Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Sie redete nicht, sondern ward nachdenkend und wechselsweise rot und blaß.

»Ich beunruhige dich, meine Schwester; der Oberste liebt dich. Diese Leidenschaft macht seine Schwermut; denn er zweifelt, ob er werde angenommen werden. Ich bekenne dir freimütig, daß ich wünschte, alle seine mir erwiesne Wohltaten durch dich zu vergelten. Aber wenn dein Herz darwider ist, so vergiß alles, was ich dir sagte.«

Das Fräulein bemühete sich einen Mut zu fassen; schwieg aber eine gute Weile; endlich fragte sie den Baron: »Bruder, ist es gewiß, daß der Oberste mich liebt?« Der Baron erklärte ihr hierauf alles, was er durch seine Unterredungen mit dem Obersten, und endlich durch die Wünsche, welche seine Gemahlin gehört hatte, von seiner Liebe wußte.

»Mein Bruder«, sprach Sophie, »ich bin freimütig, und du verdienst alle mein Vertrauen so sehr, daß ich nicht lange warten werde, dir zu sagen, daß der Oberste der einzige Mann auf Erden ist, dessen Gemahlin ich zu werden wünsche.«

»Der Unterschied der Geburt ist dir also nicht anstößig?«

»Gar nicht; sein edles Herz, seine Wissenschaft, und seine Freundschaft für dich ersetzen bei mir den Mangel der Ahnen.«

»Edelmütiges Mädchen! du machst mich glücklich durch deine Entschließung, liebste Sophie! – Aber warum batest du mich, dir nichts vom Heiraten zu sagen?«

»Weil ich fürchtete, du redetest von einem andern«, sagte sie, mit leisem Ton, indem ihr glühendes Gesicht auf der Schulter ihres Bruders lag –

Er umarmte sie, küßte ihre Hand; »diese Hand«, sagte er, »wird ein Segen für meinen Freund sein! Von mir wird er sie erhalten! Aber, mein Kind, die Mama und Charlotte werden dich bestreiten; wirst du standhaft bleiben?«

»Bruder, du sollst sehen, daß ich ein engländisches Herz habe. – Aber da ich alle deine Fragen beantwortete, so muß ich auch eine machen: Was dachtest du von meiner Traurigkeit, weil du mich so oft fragtest? –«

»Ich dachte, eine heimliche Liebe, und ich fürchtete mich vor dem Gegenstand, weil du so verborgen warest.«

»Mein Bruder glaubte also nicht, daß die Briefe seines Freundes, die er uns vorlas, und alles Übrige, was er von dem teuren Mann erzählte, einen Eindruck auf mein Herz machen könnte?«

»Liebe Sophie, es war also das Verdienst meines Freundes, was dich so beunruhigte? – Glücklicher Mann, den ein edles Mädchen wegen seiner Tugend liebt! – Gott segne meine Schwester für ihre Aufrichtigkeit! Nun kann ich das Herz meines Freundes von seinem nagenden Kummer heilen.«

»Tu alles, mein Bruder, was ihn befriedigen kann; nur schone meiner dabei! Du weißt, daß ein Mädchen nicht ungebeten lieben darf.«

»Sei ruhig, mein Kind; deine Ehre ist die meinige.«

Hier verließ er sie, ging zu seiner Gemahlin und teilte ihr das Vergnügen dieser Entdeckung mit. Sodann eilte er zum Obersten, welchen er traurig und ernsthaft fand. Mancherlei Unterredungen, die er anfing, wurden kurz beantwortet. Eine tödliche Unruhe war in allen seinen Gebärden. »Habe ich Sie gestört, Herr Oberster?« sagte der Baron mit der Stimme der zärtlichen Freundschaft eines jungen Mannes gegen seinen Führer, indem er den Obersten zugleich bei der Hand faßte.

»Ja, lieber Baron, Sie haben mich in der Entschließung gestört, auf einige Zeit wegzureisen.«

»Wegzureisen? und – allein?«

»Lieber P., ich bin in einer Gemütsverfassung, die meinen Umgang unangenehm macht; ich will sehen, was die Zerstreuung tun kann.«

»Mein bester Freund! darf ich nicht mehr in Ihr Herz sehen? Kann ich nichts zu Ihrer Ruhe beitragen?«

»Sie haben genug für mich getan! Sie sind die Freude meines Lebens. – Was mir itzt mangelt, muß die Klugheit und die Zeit bessern.«

»Sternheim, Sie sagten letzt von einer zu bekämpfenden Leidenschaft. – Ich kenne Sie; Ihr Herz kann keine unanständige, keine böse Leidenschaft nähren; es muß Liebe sein, was die Qual Ihrer Tage macht!«

»Niemals P., niemals sollen Sie wissen, was meinen itzigen Kummer verursacht.«

»Rechtschaffner Freund, ich will Sie nicht länger täuschen; ich kenne den Gegenstand Ihrer Liebe; Ihre Zärtlichkeit hat einen Zeugen gefunden; ich bin glücklich; Sie lieben meine Sophie!« Der Baron hielt den Obersten, der ganz außer sich war, umarmt; er wollte sich loswinden; es war ihm bange.

»P., was sagen Sie? Was wollen Sie von mir wissen?«

»Ich will wissen: ob die Hand meiner Schwester ein gewünschtes Glück für Sie wäre?«

»Unmöglich! denn es wäre für Sie alle ein Unglück.«

»Ich habe also Ihr Geständnis; aber wo soll das Unglück sein?«

»Ja, Sie haben mein Geständnis; Ihre Fräulein Schwester ist das erste Frauenzimmer, welches die beste Neigung meiner Seele hat; aber ich will sie überwinden; man soll Ihnen nicht vorwerfen, daß Sie Ihrer Freundschaft die schuldige Achtung für ihre Voreltern aufgeopfert haben. Fräulein Sophie soll durch mich keinen Anspruch an Glück und Vorzug verlieren. Schwören Sie mir, kein Wort mit ihr davon zu reden; oder Sie sehen mich heute zum letztenmal!«

»Sie denken edel, mein Freund; aber Sie sollen nicht ungerecht werden. Ihre Abreise würde nicht allein mich, sondern Sophien und meine Gemahlin betrüben. Sie sollen mein Bruder sein!«

»P., Sie martern mich mit diesem Zuspruch mehr, als mich die Unmöglichkeit marterte, die meinen Wünschen entgegen ist.«

»Freund! Sie haben die freiwillige, die zärtliche Zusage meiner Schwester – Sie haben die Wünsche meiner Gemahlin und die meinige. Wir haben alles bedacht, was Sie bedenken können – soll ich Sie bitten der Gemahl von Sophien von P. zu werden?«

»O Gott! wie hart beurteilen Sie mein Herz! Sie glauben also, daß es eigensinniger Stolz sei, der mich unschlüssig macht?«

»Ich antworte nichts, umarmen Sie mich, und nennen Sie mich Ihren Bruder! Morgen sollen Sie es sein! Sophie ist die Ihrige. Sehen Sie sie nicht als das Fräulein von P., sondern als ein liebenswürdiges und tugendhaftes Frauenzimmer an, dessen Besitz alle Ihre künftigen Tage beglücken wird; und nehmen Sie diesen Segen von der Hand Ihres treuen Freundes mit Vergnügen an!«

»Sophie mein? mit einer freiwilligen Zärtlichkeit mein? Es ist genug; Sie geben alles; ich kann nichts tun, als auf alles freiwillig entsagen!«

»Entsagen? – Nach der Versicherung, daß Sie geliebt sind? – O meine Schwester, wie übel bin ich mit deinem vortrefflichen Herzen umgegangen!«

»P., was sagen Sie! und wie können Sie mein Herz durch einen solchen Vorwurf zerreißen? Wenn Sie edelmütig sind: soll ich es nicht auch sein? Soll ich die Augen über die Mienen des benachbarten Adels zuschließen?«

»Sie sollen es, wenn die Frage von Ihrer Freude und Ihrem Glück ist.«

»Was wollen Sie dann, daß ich tun soll?«

»Daß Sie mich mit dem Auftrage zurückreisen lassen, mit meiner Mutter von meinem Wunsche zu sprechen, und daß Sie zu uns kommen wollen, wenn ich Ihnen ein Billet schicke.«

Der Oberste konnte nicht mehr reden; er umarmte den Baron. Dieser ging zurück, gerade zu seiner Frau Mutter, bei welcher die beiden Fräulein und seine Gemahlin waren. Er führte die ältere Fräulein in ihr Zimmer, weil er ihr den Bericht von seinem Besuch allein machen wollte, und bat sie, ihn eine Zeitlang bei der Frau Mutter und Charlotten zu lassen. Hier tat er einen förmlichen Antrag für seinen Freund. Die alte Dame wurde betroffen; er sah es , und sagte: »Teure Frau Mutter! alle Ihre Bedenklichkeiten sind gegründet. Der Adel soll durch adeliche Verbindungen fortgeführt werden. Aber die Tugenden des Sternheim sind die Grundlagen aller großen Familien gewesen. Man hatte nicht unrecht zu denken, daß große Eigenschaften der Seele bei Töchtern und Söhnen erblich sein könnten, und daß also jeder Vater für einen edlen Sohn eine edle Tochter suchen sollte. Auch wollt' ich der Einführung der Heiraten außer Stand nicht gerne das Wort reden. Aber hier ist ein besonderer Fall; ein Fall, der sehr selten erscheinen wird: Sternheims Verdienste, mit dem Charakter eines wirklichen Obersten, der schon als adelich anzusehen ist, rechtfertigen die Hoffnung, die ich ihm gemacht habe.«

»In Wahrheit, mein Sohn, ich habe Bedenklichkeiten. Aber der Mann hat meine ganze Hochachtung erworben. Ich würde ihn gern glücklich sehen.«

»Meine Gemahlin: was sagen Sie?«

»Daß bei einem Mann, wie dieser ist, eine gerechte Ausnahme zu machen sei. Ich werde ihn gerne Bruder nennen.«

»Ich nicht«, sagte Fräulein Charlotte.

»Warum, meine Liebe?«

»Weil diese schöne Verbindung auf Unkosten meines Glücks gemacht wird.«

»Wie das, Charlotte?«

»Wer wird denn unser Haus zu einer Vermählung suchen, wenn die ältere Tochter so verschleudert ist?«

»Verschleudert? Bei einem Mann von Tugend und Ehre, bei dem Freunde deines Bruders?«

»Vielleicht hast du noch einen Universitätsfreund von dieser Tugend, der sich um mich melden wird, um seiner aufkeimenden Ehre eine Stütze zu geben, und da wirst du auch Ursachen zu deiner Einwilligung bereit haben?«

»Charlotte, meine Tochter: was für eine Sprache?«

»Ich muß sie führen, weil in der ganzen Familie niemand auf mich und seine Voreltern denkt.«

»So, Charlotte! und wenn man an die Voreltern denkt; muß man den Bruder und einen edelmütigen Mann beleidigen?« sagte die junge Frau von P.

»Ich habe Ihre Ausnahme schon gehört, die Sie für den edelmütigen Mann machen. Andre Familien werden auch Ausnahmen haben, wenn ihr Sohn Charlotten zur Gemahlin haben wollte.«

»Charlotte, wer dich um Sternheims willen verläßt, ist deiner Hand und einer Verbindung mit mir nicht wert. Du siehst, daß ich auf die böse jüngere Schwester noch stolz bin, wenn ich schon die gute ältere an einen Universitätsfreund verschleudere.«

»Freilich muß die jüngere Schwester böse sein, wenn sie sich nicht zum Schuldenabtrag will gebrauchen lassen!«

»Wie unvernünftig boshaft meine Schwester sein kann! Du hast nichts von meinen Anträgen zu besorgen. Ich werde für niemand als einen Sternheim reden, und für diesen ist ein Gemütscharakter wie der deinige nicht edel genug, wenn du auch eine Fürstin wärest.«

»Gnädige Mama; Sie hören zu, wie ich wegen des elenden Kerls mißhandelt werde?«

»Du hast die Geduld deines Bruders mißbraucht. Kannst du deine Einwendungen nicht ruhiger vorbringen?«

Sie wollte eben reden; aber der Bruder fiel ihr ins Wort: »Charlotte, rede nicht mehr; der Ausdruck elender Kerl hat dir deinen Bruder genommen! Die Sachen meines Hauses gehen dich nichts mehr an. Dein Herz entehrt die Ahnen, auf deren Namen du stolz bist! O wie klein würde die Anzahl des Adels werden, wenn sich nur die dazu rechnen dürften, die ihre Ansprüche durch die Tugenden der edeln Seele des Stifters ihres Hauses beweisen könnten!«

»Lieber Sohn, werde nicht zu eifrig, es wäre würklich nicht gut, wenn unsre Töchter so leichte geneigt wären, außer Stand zu heiraten.«

»Das ist nicht zu befürchten. Es gibt selten eine Sophie, die einen Mann nur wegen seiner Klugheit und Großmut liebt.«

Fräulein Charlotte entfernte sich.

»Hast du aber nicht selbst einmal deine dir so lieben Engländer angeführt, welche die Heirat außer Stand den Töchtern viel weniger vergeben als den Söhnen, weil die Tochter ihren Namen aufgeben, und den von ihrem Manne tragen muß, folglich sich erniedriget?«

»Dies bleibt alles wahr, aber in England würde mein Freund tausendmal von diesem Grundsatz ausgenommen werden, und das Mädchen, das ihn liebte, würde den Ruhm eines edeldenkenden Frauenzimmers erhalten.«

»Ich sehe wohl, mein Sohn, daß diese Verbindung eine schon beschlossene Sache ist. Aber hast du auch überlegt, daß man sagen wird, du opferst deine Schwester einer übertriebnen Freundschaft auf, und ich handle als Stiefmutter, da ich meine Einwilligung gebe?«

»Liebe Mama! lassen Sie es immer geschehen, unser Beweggrund wird uns beruhigen, und das Glück meiner Schwester wird, neben den Verdiensten meines Freundes, allen so deutlich in die Augen glänzen, daß man aufhören wird, übel zu denken.«

Hierauf wurde Fräulein Sophie von ihrem Bruder geholt. Sie warf sich ihrer Frau Mutter zu Füßen; die gute Dame umarmte sie: »Liebe Fräulein Tochter«, sprach sie, »Ihr Bruder hat mich versichert, daß dieses Band nach Ihren Wünschen wäre, sonst hätte ich nicht eingewilliget. Es ist wahr, es fehlt dem Manne nichts als eine edle Geburt. Aber, Gott segne Sie beide!«

Indessen war der Baron fort, er holte den Obersten, welcher halb außer sich in das Zimmer trat, aber gleich zu der alten Dame ging, ihr mit gebognem Knie die Hände küßte, und mit männlichem Anstand sagte:

»Gnädige Frau! glauben Sie immer, daß ich Ihre Einwilligung als eine herablassende Güte ansehe; bleiben Sie aber auch versichert, daß ich dieser Güte niemals unwürdig sein werde.«

Sie war so liebreich zu sagen: »Es erfreuet mich, Herr Oberster, daß Ihre Verdienste in meinem Hause eine Belohnung gefunden haben.« Er küßte hierauf die Hände der Gemahlin seines Freundes; »wie viel Dank und Verehrung«, rief er aus, »bin ich der großmütigen Vorsprecherin der Angelegenheiten meines Herzens schuldig!«

»Nichts, Herr Oberster! ich bin stolz, zu dem Glück Ihres Herzens etwas beizutragen; Ihre brüderliche Freundschaft soll meine Belohnung sein.«

Er wollte mit seinem Freunde reden; aber dieser wies ihn an Fräulein Sophie. Bei dieser kniete er stillschweigend, und endlich sprach der edle Mann: »Gnädiges Fräulein! mein Herz ist zu Verehrung der Tugend geboren; wie was es möglich, eine vortreffliche Seele wie die Ihrige mit allen äußerlichen Annehmlichkeiten begleitet zu sehen, ohne daß meine Empfindungen lebhaft genug wurden, Wünsche zu machen? Ich hätte diese Wünsche erstickt; aber die treue Freundschaft Ihres Bruders hat mir Mut gegeben, um Ihre Zuneigung zu bitten. Sie haben mich nicht verworfen. Gott belohne Ihr liebreiches Herz, und lasse mich die Tugend niemals verlieren, die mir Ihre Achtung erworben hat!«

Fräulein Sophie antwortete nur mit einer Verbeugung, und reichte ihm die Hand mit dem Zeichen aufzustehen; darauf näherte sich der Baron, und führte beide an seinen Händen zu seiner Frau Mutter.

»Gnädige Mama«, sagte er, »die Natur hat Ihnen an mir einen Sohn gegeben, von welchem Sie auf das vollkommenste geehrt und geliebt werden; das Schicksal gibt Ihnen an meinem Freunde einen zweiten Sohn, der aller Ihrer Achtung und Güte würdig ist. – Sie haben oft gewünscht, daß unsre Sophie glücklich sein möge. Ihre Verbindung mit dem geistvollen rechtschaffnen Mann wird diesen mütterlichen Wunsch erfüllen. Legen Sie ihre Hand auf die Hände Ihrer Kinder; ich weiß, daß der mütterliche Segen ihren Herzen heilig und schätzbar ist.«

Die Dame legte ihre Hand auf, und sagte. »Meine Kinder! wenn Euch Gott so viel Gutes und Vergnügen schenkt, als ich von ihm für Euch erbitten werde, so wird Euch nichts mangeln.« Und nun umarmte der Baron den Obersten als seinen Bruder, und auch die glückliche Braut, welcher er für die Gesinnungen, die sie gegen seinen Freund bezeugt hatte, zärtlich dankte. Der Oberste speiste mit ihnen. Fräulein Charlotte kam nicht zur Tafel. Die Trauung geschah ohne vieles Gepränge. Etliche Tage nach der Hochzeit schrieb...


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