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Fern an brasilianischer Küste, in San Salvador, steht ein wundersamer Baum, ein Balsambaum, nach seinem ersten Nutznießer, dem Bankdirektor Pereira, »Toluifera Pereirae« genannt. Er liefert den edelsten südamerikanischen Exportartikel, welcher für jene Gegenden so wertvoll ist, daß ein weiter Landstrich nach ihm den Namen erhielt: costa del balsamo. Man behandelt diese vortrefflichen Bäume nach dem folgenden Rezept: In der Jugend beklopft und zerhämmert man ihre Rinde, diesen natürlichen Schutzpanzer, bis sie endlich weich und locker wurde. Ist sie aber geweicht und gelockert, dann wird sie heruntergebrannt, so daß nun das Fleisch des Baumes, das rohe Mark, bloß und nackend daliegt. Jetzt aber müßte der Baum verbluten, wenn er nicht eine nützliche und schätzenswerte Schutzregelung sich erworben und ausgebildet hätte. Er hat nämlich die Fähigkeit, einen zähen, klebrigen Stoff auszuschwitzen. Der strömt alsbald aus allen Wunden, umzieht das Mark und bildet einen neuen, schützenden Panzer. Ohne diesen Akt der Selbstbewahrung wäre der bloßgelegte Stamm verloren. Aber er verteidigt sich eben, indem er diesen Balsam von sich gibt. Und dieser Balsam, dieser Leidens- und Krankheitsertrag der zerquälten und geschändeten Natur gilt als köstlich. Er duftet süß. Man kann ihn auf dem Weltmarkt teuer verkaufen. Sobald daher der neue Panzer vollendet ist, kommt der findige, griffige, geschäftekundige Mensch und schabt mit scharfem Messer das Harz wieder herunter. Denn es ist, wie gesagt, eine einträgliche Ausfuhrware und wird zu Haarölen, Pomaden, Familienseife, auch wohl von den Ärzten bei gewissen Hautkrankheiten erfolgreich und zu allgemeinem Nutzen verwendet. Man nennt es im Handel Perubalsam. Übrigens ist keineswegs gewiß, daß der Baum, welcher diesen Artikel liefert, die Toluifera Pereirae, an der Maßnahme des Abschabens immer zugrunde geht. Die meisten dieser Bäume sind staunenswert zähe. Sie sind in der Tat fähig, noch ein zweites, ja ein drittes und, wenn sie von Natur ganz besonders begnadet sind, oft bis an zehn Male sich mit ihrem duftendem Leidenspanzer zu umkleiden, der dann, immer wieder abgeschabt, zivilisatorisch verarbeitet und kulturell verhandelt wird. Diejenigen Bäume, die das am längsten aushalten, kommen in die nationale Bildungsgeschichte, denn sie gelten als Genies ihrer Art und genießen beim Publikum jener Gegenden ein allgemeines, beifallfreudiges Wohlwollen. Im Durchschnitt geht eine Toluifera im Laufe von fünf bis zehn Jahren zugrunde, je nach dem Grade von Kraftaufwand, mit dem sie die künstliche Schutzpanzerbildung vornehmen und dabei ihre Lebenskraft verausgaben kann; ein schöpferischer Vorgang, der für das Wachstum des Baumes eigentlich unnütz, aber für die Industrie und Kultur notwendig, weil vorteilhaft ist, indem man durch fortwährendes kritisches Neuabkratzen, Betasten, Befingern und Reizen den Baum zu immer neuen Seelenergüssen zwingen und mithin langsam zu höchster Schönheit hinanquälen kann, bis seine Bluterfähigkeit sich erschöpfte ...
»Wer einen Einsiedler verletzt, der töte ihn auch.« Weiß man, was es heißt, Einsiedler verletzen? Man greife fröhlich auf dem Kampfplatz des Tages jede Macht an. Immer wird mit ihr ein Kreis angegriffen, Grundsätzliches, Gültiges, das die Zugehörigen deckt. Wehe nur dem Einsamen, wehe dem Abseitsstehenden! Wer fühlt sich beleidigt, wenn man ihn beleidigt? Jeder hat seine Tribüne, um in die Öffentlichkeit flüchten und im Notfall sich wehren zu können, aber der ganz ungangbare, schwere Wege Gehende, der nur aus eignem Gewissen, im eignen Namen und ganz für die Sache Lebende ist wehrlos, man mag ihm öffentlich antun, was man will. Da findest du nun jahraus jahrein deinen Namen von den Talentdrohnen benagt, verheiratet mit bestimmten, immer wiederholten, herabwürdigenden Beiworten. Du weißt, wie falsch das ist, du weißt, wie verfratzt dein Bild ist in Spiegeln der Öffentlichkeit. Aber was tun? Einer redet dem anderen nach. Wer prüft? Wer kann prüfen? Die erleichternde Ökonomie der Kultur besteht eben darin, daß blutende Menschen gewandelt werden zu Lehrbuchparagraphen, und daß alle Seelen dingfest eingekäfigt werden mittels eines Stichworts und einer Formel. Da sitzt der Gestempelte nun in seiner Kasematte auf Lebenszeit, ohne Hoffnung auf Amnestie. Er ist eingefangen in das Stockhaus der Bildung. Je zarter, schwerer, tiefer seine Geisteswelt ist, um so weniger Möglichkeit besteht, daß je ein Erkennender komme. Man schweigt tot; aber nie aus böser Absicht. Es gibt keineswegs, wie Nietzsche behauptet, »eine Verschwörung der Talente gegen das Genie«. Dazu sind Talente gegen das Genie viel zu gleichgültig. Das Übergangen-Abgedrängt-Niegefördertwerden der Ungewöhnlichen oder Ungewohnten geschieht ganz in guten Treuen, in warmen, verbindlichen Formen. Man kann sie wirklich nicht mitverwenden. Echte Wahrheit aber ist so einfach, daß, wer sie hört, fest davon überzeugt ist: »Das wüßt' ich schon lange«; und hat er es nicht gewußt, so hätte er es eines Tages sicher auch gefunden (wenn er es nicht – zufällig – bei dir gefunden hätte). Was also geschieht? Der einsame Denker wird unter der Hand nicht genannt, aber wird geplündert, und hieß es gestern paradox, morgen heißt es banal. Was willst du? Du hoffst auf Nachwelt? Narr! Nachwelt ist immer wiederholte Mitwelt. Die Zeit der Einsamen ist vorüber. In Amerika, Australien, bald auch in Europa sind Erscheinungen wie Goethe, Schopenhauer, Nietzsche schon unmöglich. Denn der Betrieb des Geistes ist so durchorganisiert, daß auch Wirkung, Ruhm, Erfolg Faktoren großer Rechenexempel geworden sind und zuletzt ihre Technologie haben werden. Die Frage lautet nicht mehr: Was ist er? Die Frage lautet: Zu welcher Richtung gehört er? Welche Gruppe trägt ihn? Welche Machtzwecke nehmen an ihm Anteil? Welches Vorurteil hat ihn nötig? In diese absterbende, hoffnungslos kapitalistische Zweckwelt Europa-Amerika trat als letzter untergehender Sonnen-Erflieger ein völlig Vereinsamter, krank, vergrübelt, Frage nach Frage aufwühlend wie rollende Laven, dann wieder in sich selbst hineingetrieben und gleich dem vergifteten Ulrich Hutten »Kämpfer wider seine Zeit«. Welche Macht, welche Partei, welche Klasse, welche Rasse, welches Volk trug ihn? Er schwebte wie der schon ausgeschiedene und nur noch schauende Geist über dem von Blut, Tränen, Galle und Schweiß schwellenden Menschenstrome. Und so langsam zu einsamster Größe hingemartert, trat wie bei Kleist, Hölderlin, Lenau die befreiende Katastrophe ein, mit der die Komödie des Ruhms zu beginnen pflegt.