe trug. »Wir wollen mit euch tanzen.«
Die Jungen traten an die Mädchen heran. Eine Jazzkapelle spielte. Die beiden älteren Jungen hatten ihre Weisheit über Richard Krüger bereits ausgeplaudert.
»Ich will mit dem Friseurjungen tanzen«, sagte ein geputztes kleines Mädchen, das auf den Namen Liselore hörte.
»Ich auch!« rief eine andere – und so kam es, daß sich alle um Richard drängten und ihn anstaunten.
Richard tanzte mit Liselore. Sein Rhythmus fiel selbst den Jazzern auf. Die Mädel standen an. Er tanzte der Reihe nach mit jeder.
»Das geht aber nicht«, sagte Frau Kaete, nahm ihre Tochter, die eben an der Reihe war, mit ihm zu tanzen, am Arm und führte sie zu einem der anderen Jungen. »So, tanz mit ihr.«
Aber keiner wollte tanzen, da sie fühlten, daß er sie als Tänzer ausstach. Infolgedessen ging Frau Kaete auf Richard zu, nahm ihn beiseite und sagte:
»Bitte tanz nicht mehr. Ich gebe dir dafür ein großes Stück Schokoladentorte mit nach Hause.«
»Aber mit mir muß er – nur einmal rum«, bettelte Hilde und nahm Richard bei der Hand. Frau Kaete konnte es nicht mehr verhindern, daß sie miteinander tanzten.
»Bei wem hast du Tanzstunde?« fragte Hilde.
»Bei Mutti – aber das meiste habe ich mir selber beigebracht.«
»Du tanzt besser als all die andern.«
»Du auch.«
»Schade, daß wir nicht öfters zusammen tanzen. Von dir könnte ich lernen.«
»Komm doch zu uns.«
»Das wäre schön.«
»Mit dem Autobus sieben fährst du bis vor unsere Tür.«
»Ich habe schon einmal mit so einem großen Autobus fahren wollen. Aber Mama sagt, da wird man geschupst und bestohlen.«
»Das schuckelt so fein. Ich habe mal gezählt, da waren achtundvierzig Menschen im Aboag.«
»Muß das schön sein. In unserem Auto ist nie jemand außer Mutti oder dem Kinderfräulein.«
»Ich möchte nicht immer so bewacht sein.«
»Nimm mich doch mal mit, wenn du wieder fährst.«
»Wenn ich nachher fortgehe, kannst du ja mitkommen.«
»Au fein.«
»Ich werde deine Mama fragen.«
»Die verbietet es. Es darf niemand sehen. Du mußt bis zuletzt bleiben. Dann gehe ich durch Mamsells Zimmer über den Hof.«
Frau Kaete trat auf das tanzende kleine Paar zu und sagte:
»Nun ist es aber genug.«
Als sie stehenblieben, merkten sie erst, daß außer ihnen niemand tanzte. Die Mädel standen im Kreise um sie herum und klatschten in die Hände, während die Knaben beiseite standen und Bemerkungen machten.
Ein Diener zog eine große Schiebetür auf und sagte:
»Es ist angerichtet.«
»Jeder Herr führt seine Dame«, rief Frau Kaete. Der Elfjährige verbeugte sich vor Hilde und reichte ihr den Arm. Die anderen sahen es ihm ab und machten es ebenso. Richard sagte zu einem Mädchen von neun Jahren.
»Willst du neben mir sitzen?«
»Du hast so 'ne schöne Schärpe.«
»Und du siehst aus wie unser Portierjunge.«
»Das freut mich sehr, daß ich dir nicht fremd vorkomme.«
»Matrosenanzüge sind doch ganz unmodern. Mein Bruder ist erst sieben – aber der würde meine Mutter schön jagen, wenn sie ihm mit einem Matrosenanzug käme.«
»Ich werde mir die Serviette vormachen, dann sieht man es nicht so.«
»Feine Herren legen die Serviette auf den Schoß.«
»Ist dein Bruder sehr fein?«
»Wir sind alle fein. Wir haben drei Autos und Gugenzeils nur zwei.«
»Ach!«
»Wenn ich zwölf Jahre bin, lerne ich fahren.«
»Du willst Chauffeur werden?«
»Gott bist du dumm! Jede schicke Frau fährt heute selbst.«
Herr Gugenzeil war erschienen. Er setzte sich neben Frau Kaete in die Mitte der Tafel. Es wurde Schokolade, Torten und Obst gereicht. Als Richard sein Stück Torte gegessen hatte, rief Frau Kaete ihm zu:
»Also, kleiner Herr Krüger, nun zeigen Sie uns mal, was Sie können.«
Der Diener brachte die Instrumente herein. Herr Gugenzeil hob Richard auf einen Tisch – und er spielte erst auf der Violine und dann auf dem Saxophon.
Besonders die Darbietung auf dem Saxophon, die er mit Gesang und Tanz begleitete, gefiel den Kindern. Sie bewegten die kleinen Körper im Rhythmus und sangen den Refrain munter mit. Als er fertig war, klatschten sie laut Beifall und riefen stürmisch:
»Noch einmal! – mehr davon.«
Richard erfüllte alle ihre Wünsche und war völlig erschöpft, als die kleine Gesellschaft endlich Ruhe gab. Jetzt hatte er auch die Jungen erobert, die sich darum rissen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Nur der Elfjährige hielt auch jetzt noch Distanz, trat an Richard heran und sagte:
»Was verlangen Sie für den Abend? So'n Klamauk ist ganz nett. Ich werde Sie meinen Eltern für ihre Gesellschaften empfehlen.«
»Dummer Junge!« erwiderte Hilde. »Richard spielt doch nicht für Geld, sondern zu seinem Vergnügen.«
»Auf einmal! wo seine Mutter Friseuse ist. Mutters Friseuse bekommt zu Weihnachten einen Teller mit Nüssen und Pfefferkuchen und, wenn es hoch kommt, zehn Mark und ein abgelegtes Kleid von Hanna, das für unser Fräulein nicht mehr gut genug ist.«
»Wenn ich noch größer bin als jetzt, verdiene ich so viel Geld, daß Mama überhaupt nicht mehr frisieren zu gehen braucht«, erwiderte Richard.
Herr Gugenzeil, der das alles mitangehört hatte, trat jetzt auf Richard zu, gab ihm die Hand und sagte:
»Ich danke dir, auch im Namen meiner Frau. Du hast deine Sache sehr gut gemacht.«
Richard machte einen Diener und sagte:
»Wenn es Ihnen gefallen hat, dann lassen Sie mir doch für Mutter ein Stück Torte mit Sahne einpacken.«
»Natürlich, mein Junge!« – Er half dem Diener einpacken und fuhr fort: »Und von nun ab sollt ihr an jedem Sonntag eine Torte haben.«
»Mit Sahne?«
»Selbstverständlich!«
Richard machte vor Freude einen Luftsprung – und Hilde, die die ganze Zeit über bewundernd vor Richard gestanden hatte, drückte ihrem Vater die Hand.
Der Elfjährige aber sagte zu seinen Freunden:
»Das ist doch auch nichts anderes als eine Bezahlung.«