Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Seymour an Doktor T.

Zween Monate sind's, seit ich Ihnen schrieb; seit ich, von Zweifel und Argwohn gemartert, mich von aller Gesellschaft enthielte, und mich endlich durch einen übelverstandenen Eifer für die Tugend zu dem elendesten Geschöpfe auf der Erde machte. Oh, wär ich es allein, ich würde mich glücklich dabei achten; aber ich habe die beste, die edelste Seele zu einem Entschluß der Verzweiflung gebracht; ich bin die Ursache des Verderbens meines angebeteten Fräuleins von Sternheim. Kein Mensch kann mir was von ihrem Schicksal sagen; aber mein Herz sagt mir, daß sie unglücklich ist. Dieser Gedanke frißt das Herz, in welchem er sich ernährt. Aber ich sage Ihnen unbegreifliche Dinge; ich muß mich verständlich machen; Sie wissen, wie mißvergnügt ich von dem Feste des Grafen F. zurückkam, und daß ich von diesem Augenblick mich aller Gesellschaft entäußerte. Meine Liebe war verwundet, aber nicht getötet; ich dachte, sie würde durch Verachtung und Fliehen geheilt werden; ich wollte sogar nichts von dem Fräulein reden hören; als endlich mein Oheim meine Leidenschaften auf einmal zu löschen glaubte, da er mir die Nachricht gab: daß auf das Geburtsfest des Fürsten ein Maskenball angestellt wäre; daß der Fürst die Maske des Fräuleins tragen würde, und sie Kleidung und Schmuck von ihm bekomme. Ich könnte also schließen, daß sie sich aufgeopfert habe; sie hätte schon vorher Gnaden von ihm erbeten, und alles erhalten, was sie verlangt habe; der Fürst käme abends in den Garten des Grafen Löbau, allein von seinem Liebling begleitet usw. – Mein Oheim erreichte seinen Zweck; die Sorge meiner Liebe verlor sich mit meiner Hochachtung, und mit der Hoffnung, die ich immer blindlings behalten hatte. Aber gleichgültig war ich noch nicht; meine Seele war durch das Andenken ihres Geistes und ihrer Tugend gekränkt. »Wie glücklich, o Gott, wie glücklich hätte sie mich machen können (rief ich) wenn sie ihrer Erziehung und ihrer ersten Anlage getreu geblieben wäre!« Ohne Erinnerung und Bestrafung wollt' ich sie nicht lassen, und der Maskenball dünkte mich ganz bequem zu meinem Vorhaben. Ich machte eine doppelte Maske. In der ersten wollt' ich mich noch von allem überzeugen, was mir von der Vergessenheit ihres Werts und ihrer Pflichten gesagt worden war. Sie kam von allen Grazien begleitet in den Saal; sie trug den Schmuck, welchen der Hofjuwelierer dem Lord gewiesen hatte. Sie war so niederträchtig gefällig, ihre schöne Stimme hören zu lassen und ihn nebst der Gesellschaft zur Freude aufzumuntern. Hätte ich Kräfte gehabt, sie ihrer reizenden Gestalt und aller ihrer Talenten zu berauben, ich würd' es in diesem Augenblick getan haben. Leichter wär' es mir gewesen, sie elend, häßlich, ja gar tot zu sehen, als Zeuge ihrer moralischen Zernichtung zu sein. Der tiefste Schmerz war in meiner Seele, als ich sie singen hörte, und mit dem Fürsten und mit andern Menuette tanzen sah. Aber als er sie um den Leib faßte, an seine Brust drückte, und den sittenlosen, frechen Wirbeltanz der Deutschen mit einer aller Wohlstandsbande zerreißenden Vertraulichkeit an ihrer Seite daherhüpfte – da wurde meine stille Betrübnis in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte in meine zwote Maske, näherte mich ihrer darin, und machte ihr bittere und heftige Vorwürfe über ihre Frechheit, sich mit so vieler Lustigkeit in ihrem schändlichen Putz zu zeigen. Ich setzte hinzu: daß alle Welt sie verachtete, sie, die man angebetet habe – Meine erste Anrede brachte das vollkommenste Erstaunen in ihr hervor; sie konnte nichts sagen, als ihre Hand gegen die Brust heben, »ich – ich« stotterte sie, mit der andern wollte sie mich haschen. Aber ich Elender entfloh, ohne auf die Würkung achten zu wollen, die meine Rede machen würde. Nach Hause eilte ich, ließ mir sechs Postpferde vor meine Chaise geben, nahm meinen alten Dik mit, und fuhr sechs Tage ohne zu wissen, wohin; bis ich endlich in einem Dorfe liegen bleiben mußte, wo ich Diken auf das äußerste verbot, jemanden Nachricht von mir zu geben. Mein Gemütszustand ist nicht zu beschreiben; gefühllos, geistlos war ich, mißvergnügt, unruhig und dennoch versagt' ich mir die einzige Hülfe, die meine Leiden erforderten – Nachrichten von D. zu haben. Dieser unselige Eigensinn legte den Grund zu der tiefen Traurigkeit, die mich bis an mein Ende begleiten wird. Denn während ich das stumme Wüten meiner unüberwindlichen Liebe in dem äußersten Winkel eines einsamen Dorfes verbarg, um die ersten Triumphtage des Fürsten vorbeirauschen zu lassen, hatte das Fräulein den edelsten Widerstand gemacht, hatte aus Kummer beinahe das Leben verloren, und war endlich aus dem Hause ihres Oheims entwichen, weil man sie nicht auf ihre Güter gehen lassen wollte. Einen Monat nach diesem Vorgang kam ich abgezehrt und finster zurück; Mylord empfing mich mit väterlicher Zuneigung; er sagte mir alle Sorgen, die ich ihm verursacht hätte, auch daß er auf den Gedanken geraten sei, ich möchte das Fräulein entführt haben.

»Wollte Gott, Sie hätten mir's erlaubt«, rief ich; »ich wäre nicht so elend. Aber reden Sie mir nicht mehr von ihr.«

Er umarmte mich und sagte:

»Lieber Carl, du mußt doch hören, was geschehen ist. Sie war doch edel, tugendhaft, alles, was uns zu ihrem Nachteil gesagt wurde, war Betrug, und sie ist entflohen.«

Meine Begierde, alles zu wissen, war nun so groß, als vorher meine Sorge darüber gewesen war.

Das Fräulein soll geglaubt haben, ihre Tante hätte ihren Schmuck neu fassen lassen, und lehnte ihn ihr zum Ball; die Kleider habe sie ihrem Kaufmann schuldig zu sein geglaubt; ihr Singen wäre eine gezwungene Gefälligkeit gewesen, und sie hätte in einem Brief an den Fürsten eine weiße Maske gesegnet, die ihr alle Bosheiten entdeckt habe, welche ihren Ruhm zernichtet hätten.

»O Mylord«, rief ich; »diese weiße Maske war ich; ich habe mit ihr gesprochen, und ihr Vorwürfe gemacht; aber gleich nach dieser Unterhaltung eilt' ich fort.« Er fuhr fort mir zu erzählen: das Fräulein hätte noch auf dem Ball dem Fürsten seinen Schmuck vor die Füße geworfen, und wäre in der äußersten Beängstigung nach Haus gefahren; sie wäre aber acht Tage sehr krank gelegen, und hätte keinen Menschen vor sich gelassen. Bei ihrer Wiederherstellung hätte sie auf ihre Güter zu gehen verlangt, ihr Oncle aber hätte sie nicht gehen lassen, und acht Tage darauf, als man dem Prinzen von P. zu Ehren bei Hofe Lustbarkeiten angestellt, sei sie mit ihrer Kammerjungfer verschwunden. Der Graf und die Gräfin Löbau, die bis morgens bei dem Ball gewesen, und ihre Leute, welche auch nicht früh munter geworden, hätten nicht an das Fräulein gedacht, bis nachmittags, da man die Tafel für den Grafen gedeckt hatte, man erst angefangen, das Fräulein und ihr Mädchen zu vermissen; aber als man ihre Zimmer aufgesprengt, an ihrer Statt bloß Briefe gefunden habe, einen an den Fürsten, einen an Mylord C. und einen an ihren Oheim, dem sie noch ein Verzeichnis angeschlossen von den Kleidern, die sie an den Pfarrer geschickt habe, um sie zu verkaufen, und das Geld den Armen des Kirchspiels zu geben. Ihrem Oheim hätte sie kurz, aber mit vieler Würde und Rührung von den Klagen gesprochen, die sie über ihn und seine Frau zu führen habe, und von den Ursachen, warum sie sich von ihnen entferne, und sich in den Schutz eines Gemahls begebe, den sie sich gewählt hätte, und mit welchem sie als seine vermählte Frau aus ihrem Hause gehe, um sich nach Florenz zum Grafen R. zu begeben, woher sie wieder Nachricht von ihr erhalten sollten; indessen überlasse sie ihm auf drei Jahre den Genuß aller Einkünfte ihrer Güter, um damit die Beendigung seines Rechtshandels zu betreiben, die er auf eine so niederträchtige Art durch die Aufopferung ihrer Ehre zu erhalten gesucht hätte; es wäre ein Geschenk, welches sie seinen zweenen Söhnen machte, und wodurch sie mehr Segen erhalten würden als durch den Entwurf ihres Untergangs. Dem Fürsten hätte sie geschrieben: sie fliehe an der Hand eines edelmütigen und würdigen Gemahls vor den Verfolgungen seiner verhaßten und entehrenden Leidenschaft; sie habe inzwischen ihrem Oncle die Einkünfte von ihren Gütern auf drei Jahre überlassen, hoffe aber nach Verfluß dieser Zeit sie von der Gerechtigkeit des Landesfürsten wieder zurückzuerlangen; gegen Mylord aber hätte sie sich erklärt: daß sie seinen Geist und seinen Gemütscharakter jederzeit verehrt, und gewünscht habe, einigen Anteil an seiner Achtung zu haben; es wäre sehr wahrscheinlich, daß die Umstände, in welche man sie gestellt, ihre Gemütsart mit einem so starken Nebel umhüllet hätten, daß er sich keinen richtigen Begriff davon habe machen können; sie versichere ihn aber, daß sie seiner Hochachtung niemals unwürdig gewesen, und seine harte nachteilige Beurteilung nicht verdient habe; und dieses möchte er auch seinen Neffen Seymour lesen lassen; Löbau sei nach dieser Entdeckung zum Fürsten geeilt, der darüber ins größte Erstaunen geraten, und aller Orten habe nachschicken wollen; aber Graf F. hätte es mißraten, und es wäre allein ein Kurier an den Grafen R. nach Florenz abgeschickt worden, von wannen man aber bis itzt keine Nachricht von dem Fräulein erhalten habe.

Solange die Erzählung von Mylord dauerte, schienen alle Triebfedern meiner Seele zurückgehalten zu sein; aber als er aufhörte, kamen sie in volle Bewegung. Er mußte meine bittersten Klagen über seine Politik hören, durch die er mich verhindert hatte, mich mit dem edelsten Herzen zu verbinden. Ihre großmütige Wohltätigkeit an ihrem Oncle, diese edle Rache für seine abscheuliche Beleidigung, ihr Andenken an die Arme; und an mich, bei dem sie gerechtfertigt zu sein suchte; wie viele Risse in mein Herz! Wie verhaßt wurde mir D., wie viele Mühe hatte ich, die Ausdrücke meines Zorns zu verbergen, wenn ich ihre Feinde sah, oder wenn mir jemand von ihr reden wollte! Denn der herzhafte Schritt, welchen sie zu ihrer Rettung gemacht, wurde von jedermann getadelt, alle ihre vortrefflichen Eigenschaften verkleinert, und ihr Fehler und Lächerlichkeiten angedichtet, deren sie gänzlich unfähig war. Wie elend, aber auch wie allgemein ist das Vergnügen, Fehler am Verdienst aufzuspähen! Tausend Herzen sind eher bereit, sich zu der Bosheit zu erniedrigen, an einer vortrefflichen Person die Gebrechen der Menschheit zu entdecken, als eines zu finden ist, das die edle Billigkeit hat, einem andern den größten Anteil an Kenntnissen und Tugend einzugestehen, und ihn aufrichtig zu verehren.

Ich schickte einen Kurier nach Florenz, und schrieb dem Grafen R. die Geschichte seiner würdigen Nichte. Aus der Antwort, so ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringste von ihrem Aufenthalte wisse. Alle Bemühungen, welche er bis itzt angewandt, sie auszuspähen; sind vergeblich gewesen; – und alles dies vergrößert die Vorwürfe, die ich mir wegen meiner übereilten Abreise von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? – Wenn man bessern will, ist es genug, bittere Verweise zu geben? – Mein ganzes Herz würde sich empören, wenn ich einen Kranken schlagen oder mißhandeln sähe: und ich gab einer Person, die ich liebte, die ich für verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ich sah sie als eine freiwillig weggeworfene meiner Achtung unwürdige Kreatur an, und dünkte mich berechtiget, ihr auch so zu begegnen. Wie grausam war meine Eigenliebe gegen das liebenswerte Mädchen! Erst wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis sie sich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphierenden Tugend gezeigt haben würde. Sie ging ihren eigenen schönen Weg, und weil sie meinen idealischen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, sie darüber auf das empfindlichste zu bestrafen. Wir beurteilten und verdammten sie alle; aber sie – wie edel, wie groß wird sie, in dem Augenblick, da ich sie für erniedrigt hielt! Sie segnete in der weißen Maske mich wütenden Menschen, der sie an den Rand eines frühen Grabes gestoßen hatte – Oh, was kann sie itzt von dem Geschöpfe sagen, durch dessen Unbesonnenheit sie in eine übereilte und gewiß unglückliche Ehe gestürzt wurde, die sie schon bereut, und nicht wieder brechen kann. Sie schrieb meinen Namen noch, sie wollte, daß ich Gutes von ihr glauben soll! O Sternheim, selbst in deinem von mir verursachten Elende würde deine großmütige, unschuldige Seele die Marter meines Herzens beweinen, wenn du darin das Bild meiner ersten Hoffnungen mit allen Schmerzen der Selbstberaubung vereinigt sehen würdest!

Derby ist nach einer Abwesenheit von acht Wochen wieder von einer Reise nach H. zurückgekommen, und bewies mir eine ganz besondere Achtsamkeit; ich goß allen meinen zärtlichen Kummer bei ihm aus; er belachte mich, und behauptete, daß er mit dem Ruf seiner Bosheit viel weniger schädlich sei, als ich es durch diesen Tugendeifer gewesen; seine Bosheit führe eine Art von Verwarnung bei sich, die alle Menschen vorsichtig machen könne. Die Strenge meiner Grundsätze hätte mir eine Grausamkeit gegen die anscheinenden, und unvermeidlichen Fehler der Menschen gegeben, welche die Widerspenstigkeit der Bösen vermehre, und die guten Leute zur Verzweiflung bringe. Wie kömmt Derby zu diesem Anspruch der Wahrheit? Ich fühlte, ja ich fühlte, daß er recht hatte, daß ich grausam war, daß ich es war, ich – Elender! der die Beste ihres Geschlechts unglücklich gemacht!

O mein Freund, mein Lehrer, das Maß meines Verdrusses ist voll; alle Stunden meines Lebens sind vergiftet. John, unser Sekretär, ist zwei Tage vor der Flucht des Fräuleins abgereiset, und seitdem nicht mehr gekommen. Die Kammerjungfer des Fräuleins war einmal bei ihm, und unter seinen Papieren hat man ein zerrissenes Blatt gefunden, wo mit der Hand meiner Sternheim geschrieben stund »- ich gehe in alle Ursachen ein, die Sie wegen der Verborgenheit unserer Verbindung angeben; sorgen Sie nur für unsere Trauung; denn ohnvermählt werd ich nicht fortgehen, ob ich gleich die Verbindung mit einem Engländer allen andern vorziehe –«

So ist sie also das Eigentum eines der verwerflichsten Menschen aller Nationen geworden! Oh – ich verfluche den Tag, wo ich sie sah, wo ich die sympathetische Seele in ihr fand! – Und, ewig verdamme Gott den Bösewicht, dem sie sich in die Arme warf! Was für Ränke muß der Kerl gebraucht haben! Es ist nicht anders möglich, der Kummer hat ihren Verstand zerrüttet. Aber die Briefe, die sie zurückließ, sind in einem so wohltätigen, so edlem Ton, und mit so vielem Geiste geschrieben! Doch dünkt mich einst gelesen zu haben, daß just in einer Zerrüttung der künstlichen und gelernten Bewegung des Verstandes die Triebfedern an den Tag kämen, durch welche er von unsern natürlichen und vorzüglichen Neigungen gebraucht wird. Urteilen Sie also von dem edlen Grund des Charakters unsers Fräuleins. –


 << zurück weiter >>