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Die Wunde

Ein Verwundeter ging in des Gartens Lust,
den Arm in der Binde.
Und die Leute hättens so gerne gewußt,
wie er den Schmerz empfinde.
Da baten sie ihn: »Herr Soldat, wir möchten so gerne wissen,
wie das ist, wenn so eine Kugel den Arm zerrissen?«

Der Soldat nahm die Zigarre vom Munde:
»Ja, das ist so schwer zu sagen,
wie auch zu tragen.
Natürlich fühle ich immer die Wunde,
in jeder Stunde und jeder Sekunde.
Es ist ein kleines Loch
und durch den Knochen ist es auch noch
dabei gegangen.
Erst – na, da hat's gebrannt.
Keiner hat je einen Schmerz beim Namen genannt.
Dann hat's so angefangen:
Es zieht von allen Seiten dahin,
alles Blut, alle Nerven ziehn
dahin, wo das Löchlein ist.
Dann strömts wieder zurück.
Das drängt sich und schiebt sich in dem Stück
Fleisch, wie vor dem Wirtshaus die Leute,
hin und her, herein, heraus. Und heute
in der Frühe, da fiel mirs ein,
es muß so sein,
als wenn dem Knochen sein Vater gestorben wär,
oder seine Mutter und etwas anderes mehr.
Und all die kleinen armen Nervenkinderlein
fangen an zu weinen und zu schrein,
wollen immer sehen und suchen und finden
und sind voll Angst und tappen herum wie die Blinden
und laufen hin und laufen her,
tun, als hätten sie auf der Welt nichts Liebes mehr;
wie es uns so geht, wenn die Mutter gestorben ist,
daß jeder alles um sich her vergißt.

Und ist das vorbei, wirds stiller.
Auch die Mutter muß vergessen werden,
wie alles auf Erden.
Und die kleinen Nervenkinderlein
fügen sich auch darein,
tun langsam wieder die alte Pflicht.
Und das ist gut.
Sie helfen dem Blut,
daß es wieder das Löchlein mit Fleisch anfüllt
und den armen Knochen mütterlich umhüllt.
Jetzt tragen sie all das kleine Zeug herbei,
wie es zur Heilung nötig sei,
bis dann der Doktor zufrieden spricht:
»Jetzt sind wir wieder felddienstfähig, nicht?«
Ja. –

Die Leute guckten den Soldaten an.
Und ein kleines Mädchen drängte sich zu ihm heran:
»Herr Soldat, das stimmt, mir ist es auch so gegangen.«
»Was?«

»Als mein Mütterchen starb, da war es mir so,
als wär mir eine Kugel, unbarmherzig und roh,
mitten durch mein Herz gegangen.«

Ein Herr bot ihm eine Zigarre an:
»Mein lieber Mann,
eigentlich hätt' ich mir das schlimmer vorgestellt,
n'ja – was ich sagen wollte:
Sie sind ein Held – –«
– ging und streifte seinen Schnurrbart in die Höh –
»Aber, wenn eine Mutter stirbt –
n'ja, tut das denn weh?
Na?
N'ja.«


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