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11

Seit diesem Tage ging ein weher Riß durch die Herzen zweier Menschenkinder. Sie hoben die Arme und ließen die Arme wieder sinken. Sie sahen sich, und sie sahen sich doch nicht. Sie waren aus dem Licht heraus und gingen durch Finsternis, und als Hermann Verheyen ihr eines Tages begegnete und sie ansprechen wollte, sagte sie ruhig: »Es hat keinen Zweck mehr. Wir wollen Freunde bleiben, herzinnige Freunde ... aber das ist auch alles. Ich bitte dich innigst: komme nicht wieder. Versuche es nicht, alte Tage wieder lebendig zu machen. Es würde dir doch nicht gelingen. Mein Vater hat recht, und möglich, dein Vater hat auch recht. Es würde zu weit führen, dir das auseinanderzusetzen. Außerdem: Du weißt ja selber, um was es sich handelt. Ich bin klar mit mir selber. Wir müssen uns trennen. Es ist schon besser so, sonst könnte ein Unglück geschehn. Ich will meine Ruhe nicht mit der tödlichen Unruhe meines Vaters erkaufen. Ich könnte keine stillen Tage mehr haben. Verzeih mir, Hermann, daß ich also spreche, aber ich kann nicht anders.«

Die Straße war belebt, als sie sich sahen.

»Und du hast mir nichts mehr zu sagen?« fragte er in dumpfer Beklemmung. Das Entsetzen sah ihm dabei über die Schulter.

»Nein – ich habe dir nichts mehr zu sagen.«

Die Leute drängten näher heran.

Da wußte er: Du hast keine gute Stunde gefunden. Es ist alles vergebens, und er ging seines Weges.

So schieden sie – zwei arme Menschen, bis auf den Tod verwundet und von sich selber verlassen.

Die Pitt Pulcher und die Jakob Verheyen! Unbarmherzig waren diese Männer zwischen das Geschick ihrer Kinder getreten – unbarmherzig jeder auf seine Art, zwei harte Steine, die sich wechselseitig zerrieben, unbekümmert darum, was zwischen ihnen zermalmte und zermalmen mußte. Sie sahen sich kaum noch, und wenn sie es taten, so brachten sie lediglich städtische und kirchliche Interessen zusammen, beide als Vertreter des Gemeinderates und des Kirchenvorstandes, beide in sich geschlossene Menschen und beide darauf bedacht, nicht um die Breite eines Fußes von ihrem vermeintlichen Recht oder Unrecht zu lassen.

Der Unfriede zwischen ihnen wurde immer tiefer und heftiger. Die Leute steckten die Köpfe zusammen; der Bürgermeister versuchte es, manche Unebenheiten aus dem Wege zu räumen. Der Dechant Heinrich van Egern hatte Worte der Liebe und der Versöhnung. Es blieb alles vergebens, und trotz der Versicherung, wenigstens eine übertünchte Freundschaft bestehen zu lassen – Pitt Pulcher war in dieser Beziehung nicht mehr Herr über sich selbst. Die Demütigung war zu ungeheuerlich, und je schmerzlicher sie sich im Laufe der Tage einfraß, um so selbstgefälliger wuchs sein Stolz in Bast und Borke hinein und machte ihn ungerecht gegen sich selbst und gegen seine Mitmenschen.

Nur einer freute sich und fühlte seine Pläne in Halm und Ähre schießen, und das war Franz Seegers auf seinem breithingelagerten Anwesen.

Er lachte allmorgens sein herzlichstes Lachen, und wenn er lachte, dann tönte es wie das Geknatter einer Fuhrmannspeitsche über den weitläufigen Hof hin. Von der Scheune kam das Echo zurück. Es lief über die Wiesen und verlor sich erst bei den beiden Flurparzellen, die unmittelbar an die Mühle und die sonstigen Liegenschaften Jakob Verheyens stießen. Mit selbstgefälligem Schmunzeln überzeugte er sich täglich von dem rüstigen Fortgang der Arbeit. Wie aus der Erde gestampft, also wuchsen die Reihen der Guanoschuppen und die Ziegelmauern der Dampfmühle in den blauen Himmel hinein. Ebenso schoben die beiden knallroten Schornsteine ihren schlanken Leib immer mehr über die sparrigen Kronen der Pappeln fort, die sich dicht an die neue Grenze herandrängten. Sie gingen ihrer Vollendung entgegen.

»Wenn die erst in Brand und Rauch stehn,« meinte Franz Seegers eines Tages zum Bauherrn, »Gottverdomie noch mal! – dann haben wir gewonnenes Spiel,« und als ihn hierauf Jakob Verheyen von der Seite ansah und ihn fragte: »Seegers, jetzt kommen bald die Maschinen, kannst du noch zehntausend Taler vorstrecken? Langt's noch?« – da schlug' sich dieser auf die Hosentasche, daß die losen Geldstücke drin aufklapperten: »Wo meine Tochter allein fünfundneunzigtausend preußische Kronentaler prestiert, ohne das liegende Eigen und sonst was, und da nicht langen, mein Junge? Wo ich im schieren Hafer ersticke und die Mäuse auswandern, weil sie sich sonst an meinem fetten Weizen den Magen verkolken, da sollten mich zehntausend lumpige Taler molestieren? Zwanzigtausend, wenn's verlangt wird. Nur – Hypothek drauf – der Ordnung wegen – und daher ...«

Die breite Bauernhand streckte sich aus, und die Jakob Verheyens schlug so laut hinein, daß es einen fröhlichen Knall gab.

»Also abgemacht!«

»Abgemacht,« und damit gingen die beiden einträchtiglich zur Mühle, woselbst der Besitzer es sich nicht nehmen ließ, etliche Bouteillen ›Langkork‹ zum besten zu geben, während die Zimmerleute damit beschäftigt waren, die Balken zu richten und die Dachsparren aufzunageln. Gespanne, mit Ziegelsteinen beladen, fuhren ab und zu, das ›Hü und Hott‹ der Fuhrleute hallte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein. So ging das Woche um Woche; es gab keine Tageszeit, wo auf dem Bauplatz nicht gelärmt und gearbeitet wurde. Und die Schuppen dehnten sich wohlig und freuten sich auf die kommenden Guanosäcke, und die Dampfmühle nahm zu an Höhe und Umfang und wurde nicht müde, die vorgeschossenen und hypothekarisch sichergestellten zehntausend Speziestaler zu schlucken, langsam und mit allem Behagen; aber nach Monatsfrist sperrte sie wieder das Maul auf, machte bedrohliche Anstalten und schien willens zu sein, noch einmal die gleiche Portion zu verschlingen.

Da merkte Jakob Verheyen auf.

Was war das nur?

Eisig lief es ihm den Rücken herunter, obgleich der Sonnenball rot am Himmel lag und noch immer eine infernalische Hitze verausgabte.

Verheyen hielt es im Hause nicht aus. Hier wehte ihm Kellerluft entgegen. Er mußte hinaus, er mußte auf den Umgang der Mühle, wo noch die Kalkwände des riesigen Kolosses eine behagliche Wärme ausstrahlten.

Fünf Minuten später stand er zwischen Himmel und Erde, fröstelnd und zitternd, und umgriff das Holzgeländer mit kalten Fingern.

Wollten ihm die Verhältnisse über den Kopf wachsen? – ihm, Jakob Verheyen, der es gewohnt war, Dinge und Menschen nach seiner eigenen Pfeife tanzen zu lassen. Hatte er sie nicht mehr fest in der Hand und entglitschten sie ihm, als wären sie mit Seife bestrichen?

Gestern sah das noch anders aus.

Ja, gestern!

Aber heute ... heute, da stierte es ihm mit scheußlichen Grimassen aus seinen Büchern entgegen. ›Soll und Haben‹ entfernten sich immer weiter voneinander; aber das ›Haben‹ hatte kurze Beine und jagte mit heraushängender Zunge hinter dem ›Soll‹ her, das wie ein Windhund vorausstürmte – über die Äcker, über die Gräben, bis es als kleines Pünktchen am tiefen Horizont verschwinden wollte.

»Himmel, Donnerwetter, haltet das ›Soll‹ auf!«

Mit fiebrigen Augen stierte Jakob Verheyen in die Landschaft, wo die Spitzen der Bäume flammten und die Wiesen mit roten Teppichen bedeckt waren. Blutiger Goldschaum rieselte von den Flügeln, die sich langsam im heißen Abendwind bewegten.

Nein, er konnte nicht warm werden.

Mit Bleigewichten hing es von seinen Schultern herunter. Er beugte sich vor und sah in die Tiefe, direkt auf den Bauplatz, wo die Handwerker und Gespanne eben Feierabend machten.

Tausende und aber tausende fraßen die Ziegelsteine, die Maschinen, die Dächer, und immer neue Lasten mußten aufgenommen werden, um den Riesenbau über Wasser zu halten.

Auf den Firsten des neuen Maschinenhauses war ein ohrbetäubendes Lärmen.

Ungezählte Dohlen fielen dort ein.

Wollten diese grindigen Vögel schon sein Unglück beschreien?

Er traute seinen Ohren nicht.

Er glaubte, ein bedrohliches Krachen und Brechen zu hören, erst aus weiter Ferne, ungewiß und verschwommen, dann deutlicher, dann aus unmittelbarer Nähe. Es klang zu ihm wie das dumpfe Schollern von frischgeworfenen Erdklumpen gegen einen Sargdeckel.

Er fuhr sich über die Augen. Schwarz- und rotfleckige Kringel tanzten dort auf und nieder.

Er sah es: die verfluchten Hypotheken waren schon dabei, ihm die Dachsparren einzudrücken.

Er mußte sich mit aller Kraft am Geländer halten, um nicht niederzubrechen.

»Tag, Jakob!« – und eine schwere Bauernhand legte sich ihm fest auf die Schulter.

Franz Seegers war dicht an seine Seite getreten.

»Also hier!« sagte er kurzab. »Du amüsierst dir wohl über deine kolossalen Erfolge? Das geht ja per Dampf. Glückspilz, verfluchter! Nicht lange mehr, und die preußischen Taler werden dir scheffelweise in die Mühle getragen. Gratuliere, Verheyen.«

Der Überraschte sah ihn mit leeren Augen an.

»Zum Kuckuck, was hast du nur, Jakob?«

»Schlecht steht's, und deine pompösen Redensarten machen die Sache nicht besser.«

»Wieso nicht?«

»Ich glaube, ich breche unter den Hypotheken zusammen.«

»Aber ich bitte dir, Jakob ...!«

»Gegen Tatsachen ist miserabel anjappen. Heute morgen war der Bauführer hier und hat mir die Augen geöffnet.«

»Wenn weiter nichts ist,« lachte Seegers, »so mache dir man bloß keine Sorgen. Ich bin doch kein Dränger und Drücker.«

»Schon richtig, und ich danke dir für die vorgeschossenen zehntausend Taler. Vierzigtausend habe ich selber hineingesteckt, macht also fünfzigtausend zusammen. Aber das langt nicht. Wenigstens zehn- bis fünfzehntausend sind noch aufzunehmen, um die Maschinen unter Dampf und Atem zu bringen.«

»Ist das alles?« fragte Seegers, und seine verschlagenen Äugelchen leuchteten so fidel aus dem gesunden Bordeauxgesicht heraus, als seien sie gewillt, alle Welt glücklich zu machen.

Da reckte sich Jakob Verheyen auf. Zentnerlasten fielen ihm von der Seele herunter.

»Mensch, du willst noch?«

»Aber natürlich, denn ich habe von jeher die Ansicht vertreten: man darf seinen besten Freund nicht in der Unbequemlichkeit lassen. Ich und du, Jakob, wir gehören zusammen.«

»Die Sache ist also perfekt?«

Jakob Verheyen hielt ihm die Hand hin. Sein Herz hätte in den köstlichen Abendhimmel hineinfliegen können, so leicht und wohlig war es ihm mit einem Male geworden.

»Meintswegen ...!« und fünf kräftige Finger umspannten die seinen. »Aber, Jakob, nur unter einer Bedingung.«

»Was heißt das?«

Franz Seegers lachte, daß die Dohlenvögel mit heiserem Gekrächze von den frischgerichteten Dächern aufflatterten. Dann rieb er sich vergnüglich die Hände: »Das heißt: nur unter einer Bedingung, wie ich eben schon sagte.«

»Und diese Bedingung ...?«

Der Niederungsbauer zeigte ins Weite.

»Sieh mal, Jakob,« und der breite Zeigefinger fuhr den Horizont ab, »von dort an beginnt Seegersscher Acker – aber was für einer ...! Wo meine Kollegen sich mit Metzen zufriedengeben, wird bei mir mit gestrichenen Scheffeln gerechnet. Die Kühe ersaufen bei mir im Gras, und der Boden wird nur durch 'nen schottischen Schwingpflug gebrochen, so kernig und mächtig ist er, genau so wie 'ne geräucherte Schweinespeckseite. Das kann nicht jeder von seinem liegenden Eigen behaupten. Bitte, laß mir ausreden, Jakob. Das hab' ich dir schon früher gesagt, damals, als Frau Pulcher mit Tod abging und das verfluchte Sterbeläuten mir das Wort aus den Zähnen nahm. Damals bist du mir in die Parade gefahren ... Heute geschieht es nicht mehr, denn geschieht es noch einmal, wird meine Hypothek unruhig, und für die neuangeforderten zehn- bis fünfzehntausend Speziestaler bin ich nicht mehr zu haben, denn meine Tochter will es nicht anders ...«

»Nun?« fragte Verheyen.

»Jakob, ich will nur dein Bestes.«

»So scheint mir.«

»Und daher, um allen Fisimatenten den Nacken umzudrehen: Hermann muß der Webermamsell aus der Hand gespielt werden.«

»Das ist schon besorgt.«

»Um so besser,« meinte Seegers, »und dann noch ... auch das ist 'ne alte Geschichte.«

»Was für 'ne Geschichte?«

»Erinnere dich, Jakob. Hab' ich nicht damals gesagt: Schmeißen wir unsere Kartoffeln zusammen? Aber auch damals kam die verfluchte Sterbeglocke dazwischen. Heute hält sie das Maul, ist stumm wie 'n modriger Karpfen und kann mich nicht stören, wenn ich dir frage: Sind Hermann und Thres nicht füreinander geschaffen? Wenn ja – mein Acker ist dein Acker, meine Speziestaler sind deine Speziestaler. Wir tun eben zusammen.«

»Das also ist deine Bedingung?«

»Ja, und drum bedenke dir, Jakob. Ich kann warten und warte zu unserm beiderseitigen Vorteil.«

Er wandte sich ab und sah in die weite Gegend, die sich bis an den ruhig dahinfließenden Rheinstrom erstreckte.

Jakob Verheyen sah die Türen des Glückes sperrangelweit geöffnet. Er erinnerte sich genau des Tages, an dem Franz Seegers schon ähnlich gesprochen hatte. Der Mann kam ihm auch heute wieder gelegen, und trotzdem ... damals hatte er Überwasser und jetzt Unterwasser. Damals konnte er geben, heute mußte er nehmen, und er gedachte der Bibelworte und sagte vor sich hin: »Und der Satan führte ihn auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und sprach zu ihm: Dies, alles will ich dir schenken, wenn du niederfällst und mich anbetest.« – Damals hob er die Hand, und heute hob er sie wieder ... Er würfelte um das Herz seines Sohnes, aber er würfelte auch um Sein oder Nichtsein. Es gab keine Bedenkzeit, denn Seegers drehte sich um ...

Wie der ihn ansah!

Das Wasser stieg ihm bis an den Hals.

»Na?!« fragte der Mann im blauen Leinwandkittel.

»Ja. ich will.«

»Und sprichst noch heute mit Hermann?«

»Ja, ich spreche noch heute mit Hermann.«

»Schön, und klappt die Sache, gehn wir morgen zum Notar, um die ganze Geschichte unter Streusand zu bringen.«

»Soll geschehn,« sagte Jakob Verheyen; aber das Wort fiel ihm wie ein schwerer Stein von den Lippen.

»Na, denn adjüs, und ich sage dir, Jakob, ich komme mir vor wie 'n brabantischer Gaul, der nur schieren Hafer gefressen hat.«

Damit ging er.

Jakob Verheyen blieb allein auf dem Umgang.

Die Flügel hielten mit ihrem Wuchteln inne. Die mächtige Eichenwelle knarrte noch einige Male aus der Höhe herunter, dann verstummte auch sie.

»Ah!« machte der Einsame, »König und Bettelmann in gleichem Atem!«

Mit klopfendem Herzen sah er den Versucher durch die Niederung schreiten.

Das Land dunkelte ein. Nur die Kappe seiner gigantischen Mühle stand noch in Brunst und Brand als hätte sie sich einen feurigen Kardinalshut über die Ohren gezogen.

Seine Blicke hafteten an der zuckenden Lohe.

Das war seine Mühle, seine prächtige Mühle ... Noch war sie es, und sie leuchtete wie eine Freudenfackel gen Himmel. Aber wenn Hermann nicht wollte ... wenn sein einziger Sohn die eingefädelten Pläne nicht verwirklichen würde ... dann, ja dann ... Heute mußte die Entscheidung fallen ... entweder oder ... entweder die Glorie blieb – oder sie wurde die Totenfackel für all seine Arbeit und all seine Hoffnungen.

»König oder Bettelmann!« knirschte er zwischen den Zähnen und begab sich nach unten.

Als er sein Haus betrat, brannte die Lampe bereits auf der Schreibkommode. Im Nebenzimmer stand der Tisch gedeckt. Auch hier glitt ein sanfter Lichtschein über die Tafel.

Er setzte sich gleich bei seinen Bauplänen nieder, lief die Rechnungen durch, verglich die Zeichnungen und revidierte Seite für Seite auf einen etwaigen Fehler. Aber alles hatte seine Richtigkeit, seine infame Richtigkeit. Die Zahlen redeten eine trostlose, aber ehrliche Sprache. Da gab es kein Deuteln mehr, kein Hinhalten mehr, kein Drehen und Wenden. Jetzt erkannte er: seine Projekte waren ins Uferlose gegangen. Ein Rückwärts gab es nicht mehr, aber um vorwärts zu kommen, das konnte nur noch Franz Seegers bewerkstelligen. Das war das Fazit seines langen Sinnens und Zählens.

Er klappte das Hauptbuch zu.

Unruhig schritt er über die seufzenden Dielen.

So mochte er eine Viertelstunde gegangen sein, als Hermann ins Zimmer trat.

Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick, um dann wie scheue Hunde aneinander vorbeizustreichen.

Schweigend setzten sich die beiden Männer zu Tisch. Eine Magd trug die Speisen auf. Wortlos würgten sie die einzelnen Bissen herunter.

Plötzlich legte der Alte Gabel und Messer beiseite.

»Du kommst vom Bau?« fragte er mit erkünstelter Ruhe.

»Ja, ich komme vom Bau. Morgen, so Gott will, wird die erste Maschine montiert.«

»Und du glaubst an ein glückliches Ende? Ich meine, wir können getrosten Mutes Dampf aufmachen?«

»Warum nicht? Alle Vorbereitungen sind in promptester Weise abgeschlossen. Für gutes Geld wird auch gute Ware geliefert. Ich bin mit den Lieferanten zufrieden.«

»Schon möglich; aber hat dir der Bauführer keine Andeutungen gemacht?«

»Nein.«

»Ich meine, hat er nicht durchblicken lassen: hier ist Nachfütterung nötig?«

»Daß ich nicht wüßte.«

»Er wird seinen Grund dafür haben.«

»Was für 'nen Grund denn?«

»Weil er bei dir kein Interesse voraussetzt.«

»Das Neueste, was ich höre, wo ich doch abends aufs Bett falle, als hätte ich tagsüber hundert Kornsäcke in die Kammer getragen! Was wollen denn sonst hier die Schwielen bedeuten?«

Mit glühendem Kopf sprang er auf und hielt seinem Vater die umgekehrten Hände entgegen: »Die reden doch eine deutliche Sprache.«

»Die reden von früher. Heute hat sich das geändert.«

»Nein.«

»Jawohl, es ist anders geworden. Zugegeben: du stehst auf dem Bau – du tust deine Arbeit – du siehst nach dem Rechten – du packst selber mit zu ... alles zugegeben, alles zugegeben ... aber die Hauptsache fehlt: du hörst nicht und siehst nicht. Du hörst nicht, wie's in den neuen Sparren knackt, und siehst nicht, wie die Fundamente ins Stolpern geraten, schon Tage um Tage und Wochen um Wochen – und daher: ich habe mit dir ein Wörtchen zu sprechen.«

»Ich bitte darum.«

Jakob Verheyen erhob sich.

»Sieh mal, Hermann,« sagte er mit scheinbarer Gelassenheit, »wie die Dinge nun einmal liegen ... so geht das nicht weiter. Was früher war ... ja, Hermann, ich bin mit dir zufrieden gewesen, und das da, was du mit von der Spellner Heide gebracht hast, das einfache Ding mit dem gelben Band, das spricht noch heute mit mir und redet zu mir und schiebt mir das Gefühl des Stolzes unter die Weste. Das muß nun einmal gesagt sein, denn du hast deinen Mann gestanden vor Gott und deinem Kaiser und König. Das läßt sich nicht fortwischen und ist nicht in den Schornstein gezeichnet. Das haben dir die Menschen zugute geschrieben, und das hab' ich dir zugute geschrieben. Du könntest mit 'nem klirrenden Schritt durch die Stadt gehn; aber gehst du mit 'nem klirrenden Schritt durch die Stadt? Das ist dein gutes Recht, das steht dir zu, das ist deine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Aber ich warte und warte, und der klirrende Schritt will nicht kommen. Hermann ...« und der Alte nahm die Hand seines Sohnes, »Hermann, du hast eben deinen inneren Menschen verloren.«

»Ja, Vater, ich habe meinen inneren Menschen verloren.«

»So nimm ihn dir wieder.«

»Den kannst du mir nur geben.«

»Ich?«

»Ja, du.«

Ihre Blicke wichen sich nicht mehr aus, zogen sich an und suchten sich wechselseitig in die innerste Seele zu dringen. Etwas Unausgesprochenes lag zwischen ihnen, reckte sich auf, wurde drohend und wollte seine Betätigung haben. Wochen hindurch hatte es geruht, war niedergehalten durch die Scheu, eine unliebsame Stunde heraufzubeschwören und sie aneinander zu bringen. Aber jetzt war diese Stunde gekommen, und Vater und Sohn standen sich gegenüber, Stirn gegen Stirn und Auge in Auge, gewillt, dem Unausgesprochenen die Zunge zu lösen und sie reden zu lassen. Eine solche Stunde steht da mit gläsernen Blicken und hört nicht und sieht nicht und weiß nicht, ob ihr nicht die nächste Minute den Verstand von den Schläfen wischt. Eine solche Stunde ist nicht mehr Herr über sich selber.

»Also – ich?« fragte Jakob Verheyen mit heiserer Stimme und gab die Hand seines Sohnes frei.

»Ja, du ...»

»Wo ich schon glaubte, du würdest erscheinen und sagen: Es ist alles nichts, ich habe mich anders besonnen ... ich habe mir die Daumen in die Augen gedrückt, um meine eigene Torheit nicht mehr zu sehen ... ich will, wie der Vater will ... ja, ich will ... ich will aus freien Stücken diesem Weibsbild entsagen ...«

»Du ...!«

Hermann verfärbte sich.

»Wenn du damit Anna Pulcher meinen solltest ...« knirschte er tonlos.

»Ja, ich meine Anna Pulcher damit.«

»So sag' ich dir ...«

»Die Sache ist fertig.«

Hermann prallte zurück. In seiner jungen Brust war Sturm. Er packte die Lehne eines Stuhles: »Nein, Vater, die Sache ist nicht fertig, und würde mir die Sprache genommen – das, was ich zu sagen habe, ich würde es niederlegen, Buchstabe für Buchstabe und Wort für Wort und dir das Geschriebene vor Augen halten, denn es muß endlich klar werden zwischen uns beiden. Du sagst ja selber: so geht das nicht weiter. Nein, so geht das nicht weiter ... und drum sage ich dir: als ich in der Batterie war, damals, auf der Spellner Heide – eine stand hinter mir ... und als dann das Unglück passierte – eine stand hinter mir ... und als ich dann zurückwollte und der moralische Schweinehund mir im Rücken saß – sie blieb, wo sie war und rückte und regte sich nicht ... Ihre Blicke aber ... Da packte ich zu und tat, was ich mußte. Aber nicht ich tat's, sondern die hat's getan – sie, die hinter mir stand und das Blut von vielen jungen Menschen hinwegnahm. Und die ist in deinen Augen ein Weibsbild ...?!«

»Das war nicht so gemeint ...«

»Lasse mich ausreden, Vater,« und der junge Verheyen bäumte sich auf. Seine Hände legten sich wie Klammern um die Stuhllehne. »Jedenfalls hast du von ›Weibsbild‹ gesprochen ... Früher erschienst du mir wie mit einem Heiligenschein. Ich glaubte an dich, ich verehrte dich; du warst mir der Inbegriff alles Hohen und Rechtlichen. Ich betete zu dir, wie man in der Kirche zum Sakrament betet. Ich dachte mir immer: du mußt wie dein Vater werden, und wenn du wie dein Vater geworden bist, so kann es dir nur gut gehn auf Erden. Dieser Glaube ist von mir gewichen. Ich sehe den Heiligenschein nicht mehr – keiner sieht ihn mehr – auch Anna nicht, denn du hast ihr Glück und meins auseinandergerissen.«

»Knüpfe die Fetzen anderswo an, dann ist uns beiden geholfen.«

»Wo sie hinter mir steht und einen Fluch für dich auf den Lippen hat ...?!«

»Hermann!« schrie Jakob Verheyen und streckte die Arme. Mit roher Gewalt bog er die Schultern seines Sohnes zurück. Das Gelbe in seinen Augen verstärkte sich wieder. »Und weißt du, wer jetzt hinter mir steht? Das Entsetzen steht hinter mir und dreht mir den Kopf ins Genick, den Kopf des Bankrottmachers ... Mensch, du willst doch kein abgekartetes Spiel mit mir treiben? Soll ich etwa an deiner Liebe und den Pulchers verbluten? Sollen die Menschen mit Fingern auf mich zeigen und sagen: Seine Mühle steht still, seine Segel klatschen nicht mehr, die Hypotheken brechen die Sparren entzwei und drücken ihm den Bettelstab zwischen die Finger? Hermann« – und seine Stimme nahm einen schmerzlichen Ton an; Tränen waren dazwischen – »halte die krachenden Dächer, nimm mir den Bettelstab aus der Hand, dreh' mir den Kopf aus dem Genick – den Kopf des Lumpen ...«

Mit einem dumpfen Laut ließ er die Schultern seines Sohnes frei und warf sich zwischen die Stuhllehnen. Der Tisch gab ihm Halt. Sein Kopf sank nach vorn. So saß er lange, ohne Bewegung, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen.

Hermann trat näher. Sein Gesicht war aschgrau geworden.

»Aber, Vater, was bedeutet das alles?« fragte er fahrig. Das Entsetzen lähmte ihm die Zunge.

Der Alte reckte sich wieder.

»Das bedeutet ...« sagte er ruhig. »Da hinten nach der Wisselwarder Scheid zu liegt Franz Seegers sein Anwesen. Da schlagen die Roggen- und Weizenfelder mannshoch übereinander. Da lärmen die Elstervögel, und bei ihrem Lärm schaufelt er die Kronentaler zusammen. Malter bei Malter; gestrichen voll. Scheffel bei Scheffel; auch gestrichen voll. Du brauchst nur die Hände zu strecken und ein Wörtchen mit ihm und seiner Tochter zu reden. Der Mann will schon und die Tochter will auch. Da auf dem fetten Hof ist Neuland für uns beide zusammen. Bringe mir die Tochter ins Haus, und die verfluchten Hypotheken springen mir nicht mehr wie bissige Ratten an den Hals – hier an den Hals – hier an den Hals ...!«

Er fuhr in die Höhe: »Ich ersticke ... Hermann, halte mir die ekelhaften Biester vom Leibe!«

Seine Faust schlug krachend auf den Tisch, daß Teller und Gläser gegeneinander klapperten.

»Halte mir die ekelhaften Biester vom Halse ... die Ratten, die Ratten ...!«

Sein Gesicht stand dicht vor dem seines Sohnes.

»Du verstehst mich doch, Hermann? Ja, du mußt mich verstehen, sonst wird meine Ehre und alles, was ich bin und habe, auf den Kirchhof gefahren. So komme doch heraus mit der Sprache. Mensch, ist denn dein Mundwerk vernagelt? Du siehst ja selber: das mit Franz Seegers und seiner Tochter und dir, das ist ja die einzige Planke, auf der ich noch stehe. Du willst doch nicht die Mühle anhalten und mir die Not auf den Leib hetzen? Du willst mir doch nicht die Planke unter den Füßen fortreißen? Oder solltest du wollen ...?«

Wieder nahm er die Hand seines Sohnes: »Oder soll ich dir eine andere Geschichte erzählen, um dir Anna Pulcher aus den Fingern zu spielen? Dann geht mein Heiligenschein ganz in die Brüche. Aber ich will nicht erzählen. Ich will nur meinen Frieden mit dir. Ich will keine Pleite. Die steht nicht zu meiner Visage. Wahrhaftig in Gott nicht. Hermann ...!« – und eine eiserne Ruhe kam über den Alten. In sich gefestet, zog er die letzten Schlüsse aus seiner gegenwärtigen Lage. Mochte es so oder so gehn, er wußte, was er zu tun hatte. Das stand auch in seinen Zügen geschrieben, in seinen Augen, die aufleuchteten, als wäre ein Messer in ihnen lebendig geworden, die eindunkelten, als wären die Schatten des Todes darüber gefallen. Sein Denken war nur auf ein Endziel gerichtet, und dieses Endziel gab ihm entweder Luft und Ellenbogenfreiheit zurück, oder aber es wurde zum Tier, um ihm das Herz aus dem Leibe zu fressen. Egal, was kam, aber es mußte etwas kommen, und das heute oder morgen ... am besten in jetziger Stunde, in dieser Minute ...

»Hermann, hier stehe ich, und dort sind die Pulchers – und weiter da drüben, da wartet eine auf dich, um dir und mir das Malör vom Leibe zu halten. Tu, was du willst. Dort mußt du dir das Weib erbetteln, hier fliegt es dir willig in die Arme hinein. Dort sperrt dir der Alte die Tür, hier wirst du empfangen, wie es sich gebührt für einen Sohn von Jakob Verheyen. Also, tu, was du willst. Aber schlägst du in die verkehrte Kerbe hinein, dann wisse auch: zwischen den Korn- und Mehlsäcken liegen handfeste Stricke. Einer ist drunter, der hält doppelt und dreifach, und – so wahr mir Gott helfe! – Hermann, den habe ich nötig.«

Er wurde immer gefaßter. Langsam kroch sein Auge in das seines Sohnes, der neben ihm stand, als würde ihm seine Jugend Stück für Stück vom Leibe getrennt, als bräche hinter ihm alles zusammen, was er sich mühselig aufgebaut hatte.

»Hermann, ich habe meinen Heiligenschein verloren, wie du sagst, aber eins habe ich nicht verloren: meinen eisernen Willen. Der mahlt wie zwei Mühlensteine, selbst auf die Gefahr hin, eine verfluchte Dummheit zu machen. Und daher: entweder – oder, mein Junge. Entweder du gehst zu Franz Seegers und läßt mir die Planke unter den Füßen, oder: ich habe das lumpige Brett nicht mehr nötig. Dann aber« – und seine Stimme nahm den Ton eines Verzweifelten an, dem nichts weiter übrigblieb, als sein Heil über Bord zu suchen – »dann bitte ich mir einen letzten Liebesdienst aus. Es ist wahrhaftig der letzte. Einen anderen Appell gibt es nicht mehr zwischen Vater und Sohn. Hermann, dann geh' nach oben. Drei Treppen hoch, wo die Welle in den Lagern rappelt, dort gehe hin. Aber ohne Zeugen. Was da zu besorgen ist, braucht keiner zu wissen. Du wirst schon allein damit fertig. Da findest du mich. Nur Mut, mein Junge – und schneide mich von der Flügelwelle herunter. Vorher jedoch sieh mir ins Gesicht, damit du gewahr wirst, wie ein Mann aussieht, dem der Bankrott die Schlinge um den Hals gelegt hat. Nein, Hermann, ich habe das lumpige Brett nicht mehr nötig.«

Er sprach nicht mehr. Er lallte nur noch. Die letzten Worte kamen ihm wie ein wehes Stöhnen von den Lippen herunter. Er tastete rücklings; er fiel in den Sessel zurück, als wäre ihm alles Mark aus den Knochen genommen, als befände er sich jetzt schon unter der Flügelwelle und ließe einen hänfenen Strick langsam durch die kalten Finger gleiten.

»Nein, Hermann, ich habe das lumpige Brett nicht mehr nötig.«

Sein Kopf sank tiefer. Es war ihm so, als fielen graue Tücher über ihn her, als fielen sie immer dichter und dichter, als hüllten sie ihn ein, als erstickten sie ihn ... Mit Aufbietung all seiner Kräfte streifte er die entsetzlichen Tücher beiseite und versuchte es, seinen Körper zu heben.

»Hermann ...!« sagte er schaudernd und schüttelte enttäuscht den Kopf.

Niemand war bei ihm.

Er war allein in der Stube. Nur die Nacht gähnte hinein, eine lange und bange Nacht, die keine Träume hatte, tot und still war und mit leisem Seufzen in den Windruten der großen Flügel spielte. Wie ein dunkles Kreuz ragten diese in den nächtigen Himmel hinein. – – –

Zwei Tage später biß Hermann Verheyen die Zähne zusammen. Er ging durch die üppigen Wiesen, in denen das Seegerssche Gut wie in einer sanftgewellten Dünung ruhte. Neben ihm zog sich das träge Wasser eines langgestreckten Kolkes, dessen aufsteigende Blasen mit sammetweichem Gurgeln zerplatzten.

Er war wie im Fieber. Obgleich er durch blühende Wiesen ging, schien es ihm doch, als rieselte Sand unter seinen Füßen. Nur langsam kam er weiter. Das Gehen wurde ihm schwer. Hinter ihm verloren sich die Fußspuren. Wie sie, also verloren sich auch die vergangenen Tage, die Erinnerungen, die Stunden der Freude. Die gelben Kelche der Wucherblume waren ihm Totenlämpchen. Aus der Ferne klang eine Sense herüber. Ihr Ruf wurde immer aufdringlicher, genau so wie damals auf der Deichkrone. Er schien in die Unendlichkeit weiterzuklingen. Dann tauchte er in unmittelbarer Nähe auf, und dennoch gewahrte Hermann den einsamen Menschen nicht, der die Sense regierte.

Ein Frösteln fiel über ihn her.

Er umgriff die Rettungsmedaille.

Die warme Mittagssonne spiegelte sich in dem blanken Metall.

Er spürte den ehernen Glanz. Brennend ruhte er auf seinem Herzen und erinnerte ihn an einen großen Tag und eine ehrenvolle Tat. Als er sie beging, zog sein ehrlicher Stolz über die blühende Heide. Jetzt war er ein willenloses Werkzeug, ein Spielball in den Händen des Schicksals geworden.

Die Medaille flammte.

So schritt er weiter.

Eine Stunde später lag ihm ein junges, roggenstrohhaariges Weib an der Brust. Thres! – und die schlang ihre milchweißen Arme um seinen Nacken und drängte sich an ihn. Ihr Atem ging schwer, und ihre schönen Zähne legten sich gierig auf seine blutleeren Lippen. Der Wildgeruch des Mannes betäubte sie. Sie hatte gefunden, was sie mit heißen Sinnen erstrebte. Als sie von ihm abließ, flammte ein rotes Mal auf seinem Hals, und ihre Hände suchten die seinen.

Der Alte aber lachte sein glücklichstes Lachen.

Dann ließ er ein Chaischen vorfahren.

Er schob seine Tochter in den Sitz und reichte Hermann die Zügel.

»Du sollst keine Katze im Sack gekauft haben,« meinte er mit fröhlichem Grinsen. »Wer was zu zeigen hat, soll's nicht in der Kommode verstecken. Also fahrt zu! Fünfhundert Morgen sollen abkariolt werden. – Los denn dafür! Du fährst über dein späteres Eigen. Hia da hüp ...!«

Thres drängte sich an ihren Verlobten. Er fühlte ihr hartes Fleisch und die straffen Brüste.

»Glückliche Reise!«

Der Percheron zog an.

Am Kummetgeschirr rasselten die Messingscheiben.

Im schlanken Trabe rollte das Chaischen der fernen Baumreihe zu, die den reichen Besitz nach Westen abgrenzte. Weiter zur Linken stakelten die Flügel der großen Mühle bedachtsam durch die ruhige Luft.

Unwillkürlich schreckte Hermann zusammen.

Er dachte an die furchtbare Szene mit seinem Vater, und die Stirn tobte ihm, als hätte sich ein Pochwerk dort eingenistet.

Er wollte aufschreien, aber das junge Weib küßte ihm den Schrei von den Lippen.

Er fühlte die starre Hand seines Vaters. Sie preßte seinen Leib und den seiner Verlobten enger zusammen. Was sollte er machen? Er konnte nicht anders. Tod oder Leben! – und er hatte vorgezogen, das Leben zu wählen. Anderenfalls wäre er zum Mörder geworden.

Er glaubte das infame Knarren der gewaltigen Flügelwelle zu hören, das entsetzliche Knarren ... er sah den Strick zwischen den Korn- und Mehlsäcken liegen ... er sah das entstellte Gesicht seines Vaters, und seine Seele fügte sich und beugte den Nacken ... er sah Anna Pulcher noch einmal ... er hörte ihre Stimme, er wiederholte ihre Worte wieder und wieder: »Ich will meine Ruhe nicht mit der tödlichen Unruhe meines Vaters erkaufen. Wir müssen uns trennen. Es ist schon besser so ...« – Ja, es ist schon besser so ... und Hermann Verheyen fuhr durch die klingende und singende Landschaft wie durch endlose Gräberreihen. Es war eben sein Schicksal geworden.

Franz Seegers stand noch immer in seinem blauen Leinwandkittel und sah ihm mit großen Blicken nach, ihm und der glücklichen Tochter.

»So wird's gemacht,« griemelte er stillvergnügt in sich hinein und rieb die Hände zusammen. »Mir kann keiner!« – und sein dreckiges Lachen knatterte wie Flintenschüsse über die Gegend.

So konnte nur Franz Seegers lachen – wahrhaftig, ja! – so konnte nur Franz Seegers lachen.

 


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