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[Vorworte]

Vorrede des Verfassers

Es gab noch kein Leben Goethe's, als ich im Jahre 1845 meines begann. Die dürftigen Notizen von Schütz und Döring waren wenig mehr als Abrisse aus Goethe's Wahrheit und Dichtung. Wer diese Autobiographie nicht näher kennt, meint vielleicht, da solch ein Werk existire und jeder andere Versuch einer ausführlichen Lebensbeschreibung fehle, so sei das ein Beweis, daß die Deutschen wenigstens einer solchen nicht bedurften. Bei dem Nachweise, wie irrig dieser Schluß ist, will ich mich nicht aufhalten; ich begnüge mich, die Thatsache anzuführen, daß, seit mein Vorhaben bekannt geworden, zwei umfassende biographische Werke, von Viehoff und von Schäfer, erschienen sind.

Viehoff erklärt in seiner Vorrede, die Ehre der deutschen Literatur gestatte nicht, daß ein Engländer der erste Biograph des großen Deutschen werde, und um dies Aergerniß zu verhindern, habe er sich »mit deutschem Fleiß und deutscher Treue« selbst an's Werk gemacht und ein Buch voll Mühe und Arbeit geliefert. Aber so umfangreich es auch ist, es fehlt darin doch viel schätzbares Material, theils weil manches erst später veröffentlicht ist und theils weil Viehoff keinen Zugang zu ungedruckten Quellen hatte. Er hat sich in der That so ausschließlich auf Gedrucktes beschränkt, daß er nicht einmal Weimar gesehen hat, wo Goethe siebenundfunfzig Jahre seines Lebens zubrachte. So schreibt er über Goethe, wie er über Cicero schreiben könnte. An einem ähnlichen Mangel leidet das Buch von Schäfer, der übrigens mittelst knapperer Behandlung und Weglassung aller kritischen Erörterungen über die verschiedenen Werke des Dichters seine Aufgabe in größerer Kürze gelöst hat.

Ueber die Verdienste dieser Darstellungen ein Urtheil abzugeben, würde mir schlecht anstehen; aber noch schlimmer wäre es, wenn ich die Beihülfe, die ich von ihnen gehabt habe, in vollstem Maße anzuerkennen unterließe. Als mir der erste Band von Viehoff zuging, war ich mit meinem ersten Bande bereits fertig. Ich bedauerte, daß ich ihn nicht früher hatte benutzen können. Bei der Umarbeitung des ersten, wie bei der Ausarbeitung des zweiten Bandes habe ich sowohl von seinem wie von Schäfer's Buche den freiesten Gebrauch gemacht. Die Anerkennung empfangener Hülfe ist ein Hauptstück literarischer Höflichkeit, das nur zu oft vernachlässigt wird, und mein Buch ist nach Geist, Form und Inhalt von den genannten beiden so verschieden, enthält so viel was sie nicht haben und übergeht so viel was sie enthalten, daß ein Leser, der die Arbeiten vergleicht und dabei bedenkt, daß mir dieselben Quellen offen standen wie jenen, von der mir gewordenen Hülfe schwerlich etwas merken würde; um so mehr drängt es mich, sie hier ausdrücklich anzuerkennen.

In welcher Weise ich Goethe's Wahrheit und Dichtung benutzt habe, muß ich wohl besonders darlegen. Das Werk umfaßt nur die ersten sechsundzwanzig Lebensjahre des Dichters, und sein Leben selbst erreichte das zweiundachtzigste Jahr; die Tag- und Jahreshefte ersetzen das Fehlende nicht. Ein größeres Bedenken gegen die Autobiographie liegt in der Natur des Werkes; es hat seinen großen Reiz, aber nicht den eigentlichen Reiz einer Autobiographie. Die ruhige, künstlerische Zeichnung von Personen, Scenen und Zeitströmungen und die gelegentlichen Episoden mit ihrer gewinnenden Anmuth sind zwar sehr schätzenswerth, machen aber noch keine Lebensbeschreibung; sie entbehren des genauen Details und vor allem jenes beredten Egoismus, der den Werth solcher eigentlichen Lebensbeschreibungen ausmacht und ihnen Interesse giebt. In sachlichen Darstellungen und in Mittheilungen über Andere ausführlich genug, ist Goethe über sich selbst unangenehm schweigsam, ja an einer Stelle entschuldigt er sich förmlich, daß er von sich selbst spricht, was doch in einer Autobiographie sicher übel angebrachte Bescheidenheit ist.

Für Goethe's Biographen ist demnach Wahrheit und Dichtung fast ebensosehr ein Hemmniß wie eine Förderung auf seinem Wege; zum wenigsten habe ich es so gefunden. Auf den Rath deutscher Freunde und dem scheinbar natürlichsten Plane gemäß, beschränkte ich mich ursprünglich darauf, die goethe'sche Darstellung verkürzt wiederzugeben, ihre Ungenauigkeiten zu berichtigen und was an neuen Details vorhanden war, einzuschalten. Es schien mir angemessen, ihn soviel wie möglich für sich selbst sprechen zu lassen. Dieser Plan war aber auf die Dauer unausführbar, und bei der Umarbeitung des ersten Bandes, die ich während meines letzten Aufenthaltes in Deutschland im Herbst und Winter 1854/55 vornahm, fand ich es unerläßlich, das Ganze umzuformen und nach einem andern Grundsatze wieder von vorn anzufangen. So habe ich Goethe's Autobiographie nur als eine der vielen Quellen behandelt, aus denen mein Buch entstand. Was mich hauptsächlich dazu veranlaßte, war die Ungenauigkeit des Tons, der weit mehr irreführt, als die vielen thatsächlichen Ungenauigkeiten, und der ganzen Jugendzeit, wie er sie erzählt, ein so völlig anderes Ansehen giebt, als sie aus gleichzeitigen Zeugnissen, besonders seinen eigenen Briefen gewinnt, daß eine Lösung dieses Widerspruchs zu versuchen vergeblich ist. Wer das bezweifelt und nach der Lesung meines ersten Bandes in seinen Zweifeln beharrt, der nehme Goethe's Briefe an die Gräfin Stolberg oder die an Kestner und Charlotte zur Hand und vergleiche ihren Ton mit dem von Wahrheit und Dichtung – worin der Greis den Jüngling malt, wie der Greis ihn sah, nicht wie der Jüngling fühlte und lebte. Durch die lange Reihe von Jahren gesehen, erscheint das Bild jugendlicher Thorheiten und Leidenschaften abgeblaßt. Die Unruhe des genialen Jünglings ist nicht ganz vergessen, doch wird sie nur mit vornehmer Zurückhaltung angedeutet. Auf seinem olympischen Thron vergißt Jupiter, daß er sich einst selbst gegen die Titanen empört hat.

Bei näherer Kenntniß der wirklichen Thatsachen, die uns zwischen den Zeilen zu lesen befähigt, erkennen wir, daß die Autobiographie mehr negativ fehlt durch Mangel an Schärfe und Genauigkeit im Einzelnen, als durch positiv falsche Darstellung. Aus gleichzeitigen Zeugnissen berichtigt, wird sie zu einer bedeutenden Quelle für die Geschichte der jüngeren Jahre, und ich bedauere sehr, daß nicht mehr gleichzeitiges Zeugniß für weitere Einzelheiten vorhanden ist.

Für die spätere Zeit habe ich mich bemüht an die Wahrheit zu kommen, indem ich neben der Masse von gedruckten Zeugnissen in der Form von Briefen, Memoiren, Erinnerungen u. s. w. diejenigen zu Rathe zog, die unter demselben Dache mit ihm gelebt oder in freundschaftlichem Verkehr mit ihm gestanden oder aus seinem Leben und seinen Werken ein besonderes Studium gemacht haben. Von dem lebendigen Mann suchte ich ein treues Bild zu erlangen und wiederzugeben, nicht lediglich von dem Manne, wie er in den gedruckten Darstellungen erschien, die so viel verschweigen. Zu diesem Zwecke berichtigte und vervollständigte ich die gedruckten Zeugnisse durch Schriftstücke, die nie das Licht gesehen haben und wahrscheinlich nie sehen werden, durch persönliche Mittheilungen und die vielen kleinen Einzelheiten, wie man sie von nah und fern sammelt, wenn man auf jedes Stückchen authentischer Belehrung achtet und es in seiner Bedeutung zu erfassen versucht; und indem ich so ein Zeugniß mit dem andern verglich, das gestern Gelernte durch das heute Gelernte ergänzte, nicht selten zu einem einzigen Satz durch Einzelheiten gelangte, die mir von sechs verschiedenen Seiten zugingen, bin ich zu den Resultaten gekommen, welche dieses Werk darlegt. Bei dieser schwierigen und bisweilen häkligen Aufgabe hat mich, wie hoffentlich klar hervortreten wird, nur der Trieb nach Wahrheit geleitet; kein Parteidienst führt mich irre, keine persönliche Beziehung beschränkt mein Urtheil. Man wird sich überzeugen, daß ich die Dinge, die gegen meinen Helden sprechen, weder leugne noch leicht über sie hinweg gehe. Der Mann ist zu groß und zu gut, um unsere Liebe einzubüßen, weil er in einigen Punkten unsern Tadel auf sich zieht.

Den Analysen und Kritiken von Goethe's einzelnen Werken habe ich einen bedeutenden Raum gewidmet. Nehmen doch im Leben eines Heerführers seine Feldzüge nothwendiger Weise viel Platz ein. Die naturwissenschaftlichen Schriften habe ich in einer Ausführlichkeit behandelt, die unverhältnißmäßig scheinen mag; aber ich that es, einmal, weil die Naturwissenschaft einen großen Theil von Goethe's Leben ausfüllt, und dann, weil es selbst in Deutschland an einer vollständigen Darstellung seiner Bestrebungen und Erfolge auf diesem Gebiete fehlt. Viele Leser werden sich für die Sache interessiren; vielleicht hören sie es gern, daß eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Autoritäten Europa's meine Darstellung gebilligt hat.

London, Oktober 1855.

 

Vorwort zur ersten Auflage der Uebersetzung.

Das Leben Goethe's von dem Engländer Lewes hat gleich bei seinem Erscheinen so bedeutende Anerkennung in Deutschland gefunden, daß ich gern auf den Gedanken des Verlegers eingegangen bin, unter Zustimmung des Verfassers eine Uebersetzung davon herauszugeben.

Ein Leben Goethe's von einem Ausländer zu übersetzen, mag manchem überflüssig, bedenklich, wenigstens der Rechtfertigung bedürftig erscheinen. Diese Rechtfertigung liegt in dem Werth und der Tüchtigkeit des Lewes'schen Werks; es kann sich ebenbürtig neben die deutschen Lebensbeschreibungen Goethe's stellen und hat bedeutende Vorzüge vor ihnen voraus. Die Viehoff'sche Schrift kann einen höheren Rang als den einer umfassenden Materialiensammlung nicht beanspruchen; das Werk von Rosenkranz läßt den Dichter und Menschen zu sehr hinter seinen Dichtungen und ihrer philosophisch-konstruirenden Betrachtung zurücktreten; das Buch des feinsinnigen Schäfer ermangelt doch der lebensvollen, kräftigen Erfassung einer Persönlichkeit, wie die Goethe's ist, und der Frische der Darstellung, die ein solcher Gegenstand verdient und erfordert. Grade in den letztgenannten beiden Beziehungen ist das Lewes'sche Werk ausgezeichnet. Das Leben unseres Dichters – das reichste nach unserer Kenntniß, das je ein Mensch lebte – ist hier in ganzer Fülle mit Verständniß und liebevoller Wärme erfaßt; seine Persönlichkeit, so liebenswürdig und bezaubernd, so mannhaft groß und imponirend, ist hier nach allen diesen Seiten hin klar und tüchtig gezeichnet; die Darstellung ist frisch und markig, mit individuellen Zügen und lokalen Farben angenehm belebt.

Soviel zur Darlegung des Gesichtspunktes, von dem aus es sich mir empfahl, das englische Werk dem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Im Uebrigen muß es seinen Weg natürlich selbst finden. Gründliche Beherrschung des Stoffes wird die Kritik Herrn Lewes nicht absprechen können.

Mein Antheil an der Gestalt, in der das vorliegende Werk erscheint, beschränkt sich darauf, es übersetzt zu haben; die Abkürzungen und Aenderungen, die ich mir gestattet habe, sind höchst unbedeutend und im Einzelnen nicht der Erwähnung werth. In den Briefen aus Goethe's Jugendzeit ist seine Schreibweise mit Absicht beibehalten; sie haben in ihrer ursprünglichen Naivetät einen Reiz, den zu bewahren mir Pflicht schien.

Bremen, 1. Dezember 1856.
J. Frese.

 

Zu den folgenden Auflagen.

Die zweite Auflage dieses Buches ist so erfreulich rasch nöthig geworden, daß es einer besonderen Bevorwortung derselben meinerseits nicht bedarf; ich kann mich mit der Erklärung begnügen, daß ich durch die überaus freundliche Aufnahme der ersten Auflage zu einer nochmaligen sorgfältigen Durchsicht meiner Uebersetzung mich verpflichtet gefühlt habe. Doch habe ich zu sachlichen Aenderungen nur an sehr wenigen Stellen Anlaß gefunden; die Individualität eines so tüchtigen Autors hat auch ihr Recht.

Mitte September 1857.
J. Frese.

 

Von der dritten an sind die ferneren Auflagen meiner Uebersetzung fast unveränderte Abdrücke der zweiten; nur an drei Stellen habe ich thatsächliche Irrthümer berichtigt, auf welche Schöll aufmerksam gemacht hat; sie sind zu geringfügig, um einzeln erwähnt zu werden. In der sechsten Auflage habe ich aus dem weitschweifigen Buche »Goethe in den Jahren 1771 bis 1775«, womit B. R. Abeken die Goethe-Literatur mehr vergrößert als bereichert hat, einige Notizen beigefügt und dem Rahel-Veit'schen Briefwechsel eine interessante Schilderung Goethe's im Jahre 1793 entnommen. Die siebente ist nach der zweiten Ausgabe des Originals revidirt und mit Einschaltungen aus dem (nicht sehr ausgiebigen) Briefwechsel mit Karl August und, im zweiten Theile, aus den sehr interessanten Aufzeichnungen Sulpiz Boisserée's bereichert. Von der achten ab habe ich wiederholt eine genaue sachliche und stilistische Durchsicht vorgenommen, dabei auch aus der laufenden Goethe-Literatur das Wichtigste benutzt.

Berlin, März 1858, Juni 1859, Oktober 1860, August 1861, Juli 1865.
Wien, Mai 1872.
Zürich, Januar 1875.

J. F.


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