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Siebenter Abschnitt.
Lili

Neigung zu Anna Elisabeth Schönemann (Lili). Lili's Charakter. Goethe's Verse an Lili. »Erwin und Elmire.« Was einer Heirath im Wege stand. Goethe schreibt die »Stella.« Schweizer Reise mit den beiden Stolbergs. Trennung von Lili. »Lili's Park.« Anfänge des »Egmont«. Goethe nimmt die Einladung Karl August's nach Weimar an.

»Noch eins, was mich glücklich macht, sind die vielen Menschen, die von allerlei Enden meines Vaterlandes, zwar freilich unter vielen unbedeutenden, unerträglichen, in meine Gegend zu mir kommen, manchmal vorübergehen, manchmal verweilen. Man weiß erst, daß man ist, wenn man sich in Andern wiederfindet.« So schrieb Goethe an die Gräfin Auguste von Stolberg, mit der er brieflich eines jener romantischen Freundschaftsverhältnisse angeknüpft hatte, wie sie fast alle berühmten Männer dann und wann im Leben schließen. Dieser Briefwechsel gehört zu den sprechendsten Belegen, die wir über seinen geistigen Zustand besitzen, und sollte von jedem gelesen werden, der den Ton seiner Selbstbiographie zu berichtigen wünscht. Vor allem ist er der Träger seiner hin- und herwogenden Gefühle für Lili, das Weib, das er nach seiner Versicherung gegen Eckermann mehr geliebt hat als irgend ein anderes. »Sie war in der That die Erste, die ich tief und wahrhaft liebte. Auch kann ich sagen, daß sie die Letzte gewesen; denn alle kleinen Neigungen, die mich in der Folge meines Lebens berührten, waren mit jener ersten verglichen nur leicht und oberflächlich.« Es giebt keine Versicherung Goethe's in Angelegenheiten des Gefühls, der ich einen bestimmteren Widerspruch entgegensetzen möchte. Ja, man könnte sich versucht fühlen, zu bezweifeln, daß er den Ausspruch wirklich gethan hat, wenn man nicht berücksichtigen müßte, wie leichtsinnig oft im Gespräche solche Aeußerungen über die Vergangenheit hingeworfen werden, und mit welcher eigenthümlichen Innigkeit ihn im höchsten Alter die Erinnerung an seine Jugendgefühle ergreifen mußte. Was ihn auch veranlaßt haben mag, jene Versicherung zu geben, sie läßt sich mit gutem Grunde bestreiten. Ich sehe keine Spur davon, daß er Lili mehr geliebt hätte als Friederiken; und wir werden später entschiedene Beweise finden, daß seine Liebe zu Frau von Stein und zu seiner Frau – wenigstens im Anfang – viel tiefer und nachhaltiger gewesen ist. »Meine Neigung zu Lili,« sagte er zu Eckermann, »hatte etwas so Delicates und etwas so Eigenthümliches, daß es jetzt, in der Darstellung jener schmerzlich-glücklichen Epoche, auf meinen Stil Einfluß gehabt hat. Wenn Sie künftig den vierten Band von Wahrheit und Dichtung lesen, so werden Sie finden, daß jene Liebe etwas ganz anderes ist, als eine Liebe in Romanen.«

Nun, der vierte Theil von Wahrheit und Dichtung ist in jedermanns Händen, aber man muß ein eigenthümliches Ahnungsvermögen besitzen, wenn man eine tiefe Leidenschaft darin entdecken will. Noch nie hat ein Dichter eine kältere Liebesgeschichte geschrieben. Es fehlt an jeder Erregung, um die Sprache zu erwärmen und die Darstellung zu verklären; es fehlt fast ganz an der Erinnerungskraft der Liebe, die alle Einzelheiten zu einer fortlaufenden Geschichte verwebt; ja es wird einem schwer, die Geschichte überhaupt herauszufinden. Er scheint jeden Vorwand zu ergreifen, um die Erzählung durch allgemeine Betrachtungen oder durch Charakterzeichnung anderer Personen zu unterbrechen; er redet von sich selbst als »dem Jünglinge, von dem wir uns unterhalten!« – er spricht von Lili und ihrem Kreise in der oberflächlichsten Art, und die Gefühle, die ihn bewegten, muß man zwischen den Zeilen lesen.

Es ist indessen sehr richtig, daß die Liebe, die hier gezeichnet wird, von der Liebe in Romanen verschieden ist. In Romanen wird, bis zu welchem Grade der Tollheit auch die Schriftsteller das Ideal ihrer Leidenschaft erhöhen mögen, wenigstens durchweg die eine Wahrheit gepredigt, daß wir Leib und Leben, Herz und Geist, alle Wünsche und Zwecke, allen Ehrgeiz und alle Klugheit für die Liebe opfern, daß wir unser ganzes Sein mit dem des Andern verschmelzen müssen, um in der Vereinigung über uns selbst erhoben zu werden. Lieben heißt einen Genossen der Seele wählen und mit ihm die gefahrvollen Schluchten und verworrenen Pfade des Lebens durchwandern; sich gegenseitig unterstützen, wenn Abgründe den Weg umstarren, sich gegenseitig ermuntern, wenn er rauh und mit Hindernissen überdeckt ist, und sich mit einander freuen, wenn reiche, weite Flächen und sonnige Abhänge das Reisen zur Wonne machen und in der stillen Ferne den Ruheplatz blicken lassen, dem wir alle in dieser Welt zustreben.

Es war nicht eine solche Vereinigung, die er bei Lili suchte; es war nicht eine solche Hingebung seines Wesens, die ihm ihre Liebe zu einem so ruhelosen Glücke machte. Während dies sechzehnjährige Kind, in aller Unbarmherzigkeit ihrer Mädchenschönheit, im stolzen Bewußtsein ihrer Macht sein unbeständiges Herz mit den Lockungen leidenschaftlicher Sehnsucht in Fesseln schlug, ließ sie seine Seele unberührt, wie sich aus der folgenden Erzählung zur Genüge ergeben wird.

Anna Elisabeth Schönemann, als Lili unsterblich geworden, war die Tochter eines großen Banquiers in Frankfurt, der in dem glänzenden Stil eines Handelsfürsten lebte. Sie war sechzehn Jahr alt, als Goethe sich in sie verliebte. Das Alter ist bezeichnend. Es war ungefähr das Alter Friederikens, Lotte's, Anna Sibylla's und Maximilianens; ein Alter, wo die Mädchen einen Zauber der Gestalt und des Reizes, der Schönheit und der Frische besitzen, den auch der nicht leugnen wird, der die höheren Vorzüge eines entwickelten Weibes vollkommen empfindet. Es ist Poesie in diesem Alter, aber keine Tiefe, keine Durchbildung des Charakters. Man denke sich den weltumfassenden Geist des Verfassers eines Götz, eines Faust, eines Prometheus, eines Mahomet zugesellt dem Geist eines sechzehnjährigen Mädchens.

Auch war Lili's Charakter keine Ausnahme von der Regel. Jung, graziös und reizend, war sie eine entschiedene Kokette. In der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft, in einer jener anmuthigen Stunden, wo die Selbstsucht sich aufschließt und die Liebenden stolz darauf sind, ihre Fehler zu bekennen, (natürlich nicht ohne auf edlere Eigenschaften hinzudeuten) erzählte ihm Lili die Geschichte ihres Lebens; erzählte ihm, wie flatterhaft sie gewesen; erzählte ihm endlich, daß sie auch an ihm ihre Künste versucht und die Strafe gefunden habe, indem sie selbst umstrickt worden sei. Armida fand sich ihrerseits in Rinaldo's Fesseln, aber Rinaldo folgte ihr in die Zaubergärten, mehr aus Neugierde und Lust des Abenteuers als aus Liebe.

Es lag ein wesentlicher Gegensatz in ihren Lebensverhältnissen. Zu der vornehmen Gesellschaft in dem Hause des Banquiers paßte der wilde Jüngling durchaus nicht, dessen Gedanken der Natur und der schrankenlosen Freiheit zugewandt waren. »Wenn Sie sich, meine Liebe,« schreibt er an Auguste von Stolberg, »einen Goethe vorstellen können, der in galonirtem Rock und sonst auch von Kopf zu Fuße in leidlich consistenter Galanterie, umleuchtet vom bedeutungslosem Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerlei Leuten, von ein paar schönen Augen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft ins Concert und von da auf den Ball getrieben wird und mit allem Interesse des Leichtsinns einer niedlichen Blondine den Hof macht: so haben Sie den gegenwärtigen Fastnachts-Goethe.«

Das nachstehende Gedicht schildert Lili's Zauberkraft und sein eigenes Unbehagen.

Warum ziehst du mich unwiderstehlich
Ach! in jene Pracht?
War ich guter Junge nicht so selig
In der öden Nacht?

Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen
Lag im Mondenschein,
Ganz von seinem Schauerlicht umflossen
Und ich dämmert' ein;

Träumte da von vollen goldnen Stunden
Ungemischter Lust,
Hatte ganz dein liebes Bild empfunden
Tief in meiner Brust.

Bin ich's noch, den du bei soviel Lichtern
An dem Spieltisch hältst?
Oft so unerträglichen Gesichtern
Gegenüber stellst?

Reizender ist mir des Frühlings Blüthe
Nun nicht auf der Flur;
Wo du Engel bist, ist Lieb und Güte,
Wo du bist, Natur.

Der wahre Goethe wird von ihm selbst in seinem Briefe an die Stolberg ganz anders gezeichnet. »Aber nun giebt's noch einen, der im grauen Biberfrack und dem braunseidenen Halstuch und Stiefeln, der in der streichenden Februarluft schon den Frühling ahnt, dem nun bald seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird, der, immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, das kräftige Gewürze des Lebens in mancherlei Dramen, die Gestalten seiner Freunde, seiner Gegenden und seines geliebten Hausraths mit Kreide auf grauem Papier nach seiner Weise auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt, was von dem gehalten werde, was er machte, weil er arbeitend immer eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will.« Hier klingt die echte Saite an. Zur Poesie geboren, aber nicht geschaffen, sein Leben in Ballsälen und in den Bemühungen um eine schöne Blondine hinzubringen, die mit ihm und andern kokettirt, fühlt er, seine Leidenschaft sei eine Thorheit. Wenn aber ein Mann das fühlt, dann »mag ihn wohl Cupido auf die Schulter geklopft haben, aber ich stehe dafür, daß sein Herz noch gesund ist.« Man lese das folgende Gedicht und sehe ihn darin mit sich kämpfen:

Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch' ein fremdes neues Leben?
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist Alles was du liebtest,
Weg warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh' –
Ach wie kamst du nur dazu?

Fesselt dich die Jugendblüthe,
Diese liebliche Gestalt,
Dieser Blick voll Treu' und Güte
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen,
Führet mich im Augenblick
Ach! mein Weg zu ihr zurück.

Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen läßt,
Hält das liebe lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Muß in ihrem Zauberkreise
Leben nur auf ihre Weise.
Die Verändrung ach wie groß!
Liebe, Liebe, laß mich los!

Lili kokettirte, und ihre Koketterie scheint seine Leidenschaft auf einige Zeit abgekühlt zu haben, obwohl sie sie wieder zu entflammen wußte. Sie behandelte ihn, wie er das arme Käthchen in Leipzig behandelt hatte; und wie er in Leipzig seine Erlebnisse in der »Laune des Verliebten« dramatisirt, so dramatisirte er hier die neue Erfahrung in einem Singspiel, Erwin und Elmire, worin die Gefallsucht einer Geliebten den Liebhaber zur Verzweiflung bringt, – eine Warnung für Lili, die wie es scheint nicht ganz ohne Wirkung blieb.

Nicht allein von ihrer Unüberlegtheit, sondern auch von den Ueberlegungen der beiderseitigen Eltern hatte er zu leiden. Die Heirath konnte keinem der beiden Häuser zusagen. Die Tochter des Banquiers, hoffte man, sollte in eine reiche oder adlige Familie heirathen; ein Dichter, der einem zwar wohlhabenden, doch keineswegs hervorragenden Hause angehörte, war nicht gerade der Bräutigam, den man sich wünschte. Auf der andern Seite war der stolze und steife alte Rath durchaus nicht glücklich in der Aussicht, eine elegante Weltdame zur Schwiegertochter zu bekommen. Cornelia, die ihren Vater und sein pedantisches Wesen kannte, schrieb mit Heftigkeit gegen die Verlobung. Merck, Horn und andere Freunde waren einer so ungleichen Verbindung aufs entschiedenste entgegen. Aber diese Versuche, die Liebenden zu trennen, dienten natürlich nur dazu, sie um so enger zu vereinigen.

Ein gewisses Fräulein Delf wußte die Einwände zum Schweigen zu bringen und die Zustimmung beider Familien zu erlangen. »Wie sie es begonnen, wie sie die Schwierigkeiten, die sich ihr entgegenstellen mochten, beseitigt, – genug, sie trat eines Abends zu uns und brachte uns die Einwilligung. Gebt euch die Hände, rief sie mit ihrem pathetisch gebieterischem Wesen. Ich stand gegen Lili über und reichte meine Hand dar; sie legte die ihre, zwar nicht zaudernd, aber doch langsam hinein. Nach einem tiefen Athemholen fielen wir einander lebhaft bewegt in die Arme.« Eine förmliche Verlobung scheint nicht stattgefunden zu haben. Ueberhaupt veränderte, soviel man sieht, die erlangte Einwilligung die Ansichten der Freunde und Verwandten in keiner Weise. Je näher die Heirath rückte, desto unmöglicher erschien sie. Für Goethe genügte, nachdem die erste Aufwallung der Freude vorüber war, der bloße Gedanke der Heirath, um ihn unbehaglich zu machen und sein Gefühl für die Ungleichheit der Verhältnisse zu schärfen. Die Ankunft der beiden Grafen Stolberg, ihr Vorschlag, sie auf einer Reise durch die Schweiz zu begleiten, gab ihm eine Entschuldigung, um sich von seiner Braut loszureißen; »es kam darauf an, einen Versuch zu machen, ob er Lili entbehren könne.«

Ehe wir ihn auf dieser Reise begleiten, müssen wir noch einen Blick zurückwerfen und einige Einzelheiten über seine Lebensweise nachholen, die bei der Darstellung des Verhältnisses mit Lili übergangen worden sind. Die Vormittage waren der Poesie geweiht, die Mittagsstunden der Rechtswissenschaft. Poesie war die Lebenslust für sein Herz. In ihr suchte er Zuflucht gegen die Last unerträglicher Widersprüche. »O wenn ich jetzt nicht Dramas schriebe, ich ginge zu Grunde,« schreibt er an Auguste von Stolberg. Unter diese Dramen gehört Stella, für die der Buchhändler, wie wir aus einem Briefe von Merck erfahren, zwanzig Thaler bot. Welch' einen Einblick gewährt uns das in den Zustand der Literatur: dem Verfasser zweier staunenswerther und allverbreiteter Werke wird für ein Drama in fünf Acten eine so geringe Summe geboten! Der arme Schiller war später froh, Geschichtswerke schreiben und Memoiren übersetzen zu können, bei denen der Bogen mit fünf bis acht Thalern bezahlt wurde.

In Stella kann ich keine persönlichen Lebensbeziehungen entdecken, und vielleicht liegt in der Abwesenheit dieses Elements die Schwäche des Drama's. Ein armseligeres Werk ist nie von einem großen Dichter geschaffen worden, obwohl es nicht an Kritikern gefehlt hat, die auch in ihm die Hand des Meisters haben erkennen wollen. Es ist die alte Geschichte vom Grafen von Gleichen und seinen zwei Frauen. Fernando hat seine Gattin verlassen und ein Verhältniß mit Stella angeknüpft; aber das Eigenthümliche der Umstände liegt darin, daß er Cäcilie (seine Gattin) aus keinem begreiflichen Grunde, ja selbst ohne seine Liebe zu ihr aufzugeben, im Stiche läßt. Er hat jeden denkbaren Grund, sie als die Mutter seines Kindes und als ein reines, tugendhaftes Weib zu achten und hochzuhalten; aber er flieht von ihr hinweg, wie ein Feigling, und flüchtet sich zu einer leidenschaftlicheren Natur, weil diese ihn statt der ruhigen Neigung seines Weibes die Entzückungen der Leidenschaft genießen läßt. Die beiden Frauen begegnen sich und entdecken ihre Liebe für denselben Mann.

Hier ist ein schöner dramatischer Conflikt gegeben. Auf der einen Seite sieht Fernando die Pflicht in der Gestalt eines edlen, leidenden Weibes und einer anziehenden Tochter; auf der andern die Leidenschaft in der Gestalt einer zauberisch reizenden Geliebten. Aber Goethe hat aus diesem reichen Vorwurf wenig gemacht. Er zeigt uns die verächtliche Schwäche des hin und her schwankenden Ferdinand, ohne den Gegenstand großartig zu entwickeln. Da ich niemandem empfehlen kann, das Stück zu lesen, so führe ich die beiden meisterhaften Stellen an, die es enthält. Von großer Zartheit ist die Bemerkung:

»Wir Weiber glauben den Männern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst, warum sollen wir nicht betrogen werden«.

Auch das Folgende ist allerliebst. Fernando kehrt nach langer Abwesenheit zu Stella zurück, und sie sagt zwischen ihren Liebkosungen:

Stella. Daß man euch so lieb haben kann! Daß man euch den Kummer nicht anrechnet, den ihr uns verursacht.

Fernando ( ihre Locken streichelnd). Ob du wohl graue Haare davon gekriegt hast? Es ist dein Glück, daß sie so blond ohne das sind – Zwar ausgefallen scheinen dir keine zu sein. ( Er zieht ihr den Kamm aus den Haaren und sie rollen tief herunter. Er wickelt seinen Arm darein und ruft:) Rinaldo wieder in den alten Ketten!

Die Maler klagen so oft über Mangel an Gegenständen; will keiner sich hieran versuchen?

Ursprünglich löste sich der Knoten in diesem »Schauspiel für Liebende,« wie es betitelt war, durch eine romantische Doppelehe. Ferdinand steht auf dem Punkte, mit Cäcilien zu fliehen, zu seiner Pflicht zurückzukehren, da entschließt sich seine Frau aus Mitgefühl für Stella's Lage, wenn Ferdinand sie verlassen sollte, ihre ehelichen Ansprüche aufzuopfern und – seinen Besitz mit Stella zu theilen. Der Vorhang fällt, indem er beide umarmt und ausruft: »Mein, mein!«

Das rief nun lebhaften Widerspruch hervor. Das Stück ward als eine Vertheidigungsschrift für die Bigamie verschrieen. Das Publikum fühlte dunkel, daß damit das Problem nicht gelöst und dieser Schluß ein wenig lächerlich sei. Noch weniger befriedigend erscheint indeß, wenn man alles erwägt, die Katastrophe, die bei der Aufführung des Stücks in Weimar hinzugefügt wurde und die sich jetzt an der Stelle der früheren in den gesammelten Werken vorfindet. Unfähig, Stella zu verlassen, und gleich unfähig, sein Weib zu verlassen, weint hier Ferdinand mit beiden und erschießt sich, während Stella sich vergiftet. Das heißt die Schwierigkeit nicht lösen, sondern ihr aus dem Wege gehen? 1798 erschien in England eine schwache Uebersetzung der Stella und gab den Anlaß zu Canning's vortrefflicher Caricatur, »die Abenteurer«, die jedem Leser seines »Antijacobiners« bekannt ist. Zu den lächerlichen Stellen dieser Parodie gehört das berühmte Gelübde der Freundschaft:
Mathilde. Ein plötzlicher Gedanke ergreift mich. Lassen Sie uns ewige Freundschaft schwören.
Cecilie. Lassen Sie uns auf immer bei einander bleiben.
Dies ist wirklich nur eine sehr geringe Abweichung vom Original.
Stella. Madame! Da fährt mir ein Gedanke durch den Kopf. – Wir wollen einander das sein, was sie uns hätten werden sollen! Wir wollen beisammen bleiben! – Ihre Hand! – Von diesem Augenblicke an laß' ich Sie nicht.

Neben Stella scheint er am Faust gearbeitet und die Oper Claudine von Villa Bella, einige Stücke für Lavaters Physiognomik und verschiedene kleinere Gedichte geschrieben zu haben.

Die Stolbergs, mit denen er die Reise in die Schweiz unternahm, waren glühende Bewunderer Klopstocks und gehörten zu der Klasse der wilden Genies, die allen Regelzwang verachteten. Sie haßten eingebildete Tyrannen, beleidigten friedliche Bürger durch ihr fortwährendes Zurückgehen auf einen erträumten Naturzustand und setzten gefühlvolle Seelen durch ihre hochgespannten Ideen von Freundschaft in Erstaunen. Merck war unbarmherzig in seinem Spott und seinen Warnungen; er konnte den Gedanken, daß Goethe mit diesen »Burschen« reisen sollte, nicht ertragen. Aber Goethe hatte zu viel verwandte Teufelei in sich, die sich gelegentlich Luft machte, um das tolle Spiel seiner Genossen zu stören; nur als sie, nachdem sie über alle sonstigen Regeln der Gesellschaft sich hinweggesetzt, auf den Einfall kamen, unter freiem Himmel zu baden, wurde auch ihm die Sache etwas bedenklich. Hatte »die Natur« gegen nackte Jünglinge im hellen Sonnenschein nichts zu erinnern, was brauchte »der alte Zopf« sich zimperlich wegzuwenden und sich entrüstet zu stellen? Indessen »der Zopf« war so wenig ein Bewunderer des Nackten, daß die Kinder der Natur mit einem Steinhagel begrüßt wurden; eine Art von Kritik, die sie, wenn auch nicht zu einer Aenderung ihrer Ansichten, doch zu einer Aenderung ihres Betragens veranlaßte.

Als ächte Kinder des Genius hausend, durchlebten sie wilde und fröhliche Zeit. Sie tranken die Gesundheit von Stolbergs Geliebten und zerschmetterten die Gläser an der Wand, damit sie nach einer so erhabenen Weihe von keinem Munde wieder berührt würden; eine Heldenthat, die bei der Aufführung in der Rechnung am nächsten Morgen bedeutend an ihrem Glanze verloren hatte. Die Reise braucht uns nicht länger aufzuhalten. Nur zwei Besuche Goethe's verdienen Erwähnung; einer bei Karl August, der damals in Karlsruhe die Vorbereitungen zu seiner Vermählung mit der Prinzessin Luise traf und ihn dringend nach Weimar einlud; der andere bei seiner Schwester Cornelia, die ihm alle Bedenken gegen die Verbindung mit Lili auf's ernstlichste vorhielt. »Versprechen konnt' ich ihr nichts, ob ich gleich gestehen mußte, sie habe mich überzeugt. Ich ging mit dem räthselhaften Gefühl im Herzen, woran die Leidenschaft sich fortnährt; denn Amor, das Kind, hält sich noch hartnäckig fest am Kleide der Hoffnung, eben als sie schon starken Schrittes sich zu entfernen den Anlauf nimmt.« Das Bild Lili's verfolgte ihn zwischen den reizenden Naturscenen der Schweiz:

Wenn ich, liebe Lili, dich nicht liebte,
Welche Wonne gäb' mir dieser Blick?
Und doch, wenn ich, Lili, dich nicht liebte,
Wär', was wär' mein Glück?

Ihr Bild war es, was ihn an die Heimath fesselte. Sein Vater hatte immer gewünscht, er solle Italien sehen, und drang nun mit doppeltem Eifer darauf, um ihn von Lili zu trennen. Doch – »die Lombardei und Italien«, sagt der Dichter, »lagen als ein ganz Fremdes vor mir; Deutschland als ein Bekanntes, Liebwerthes, voller freundlicher einheimischer Aussichten, und sei es nur gestanden das, was mich so lange ganz umfangen, meine Existenz getragen hatte, blieb auch jetzt das unentbehrlichste Element, aus dessen Grenzen zu treten ich mich nicht getraute. Ein goldenes Herzchen, das ich in schönster Stunde von ihr erhalten hatte, hing noch an demselben Bande, an welchem sie es anknüpfte, lieberwärmt an meinem Halse. Ich faßte es an und küßte es.«

Bei der Rückkehr nach Frankfurt erfuhr er, daß Lili's Freunde seine Entfernung benutzt hatten, um ihre Treue zu erschüttern und sie zu einer Trennung zu bewegen, indem man nicht ohne Grund seine Abwesenheit als Beweis von Lauheit geltend machte. Doch Lili blieb fest; es hieß, sie habe sich bereit erklärt, mit ihm nach Amerika zu gehen. Eine Stelle der Lebensbeschreibung ist der Anführung werth als Probe jener Liebe, die, »so ganz anders als die Liebe in Romanen«, seiner Erzählung eine besondere Färbung gegeben haben soll. Sie bezieht sich auf diese Bereitwilligkeit Lili's, ihm nach Amerika zu folgen. »Eben das, was meine Hoffnungen hätte beleben sollen, drückte sie nieder. Mein schönes väterliches Haus, nur wenig hundert Schritt von dem ihrigen, war doch immer ein leidlicherer zu gewinnender Zustand, als die über das Meer entfernte ungewisse Umgebung.«

Er war während dieser Monate unruhig und unglücklich, denn er war weder stark genug sie aufzugeben, noch verliebt genug, um sie zu heirathen; eifersüchtig auf die, welche sie umgaben, durch ihre Kälte verletzt, ward er immer von neuem durch ihre Zärtlichkeit hingerissen. Es gab Augenblicke, wo vergangene Tage noch einmal wiedergekehrt schienen, bis sie plötzlich wie Geister wieder versanken. Das Gedicht »Lili's Park« spricht seinen Ingrimm über die Gesichter aus, von denen er sie umgeben sah. Der Bär in der Menagerie ist er selbst.

Bei der Kunst Beruhigung suchend, begann er die Tragödie Egmont, die er viele Jahre später in Italien vollendete. Es war ein Werk, das mehr Ruhe verlangte, als er in seinem damaligen Zustande finden konnte. Dieser Zustand war krankhaft; eilen wir daher zum Schluß einer Episode, die zwischen allen Schwankungen des Gefühls mit stetigem Gang einem Ende zustrebte, das sich unschwer voraussehen ließ. Die Verlobung ward zurückgenommen. Er war wieder frei. Frei, aber nicht glücklich. Sein Herz schmachtete noch immer nach ihr, mehr, weil in seiner Natur ein Bedürfniß der Liebe lag, als weil sie das Weib gewesen wäre, das zu seiner Lebensgefährtin gepaßt hätte. Er streifte Nachts um das Haus, in den Mantel gehüllt, zufrieden, wenn er ihren Schatten an den Vorhängen erkennen konnte, während sie sich im Zimmer bewegte. Eines Abends hörte er sie am Klavier singen. Das Herz schlug ihm, da er sein eigenes Lied vernahm:

Warum ziehst du mich unwiderstehlich,
Ach, in jene Pracht?

das Lied, das er in der Morgenzeit ihres Glückes geschrieben hatte! Die Stimme schwieg. Sie stand auf und ging im Zimmer auf und ab, nicht ahnend, daß der Geliebte von leidenschaftlicher Qual zerrissen unter ihrem Fenster stand.

Zur gelegensten Zeit erschien ein Besuch in Frankfurt, der seinen unstäten Gefühlen die entscheidende Richtung gab. Es war im September. Karl August, eben vermählt auf dem Wege nach Weimar, drang nochmals in ihn, auf einige Wochen an seinen Hof zu kommen. Die rasche Zuneigung, die zwischen dem Fürsten und dem Dichter entsprungen war, das Verlangen etwas von der großen Welt zu sehen, der Drang, Frankfurt zu verlassen, – alles vereinigte sich, ihn zu eifriger Annahme der Einladung zu bestimmen. Sein Vater rieth ihm ab; er fand es unpassend für den Bürgerlichen, mit Fürsten umzugehen, und die Erfahrung, die kurz vorher Voltaire mit Friedrich dem Großen gemacht hatte, schien ihm auf ein Ende mit Schimpf und Schande hinzuweisen, dem man höchstens durch knechtische Unterwerfung entgehen könne. Indessen seine Einwilligung ward zuletzt erzwungen, und Goethe verließ das väterliche Haus für immer.



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